Laurentius Siemer

Katholischer Ordensgeistlicher, Widerstandskämpfer (1888-1956)

Arnd Küppers (Mönchengladbach)

Laurentius Siemer, Porträtfoto. (Laurentius-Siemer-Gymnasium Ramsloh)

Lau­ren­ti­us Sie­mer war von 1932 bis 1946 Pro­vin­zi­al der deut­schen Pro­vinz des ka­tho­li­schen Pre­di­ger­or­dens der Do­mi­ni­ka­ner (Ordo fra­trum Pra­e­di­ca­to­rum, Or­dens­kür­zel OP). Von An­fang an ein ent­schie­de­ner Geg­ner der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ter­ror­herr­schaft, be­tei­lig­te er sich seit 1941 auch ak­tiv am po­li­ti­schen Wi­der­stand. Nach dem ge­schei­ter­ten At­ten­tat auf Hit­ler vom 20.7.1944 ent­ging er nur knapp den Hä­schern der Ge­sta­po. Nach dem Krieg en­ga­gier­te sich Sie­mer für die Grün­dung der CDU als neue über­kon­fes­sio­nel­le, christ­li­che Par­tei. Von dem zwi­schen Köln un­d Bonn ge­le­ge­nen Do­mi­ni­ka­ner­klos­ter Wal­ber­berg (Stadt Born­heim) aus ver­such­te er ge­mein­sam mit sei­nem Or­dens­bru­der Eber­har­d Welty die ­pro­gram­ma­ti­sche Ent­wick­lung der CDU in Rich­tung der Idee ei­nes „christ­li­chen So­zia­lis­mus“ zu be­ein­flus­sen. 

Sie­mer wur­de am 8.3.1888 in Eli­sa­be­th­fehn bei Ol­den­burg als sechs­tes von zehn Kin­dern ei­nes be­am­te­ten Ka­nal­bau­meis­ters ge­bo­ren und auf den Na­men Jo­sef Bern­hard Franz ge­tauft. Sein El­tern­haus war tief re­li­gi­ös, ne­ben Sie­mer wähl­ten noch drei sei­ner Ge­schwis­ter den geist­li­chen Stand. Sie­mer trat 1908 in den Do­mi­ni­ka­ner­or­den ein und er­hielt den Or­dens­na­men Lau­ren­ti­us. Nach dem No­vi­zi­at stu­dier­te er an der or­dens­ei­ge­nen Hoch­schu­le in Düs­sel­dorf Theo­lo­gie, spä­ter schlos­sen sich Stu­di­en in Phi­lo­lo­gie und Ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Müns­ter an. 

1920 wur­de Sie­mer zum Rek­tor des or­dens­ei­ge­nen In­ter­nats und Gym­na­si­ums in Ve­ch­ta er­nannt. Der von der Pfad­fin­de­r­idee be­geis­ter­te Sie­mer ver­such­te den Ge­dan­ken der Ver­bin­dung von Ge­führt­wer­den und Ei­gen­ver­ant­wor­tung bei der Er­zie­hung der In­ter­nats­schü­ler um­zu­set­zen. Er teil­te die Schü­ler in Sip­pen ein, die ih­re An­ge­le­gen­hei­ten in wei­tem Ma­ße selbst re­geln durf­ten – ein für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se, zu­mal an ei­ner Or­dens­schu­le, un­ge­wöhn­lich li­be­ra­les Er­zie­hungs­kon­zept. 

1932 wur­de Sie­mer zum Pro­vin­zi­al der deut­schen Do­mi­ni­ka­ner ge­wählt. Er ver­leg­te das Pro­vin­zialat von Düs­sel­dorf nach Köln und das Ge­ne­ral­stu­di­um der deut­schen Do­mi­ni­ka­ner nach Wal­ber­berg. Im wis­sen­schaft­li­chen Be­reich bleibt sein Na­me mit der Ein­rich­tung der Her­aus­ga­be der deut­schen Tho­mas-Aus­ga­be ver­bun­den, der deut­schen Über­set­zung der Sum­ma theo­lo­gi­ca des Hei­li­gen Tho­mas von Aquin (um 1225-1274).  

