Zu den Kapiteln
Ludwig Josef Haubrich war ein äußerst wirkungsvoller Kulturpolitiker der Nachkriegszeit. 1946 stiftete er seine Kunstsammlung der Stadt Köln, woraus sich das heutige Museum Ludwig entwickelte. Auch für die Entstehung des heutigen LVR-Freilichtmuseums in Kommern und die Erhaltung des Roten Hauses in Monschau setzte er sich tatkräftig ein.
Ludwig Josef Haubrich wurde am 15.6.1889 als Sohn des Nicolaus Wilhelm Haubrich (1858-1942) und seiner Ehefrau Maria Christina Huberta Wilhelmine Ritzefeld (1866-1930) in Köln am Mühlenbach 37 geboren. Der Vater war Direktor der „Ortskrankenkasse für Fabriken“ und Rendant des Kölner Zentral–Dombau-Vereins, die Mutter entstammte einer mittelständischen Kölner Familie. Haubrichs Vorfahren kamen aus dem bäuerlichen Milieu des Westerwalds. Er selbst wuchs in gutbürgerlich-katholischem Umfeld auf. Am 4.3.1908 legte er am Gymnasium in der Kreuzgasse das Abitur ab und studierte anschließend in München, Bonn und Berlin Rechtswissenschaften. 1912 studierte er ebenfalls noch an der neuen Kölner Handelshochschule. Am 15.8.1913 wurde er in Rostock mit der Dissertation über „Die Diskontierung von Buchforderungen“ von Hans Wüstendörfer (1875-1951) promoviert. Im Herbst 1915 legte er in Berlin die Große Staatsprüfung ab. Aufgrund eines Herzfehlers war er vom Wehrdienst frei gestellt. Nach dem Examen gründeten er und Dr. Heinrich Bodenheim (1884-1949) im Jahre 1915 gemeinsam eine Wirtschaftskanzlei in Köln, die sich äußerst erfolgreich entwickelte. Bodenheim allerdings wurde zum Wehrdienst eingezogen, so dass Haubrich sie zunächst allein führen musste. Am 25.5.1916 heiratete er Johanna Kux (1891-1922), Tochter des Geschäftsführers der Chemischen Fabrik Kalk. Ende 1916 kam Sohn Karl-Klaus zur Welt, 1919 die Tochter Ruth-Luise (Wiesel).
Der Vater hatte für die Dombaulotterie in Kölner Galerien und in Museen des Auslands Gewinne in Form von Bildern ausgesucht, wodurch der Sohn früh an die Kunst herangeführt wurde. Doch erst während des Studiums in München und Berlin kam er in Kontakt mit der zeitgenössischen Kunst und lernte diese schätzen. Prägendes Erlebnis in Köln war für ihn die großes Aufsehen erregende Ausstellung zur internationalen Moderne im Jahre 1912: Die Sonderbundausstellung. Schon in den 1920er Jahren bildeten sich allmählich die Schwerpunkte seiner Sammlung heraus: so sammelte er expressionistische Gemälde und Papierarbeiten der Dresdner Künstlergruppe „Die Brücke“, darunter Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), Erich Heckel (1883-1970), Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976), Emil Nolde (1867-1956), Max Pechstein (1881-1955), Otto Mueller (1874-1930), oder Arbeiten der neuen Sachlichkeit: Otto Dix (1891-1969), George Grosz (1893-1959), Georg Schrimpf (1889-1938) und der Künstler des Rheinlands: August Macke, Heinrich Campendonk, Heinrich Hoerle (1895-1936), Carlo Mense (1886-1965), Jankel Adler (1895-1949) und andere mehr. Von großer Qualität waren die Arbeiten des Belgiers James Ensor (1860-1949), die Haubrich in diesen Jahren erwarb. Auch von Oskar Kokoschka (1886-1980), Marc Chagall (1887-1985) und Paula Modersohn-Becker (1876-1907) kaufte er bedeutende Arbeiten und fügte Werke von Bildhauern wie Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) und Renée Sintenis (1888-1965) seiner schon damals bedeutenden und anerkannten Sammlung hinzu.
1922 traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Seine Frau verstarb während der Schwangerschaft. Eine 1923 mit Dora Anna Amalie Antonie Timmermanns geborene Skirl (geboren 1898) eingegangene Ehe wurde geschieden und schließlich heiratete Haubrich 1929 die Tochter des Rabbiners Viktor Grabowski (1863-1931) aus Barmen (heute Stadt Wuppertal), die Frauen- und Kinderärztin Alice Gottschalk (1892-1944). Aus ihrer ersten Ehe brachte diese die Tochter Anneli mit in die Ehe.
