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Ludwig Kaas war ein aus Trier stammender katholischer Geistlicher und Zentrumspolitiker der Weimarer Republik (1918-1933). Er war von 1928 bis 1933 Vorsitzender der Zentrumspartei. 1933 war er für den Vatikan an der Aushandlung des Reichskonkordats beteiligt.
Ludwig Kaas wurde am 23.5.1881 als Sohn des Kaufmanns und Landwirts Peter Kaas und dessen Ehefrau Susanna, geborene Blum, in Trier geboren. Nach dem Abitur am dortigen altehrwürdigen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (ehemaliges Jesuiten-Kolleg) trat Kaas in das Trierer Priesterseminar ein. In den theologischen Kursen des Seminars erwies sich Kaas als überaus begabt, so dass ihn der Trierer Bischof Michael Felix Korum bereits nach zwei Semestern zum Studium nach Rom schickte. Dort war er Angehöriger des Collegium Germanicum et Hungaricum und studierte an der von Jesuiten geführten Päpstlichen Universität Gregoriana.
Am 7.4.1904 schloss er den ersten Teil seiner Studien in Rom mit dem Doktor der Philosophie ab. Am 22.6.1907 folgte die Promotion im Fach Theologie. Auch seine Priesterweihe empfing Kaas am 28.10.1906 in Rom. Mit einer kurzen Unterbrechung, die ihn als Kaplan 1908 in sein Heimatbistum nach Adenau in der Eifel geführt hatte, blieb er bis 1909 in der Ewigen Stadt. Dort wirkte er ab Ende 1908 als Kaplan der deutschen Nationalstiftung „Collegio Teutonico di S. Maria dell' Anima" und erhielt am 8.6.1909 seinen dritten Doktorhut, den er im Kanonischen Recht erwarb.
Im gleichen Jahr kehrte er nach Deutschland in das Bistum Trier zurück und wurde für kurze Zeit Kaplan in Kärlich bei Koblenz. 1910 wechselte er als Präfekt und Rektor an das Waisenhaus im Koblenzer Stadtteil Moselweiß. Im gleichen Jahr wurde er zudem Religionslehrer und Subdirektor der Höheren Schule Kemperhof. Der Trierer Bischof Michael Felix Korum ermöglichte dem talentierten, für höhere wissenschaftliche Aufgaben vorgesehenen Kirchenjuristen so weitere fünfsemestrige Studien an der Universität Bonn bei dem zu dieser Zeit führenden Staatskirchenrechtler Ulrich Stutz, einem Schweizer Staatsbürger protestantischer Konfession. Die Studien beendete Kaas 1915/1916 mit der Habilitation an der juristischen Fakultät über die geistliche Gerichtsbarkeit in Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Monarchie.
In den folgenden Jahren verfasste er neben zahlreichen Rezensionen weitere kirchenrechtliche, staatskirchenrechtliche sowie rechtshistorische Veröffentlichungen, von denen manche als bahnbrechend anzusehen sind, und die Forschung entscheidend beeinflusst haben (Georg May). So war 1918 die Berufung Kaas’ auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für kanonisches Recht am Trierer Priesterseminar die logische Konsequenz seiner hohen Reputation, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in seinem Heimatbistum und bei seinem Förderer Bischof Korum. Zuvor hatte Kaas eine Assistentenstelle bei seinem inzwischen nach Berlin gewechselten akademischen Lehrer Ulrich Stutz ausgeschlagen. 1919 lehnte er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Kirchenrecht der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn ab. Dafür wurde er Leiter einer Zweigstelle des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Trier.
Aufgrund seines exzellenten Rufs als Kanonist wurde Ludwig Kaas bereits 1917 kanonistischer Berater des Münchner apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. (Pontifikat 1939-1958). Auch nach der Akkreditierung Pacellis in Berlin 1920 behielt Kaas sein Amt. Die enge Zusammenarbeit mit dem jungen Karrierediplomaten aus vornehmem stadtrömischen Hause führte zu einer engen Freundschaft, die das gesamte Leben trug. Das gemeinsame Ziel, mit einem Reichskonkordat eine rechtliche Grundlage für die Kirche in Deutschland zu schaffen, blieb ihnen jedoch bis auf Weiteres verwehrt.