Ge­gen­über dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gime dul­de­te Sie­mer in sei­nem Ver­ant­wor­tungs­be­reich kein Zu­rück­wei­chen und erst recht kei­ne Form von An­bie­de­rung oder Kol­la­bo­ra­ti­on. Pu­bli­zis­tisch for­der­te er die Ka­tho­li­ken zur Stand­haf­tig­keit ge­gen­über der geis­tig-mo­ra­li­schen De­ge­ne­ra­ti­on je­ner Zeit auf. Und als oh­ne sein Wis­sen die Schü­ler des Gym­na­si­ums von Ve­ch­ta kol­lek­tiv in die Hit­ler­ju­gend über­führt wur­den, wirk­te er er­folg­reich auf die Rück­gän­gig­ma­chung die­ser Maß­nah­me hin. 

Die­ses Maß an In­tran­si­genz war für die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber frei­lich ei­ne Pro­vo­ka­ti­on und blieb für Sie­mer nicht fol­gen­los. Im Früh­jahr 1935 wur­de er ver­haf­tet und nach mo­na­te­lan­ger Un­ter­su­chungs­haft im Rah­men der da­ma­li­gen „De­vi­sen­pro­zes­se“ an­ge­klagt. Die­se Ge­richts­ver­fah­ren, bei de­nen in den Jah­ren 1935 und 1936 nicht nur Sie­mer, son­dern zahl­rei­che Pries­ter und Or­dens­leu­te we­gen De­vi­sen­ver­ge­hen an­ge­klagt wur­den, wa­ren Teil ei­ner Rei­he von Maß­nah­men, mit de­nen das NS-Re­gime ver­such­te, die Kir­che zu dis­kre­di­tie­ren. 

Sie­mer wur­de in Ers­ter In­stanz zu 15 Mo­na­ten Haft ver­ur­teilt, in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung im Ja­nu­ar 1936 al­ler­dings frei­ge­spro­chen. Über neun Mo­na­te (Un­ter­su­chungs-)Haft, zum Teil in völ­li­ger Iso­la­ti­on er­lit­ten, hat­ten ihn phy­sisch und psy­chisch be­las­tet, aber nicht ge­bro­chen. An­ders zwei Mit­brü­der, die ge­mein­sam mit ihm ver­haf­tet und an­ge­klagt wor­den wa­ren: Der schwer zu­cker­kran­ke Pa­ter Tho­mas Stuhl­wei­ßen­burg er­häng­te sich in sei­ner Zel­le, Pa­ter Ti­tus Hor­ten starb im Ge­fäng­nis­kran­ken­haus. Nach sei­ner Frei­las­sung er­hielt Sie­mer von dem Or­dens­ge­ne­ral der Do­mi­ni­ka­ner ei­ne Ein­la­dung nach Rom, wo er auch mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Eu­ge­nio Pacel­li, dem spä­te­ren Papst Pi­us XII. (Pon­ti­fi­kat 1939-1958) Ge­sprä­che führ­te und von Papst Pi­us XI. (Pon­ti­fi­kat 1922-1939) emp­fan­gen wur­de. Nach ei­ge­nem Be­kun­den frag­ten so­wohl Pacel­li als auch der Papst Sie­mer, ob man un­ter den ge­ge­be­nen Um­stän­den an dem Reichs­kon­kor­dat von 1933 fest­hal­ten sol­le. Sie­mer er­in­nert sich, dass er da­zu ge­ra­ten hat. Ein­mal ge­schlos­sen, sol­le das Kon­kor­dat be­ste­hen blei­ben. Es tra­ge da­zu bei, den Un­rechtscha­rak­ter des Na­zi-Re­gimes of­fen­zu­le­gen, nicht nur am Maß­stab des Na­tur­rechts, son­dern auch an dem des po­si­ti­ven Rechts. 

