Joseph Victor Wolfgang Weidtman

Jurist, Industrieller, Sozialpolitiker (1853-1926)

Ewald Grothe (Wuppertal)

Porträtfoto von Victor Weidtman mit der Unterschrift "Geheimer Bergrat Dr. V. Weidtman". (Salinenarchiv Bad Rothenfelde)

Vic­tor Weidtman hat als In­dus­tri­el­ler und So­zi­al­po­li­ti­ker in der rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie, ins­be­son­de­re in Dort­mund und Aa­chen äu­ßerst er­folg­reich ge­wirkt. Er be­setz­te gleich meh­re­re Lei­tungs­po­si­tio­nen, zu­letzt als Ge­ne­ral­di­rek­tor ei­nes Berg­bau- und Me­tall­ver­hüt­tungs­un­ter­neh­mens und Prä­si­dent der Aa­che­ner Han­dels­kam­mer. Ver­diens­te er­warb er sich au­ßer­dem vor al­lem auf dem Ge­biet des Knapp­schafts­we­sens. 1919-1920 war er für die Deut­sche Volks­par­tei (DVP) Mit­glied der Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung. 

Vic­tor Weidtman(n) kam als Sohn des Rechts­kon­su­len­ten Jo­seph Wolf­gang Hu­bert Weidtman (1813-1879) und des­sen Ehe­frau Mar­ga­re­tha ge­bo­re­ne Wal­lerath (1825-1893) am 18.9.1853 in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) zur Welt. Die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch. Nach dem Be­such von Gym­na­si­en in meh­re­ren Städ­ten leg­te er schlie­ß­lich in Lem­go sei­ne Rei­fe­prü­fung ab. An­schlie­ßend stu­dier­te er Ju­ra an den Uni­ver­si­tä­ten Frei­burg im Breis­gau, Bonn, Leip­zig und am En­de in Hal­le, wo er auch zum ju­ris­ti­schen Dok­tor pro­mo­viert wur­de. Wäh­rend sei­nes Stu­di­ums schloss er sich den Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen Corps Lu­sa­tia Leip­zig, Corps Rhen­a­nia Frei­burg und Corps Guest­pha­lia Bonn an. Nach Stu­di­en­ab­schluss und Pro­mo­ti­on nahm Weidtman ei­ne Tä­tig­keit als Ge­richts­re­fe­ren­dar und ab 1882 als Ge­richt­s­as­ses­sor am Amts­ge­richt Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) auf. Nach ei­ner kur­zen Tä­tig­keit als Rechts­an­walt in El­ber­feld und als Re­gie­rungs­as­ses­sor bei der Ver­wal­tung der in­di­rek­ten Steu­ern in Köln und Aa­chen ging er 1885 als Jus­ti­ti­ar zur Kö­nig­li­chen Berg­werks­di­rek­ti­on nach Saar­brü­cken. In die­sem Jahr hei­ra­te­te er in Trier A­de­le Grach (1862-1944), Toch­ter des Trie­rer Kam­mer­ge­richts­prä­si­den­ten Em­me­rich Grach (1817-1879) und des­sen Ehe­frau Fran­zis­ka Hol­lin­ge­rus-Py­pers (1825-1910). Aus der Ehe gin­gen drei Töch­ter und zwei Söh­ne her­vor.

 