Bereits kurz nach seiner Berufung nach Trier hatte Ludwig Kaas ein weiteres Interessenfeld entdeckt, dem ab 1919 seine ganze Energie galt, nämlich die Politik. 1919 trat er der Zentrumspartei bei, zu deren gemäßigt rechtem Flügel er angehörte und wurde für den Wahlkreis Trier mit einem Stimmenanteil von 57,9 Prozent in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Dort arbeitete er als ausgewiesener Fachmann für das Kirchenrecht im Verfassungsausschuss mit. Dabei lag sein Hauptaugenmerk auf der Stellung der Kirche im künftigen Staat. 1920 wurde erin den Reichstag gewählt und gehörte ihm bis 1933 an. Dort wurde er in den Auswärtigen Ausschuss berufen, dem er ebenfalls bis 1933 angehörte. Da sich Kaas in der Zentrumsfraktion schon früh, etwa bei den Versailler Friedensverhandlungen 1919, einen Namen als Außenpolitiker gemacht hatte, wurde er in der zentralen Phase der Stresemannschen Annäherung an Frankreich 1926-1930 Delegierter des Reiches beim Völkerbund. Trotz einer differenzierten Sicht auf die Friedenspolitik Stresemanns (1878-1929) unterstützte er diese und stimmte auch im Reichstag insbesondere der Frankreichpolitik des Außenministers zu. Seit 1921 gehörte Ludwig Kaas auch dem preußischen Staatsrat an. Dort entwickelte sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dessen Vorsitzendem, dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der wie Kaas ein Verfechter föderaler Strukturen (Rheinlandbewegung) war und sich für eine überkonfessionelle christliche politische Kraft einsetzte.
1924 gab Kaas aufgrund seiner zahlreichen Ämter seinen Lehrstuhl auf und widmete sich ausschließlich der Reichspolitik. Nur vier Jahre später erreichte er den Höhepunkt seiner politischen Karriere: Er wurde in einer Kampfabstimmung gegen den Gewerkschafter und Schriftsteller Joseph Joos und den fränkischen Sozialpolitiker Adam Stegerwald (1874-1945) mit einer großen Mehrheit zum Vorsitzenden der Zentrumspartei gewählt. Als Vorsitzender der Partei unterstützte er loyal die Politik des eher monarchistisch und antiklerikal eingestellten Parteifreundes und Reichskanzlers Heinrich Brüning (1885-1970) – obgleich er im Gegensatz zu seinem Regierungschef gegenüber der NSDAP eine mitunter naive Politik der Annäherung betrieb. Zeitweilig forderte er gar eine Kooperation mit den Nationalsozialisten in der Hoffnung, dass diese „blutigen Ignoranten" (Kaas) gebändigt und dem Volk deren Unfähigkeit vorgeführt würde.
Die Politik Kaas’, der die Skrupellosigkeit Adolf Hitlers (1889-1945) nicht oder nur eingeschränkt erkannte, stand im Gegensatz zur Ausgrenzungspolitik Brünings und war ein Grund für die Entfremdung der beiden Politiker, auch wenn Kaas nach dem erzwungenen Abgang Brünings dessen durch das Parlament nicht legitimierten Nachfolger Franz von Papen (1879-1969) scharf bekämpfte. Ein weiterer Grund für die Entfremdung zu seiner Partei und vor allem zu Brüning war, dass der eher empfindsame, feingeistige Wissenschaftler Ludwig Kaas seinem Amt nicht immer mit vollen Einsatz und der nötigen Härte nachkam. Oft fehlte er auf wichtigen Sitzungen, so dass Wilhelm Marx über ihn urteilte: „Was Kaas will, weiß niemand. Es ist doch sonderbar, dass er sich gar nicht sehen lässt". Noch bei der "Machtergreifung" am 30.1.1933 glaubte Kaas, dass die deutschnationalen Minister im Kabinett Hitler die wenigen nationalsozialistischen Minister zähmen könnten und die Regierung Hitler nur eine Übergangslösung sei. So ging auch die Zustimmung weiter Teile der Zentrumspartei für das so genannte Ermächtigungsgesetz auf die Naivität und Gutgläubigkeit des Prälaten zurück, dem einige Versprechungen Görings und Hitlers als Begründung für seine Zustimmung dienten.
