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Kein Name ist so eng mit der Geschichte des Saarlandes verknüpft wie der von Johannes Hoffmann. Als Ministerpräsident war er in hohem Maße mitverantwortlich für einen halbautonomen Kleinstaat, der als Gebietsteil des untergegangenen Deutschen Reiches zunächst keinen Anteil nahm am Schicksal der jungen Bundesrepublik, die für sich in Anspruch nahm, Nachfolgestaat des Deutschen Reiches zu sein. Das Saarland unter Hoffmann ging eigene Wege und setzte auf eine enge Bindung an Frankreich im Rahmen einer Wirtschafts- und Währungsunion. Wegen dieser Rolle wird Johannes Hoffmann oft als Politiker kritisch gesehen, mit anderen Worten, er ist als Person umstritten. Im Kern wird ihm vor allem vorgeworfen, dem deutschen Vaterland gegenüber untreu geworden zu sein.
Doch dieses Hoffmannbild ist irritierend, weil es einseitig von zeitgebundenen Wertvorstellungen ausgeht. Maßstab sind dabei nationalstaatliche Idealvorstellungen, die die Zwänge außer Acht lassen, die für das politische Handeln an der Saar, in Deutschland und in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich waren. Die Verfassung des heutigen Saarlandes als Gliedstaat der Bundesrepublik stammt in ihrem Kern aus dem Jahre 1947. Der „Vater“ dieser Verfassung und ihrer Orientierung an deutsche Verfassungstraditionen heißt auch Johannes Hoffmann. Allein dieser Umstand zeigt an, dass dieser Mann tiefe und bleibende Spuren in der Geschichte des Saarlandes hinterlassen hat. Das Urteil über ihn kann darum nicht nur negativ aus dem Blickwinkel eines verwerflichen Separatismus gefällt werden.
Der am 23.12.1890 geborene Johannes Hoffmann wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Die ersten Kindheitsjahre verbrachte er in seinem Geburtsort Landsweiler-Reden, damals eine dörfliche Gemeinde in der Nähe von Neunkirchen. Um 1900 war das Grenzraum im Südzipfel der preußischen Rheinprovinz. Die bayerische Pfalz war von hier aus nicht mehr weit. Der Vater Hoffmanns, Jakob (1859-1928) war Bergmann, das Leben der Mutter Katharina, geborene Bungert (1858-1912) war bestimmt durch ein kinderreiches Familienleben. Die junge Industrieregion an der Saar bot der Familie ein auskömmliches aber relativ karges Dasein. Dennoch wurde Hoffmann Gymnasiast, aber nicht in Saarbrücken, sondern in Trier, dem zentralen Anziehungspunkt für den Saarkatholizismus um 1900. Nach bestandenem Abitur studierte Hoffmann vom Jahre 1912 an Philologien und Philosophie in Freiburg im Breisgau und in Innsbruck. Allerdings erreichte er keinen Studienabschluss. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges veränderte seine ursprünglichen Lebensplanungen. Hoffmann meldete sich 1914 freiwillig zum Waffendienst und kam danach im Elsass und im Nahen Osten zum Einsatz. Unmittelbar nach seiner Heimkehr heiratete er Frieda Krause (1894-1973), eine Lausitzerin. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor.
In der Zeit der Weimarer Republik lebte Hoffmann mit seiner jungen Familie zunächst in der Nähe von Berlin. Im Laufe der Zeit profilierte er sich zu einem namhaften Journalisten, der ausschließlich für Tageszeitungen arbeitete, die dem Zentrum und dem deutschen Katholizismus nahe standen. Hoffmann war ein erklärter Anhänger der Republik und des Sozialstaates von Weimar. Auflebenden Phobien gegen den jungen Verfassungsstaat trat er entschieden entgegen, vor allem dann, wenn sie aus den eigenen Reihen spürbar wurden. In diesem Zusammenhang sei der Name Franz von Papen (1879-1969) erwähnt, den Hoffmann schon damals als unverlässlichen Politiker einschätzte. 1929 wurde Hoffmann schließlich Chefredakteur der Saarbrücker Landeszeitung. Aber diese Stellung verlor er im Jahre 1934. Hauptverantwortlich für seine Entlassung war sein Intimfeind von Papen, der unbedingt einen Journalisten mundtot machen wollte, der bis dahin mutig gegen die neueste Entwicklung in Deutschland opponiert hatte.