In Saar­brü­cken nahm sei­ne Kar­rie­re in der Berg­bau­in­dus­trie ih­ren An­fang. Bis zu sei­nem Tod soll­ten ins­be­son­de­re die so­zi­al­po­li­ti­schen Fra­gen des Berg­baus sei­nen Be­rufs­weg be­glei­ten. So war er an der Grün­dung der Knapp­schafts-Be­rufs­ge­nos­sen­schaft für Berg­leu­te im Saar­ge­biet be­tei­ligt. 1887 er­nann­te man ihn zum Berg­rat, nur ein Jahr spä­ter wech­sel­te er in die­ser Funk­ti­on zum Ober­berg­amt Dort­mund, bei dem er als Ers­ter Jus­ti­ti­ar wirk­te. Nach dem Berg­ar­bei­ter­streik von 1889 wur­de er mit der Un­ter­su­chung der Ur­sa­chen be­auf­tragt. Weidtman er­kann­te da­bei die be­rech­tig­ten For­de­run­gen der Berg­ar­bei­ter nicht nur nach Lohn­er­hö­hung, son­dern auch nach so­zia­len Ver­bes­se­run­gen. Vor al­lem aber wur­de ihm klar, dass es im Berg­bau or­ga­ni­sa­to­ri­scher Ver­än­de­run­gen und Um­struk­tu­rie­run­gen be­durf­te. Um wei­te­re Aus­stän­de zu ver­hin­dern, muss­ten die Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen ef­fek­ti­ver als bis­her ver­tre­ten wer­den. So in­iti­ier­te Weidtman in sei­ner auf­sichts­füh­ren­den Funk­ti­on als Ober­berg­amt­li­cher Kom­mis­sar be­reits im Jahr nach dem Streik den Zu­sam­men­schluss des Mär­ki­schen, Es­sen-Wer­den­schen und Mül­hei­mer Knapp­schafts­ver­eins zum All­ge­mei­nen Knapp­schafts­ver­ein zu Bo­chum, der zum Vor­läu­fer der Ruhr­knapp­schaft wur­de. Dies er­leich­ter­te vor al­lem die Frei­zü­gig­keit der Berg­ar­bei­ter in der Ruhr­re­gi­on er­heb­lich. Weidtman sorg­te auch da­für, dass die reichs­ge­setz­li­che In­va­li­den- und An­ge­stell­ten­ver­si­che­rung an die­sen Ver­ein über­tra­gen wur­de, der die ge­gen­sei­ti­ge Ab­si­che­rung im Au­ge hat­te.

Im­mer stär­ker setz­ten die preu­ßi­schen Berg­bau­be­hör­den Weidtman ein, des­sen ju­ris­ti­sches Wis­sen und or­ga­ni­sa­to­ri­sches Ge­schick all­ge­mei­ne Wert­schät­zung ge­nos­sen. So wirk­te er an der No­vel­lie­rung des All­ge­mei­nen Berg­ge­set­zes für die preu­ßi­schen Staa­ten von 1865 mit und be­schäf­tig­te sich im Auf­trag der preu­ßi­schen Re­gie­rung mit Ge­setz­ent­wür­fen zur Än­de­rung der Reichs­ge­wer­be­ord­nung. Auch an ei­ner wei­te­ren In­no­va­ti­on war er be­tei­ligt: 1893 er­schien un­ter sei­ner Re­dak­ti­on die ers­te Aus­ga­be des Jahr­buchs für den Ober­berg­amts­be­zirk Dort­mund. In die­sem bis ins 21. Jahr­hun­dert un­ter wech­seln­den Na­men fort­ge­führ­ten und bald als un­ver­zicht­bar gel­ten­den Nach­schla­ge­werk wa­ren al­le staat­li­chen In­sti­tu­tio­nen und pri­va­ten Un­ter­neh­men des Berg­baus in die­ser Re­gi­on mit al­ler­hand sta­tis­ti­schen An­ga­ben ver­zeich­net. Weidtman be­sorg­te bis zur Jahr­hun­dert­wen­de die Re­dak­ti­on. Nach­dem er im Auf­trag des preu­ßi­schen Han­dels­mi­nis­te­ri­ums die Ze­chen Waltrop und Ver­ei­nig­te Glad­beck für den Staat er­wor­ben hat­te, wur­de er 1901 zum Ge­hei­men Berg­rat er­nannt.