Haubrich war mit wichtigen SPD-Politikern wie Wilhelm Sollmann (1881-1951, Innenminister unter Reichskanzler Gustav Stresemann), Johannes Meerfeld (1871-1956, 1920–1933 Mitglied des Preußischen Staatsrates und Kulturdezernent der Stadt Köln) und Robert Görlinger (1919–1933 Mitglied des Kölner Stadtrates, seit 1923 auch Mitglied des Rheinischen Provinziallandtages) befreundet und so verfasste er für das SPD-Organ „Rheinische Zeitung“ (Meerfeld und Sollmann waren dort zeitweilig Chefredakteure) unter dem Pseudonym „Dr. Ludwig Josef“ höchst pointierte Kunstkritiken. Trotz der Kontakte zu prominenten Vertretern der SPD trat er der 1930 gegründeten liberalen Deutschen Staatspartei bei.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde Haubrich nach und nach aus seinen Ehrenämtern – beispielsweise beim Kölnischen Kunstverein oder den Freunden der Universität zu Köln – heraus gedrängt. 1939 wurde er schließlich gezwungen, die Gemeinschaftskanzlei mit Bodenheim aufzugeben. 1938 verlor seine Frau ihre Approbation und musste die Praxis schließen. Als Angehöriger des gehobenen Kölner Bürgertums konnte er jedoch seine Kanzlei als Einzelanwalt in seiner Marienburger Villa weiter betreiben. Außerdem gelang es ihm, seine Sammlung in engem Kontakt mit dem 1933 neu eingesetzten Museumsdirektor des Wallraf-Richartz-Museums, Otto H. Förster (1894-1975, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums bis 1945, Generaldirektor der Kölner Museen 1957-1960), dessen Frau und dessen Schwiegersohn Toni Feldenkirchen (1907-1982), der seit 1936 (bis 1967) Werbe- und Schriftleiter im Verkehrsamt der Stadt Köln und seit 1942 zugleich Geschäftsführer des Kölnischen Kunstvereins war, über Krieg und Verfolgung hinweg zu retten.
Private Schicksalsschläge trafen ihn hart: Die Stieftochter musste sich in Wien vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten verbergen, seine Frau nahm sich am 10.2.1944 das Leben und im folgenden Jahr – im Februar 1945 – fiel in der Nähe von Königsberg als Soldat sein einziger Sohn.
Im September 1944 jedoch gelang ihm trotz allem ein Neuanfang: Er heiratete in vierter Ehe Paula Wegelin (1886-1959) geborene Sieb, eine vermögende Industriellenwitwe, die seinen gesellschaftlichen Wiederaufstieg nach dem Krieg nach Kräften unterstützte. Von den Amerikanern und Briten als einer der Deutschen geschätzt, denen man beim Aufbau eines neuen Deutschland vertrauen konnte, wurde er am 17.1.1946 Mitglied der zweiten Kölner Stadtverordnetenversammlung, die noch von der Militärregierung berufen wurde. Seit den ersten freien Kommunalwahlen am 13.10.1946 bis zu seinem Tode gehörte er fast ununterbrochen für die SPD – er war der Partei am 21.1.1946 beigetreten – dem Kölner Stadtrat an. Seit 1953 war er außerdem Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland. Er war stellvertretender Vorsitzender der Kulturausschüsse beider Vertretungen und wurde so zu einem der kompetentesten und profiliertesten Kulturpolitiker jener Jahre im Rheinland.
Zu Beginn der Fünfziger Jahre war das Rote Haus in Monschau (in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erbautes Wohn- und Kontorhaus und zugleich Produktionsstätte der Tuchhändlerfamilie Scheibler) akut vom Einsturz bedroht. Josef Haubrich vermittelte zwischen dem Landschaftsverband Rheinland als künftigem Eigner und der Stadt Monschau sowie Hans Carl Scheibler, die jeweils eine Haushälfte besaßen. Die „Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus“ konnte das Haus schließlich übernehmen, restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Aus der Erkenntnis heraus, dass die bäuerliche Kultur des Rheinlands vom Verschwinden bedroht war, erwuchsen Pläne, ein Freilichtmuseum zu errichten. An der Auswahl des Museumsstandortes und der Auswahl der Häuser nahm Haubrich als Mitglied des Ausschusses für landschaftliche Kulturpflege lebhaften Anteil. An der Eröffnung des LVR-Freichlichtmuseums in Kommern am 20.7.1961 konnte er noch teilnehmen.