Mit dem Be­ginn des Krie­ges wei­te­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ih­re Maß­nah­men ge­gen die Kir­che aus. Im Rah­men des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen „Klos­ter­sturm­s“ kam es zur Be­schlag­nah­me und teil­wei­se zur Ent­eig­nung von über 300 ka­tho­li­schen Klös­tern. Aus die­sem Grund kon­sti­tu­ier­te sich 1941 der Aus­schuss für Or­dens­an­ge­le­gen­hei­ten, an dem ne­ben Sie­mer und an­de­ren füh­ren­den Or­dens­geist­li­chen (Odi­lo Braun OP, Au­gus­ti­nus Rösch SJ, Lo­thar Kö­nig SJ) auch die Bi­schö­fe Kon­rad von Prey­sing (Ber­lin) und Jo­han­nes Dietz (Ful­da) be­tei­ligt wa­ren. Ge­org An­ger­mai­er, Jus­ti­ti­ar im Würz­bur­ger Or­di­na­ri­at, war der ein­zi­ge Laie un­ter den Haupt­be­tei­lig­ten. Der Or­dens­aus­schuss sam­mel­te In­for­ma­tio­nen über den NS-Ter­ror und lei­te­te die­se an Rom so­wie die Bi­schö­fe wei­ter und trat auch für ei­ne ent­schie­de­ne öf­fent­li­che Op­po­si­ti­on der Kir­che ge­gen das Re­gime ein. 

1942 er­ar­bei­te­te der Or­dens­aus­schuss den Ent­wurf für ein ge­mein­sa­mes Hir­ten­wort der deut­schen Bi­schö­fe, in dem der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ter­ror klar be­nannt und un­miss­ver­ständ­lich ver­ur­teilt wur­de. Die Bi­schofs­kon­fe­renz konn­te sich al­ler­dings nicht auf ei­ne sol­che ein­deu­ti­ge öf­fent­li­che An­kla­ge der Re­gie­rung ver­stän­di­gen. Erst im Sep­tem­ber 1943 kam es zur Ver­le­sung des so ge­nann­ten „De­ka­log-Hir­ten­brief­s“, in dem – nun oh­ne aus­drück­li­chen Hin­weis auf die Na­zi-Ver­bre­chen – das Ge­bot „Du sollst nicht tö­ten“ in Er­in­ne­rung ge­ru­fen wur­de, das auch für die staat­li­che Ob­rig­keit und auch im Hin­blick auf Kriegs­ge­fan­ge­ne, un­heil­bar Kran­ke und Men­schen frem­der Ras­se und Ab­stam­mung Gel­tung ha­be. 

In Köln hat­ten 1941 füh­ren­de Ver­tre­ter der ehe­ma­li­gen christ­li­chen Ge­werk­schaf­ten und der ka­tho­li­schen Ar­bei­ter­be­we­gung Sie­mer ge­be­ten, mit ih­nen Sit­zun­gen zu dem The­ma der christ­li­chen Staats- und Ge­sell­schafts­leh­re ab­zu­hal­ten. Man woll­te sich für den Neu­an­fang in der Zeit nach der NS-Dik­ta­tur vor­be­rei­ten. Sie­mer wil­lig­te ein, und es fan­den un­ter sei­ner Lei­tung re­gel­mä­ßi­ge Zu­sam­men­künf­te im Köl­ner Ket­te­ler­haus statt. Zu die­sem „Köl­ner Kreis“ ge­hör­ten un­ter an­de­re­m Ot­to Mül­lerNi­ko­laus GroßBern­hard Let­ter­haus, Ja­kob Kai­ser, An­dre­as Her­mes, Jo­han­nes Al­ber­s un­d Chris­ti­ne ­Teusch. Da Sie­mer selbst kein So­zi­al­ethi­ker war, bat er sei­nen Or­dens­bru­der Eber­hard Welty, der in Wal­ber­berg Christ­li­che ­Ge­sell­schafts­leh­re un­ter­rich­te­te, Re­fe­ra­te aus­zu­ar­bei­ten, die Sie­mer vor­trug und die in dem Kreis dis­ku­tiert wur­den. An­schlie­ßend reich­te Sie­mer das Ma­nu­skript, ver­se­hen mit An­mer­kun­gen aus der Dis­kus­si­on, an sei­nen Mit­bru­der zu­rück. 