Dr. Kanzler, Herr Becker und Victor Weidtman (3. v. l.) neben vier Unbekannten. (Salinenarchiv Bad Rothenfelde)

 

1893 ver­ließ Weidtman den preu­ßi­schen Staats­dienst. Er wech­sel­te in die Pri­vat­wirt­schaft und über­nahm als Di­rek­tor und Pro­ku­rist die Lei­tung der Dort­mun­der Ma­schi­nen­fa­brik Schüch­ter­mann & Kre­mer, de­ren Pro­duk­ti­on haupt­säch­lich auf den Berg­bau aus­ge­rich­tet war. Seit 1895 wirk­te er zu­gleich als Ge­ne­ral­be­voll­mäch­tig­ter der Schüch­ter­mann-Schil­ler’schen Fa­mi­li­en­stif­tung, in die das Fir­men­ver­mö­gen der Ma­schi­nen­fa­brik Schüch­ter­mann & Kre­mer über­führt wor­den war. Zu­gleich war er von 1897 bis 1903 Mit­glied der Han­dels­kam­mer Dort­mund und im Vor­stand des All­ge­mei­nen Knapp­schafts­ver­eins zu Bo­chum ak­tiv, des­sen Vor­sitz er von Aa­chen aus zwi­schen 1906 und 1924 wahr­nahm. Un­ter sei­ner Ägi­de wur­de 1912 das gro­ße Knapp­schafts­ge­bäu­de in Bo­chum fer­tig­ge­stellt.

1903 wur­de Weidtman zum un­be­sol­de­ten Dort­mun­der Stadt­rat ge­wählt. Sie­ben Jah­re spä­ter wur­de er von Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) in das Preu­ßi­sche Her­ren­haus be­ru­fen, dem er bis zu des­sen Auf­lö­sung 1918 an­ge­hör­te.

1904 ging er be­ruf­lich von Dort­mund zu­rück nach El­ber­feld, um das Di­rek­to­rat der Ber­gisch-Mär­ki­schen Bank zu über­neh­men. Doch sein Wech­sel ins Bank­we­sen währ­te nur kurz. Be­reits 1906 ver­ließ er Amt und Ort und sie­del­te nach Aa­chen über. Hier wirk­te er 20 Jah­re lang bis zu sei­nem Le­bens­en­de als Ge­ne­ral­di­rek­tor und spä­ter als Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der der Ak­ti­en­ge­sell­schaft für Berg­bau, Blei- und Zink­fa­bri­ka­ti­on zu Stol­berg und in West­fa­len. Nach­dem die ober­schle­si­sche Blei- und Zin­k­in­dus­trie als Fol­ge des Ver­sailler Ver­trags nicht mehr zum Reich ge­hör­te, war es Weidtmans Auf­ga­be, die Res­te des deut­schen Erz­berg­baus und Me­tall­hüt­ten­we­sens zu­sam­men­zu­fas­sen. Wie in sei­ner frü­he­ren be­ruf­li­chen Sta­ti­on Dort­mund wur­de er auch in Aa­chen Mit­glied der Han­dels­kam­mer, von 1924 bis zu sei­nem Tod 1926 wirk­te er als de­ren Prä­si­dent. 

Auch die so­zi­al­po­li­ti­schen Fra­gen des Berg­baus, und hier ins­be­son­de­re die Knapp­schafts­ver­si­che­rung, be­schäf­tig­ten ihn wei­ter­hin. Auf sei­ne In­itia­ti­ve hin er­folg­te 1916 die Ver­ei­ni­gung der Knapp­schafts­ver­ei­ne zum knapp­schaft­li­chen Rück­ver­si­che­rungs­ver­band. Um die ge­sund­heit­li­chen Be­lan­ge der Berg­leu­te mach­te er sich ver­dient. 1918 ent­stand mit dem Weidtmans­hof in Bad Ro­then­fel­de im Land­kreis Os­na­brück ein Sa­na­to­ri­um des Bo­chu­mer All­ge­mei­nen Knapp­schafts­ver­eins für Heil­ver­fah­ren. 

