Zu den Kapiteln
Johannes Duns Scotus ist neben Albertus Magnus und Thomas von Aquin (um 1225-1274) der bedeutendste Theologe und Philosoph des lateinischen Mittelalters.
Scotus fand in vielen Fragen eine ganz eigenständige Antwort, um der großen intellektuellen Herausforderung seiner Zeit gerecht zu werden. Die geistesgeschichtlich so bedeutsame Aufgabe, mit der Scotus und seine Zeitgenossen konfrontiert waren, bestand in der Vermittlung von zwei Traditionen, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts erstmalig in ganzem Umfang aufeinander trafen: das universalistische Wissenschaftsverständnis der griechischen Antike einerseits und der ebenfalls universalistische Geltungsanspruch des christlichen Glaubens andererseits. In welchem Verhältnis stehen die in der göttlichen Offenbarung verkündete Lehre, die dem gläubigen Christen nur auf eine übernatürliche Weise gegeben ist, und die Weltdeutung, wie sie von den heidnischen Philosophen in Gestalt einer sich an die natürliche Vernunft wendenden Wissenschaftlichkeit dargeboten wird, zueinander? Wie lässt sich die Einheit von Wissenschaft und Glauben fassen, ohne dass das eine Moment zugunsten des anderen in seinem Wesen verkannt und in seinem Eigenrecht missachtet wird? Das gesamte theologische und philosophische Werk des Duns Scotus ist der Herausforderung dieser Fragen gewidmet.
Über das Leben des Johannes Duns Scotus weiß man verhältnismäßig wenig. Eine der kürzesten Biographien des Scotus dürfte die Inschrift auf seinem Sarkophag in der Kölner Minoritenkirche sein. Darin heißt es: „Scotia me genuit, Anglia me suscepit, Gallia me docuit, Colonia me tenet." (Schottland hat mich geboren, England hat mich aufgenommen, Frankreich hat mich gelehrt und Köln behält mich.)
Auf den ersten Blick scheint diese Aufzählung, bei der Köln in einer Reihe mit Schottland, England und Frankreich genannt wird, eher dem Kölner Patriotismus als einer neutralen Berichterstattung zu entspringen, doch findet sich ein etwa gleichlautender Text bereits im Epilog eines vom Franziskaner Wilhelm de Vaurouillon (gestorben 1463) verfassten Sentenzenkommentars aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Für das Geburtsdatum des Johannes Duns Scotus existiert kein eindeutiger Beleg. Darauf ist nur indirekt aufgrund des Datums von Scotus’ Priesterweihe zu schließen: Am 17.3.1291 wurde er vom Bischof von Lincoln zum Priester geweiht. Sein Name „frater iohannes dons" erscheint in der Liste des bischöflichen Sekretärs, der die Namen der geweihten Priester festhält. Kirchenrechtlich galt zu dieser Zeit ein Mindestalter für die Priesterweihe von 25 Jahren. Daraus ergibt sich als spätestes Datum für die Geburt des Duns Scotus der 17.3.1266. Mitte Dezember 1290 hatte bereits eine Priesterweihe stattgefunden, bei der Scotus jedoch noch nicht geweiht wurde. Geht man davon aus, dass man ihm zum frühest möglichen Zeitpunkt zum Priester geweiht hat, ergibt sich als frühester Zeitpunkt für seine Geburt ein Datum von Mitte Dezember 1265. Johannes Duns Scotus ist also vermutlich im Zeitraum von Mitte Dezember 1265 bis Mitte März 1266 in der Ortschaft Duns im Süden Schottlands geboren.
Ob es sich bei dem Namen „Duns" um eine Herkunftsbezeichnung oder einen Familiennamen handelt, ist allerdings unsicher. Als Herkunftsbezeichnung wäre eher die Bezeichnung „de Duns" üblich gewesen, so dass einiges für einen Familiennamen spricht. Gleichwohl wäre es nicht überraschend, wenn dieser Familienname aufgrund der Herkunft aus Duns verwendet wurde. Eine Herkunft des Johannes selbst oder seiner Familie aus der genannten Ortschaft scheint also die natürlichste Erklärung zu sein. Damit kann auch die Herkunft aus Schottland entgegen anderer Annahmen, er komme aus Irland, als gesichert gelten. Zwar gibt es auch in Irland eine Ortschaft Duns, doch ist die Bezeichnung „Scotus" zur damaligen Zeit allein auf Schottland und nicht auch auf Irland angewandt worden. Spätestens ab dem 11. Jahrhundert sind Irland und Schottland namentlich getrennt. Der Ehrenname „Subtilis", der Scotus in der Bezeichnung „doctor subtilis" zugesprochen wird, ist bereits zu dessen Lebzeiten verbürgt.
Für den Eintritt in den Franziskanerorden war ein Alter von 18 vorgeschrieben, was allerdings in der Praxis auf ein Mindestalter von 15 Jahren hinauslief. Scotus dürfte also ungefähr 1280/1281 in den Orden aufgenommen worden sein.