Der Köl­ner Kreis hat­te Kon­tak­te zu an­de­ren Wi­der­stands­grup­pen, der Ber­li­ner Grup­pe um Carl Go­er­de­ler (1884-1945), dem Krei­sau­er Kreis und zu Mün­che­ner Wi­der­stands­kämp­fern (un­ter an­de­rem Jo­sef Mül­ler, 1898-1979). Al­fred Delp (1907-1945) und Carl Go­er­de­ler be­such­ten den Köl­ner Kreis Un­ter der NS-Dik­ta­tur aus der ka­tho­li­schen Ar­bei­ter­be­we­gung ge­bil­de­tes Wi­der­stands­netz­werk rhei­ni­scher und west­fä­li­scher Ka­tho­li­ken, des­sen Zen­tra­le sich im Köl­ner Kett­ler-Haus, der Ver­bands­zen­tra­le des West­deut­schen Ar­bei­ter­ver­ban­des, be­fand. Be­deu­ten­de Mit­glie­der wa­ren un­ter an­de­rem Ot­to Mül­ler (1870-1944), Ni­ko­laus Groß (1848-1945) und Bern­hard Let­ter­haus (1894-1944). Ziel der auch mit an­de­ren Wi­der­stands­zir­keln zu­sam­men ar­bei­ten­den Grup­pe war ei­ne de­mo­kra­ti­sche Neu­ord­nung nach dem En­de des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Nach dem miss­glück­ten At­ten­tat vom 20.7.1944 ge­riet auch der Köl­ner Kreis ins Blick­feld der NS-Jus­tiz. Zahl­rei­che Mit­glie­der wur­den er­mor­det oder in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern in­ter­niert. Auf Go­er­de­lers Bit­te hin ver­fass­te Sie­mer ei­ne kur­ze Denk­schrift zum zu­künf­ti­gen Ver­hält­nis von Kir­che und Staat, die zur Grund­la­ge ei­nes Ge­setz­ent­wurfs nach dem Um­sturz wer­den soll­te. Nach dem ge­schei­ter­ten At­ten­tat auf Hit­ler vom 20.7.1944 wur­den die Ver­bin­dun­gen des Köl­ner Krei­ses zu den Ber­li­ner Wi­der­stands­kämp­fern schnell er­mit­telt. Ei­ni­ge Mit­glie­der wur­den ver­haf­tet, Mül­ler, Let­ter­haus und Groß zum To­de ver­ur­teilt. Sie­mer ent­ging der Ver­haf­tung im Klos­ter Schwich­te­ler bei Ve­ch­ta nur knapp. Bis zur Be­frei­ung durch die Eng­län­der blieb er auf der stän­di­gen Flucht. Sein Glück war, dass er in der Re­gi­on Ol­den­burg vie­le Freun­de hat­te, die das Ri­si­ko auf sich nah­men, ihn bei sich zu ver­ste­cken.  