Ein Schlüsseldatum im Leben des Johannes Hoffmann war der 13.1.1935, als mit einer Volksabstimmung über das weitere Schicksal seiner Saarheimat entschieden wurde und über 90 Prozent der Stimmberechtigten für eine Rückkehr nach Deutschland votierten. Allerdings ging es hier um ein Deutschland, das inzwischen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten stand. Aber das beeindruckte eine überwältigende Mehrheit nicht. Im Gegenteil, der völkisch forsch auftrumpfende Nationalsozialismus wurde einseitig und zum Teil auch sehnlichst als Sachwalter der nationalen Gedanken gesehen. Nicht wahrgenommen wurden indes der radikale Rassismus und die großen Gefahren für den Frieden in Europa. Hoffmann erkannte jedoch die drohenden Abgründe und entschied sich mit Hilfe einer kleinen Anhängerschaft aus dem katholischen Lager zum Widerstand. Er setzte dabei mit anderen Gegnern Hitlers wie den Sozialdemokraten und auch den Kommunisten auf den sogenannten Status quo. Das wurde ihm in der Folge als Landesverrat ausgelegt. Die Nationalsozialisten sahen ihn sogar als Hochverräter. Nach dem 13.1.1935 sah er darum keine andere Möglichkeit, als zu emigrieren.
Die Jahre der Emigration gestalteten sich für Hoffmann und seine Familie als eine große Leidenszeit. Einigermaßen erträglich waren lediglich die Jahre bis 1940. Aufnahmeland war in dieser Zeit das Großherzogtum Luxemburg. Doch die Jahre danach waren durchgehend eine Qual. Das Elend begann mit dem Beginn des Westfeldzugs der deutschen Wehrmacht am 10.5.1940. Der rasche Vormarsch der Armeen Hitlers hatte eine nicht gewollte Trennung Hoffmanns von seiner Familie zur Folge. Hoffmann befand sich am 10.5.1940 bereits in Paris und war dort als Mitarbeiter eines deutschen Emigrantensenders tätig. Doch seine Frau und der Großteil seiner Kinder hatten zunächst noch in Luxemburg ausharren müssen. Hoffmann wurde unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen interniert, konnte aber aus dem in der Bretagne eingerichteten Lager fliehen. Zu Fuß erreichte er nach Wochen das vermeintlich noch freie Südfrankreich. Da er sich auch hier nicht vor den Nationalsozialisten sicher fühlte, entschloss er sich nach einigem Zögern zur Flucht nach Brasilien. Hier, in Rio de Janeiro, wird er dann bis zum Jahre 1945 bleiben.
Materiell gesehen war nur das erste Jahr für ihn Südamerika schwer. Doch es gab danach Krankheiten und eine Verhaftung durch die brasilianische Sicherheitspolizei. Diese Erlebnisse haben ihm ebenso zugesetzt wie das ungewisse Schicksal von Frau und Kindern. Die schlimmste Stunde in der Emigration erlebte er im Jahre 1943, als er vom Tode seines Sohnes Heinz-Joachim erfuhr. Der erst 19-Jährige war an der Ostfront gefallen. Für Hoffmann stand der Tod seines geliebten Sohnes symbolhaft für das durch Hitler verursachte Leid und die apokalyptischen Verwerfungen in Europa seit 1933, die er zu verantworten hatte. Dieser Tod war für ihn die eigene und persönlich direkt fühlbare Begegnung mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht, die Hitler in deutschem Namen begangen hatte. Von hier aus lässt sich ein Kernmotiv für seinen Vorsatz ausmachen, nach der Katastrophe mit Tatkraft für ein einiges und friedliches Europa aktiv werden zu wollen.