Als Mitglied zahlloser Ausschüsse des Kölner Rates im Laufe seines Politikerlebens – des Hauptausschusses, des Ausschusses Finanzen und Steuern, des Ausschusses Recht und Sicherheit, des Ausschusses für Stadtplanung, des Ausschusses Schulwesen, des Ausschusses Allgemeine Verwaltung, des Ausschusses Wirtschaft und Verkehr, des Ausschusses Schulen und vieler weiterer Gremien – zum Beispiel der Wiederaufbaugesellschaft, des Aufsichtsrates der Messe- und Ausstellungsgesellschaft oder des Sparkassenrats – wurde er zu einer der prägenden Gestalten des neuen Köln. Im Verfassungsausschuss, der eigens hierfür berufen wurde, erarbeitete er unter anderem gemeinsam mit dem namhaften Juristen und Hochschullehrer Hans Carl Nipperdey (1895-1968), auf einer Vorlage des Oberbürgermeisters Hermann Pünder aufbauend, die erste Stadtverfassung der Nachkriegszeit. Die Briten setzten dann aber eine stark veränderte Fassung durch. Seit 1956 fungierte er auch als dritter Bürgermeister.
Seine durch glückliche Umstände über Diktatur und Krieg hinweg gerettete kostbare Sammlung, die er in all den Jahren noch erweitert hatte, stiftete er am 17.4.1946 der Stadt und legte damit im schwer zerstörten Köln den Grundstein für die Entwicklung eines der international bedeutenden Museen der Moderne: dem heutigen Museum Ludwig, in dem Haubrichs Sammlung heute präsentiert wird. Zunächst auf Tournee in Europa – Amsterdam, Paris, Brüssel, Turin, Basel und Luxemburg – wurde die legendäre Sammlung auch in den Städten der westlichen Zonen präsentiert. Dies trug wesentlich dazu bei, Köln bereits in den ersten Jahren nach dem Kriege den exzellenten Ruf einer „Kulturstadt“ zu verschaffen. Gemeinsam mit den Museumsdirektoren Leopold Reidemeister (1945–1957) und Otto H. Förster entwickelte er mit Hilfe des für die Stiftung ausbedungenen Beigeordnetengehalts, das für Kunstankäufe eingesetzt wurde, die Sammlung im Wallraf-Richartz-Museum weiter. Da vom Gebäude des Wallraf-Richartz-Museums nurmehr ein Mauerrest den Bombenkrieg überstanden hatte, stellte sich früh die Frage nach einem Neubau. Auch hier war Josef Haubrich, der durchgehend stellvertretender Vorsitzender des Kulturausschusses war, eine treibende Kraft. So konnte schließlich am 27.5.1957 der berühmte moderne Bau des Architekten Rudolf Schwarz als erster Museumsneubau in Deutschland eröffnet werden. Die Oberbürgermeister Hermann Pünder, Ernst Schwering (1886-1962), Robert Görlinger (1888-1954) und Theo Burauen (1906-1987) unterstützten diese Entwicklung ebenso tatkräftig wie die Oberstadtdirektoren Willi Suth (1881-1956) und Max Adenauer (1910-2004) sowie die Kulturdezernenten Wilhelm Steinforth (1890-1980) und Kurt Hackenberg (1914-1981). In ihrer von Wilhelm Riphahn (1869-1963) entworfenen exklusiv-modernen Villa in Müngersdorf führten die Haubrichs ein offenes Haus mit legendären Festen, zu denen auch sein Freund, der damalige Bundespräsident, Theodor Heuss (1884-1963, Bundespräsident 1949-1959) öfters erschien.
Am 17.4.1960 heiratete Josef Haubrich in Caracas (Venezuela) – seine Frau Paula war 1959 an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben – ein letztes Mal: die Schauspielerin Lucy Millowitsch (1905-1990), Schwester des Volksschauspielers Willy Millowitsch (1909-1999), war die Auserwählte. Josef Haubrich erlag am 4.9.1961 im Sommerurlaub in Bad Münstereifel einem Hirnschlag. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Melaten in Köln.