Nach dem En­de des Na­zi-Re­gimes kehr­te Sie­mer nach Wal­ber­berg zu­rück. Die Do­mi­ni­ka­ner druck­ten Welt­ys ge­sam­mel­te Re­fe­ra­te aus dem Köl­ner Kreis als Buch un­ter dem Ti­tel „Was nun? Grund­sät­ze und Hin­wei­se zur Neu­ord­nung im deut­schen Le­bens­raum“. Welt­ys Ge­dan­ken setz­ten wich­ti­ge geis­ti­ge Im­pul­se bei den bald nach Kriegs­en­de an ver­schie­de­nen Or­ten auf­kom­men­den Be­stre­bun­gen, ei­ne über­kon­fes­sio­nel­le, christ­lich-so­zia­le be­zie­hungs­wei­se christ­lich-de­mo­kra­ti­sche Par­tei zu bil­den. Sie­mer un­ter­stütz­te die­ses Vor­ha­ben leb­haft und öff­ne­te die Klos­ter­pfor­ten von Wal­ber­berg, wo be­reits En­de Ju­ni 1945 Be­ra­tun­gen über Grund­sät­ze ei­ner sol­chen Par­tei be­gan­nen, an de­nen auch Welty und Sie­mer teil­nah­men. Die bei­den Do­mi­ni­ka­ner ver­foch­ten im Hin­blick auf die Wirt­schafts- und So­zi­al­ord­nung das Kon­zept ei­nes „christ­li­chen So­zia­lis­mus“. Für die neu zu grün­den­de Par­tei schlug Sie­mer den Na­men „Christ­lich-So­zia­lis­ti­sche Ge­mein­schaf­t“ vor. Auch wenn die Mehr­heit das ab­lehn­te, was Sie­mer da­zu brach­te, die Ver­samm­lung wut­ent­brannt zu ver­las­sen, be­kann­ten sich die am 1.7.1945 ver­ab­schie­de­ten „Köl­ner Leit­sät­ze“, gleich­sam das „Ur­pro­gram­m“ der CDU, zu ei­nem „wah­ren christ­li­chen So­zia­lis­mus“. 

Die bei­den Do­mi­ni­ka­ner be­ton­ten da­bei im­mer wie­der, dass der „christ­li­che So­zia­lis­mus […] et­was an­de­res als der mar­xis­ti­sche So­zia­lis­mus, in mehr als ei­ner Be­zie­hung so­gar et­was ganz an­de­res“ be­deu­te. Am Mar­xis­mus ab­ge­lehnt wur­den vor al­lem das die in­di­vi­du­el­le Frei­heit eli­mi­nie­ren­de Men­schen­bild, die ma­te­ria­lis­ti­sche Ge­schichts­auf­fas­sung und na­tür­lich der da­mit ver­bun­de­ne Athe­is­mus. Aber auch der Li­be­ra­lis­mus, des­sen in­di­vi­dua­lis­ti­scher Frei­heits­be­griff und das ka­pi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­sys­tem wur­den ver­wor­fen. Aus­gangs­punkt des christ­li­chen So­zia­lis­mus im Sin­ne Sie­mers und Welt­ys war das Ver­ständ­nis des Men­schen als selbst­ver­ant­wort­li­che und so­zi­al ge­bun­de­ne Per­son. Sie for­der­ten ei­ne strik­te Ge­mein­wohl­aus­rich­tung der Wirt­schafts­ord­nung, de­ren Prin­zip nicht der Wett­be­werb, son­dern das Ziel der Be­darfs­de­ckung und der ge­rech­te Gü­ter­aus­gleich sei. 

Kon­rad Ade­nau­er, der 1946 Vor­sit­zen­der der CDU wur­de, lehn­te den Ter­mi­nus „christ­li­cher So­zia­lis­mus“ ent­schie­den ab, weil er miss­ver­ständ­lich sei und die Ab­gren­zung ge­gen­über der So­zi­al­de­mo­kra­tie er­schwe­re. In­halt­lich hat das Kon­zept der Do­mi­ni­ka­ner die pro­gram­ma­ti­sche Ent­wick­lung der CDU aber wei­ter be­ein­flusst, was vor al­lem an dem im Fe­bru­ar 1947 von der CDU in der bri­ti­schen Zo­ne be­schlos­se­nen Ah­le­ner Pro­gramm ab­zu­le­sen ist. Die­ses al­ler­dings war schon recht bald über­holt, spä­tes­tens als die Uni­on vor der ers­ten Bun­des­tags­wahl 1949 die Wirt­schafts­po­li­tik Lud­wig Er­hards (1897-1977) und das Kon­zept der So­zia­len Markt­wirt­schaft zur Grund­la­ge ih­res Wahl­kampf­pro­gramms mach­te. 