Johannes Hoffmann wurde am 20.10.1947 zum ersten Ministerpräsidenten des Saarlandes gewählt. Seine Legitimation erfolgte durch einen Landtag, der unmittelbar zuvor gewählt worden war. Allerdings waren hierzu nur Parteien zugelassen worden, die mit dem von Frankreich verlangten Autonomiestatus einverstanden waren. Die Bildung der ersten Saarlandexekutive erfolgte rund anderthalb Jahre nach Kriegsende. Der Zeitfaktor ist hier zu beachten, weil Frankreich erst im Schatten des heraufziehenden Ost-West-Konfliktes die Eckdaten seiner Saarpolitik endgültig festlegen konnte. Zwar wurde die Saar auch jetzt wieder wie nach dem Ersten Weltkrieg seiner Oberhoheit unterworfen, doch im Gegensatz zu 1919 wurden den Saarländern nunmehr nicht unerhebliche Autonomierechte zugestanden. Verfassung, Parlament, Exekutive, Budgetrechte, Justiz und vor allem ein garantiertes Deutschtum waren Grundpfeiler einer erstmals an der Saar staatlich organisierten Selbstbestimmung, die eine zunächst befürchtete Entwicklung in Richtung Annexion ausschloss. Eine hinzunehmende Belastung war und blieb freilich ein Rechtstitel in Form einer Verfassungspräambel, die ausdrücklich eine Beteiligung an einer deutschen Staatlichkeit untersagte und die Saar in allen Wirtschafts- und Währungsfragen von Frankreich abhängig werden ließ
Im Rahmen dieser Festlegungen hat Hoffmann mit seinen Regierungen bis zum 23.10.1955 Beachtliches geleistet. Zu seiner Erfolgsbilanz zählen der erstmalige Auf- und Ausbau einer saarländischen Staatlichkeit, ein dynamisch in Angriff genommener Wiederaufbau der Wohn- und Infrastruktur eines Landes, das stark unter dem Krieg gelitten hatte, ein leistungsfreudiger Sozialstaat, der allein schon deswegen mehr leisten konnte und wollte, weil die Saar keinen Lastenausgleich wie in der Bundesrepublik zu stemmen hatte. Bemerkenswert waren auch die Leistungen im Bildungs- und Kultursektor. Die Saar erreichte in der Hoffmannära erstmals einen Hochschulsektor und ein weit verzweigtes System an Kultureinrichtungen.
Die Bevölkerung an der Saar hat die Leistungen der Regierung Hoffmann durchaus anerkannt. Die Landtagswahl von 1952, zu der allerdings nur die Autonomieparteien zugelassen waren, ist hierfür ein Indiz. Hoffmanns Partei, die Christliche Volkspartei (CVP), gewann sie mit absoluter Mehrheit. Doch Hoffmann erreichte diesen Triumph zu einem Zeitpunkt, als sich Bonn und Paris bereits heftig um die Saar stritten. Außerdem hatte das kleine Industrieland für Frankreich inzwischen erheblich an Bedeutung verloren. Ausschlaggebend hierfür war der im Jahre 1952 in Kraft getretene Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion). Er schwächte die tradierten Rivalitäten zwischen Frankreich und Deutschland stark ab. Als im Jahre 1954 der Prozess der europäischen Integration ins Stocken geriet (Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft - EVG - !), verfiel die Saarfrage endgültig zu einem reinen Territorialstreit. Das Saarabkommen im Rahmen der Pariser Verträge von 1954 gab dem Gedanken einer Europäisierung der Saar jedenfalls nur vordergründig eine Chance. Nicht zuletzt deswegen wurde er auch in der Volksabstimmung vom 23.10.1955 abgelehnt.
In der saarländischen Bevölkerung hat dieses Plebiszit tiefe Wunden geschlagen, weil der triumphierende Mythos von einer ewigen Vaterlandstreue der Saarländer die Person Hoffmann und auch seine immer noch beachtliche Anhängerschaft ebenso diskreditierte wie auch deren Zielvorstellung von einer Saar als Freundschaftsbrücke zwischen Deutschland und Frankreich im Dienst eines europäischen Friedensobjekts.
Ein Teil der Anklagen gegen Hoffmann war allerdings berechtigt, weil der Weg der politischen Autonomie zwangsläufig das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung und damit auch Freiheitsrechte bedrängen musste. Doch oft waren die Vorwürfe auch überzogen, vor allem in der Behauptung, Hoffmann habe an der Saar einen Polizeistaat organisiert.
