Zu den Kapiteln
Victor Weidtman hat als Industrieller und Sozialpolitiker in der rheinisch-westfälischen Industrie, insbesondere in Dortmund und Aachen äußerst erfolgreich gewirkt. Er besetzte gleich mehrere Leitungspositionen, zuletzt als Generaldirektor eines Bergbau- und Metallverhüttungsunternehmens und Präsident der Aachener Handelskammer. Verdienste erwarb er sich außerdem vor allem auf dem Gebiet des Knappschaftswesens. 1919-1920 war er für die Deutsche Volkspartei (DVP) Mitglied der Deutschen Nationalversammlung.
Victor Weidtman(n) kam als Sohn des Rechtskonsulenten Joseph Wolfgang Hubert Weidtman (1813-1879) und dessen Ehefrau Margaretha geborene Wallerath (1825-1893) am 18.9.1853 in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) zur Welt. Die Familie war katholisch. Nach dem Besuch von Gymnasien in mehreren Städten legte er schließlich in Lemgo seine Reifeprüfung ab. Anschließend studierte er Jura an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Bonn, Leipzig und am Ende in Halle, wo er auch zum juristischen Doktor promoviert wurde. Während seines Studiums schloss er sich den Studentenverbindungen Corps Lusatia Leipzig, Corps Rhenania Freiburg und Corps Guestphalia Bonn an. Nach Studienabschluss und Promotion nahm Weidtman eine Tätigkeit als Gerichtsreferendar und ab 1882 als Gerichtsassessor am Amtsgericht Barmen (heute Stadt Wuppertal) auf. Nach einer kurzen Tätigkeit als Rechtsanwalt in Elberfeld und als Regierungsassessor bei der Verwaltung der indirekten Steuern in Köln und Aachen ging er 1885 als Justitiar zur Königlichen Bergwerksdirektion nach Saarbrücken. In diesem Jahr heiratete er in Trier Adele Grach (1862-1944), Tochter des Trierer Kammergerichtspräsidenten Emmerich Grach (1817-1879) und dessen Ehefrau Franziska Hollingerus-Pypers (1825-1910). Aus der Ehe gingen drei Töchter und zwei Söhne hervor.
In Saarbrücken nahm seine Karriere in der Bergbauindustrie ihren Anfang. Bis zu seinem Tod sollten insbesondere die sozialpolitischen Fragen des Bergbaus seinen Berufsweg begleiten. So war er an der Gründung der Knappschafts-Berufsgenossenschaft für Bergleute im Saargebiet beteiligt. 1887 ernannte man ihn zum Bergrat, nur ein Jahr später wechselte er in dieser Funktion zum Oberbergamt Dortmund, bei dem er als Erster Justitiar wirkte. Nach dem Bergarbeiterstreik von 1889 wurde er mit der Untersuchung der Ursachen beauftragt. Weidtman erkannte dabei die berechtigten Forderungen der Bergarbeiter nicht nur nach Lohnerhöhung, sondern auch nach sozialen Verbesserungen. Vor allem aber wurde ihm klar, dass es im Bergbau organisatorischer Veränderungen und Umstrukturierungen bedurfte. Um weitere Ausstände zu verhindern, mussten die Arbeitnehmerinteressen effektiver als bisher vertreten werden. So initiierte Weidtman in seiner aufsichtsführenden Funktion als Oberbergamtlicher Kommissar bereits im Jahr nach dem Streik den Zusammenschluss des Märkischen, Essen-Werdenschen und Mülheimer Knappschaftsvereins zum Allgemeinen Knappschaftsverein zu Bochum, der zum Vorläufer der Ruhrknappschaft wurde. Dies erleichterte vor allem die Freizügigkeit der Bergarbeiter in der Ruhrregion erheblich. Weidtman sorgte auch dafür, dass die reichsgesetzliche Invaliden- und Angestelltenversicherung an diesen Verein übertragen wurde, der die gegenseitige Absicherung im Auge hatte.
Immer stärker setzten die preußischen Bergbaubehörden Weidtman ein, dessen juristisches Wissen und organisatorisches Geschick allgemeine Wertschätzung genossen. So wirkte er an der Novellierung des Allgemeinen Berggesetzes für die preußischen Staaten von 1865 mit und beschäftigte sich im Auftrag der preußischen Regierung mit Gesetzentwürfen zur Änderung der Reichsgewerbeordnung. Auch an einer weiteren Innovation war er beteiligt: 1893 erschien unter seiner Redaktion die erste Ausgabe des Jahrbuchs für den Oberbergamtsbezirk Dortmund. In diesem bis ins 21. Jahrhundert unter wechselnden Namen fortgeführten und bald als unverzichtbar geltenden Nachschlagewerk waren alle staatlichen Institutionen und privaten Unternehmen des Bergbaus in dieser Region mit allerhand statistischen Angaben verzeichnet. Weidtman besorgte bis zur Jahrhundertwende die Redaktion. Nachdem er im Auftrag des preußischen Handelsministeriums die Zechen Waltrop und Vereinigte Gladbeck für den Staat erworben hatte, wurde er 1901 zum Geheimen Bergrat ernannt.