Es spricht einiges dafür, dass er sein Ausbildungsprogramm in Oxford begann, wo der Franziskanerorden ein Studienhaus unterhielt. Der eigentlichen theologischen Ausbildung ging eine in der Regel achtjährige, andere Quellen sagen sechsjährige, philosophische Schulung voraus. Daran schloss sich nach den Oxforder Statuten ein 13-jähriges Theologiestudium an. Es ist anzunehmen, dass Scotus nicht seine gesamte Ausbildung in Oxford genossen hat. In der Forschung wird diskutiert, ob Scotus nicht im Anschluss an seine erste philosophische Studien in Oxford sein Lektorat in Paris absolviert hat. Die letzen vier Studienjahre, bei Duns Scotus dürften es die Jahre 1297-1301 gewesen sein, galten der Auseinandersetzung mit den „Sentenzen" des Scholastikers Petrus Lombardus (um 1100-1160). Es handelte sich hierbei um ein vierbändiges theologisches Standardwerk, das den Charakter eines Lehrbuchs hatte und im theologischen Unterricht zum Gegenstand vielfältiger Kommentare gemacht wurde.
Belegt ist, dass Scotus spätestens 1302 in Paris war, um dort erneut das erste Buch der Sentenzen und anschließend das vierte zu kommentieren. Belegt ist wiederum, dass der Paris-Aufenthalt des Duns Scotus durch ein Exil unterbrochen wurde, wobei wir nicht genau wissen, wo Scotus sich stattdessen aufhielt.
Im Juni des Jahres 1303 forderte der französische König Philipp IV. („der Schöne") (Regierungszeit 1285-1314), alle Pariser Theologen auf, durch Unterschrift zu bezeugen, ob sie in den Streitigkeiten zwischen Papst Bonifaz VIII. (Pontifikat 1294-1303) und dem König von Frankreich auf der Seite Roms oder der der Krone stünden. Bei der folgenden Abstimmung gehörte Scotus zu den papsttreuen Gelehrten, die dem König ihre Zustimmung versagten. Umgehend forderte Philipp diese auf, Frankreich innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Wohin Scotus ging, ist nicht genau zu sagen. Am wahrscheinlichsten sind Aufenthalte in Oxford oder Cambridge. Ende 1304 war Scotus wieder in Paris, wo er im Frühjahr des darauf folgenden Jahres schließlich Magister regens gewesen sein dürfte, was dem heutigen Rang eines ordentlichen Professors entsprach.
Am 8.11.1308 starb Scotus in Köln. Hier wurde er in der Minoritenkirche beigesetzt, wo er auch heute noch begraben ist. Die Todesursache ist unbekannt, so dass die genauen Umstände reichlich Raum zur Spekulation boten: so etwa zu der Vermutung, Scotus sei gar nicht wirklich tot gewesen, als man ihn begrub, sondern nur durch eine wundersame Krankheit in einen todesähnliche Schlaf verfallen und erst nach der Beisetzung unter fürchterlichen Umständen tatsächlich zu Tode gekommen. Nach verschiedenen Anläufen und einem zähen Ringen seitens des Franziskanerordens wurde Johannes Duns Scotus schließlich am 6.7.1991 durch Papst Johannes Paul II. (Pontifikat 1978-2005) selig gesprochen.
Werke
Opera omnia Ioannis Duns Scoti, hg. von Lucas Wadding, 12 Bände, Lyon 1639, Nachdruck Hildesheim 1968-1969.
Ioannis Duns Scoti Opera omnia. Studio et cura Commissionis Scotisticae ad fidem codicum edita, Civitas Vaticana 1950ff. [bisher erschienen: Bände 1-10, 1950-2007; Bände 16-21, 1960-2004].
B. Ioannis Duns Scoti Opera philosophica, hg. von Girardus J. Etzkorn u.a., St. Bonaventure (New York) 1997ff. [bisher erschienen: Band 1, 1999; Bände 3-4, 1997; Band 5, 2006].
Literatur
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel „Duns Scotus", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990), Sp. 1423-1427.
Burger, Maria, Personalität im Horizont absoluter Prädestination. Untersuchungen zur Christologie des Johannes Duns Scotus und ihrer Rezeption in modernen theologischen Ansätze, Münster i.W. 1994.
Honnefelder, Ludger, Duns Scotus, München 2005.
Honnefelder, Ludger, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Münster i.W. 1979, 2. Auflage 1989.
Honnefelder, Ludger [u.a.] (Hg.), Johannes Duns Scotus 1308-2008. Die philosophischen Perspektiven seines Werkes /Investigations into his Philosophy, Münster i.W. 2011.
Möhle, Hannes, Ethik als scientia practica nach Johannes Duns Scotus. Eine philosophische Grundlegung, Münster i.W. 1995.
Wolter, Allan Bernard, Artikel „John Duns Scotus", in: The Encyclopedia of Philosophy, Band 2, New York / London 1967, S. 427-436.
Online
Williams, Thomas, John Duns Scotus (Stanford Encyclopedia of Philosophy). [Online]
Minges, Parthenius, Scotism and Scotists (University of Notre Dame, Jacques Maritain Center). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Möhle, Hannes, Johannes Duns Scotus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-duns-scotus/DE-2086/lido/57c92ef71b6200.58413085 (abgerufen am 05.12.2024)