Zu den Kapiteln
Schlagworte
Josef Gockeln war eine jener Persönlichkeiten und Begabungen, die aus der Arbeiterschaft in höchste Regierungsämter aufgestiegen sind, vom Handwerker zum Minister, Landtagspräsidenten und Oberbürgermeister. Die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen hat Gockeln in diesen Funktionen maßgebend mitgestaltet und in der entscheidenden Zeit beim Wiederaufbau nach 1945 mitgewirkt. Über die Landesgrenzen hinaus engagierte er sich in Führungspositionen der Katholischen Arbeiterbewegung.
Demokratie und organisierte Arbeiterschaft gehörten in den letzten hundert Jahren eng zusammen. Josef Gockeln stand an einem entscheidenden Neuanfang sowohl in der Geschichte der christlich-sozialen Bewegung als auch der demokratischen Entwicklung in Deutschland. Geboren wurde er am 18.3.1900 als achtes von zwölf Kindern eines Schreinermeisters in Großenedern im ostwestfälischen Kreis Warburg. Er erlernte das Müllerhandwerk, wurde 1917 noch für ein Jahr Soldat und heiratete 1922 Elisabeth Klink; aus der Ehe sind sechs Kinder hervorgegangen.
Gockeln war ein religiöser Mensch. Er wurde schon frühzeitig Mitglied des örtlichen katholischen Arbeitervereins. Mit großem Einsatz und dank seiner Rednergabe arbeitete er sich zu einer Führerpersönlichkeit in der christlich-sozialen Bewegung hoch. 1925 brachten ihm seine Aktivitäten ein Stipendium zum Besuch der Staatlichen Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung in Düsseldorf ein. Für ihn war Bildung ein lebenslanger Prozess. Neben seiner Arbeit bewahrte er sich aber auch stets Zeit für das Musische; so war das Theater seine große Leidenschaft.
Auf Veranlassung Jakob Kaisers (1888-1961) wurde Gockeln 1926 Kartellsekretär der Christlichen Gewerkschaften in Mönchengladbach und 1928 Bezirkssekretär der Katholischen Arbeitervereine in Düsseldorf. Gleichzeitig war er in der Zentrumspartei als deren stellvertretender Vorsitzender in Düsseldorf aktiv, weil er wusste, dass die gesellschaftspolitische Verwirklichung der Grundsätze christlicher Soziallehre nur über die parteipolitische Mitgestaltung möglich war. Bereits mit 29 Jahren war Gockeln Stadtverordneter und Vorsitzender des Wohlfahrtsausschusses.
Das nationalsozialistische Unrechtssystem machte seiner Arbeit schon bald ein Ende, aber trotz der Gefährdungen blieb Josef Gockeln sich und seiner christlich-sozialen Überzeugung treu und hielt mit der Verbandszentrale der Katholischen Arbeiter-Bewegung (KAB) in Köln bis zu ihrer Auflösung 1938 enge Kontakte. Am 1.10.1945 notierte er: „1933 steigt die politische Fieberkurve rapide an. Die Nationalsozialisten ergreifen die Macht. Das Ungewitter war nicht aufzuhalten. Neunmal hat übrigens die Gestapo unser KAB-Büro durchsucht, beschlagnahmt und repressive Verfügungen erlassen. Mir selbst machte man den Prozess und ich wurde wegen Schädigung der Volksgemeinschaft aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Am 24.9.1939 liegt für mich der Gestellungsbefehl auf dem Tisch. Sechs Jahre und einen Tag dauerte diese Wehrdienstverpflichtung und anschließende Kriegsgefangenschaft. Dann war endlich die Zeit des Größenwahnsinnigen abgelaufen."
Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im August 1945 half Gockeln sofort mit beim Wiederaufbau der Katholischen Arbeitervereine und übernahm wieder das KAB-Sekretariat in Düsseldorf; ein Jahr später wurde er Verbandsvorsitzender der KAB Westdeutschlands. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken wählte ihn 1950 zum Vizepräsidenten. Seine politische Heimat wurde die Christlich-Demokratische Union (CDU). Bei der ersten freien demokratischen Kommunalwahl am 13.10.1946 wurde er als Stadtverordneter gewählt, ab 1948 war er Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Düsseldorf. Er wirkte am Ahlener Programm der CDU der britischen Zone von 1947 mit. Nach seiner Wahl in den nordrhein-westfälischen Landtag trat Josef Gockeln im Dezember 1946 als Sozialminister in das Kabinett Amelunxen (1888-1969) ein, 1947 wurde er zum Präsidenten des Landtags gewählt.