Aus dem po­li­ti­schen Ge­schäft zog Sie­mer sich ent­täuscht zu­rück, und auch als Pro­vin­zi­al wur­de er 1946 ab­ge­löst. Im Or­den war nach dem Krieg Un­mut über sei­nen Füh­rungs­stil laut ge­wor­den. Das har­te Re­gi­ment, das er wäh­rend der NS-Dik­ta­tur ge­führt hat­te, war sei­nen Mit­brü­dern nicht mehr zeit­ge­mäß. 1947 wur­de er zum Vor­sit­zen­den der Ver­ei­ni­gung der bun­des­deut­schen Or­dens­obe­ren ge­wählt, 1949 war er Mit­be­grün­der der Ka­tho­li­schen Deut­schen Aka­de­mi­ker­schaft, de­ren ers­ter Ge­ne­ral­se­kre­tär er wur­de. 

Ei­nem brei­te­ren Pu­bli­kum be­kannt wur­de Sie­mer durch Rund­funk­vor­trä­ge, die er ab 1950 im Ra­dio und spä­ter auch im jun­gen Me­di­um Fern­se­hen hielt. Das Köl­ner Do­mi­ni­ka­ner­klos­ter St. An­dre­as war der Ort sei­ner letz­ten Le­bens­jah­re. Hier be­rei­te­te er ge­ra­de ei­ne Fern­seh­sen­dung mit dem Ti­tel „Der Re­gen­bo­gen“ vor, als er am 21.10.1956 durch ein plötz­li­ches Herz­ver­sa­gen aus dem Le­ben ge­ris­sen wur­de. 

Schriften (Auswahl)

Das deut­sche Volk und der Mi­li­ta­ris­mus, in: Die Neue Ord­nung 1 (1946/47), S. 158-170.
Zum Pro­blem des „Christ­li­chen So­zia­lis­mus“, in: Die Neue Ord­nung 2 (1948), S. 269-277.
Die ka­tho­li­sche Kir­che und die Kri­se der Ge­gen­wart, in: Die Neue Ord­nung 2 (1948), S. 362-367.
So sind wir Men­schen, Frank­furt a. M. 1956.
Auf­zeich­nun­gen und Brie­fe, Frank­furt a. M. 1957.

Literatur

Bü­cker, Ve­ra, Der Köl­ner Kreis und sei­ne Kon­zep­ti­on für ein Deutsch­land nach Hit­ler, in: His­to­risch-po­li­ti­sche Mit­tei­lun­gen 2 (1995), S. 49-82.
Leu­gers, An­to­nia, Ge­gen ei­ne Mau­er bi­schöf­li­chen Schwei­gens. Der Aus­schuß für Or­dens­an­ge­le­gen­hei­ten und sei­ne Wi­der­stands­kon­zep­ti­on 1941 bis 1945, Frank­furt a. M. 1996.
Ocken­fels, Wolf­gang, Lau­ren­ti­us Sie­mer (1888-1956), in: Aretz, Jür­gen/Mor­sey, Ru­dolf/Rau­scher, An­ton (Hg.), Zeit­ge­schich­te in Le­bens­bil­dern, Band 5, Mainz 1982, S. 147-160.
Uertz, Ru­dolf, Chris­ten­tum und So­zia­lis­mus in der frü­hen CDU. Grund­la­gen und Wir­kun­gen der christ­lich-so­zia­len Ide­en in der Uni­on 1945-1949, Stutt­gart 1981.
Uertz, Ru­dolf, Wal­ber­berg und Die Neue Ord­nung. Vor 60 Jah­ren: Lau­ren­ti­us Sie­mer und Eber­hard Welty, in: Die Neue Ord­nung 60 (2006), S. 133-139.

 
Zitationshinweis

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Küppers, Arnd, Laurentius Siemer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/laurentius-siemer/DE-2086/lido/57c9501ea179e4.74039935 (abgerufen am 05.12.2024)