Haubrich hat zahlreiche Ehrungen erhalten: 1954 das Große Verdienstkreuz, 1959 den belgischen Leopolds-Orden, ebenfalls 1959 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, 1961 das Komturkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik, 1964 wurde der Josef-Haubrich-Hof in Köln nach ihm benannt, 1979 die Kunsthalle am Neumarkt in Josef-Haubrich-Kunsthalle umbenannt (Abriss 2003). Seit 1995 erinnert eine Figur am Ratsturm – 3. Obergeschoss, Ostseite – (Bildhauer: Hans Karl Burgeff nach einem Modell von Jochem Pechau) an den Stifter. Bedeutende Künstler porträtierten Haubrich (alle Porträts im Museum Ludwig, Köln): Heinrich Hoerle (1931, Zeichnung), Peter Herkenrath (1949, Gemälde), Otto Dix (1951, Gemälde), Gerhard Marcks (1953, Bildniskopf, Bronze).
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Nachlass
Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 1369 (gesperrt bis 2050).
Werke (Auswahl)
Der Rhein und Europa, 1946.
Kunstliebendes Köln, 1957.
Literatur
Braunfels, Wolfgang, Ein Sammler des deutschen Expressionismus. In memoriam Josef Haubrich, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 24 (1962), S. 375-380.
Dann, Otto, Josef Haubrich: Ein Kunstsammler im Umbruch, in: Dülffer, Jost (Hg.), "Wir haben schwere Zeiten hinter uns". Die Kölner Region zwischen Krieg und Nachkriegszeit, Vierow bei Greifswald 1996, S. 365-377.
Dann, Otto, Der Kunstsammler Josef Haubrich und sein Umfeld, in: Kolberg, Gerhard (Hg.): Die Expressionisten. Vom Aufbruch bis zur Verfemung, Ostfildern 1996, S. 14-23.
Fischer, Alfred M. (Hg.), Meisterblätter aus der Sammlung Josef Haubrich - zum 100. Geburtstag des Sammlers, Köln 1989.
Friedrich, Julia/Grafahrend-Gohmert, Dorothee, Josef Haubrich. Ein Sammler und seine Sammlung, in: Friedrich, Julia (Hg.), Meisterwerke der Moderne. Die Sammlung Haubrich im Museum Ludwig, Köln 2012, S. 13-43.
Fuchs, Peter, Josef Haubrich, Sammler und Stifter moderner Kunst, Köln 1979.
Fuchs, Peter, Josef Haubrich. Stifter und Ratsherr, in: Brunn, Gerhard (Hg.), Sozialdemokratie in Köln. Ein Beitrag zur Stadt- und Parteiengeschichte, Köln 1986, S. 309-313.
Fuchs, Peter, Josef Haubrich. Sammler und Stifter moderner Kunst, in: Fischer, Alfred M. (Hg.), Meisterwerke der Moderne, Köln 1989, S. 11-30.
Fuchs, Peter (Hg.), Josef Haubrich. Sammler und Stifter, Kunst des XX. Jahrhunderts in Köln, Köln 1959 (Festschrift zum 70. Geburtstag).
Gohr, Siegfried (Hg.), Museum Ludwig. Gemälde, Skulpturen, Environments vom Expressionismus bis zur Gegenwart. Bestandskatalog, München 1986.
Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Kunst und Kultur in Köln nach 1945, Köln 1996.
Kilp, Birgit, Josef Haubrich - Ein Anwalt der Kunst, Köln 2014.
Lange, Erhard H. M., Josef Haubrich (1889-1961) - Sammler - Mäzen - Kulturpolitiker, Geschichte im Westen 17 (2002), S. 102-118.
Severin, Ingrid, Bausteine für die Museen nach 1945. Die Sammlungen Haubrich - Sprengel - Reemtsma, in: Mai, Eckehard/Paret, Peter (Hg.), Sammler, Stifter und Museen. Kunstförderung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1995, S. 265-294.
Willmes, Daniela, Privates Sammeln mit Kalkül. Aspekte der Sammeltätigkeit von Josef Haubrich im Nationalsozialismus, in: Steinkamp, Maike/Haug, Ute (Hg.), Werke und Werte. Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus, Berlin 2010, S. 147-173.
Wilmes, Daniela, Wettbewerb um die Moderne. Zur Geschichte des Kunsthandels in Köln nach 1945, Berlin 2012.
Online
Keller, Horst, Josef Haubrich, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 73-74. [Onlinefassung]
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Kilp, Birgit, Josef Haubrich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/josef-haubrich/DE-2086/lido/57c82815511934.13056763 (abgerufen am 06.12.2024)