1893 verließ Weidtman den preußischen Staatsdienst. Er wechselte in die Privatwirtschaft und übernahm als Direktor und Prokurist die Leitung der Dortmunder Maschinenfabrik Schüchtermann & Kremer, deren Produktion hauptsächlich auf den Bergbau ausgerichtet war. Seit 1895 wirkte er zugleich als Generalbevollmächtigter der Schüchtermann-Schiller’schen Familienstiftung, in die das Firmenvermögen der Maschinenfabrik Schüchtermann & Kremer überführt worden war. Zugleich war er von 1897 bis 1903 Mitglied der Handelskammer Dortmund und im Vorstand des Allgemeinen Knappschaftsvereins zu Bochum aktiv, dessen Vorsitz er von Aachen aus zwischen 1906 und 1924 wahrnahm. Unter seiner Ägide wurde 1912 das große Knappschaftsgebäude in Bochum fertiggestellt.
1903 wurde Weidtman zum unbesoldeten Dortmunder Stadtrat gewählt. Sieben Jahre später wurde er von Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) in das Preußische Herrenhaus berufen, dem er bis zu dessen Auflösung 1918 angehörte.
1904 ging er beruflich von Dortmund zurück nach Elberfeld, um das Direktorat der Bergisch-Märkischen Bank zu übernehmen. Doch sein Wechsel ins Bankwesen währte nur kurz. Bereits 1906 verließ er Amt und Ort und siedelte nach Aachen über. Hier wirkte er 20 Jahre lang bis zu seinem Lebensende als Generaldirektor und später als Aufsichtsratsvorsitzender der Aktiengesellschaft für Bergbau, Blei- und Zinkfabrikation zu Stolberg und in Westfalen. Nachdem die oberschlesische Blei- und Zinkindustrie als Folge des Versailler Vertrags nicht mehr zum Reich gehörte, war es Weidtmans Aufgabe, die Reste des deutschen Erzbergbaus und Metallhüttenwesens zusammenzufassen. Wie in seiner früheren beruflichen Station Dortmund wurde er auch in Aachen Mitglied der Handelskammer, von 1924 bis zu seinem Tod 1926 wirkte er als deren Präsident.
Auch die sozialpolitischen Fragen des Bergbaus, und hier insbesondere die Knappschaftsversicherung, beschäftigten ihn weiterhin. Auf seine Initiative hin erfolgte 1916 die Vereinigung der Knappschaftsvereine zum knappschaftlichen Rückversicherungsverband. Um die gesundheitlichen Belange der Bergleute machte er sich verdient. 1918 entstand mit dem Weidtmanshof in Bad Rothenfelde im Landkreis Osnabrück ein Sanatorium des Bochumer Allgemeinen Knappschaftsvereins für Heilverfahren.
Auch politisch war er weiter aktiv: 1919 wurde er als Vertreter der nationalliberalen Deutschen Volkspartei im Wahlkreis Köln-Aachen zum Mitglied der in Weimar tagenden Deutschen Nationalversammlung gewählt, der er bis Mai 1920 angehörte. Im folgenden Reichstag war er dann allerdings nicht vertreten. Nach der Verabschiedung des Reichsknappschaftsgesetzes, das er selbst mit vorbereitet hatte, wurde er 1923 vom Reichspräsidenten zum ehrenamtlich tätigen Reichskommissar zur Durchführung dieses Gesetzes ernannt. Außerdem erfolgte seine Wahl zum Vorsitzenden des Reichsknappschaftsvereins. Weidtman war Vorstandsmitglied im Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund und im Zechenverband. Außerdem übte er mehrere Aufsichtsratsmandate in der deutschen Montanindustrie aus.
In Würdigung seiner Verdienste verlieh ihm die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen die Ehrendoktorwürde in Ingenieurwissenschaften, die Universität Bonn zeichnete 1923 seinen Einsatz für die Gesundheit der Bergleute mit dem Ehrendoktor in Medizin aus.
Weidtman wohnte in seiner Aachener Zeit mit seiner Familie auf dem 1908 erworbenen Schloss Rahe in Laurensberg (heute Stadt Aachen). Er starb am 17.12.1926 im Alter von 73 Jahren in Berlin und wurde in Aachen beigesetzt. Seiner Frau Adele, die den Heimatverein Laurensberg förderte, wurde 1932 die Ehrenbürgerwürde in Aachen verliehen und eine Straße nach ihr benannt.
Literatur
Arens, Eduard/Janssen, Wilhelm Leopold, Club Aachener Casino, neu hg. v. Elisabeth Janssen u. Felix Kuetgens, 2. Auflage, Aachen 1964, S. 212-213.
Degener, Herrmann A. L. (Hg.), Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen, 9. Auflage, Berlin 1928, S. 1663-1664.
Gerstein, Barbara, Weidtman, Victor, in: Bohrmann, Hans (Hg.), Biographien bedeutender Dortmunder. Menschen in, aus und für Dortmund, Band 2, Essen 1998, S. 138-142.
Handbuch der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung Weimar 1919, Leipzig 1919, S. 283-284, 360.
Horkenbach, Cuno (Hg.), Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, Berlin 1930, S. 766.
Online
Familienbuch Euregio. [Online]
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Grothe, Ewald, Joseph Victor Wolfgang Weidtman, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-victor-wolfgang-weidtman/DE-2086/lido/6040af59d61d85.74639847 (abgerufen am 12.11.2024)