Die außergewöhnliche Spannweite der Verantwortung, die Gockeln durch die Vielzahl seiner Ämter übernahm und die er mit großem persönlichen Einsatz bewältigte, erklärt sich aus der Aufbausituation der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der Hunger, Not und Demontagen zu verkraften und zu überwinden waren.
Von 1947 bis 1956 bekleidete Gockeln das Amt des Oberbürgermeisters der neuen Landeshauptstadt Düsseldorf, von 1949 bis zu seinem Tod vertrat er den Wahlkreis Düsseldorf II im Deutschen Bundestag. Seine Aufgaben als Landtagspräsident und Oberbürgermeister hat er stets überparteilich wahrgenommen, im Landtag beteiligte er sich nicht an offenen politischen Auseinandersetzungen. Gockeln wurde auch nach den Landtagswahlen 1954 und 1958 einstimmig und ohne Gegenkandidat von allen Fraktionen zum Parlamentspräsidenten gewählt. Ihm wurde stets Anerkennung für seine vorbildliche Amtsführung attestiert, die bewiesen habe, dass politische Persönlichkeiten in der Lage sind, auch überparteiliche Funktionen beispielhaft auszuüben.
Gockelns besondere Einsatzbereitschaft galt der KAB, aus der er hervorgegangen war. Durchdrungen von der Idee der friedlichen internationalen Zusammenarbeit und der europäischen Einigung war er einer der Ersten, die den Kontakt zu ausländischen Sozialbewegungen wieder herstellten. Schon im Jahr 1928 hatte er beim ersten Internationalen Kongress der Arbeitervereine die ersten Kontakte mit dem damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer geknüpft, 20 Jahre später wurde er zum ersten Präsidenten der Internationalen Katholischen Arbeiterbewegung (Fédération Internationale des Mouvements Ouvriers Chrétiens, FIMOC) gewählt.
In seinem Staats- und Politikverständnis war Gockeln verwurzelt in der katholischen Soziallehre und Sozialbewegung. Neben der Kirche und der Familie war der Staat für ihn die wichtigste Gemeinschaftsform, hauptverantwortlich für das Gemeinwohl und Träger der höchsten gesellschaftlichen Autorität. Gockelns sozialpolitische Vorstellungen waren nicht auf Veränderungen im System, sondern auf konkrete soziale Verbesserungen ausgerichtet: er war kein Ideologe, sondern Pragmatiker.
Josef Gockeln soll einmal gesagt haben, er sei von Geburt Westfale und aus Neigung Rheinländer und vereinige damit die beiden Seelen Nordrhein-Westfalens in seiner Brust. Tatsächlich findet man bei ihm westfälische Beharrlichkeit, Konsequenz und Grundsatztreue sowie rheinisches Temperament, Gelassenheit und Heiterkeit. Am 6.12.1958 verunglückte er, auf der Höhe seines politischen Schaffens, tödlich bei einem Autounfall auf einer Dienstreise zwischen Dormagen und Neuss.
Quellen
Teilnachlässe mit Materialien von Josef Gockeln werden archiviert im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin (Reden, Biographisches) sowie im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland in Düsseldorf (Akten als Sozialminister und Landtagspräsident).
Literatur
Först, Walter, Josef Gockeln (1900-1958), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern 5 (1982), S. 161-175.
Rönneper, Hans, Josef Gockeln, in: Geschichte im Westen 15 (2000), S. 241-245.
Online
Detailansicht des Abgeordneten Joseph Gockeln (Information auf der Homepage des Landtages NRW). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Schreiner, Reinhard, Joseph Gockeln, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-gockeln/DE-2086/lido/57c6c91d872529.52884665 (abgerufen am 14.12.2024)