Wenn nicht mit der Machtergreifung der NSDAP vom 30.1., so war doch mit dem Ermächtigungsgesetz vom 23.3.1933 das Ende des Parlamentarismus und des Mehrparteiensystems eingeläutet. Kaas sollte die Auflösung seiner Zentrumspartei, der er immer noch vorstand, jedoch nicht mehr in Deutschland erleben, sondern er reiste nach Rom und betrat bis zu seinem Tode 1952 nie mehr deutschen Boden. Die Abwicklung seiner Partei überließ er Heinrich Brüning und anderen, die sich von Kaas in Stich gelassen fühlten.
Kaas, dem bereits im Vorfeld des Ermächtigungsgesetzes von Vizekanzler Franz von Papen gedeutet worden war, dass ein Reichskonkordat im Interesse der neuen Regierung lag, war indessen mit der Teilnahme an den Verhandlungen zu eben jenem Vertragswerk zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich von Kardinalstaatssekretär Pacelli betraut worden. Die Verhandlungen wurden am 20.7.1933 abgeschlossen, der Vertrag am 10.9.1933 in Berlin ratifiziert. Mit dem Konkordat, der von der Kirche ohne jede Illusion als Defensivvertrag angesehen worden ist, gelang es Kaas, „ein Optimum an Sicherheit für die Stellung der katholischen Kirche zu erlangen" (K. O. v. Aretin), auch wenn der Vertrag letztlich im Kirchenkampf nicht genügend trug und nur unzureichenden Schutz gegenüber den Angriffen des Regimes auf die Kirche bot. Umgekehrt trug dieser Vertrag mit dem Vatikan, auch wenn es nicht der erste des „Dritten Reiches" war, jedoch durchaus zur außenpolitischen Stabilisierung des NS-Regimes, sowie zur Ausschaltung des politischen Katholizismus in Deutschland bei.
Nach Abschluss des Konkordats widmete sich Ludwig Kaas fast ausschließlich Angelegenheiten des Kirchenstaates. Nur noch zu zwei Deutschland betreffenden Angelegenheiten wurde er hinzugezogen: 1937 war er an der Abfassung der Enzyklika „Mit brennender Sorge" beteiligt, und 1950 setzte er sich für die römische Anerkennung der theologischen Fakultät in Trier ein. 1934 wurde er zum Sekretär des Kardinalkollegiums am Vatikan und Domherr des Petersdoms, 1936 zum Ökonom (Verwalter) von St. Peter ernannt. Im gleichen Jahr wurde er als Leiter der Bauhütte mit den archäologischen Ausgrabungen unter der Peterskirche betraut. Diese erreichten 1950 ihren Höhepunkt, als unter dem Petersdom die Freilegung des Grabes Petri erfolgreich abgeschlossen wurden. Am 15.4.1952 verstarb Kaas. 1965, nach zwei Umbettungen, fand er seine letzte Ruhestätte nahe dem von ihm entdeckten Petrusgrab in den Grotten von St. Peter.
Literatur
May, Georg, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, 3 Bände, Amsterdam 1981/1982.
May, Georg, Ludwig Kaas (1881-1952), in: Rheinische Lebensbilder 10 (1985), S. 223-235.
Morsey, Rudolf, Ludwig Kaas (1881-1952), in: Morsey, Rudolf (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 1, Münster i.W. 1973, S. 263-273, 311-312.
Persch, Martin, Artikel „Kaas, Ludwig", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 3 (1992), Sp. 907-915.
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Ausgewählte Spezialliteratur zum Reichskonkordat**
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Brechenmacher, Thomas, Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente, Paderborn 2007.
Repgen, Konrad, Die vatikanische Strategie beim Reichskonkordat, in: Klaus Gotto/Hans-Günther Hockerts (Hg.), Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zu Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte, Paderborn u.a. 1988, S. 167-195.
Online
Aretin, Karl Otmar Frhr. v., Artikel "Kaas, Ludwig", in: Neue Deutsche Biographie 19 (1974), S. 713-714. [Online]
Kaas, Ludwig in der Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten (Informationsportal der Bayerischen Staatsbibliothek). [Online]
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Rönz, Helmut, Ludwig Kaas, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ludwig-kaas/DE-2086/lido/57c930bfaa4b10.53282713 (abgerufen am 06.12.2024)