Eine erhebliche Mitschuld an der Diffamierung hatte die Vergangenheit, besser und genauer gesagt: die nationalsozialistische und der Umgang mit ihr. Im Januar 1935 hatte eine große Mehrheit der Saarbevölkerung nicht nur auf Deutschland gesetzt. Sie hatte sich auch anfällig gezeigt für das vermeintlich faszinierende völkische Ordnungsprinzip des totalitären Nationalsozialismus. Mit der zweiten Abstimmung 20 Jahre später konnte und sollte dieser Makel getilgt werden. Gefühlt wurde sozusagen ein geläutertes Vaterlandsprinzip. Der 23.10.1955 bot nun Gelegenheit, dem Mahner Hoffmann von 1935 selbstbewusst entgegen zu treten.
Im Grunde blieb das Plebiszit an der Saar ohne Sieger. Die vaterlandstreuen Abstimmungsgewinner, im sogenannten Heimatbund organisiert, blieben nur in ihrem Kampf gegen Hoffmann einig. Danach zerstritten sie sich. Hoffmann jedoch führte seine Christliche Volkspartei in eine neue Richtung. Angesichts einer völlig anderen Ausgangslage votierte auch er bald für den Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik. Außerdem trug Hoffmann viel dazu bei, dass die beiden christlichen Parteien, seine einst autonomistische CVP und die neu gegründete CDU, im Jahre 1959 zur Einheit fanden.
Mit dieser Versöhnungsstrategie rettete Hoffmann einen wesentlichen Bestandteil seines Lebenswerkes und das ist die bis heute bleibende Existenz des Saarlandes als Staat. In dieser Rolle ist das Saarland heute ein Teil der Bundesrepublik, ein Status, der ihm nach wie vor einige Vorzüge einbringt. Jedenfalls haben die Nachfolger Hoffmanns die saarländische Staatlichkeit erfolgreich fortgeführt und jeden Zweifel darüber entkräftet, dass die Saar zu einem Regierungsbezirk absteigen könnte. Und der wäre nach Lage der Dinge auf jeden Fall ein rheinland-pfälzischer. Die Kontinuität des Saarlandes als Staat wird sich nach 1955 vor allem mit den Namen Franz-Josef Röder (1909-1979, Ministerpräsident 1959-1979) und Oskar Lafontaine (geboren 1943, Ministerpräsident 1985-1998) verbinden. Hoffmann selbst starb am 21.9.1967 in Völklingen.
Literatur
Der Weg des Zentrums, Saarbrücken 1933.
Die Neue Saarpost, 1934 von Hoffmann gegründete Tageszeitung im Kampf gegen Hitler [nur ein Jahrgang].
Am Rande des Hitlerkrieges, Saarbrücken 1948. Unveränderter Nachdruck durch die Unionsstiftung Saarbrücken im Rahmen ihrer Reihe Malstätter Beiträge, Saarbrücken 2005.
Wir wollen Europa. Rede des Landesvorsitzenden auf dem 9. Parteitag der CVP des Saarlandes am 16. Januar 1955, Saarbrücken 1955.
Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945 – 1955, München/Wien 1963. Unveränderter Nachdruck durch die Unionsstiftung Saarbrücken im Rahmen ihrer Malstätter Beiträge, Saarbrücken 2013
Film
Boris Penth, Europas Neubeginn – Johannes Hoffmann und das Saarland, Film, 60 Minuten, 2013.
Literatur
Gestier, Markus/Meyer, Peter/Flecken, Jan von, Bombers Beichte. Der Anschlag auf den Saar-Ministerpräsidenten anno 1955 war Werk eines Stasi-Spezialisten, in: Focus, Nr. 19/1997.
Küppers, Heinrich, Johannes Hoffmann (1890–1967), in: Rheinische Lebensbilder 18, Köln 2000, S. 191–224.
Küppers, Heinrich, Hoffmann, Johannes (eigentlich Johann Viktor), Journalist, Ministerpräsident, in: Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, Paderborn 2002, S. 282 – 283.
Küppers, Heinrich, Johannes Hoffmann (1890 – 1967). Biographie eines Deutschen, Düsseldorf 2008.
Schleiden, Karl August, Johannes Hoffmann (1890-1967), in: Saarländische Lebensbilder 4, Saarbrücken 1989, S. 251-276.
Online
Altmeyer, Klaus, Johannes Hoffmann, in: Neue Deutsche Biographie, Band 9, Berlin 1972, S. 428-429.
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Küppers, Heinrich, Johannes Hoffmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-hoffmann/DE-2086/lido/57c831926862a3.37286557 (abgerufen am 11.11.2024)