Der Weidtmanshof auf einer Ansichtskarte. (Salinenarchiv Bad Rothenfelde)

 

Auch po­li­tisch war er wei­ter ak­tiv: 1919 wur­de er als Ver­tre­ter der na­tio­nal­li­be­ra­len Deut­schen Volks­par­tei im Wahl­kreis Köln-Aa­chen zum Mit­glied der in Wei­mar ta­gen­den Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt, der er bis Mai 1920 an­ge­hör­te. Im fol­gen­den Reichs­tag war er dann al­ler­dings nicht ver­tre­ten. Nach der Ver­ab­schie­dung des Reichs­knapp­schafts­ge­set­zes, das er selbst mit vor­be­rei­tet hat­te, wur­de er 1923 vom Reichs­prä­si­den­ten zum eh­ren­amt­lich tä­ti­gen Reichs­kom­mis­sar zur Durch­füh­rung die­ses Ge­set­zes er­nannt. Au­ßer­dem er­folg­te sei­ne Wahl zum Vor­sit­zen­den des Reichs­knapp­schafts­ver­eins. Weidtman war Vor­stands­mit­glied im Ver­ein für die berg­bau­li­chen In­ter­es­sen im Ober­berg­amts­be­zirk Dort­mund und im Ze­chen­ver­band. Au­ßer­dem üb­te er meh­re­re Auf­sichts­rats­man­da­te in der deut­schen Mon­tan­in­dus­trie aus. 

In Wür­di­gung sei­ner Ver­diens­te ver­lieh ihm die Rhei­nisch-West­fä­li­sche Tech­ni­sche Hoch­schu­le Aa­chen die Eh­ren­dok­tor­wür­de in In­ge­nieur­wis­sen­schaf­ten, die Uni­ver­si­tät Bonn zeich­ne­te 1923 sei­nen Ein­satz für die Ge­sund­heit der Berg­leu­te mit dem Eh­ren­dok­tor in Me­di­zin aus. 

Weidtman wohn­te in sei­ner Aa­che­ner Zeit mit sei­ner Fa­mi­lie auf dem 1908 er­wor­be­nen Schloss Ra­he in Lau­rens­berg (heu­te Stadt Aa­chen). Er starb am 17.12.1926 im Al­ter von 73 Jah­ren in Ber­lin und wur­de in Aa­chen bei­ge­setzt. Sei­ner Frau Ade­le, die den Hei­mat­ver­ein Lau­rens­berg för­der­te, wur­de 1932 die Eh­ren­bür­ger­wür­de in Aa­chen ver­lie­hen und ei­ne Stra­ße nach ihr be­nannt.

Literatur

Arens, Edu­ard/Jans­sen, Wil­helm Leo­pold, Club Aa­che­ner Ca­si­no, neu hg. v. Eli­sa­beth Jans­sen u. Fe­lix Ku­et­gens, 2. Auf­la­ge, Aa­chen 1964, S. 212-213.
De­ge­ner, Herr­mann A. L. (Hg.), Wer ist’s? Un­se­re Zeit­ge­nos­sen, 9. Auf­la­ge, Ber­lin 1928, S. 1663-1664.
Ger­stein, Bar­ba­ra, Weidtman, Vic­tor, in: Bohr­mann, Hans (Hg.), Bio­gra­phi­en be­deu­ten­der Dort­mun­der. Men­schen in, aus und für Dort­mund, Band 2, Es­sen 1998, S. 138-142.
Hand­buch der ver­fas­sung­ge­ben­den deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung Wei­mar 1919, Leip­zig 1919, S. 283-284, 360.
Hor­ken­bach, Cu­no (Hg.), Das Deut­sche Reich von 1918 bis heu­te, Ber­lin 1930, S. 766.

Online

Fa­mi­li­en­buch Eu­re­gio. [On­line]

Ansichtskarte von dem Adelenblick und dem Weidtmanshof in Bad Rothenfelde. (Salinenarchiv Bad Rothenfelde)

 
Zitationshinweis

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Grothe, Ewald, Joseph Victor Wolfgang Weidtman, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-victor-wolfgang-weidtman/DE-2086/lido/6040af59d61d85.74639847 (abgerufen am 12.11.2024)