Margarete Willers

Weberin, Textilkünstlerin (1883-1977)

Axel Heimsoth (Essen)

"Schauspielerin" (Porträt Grete Willers), Fotografie von Max Pfeiffer Wattenphul, 1931. (Archiv Max Pfeiffer Wattenphul)

Mar­ga­re­te (Gre­te) Wil­lers war ei­ne der re­nom­mier­tes­ten Tex­til­künst­le­rin­nen im Wes­ten Deutsch­lands. Sie er­hielt 1927 ein Ate­lier am Bau­haus Des­sau und ar­bei­te­te mit in der Ver­suchs­werk­statt für Hand­we­be­rei un­ter An­lei­tung von Paul Klee. Mit der be­wuss­ten Hin­wen­dung zum tex­ti­len Kunst­schaf­fen öff­ne­te sich die aus­ge­bil­de­te Ma­le­rin der tex­ti­len Ma­te­ri­al­viel­falt, dem mo­der­nen Farb- und Ma­te­ri­al­ex­pe­ri­ment und wand­te sich der abs­trak­ten For­men­spra­che zu. Als Do­zen­tin der Folk­wang Schu­le für Ge­stal­tung in Es­sen von 1928 bis 1943 blieb Gre­te Wil­lers der Bau­hau­s­päd­ago­gik von Jo­han­nes It­ten und der Kunst­theo­rie von Paul Klee ver­bun­den. Nach dem Krieg ge­hör­te sie zu den Bot­schaf­te­rin­nen des Bau­hau­ses: Als frei­schaf­fen­de Künst­le­rin und Do­zen­tin setz­te sie sich ihr Le­ben lang mit der Bau­haus-Idee aus­ein­an­der.

Mar­ga­re­te Eli­sa­beth Ka­ro­li­ne Wil­lers wur­de am 30.7.1883 in Ol­den­burg ge­bo­ren. Ih­re evan­ge­li­schen El­tern – sie hei­ra­te­ten am 3.10.1882 in Ol­den­burg – wa­ren der Kauf­mann Hein­rich Au­gust Hil­bert Wil­lers (ge­bo­ren 1855) und die Haus­toch­ter An­na Char­lot­te Do­ro­thee Wil­lers (ge­bo­ren 1858). Gre­te Wil­lers be­such­te 1889–1899 ei­ne hö­he­re Mäd­chen­schu­le, zu­nächst bis 1896 in Min­den, dann in Es­sen. Es folg­te ab 1900 ei­ne Aus­bil­dung am Min­de­ner Leh­re­rin­nen­se­mi­nar, wo­zu ein Fremd­spra­chen­auf­ent­halt in Genf ge­hör­te. Da­bei er­lern­te sie ne­ben der fran­zö­si­schen Spra­che auch das Zeich­nen. 1904-1907 leb­te sie in Es­sen und nahm in Düs­sel­dorf, in der Ei­fel und in Mün­chen an Zei­chen- und Mal­kur­sen teil. 1912 zog sie für zwei Jah­re nach Pa­ris und ließ sich in pri­va­ten Zei­chen­schu­len wei­ter aus­bil­den. Schon in der fran­zö­si­schen Me­tro­po­le stell­te sie selbst­ge­fer­tig­te Sti­cke­rei­en in der Ga­le­rie Dru­et aus. In den fol­gen­den Jah­ren ar­bei­te­te sie als Ma­le­rin und nahm mit Ge­mäl­den, Aqua­rel­len und Zeich­nun­gen an Aus­stel­lun­gen in Es­sen, Köln, Mann­heim und Frank­furt am Main teil. In Düs­sel­dorf prä­sen­tier­te sie ih­re Wer­ke im Rah­men der mo­der­nen Kunst­ver­ei­ni­gung „Das jun­ge Rhein­lan­d“.

Nach dem Ers­ten Welt­krieg ent­schied sich Gre­te Wil­lers für ei­nen künst­le­ri­schen Neu­an­fang. Sie wand­te sich dem tex­ti­len Ge­stal­ten zu, ging 1921 an das Bau­haus in Wei­mar, in die Fach­klas­se für We­be­rei, die in Deutsch­land ei­nen vor­züg­li­chen Ruf ge­noss. In Wei­mar be­such­te sie zu­erst ei­nen Vor­kurs bei Jo­han­nes It­ten (1888-–1967). Hier be­schäf­tig­ten sie sich wie ih­re Kurs­kol­le­gin­nen und -kol­le­gen mit geo­me­tri­schen Grund­for­men und den ein­zel­nen Ma­te­ri­al­ei­gen­schaf­ten. Im An­schluss an den Vor­kurs wur­de sie in die We­ber­ei­werk­statt un­ter Ge­org Mu­che (1895-1987) und He­le­ne Bör­ner (1867-1962) auf­ge­nom­men. In Wei­mar freun­de­te sie sich mit dem Ma­ler Max Peif­fer Wa­ten­phul (1896-1976) an, der sie in ei­nem Öl­ge­mäl­de por­trä­tier­te, das sich heu­te in den Kunst­samm­lun­gen in Wei­mar be­fin­det. In ei­nem ver­gleich­bar ex­al­tier­ten Duk­tus soll­te er sie Jah­re spä­ter fo­to­gra­fisch fest­hal­ten.

Von Wei­mar führ­te ihr Weg nach Kre­fel­d an die We­be­rei­schu­le, wo sie zwi­schen Ok­to­ber und De­zem­ber 1922 ei­nen Kurs be­leg­te. Ei­nen ver­gleich­ba­ren Schritt in der Aus­bil­dung gin­gen „zwei der be­gab­tes­ten Stu­die­ren­den“ des Wei­ma­rer Bau­hau­ses: Gun­ta Stölzl (1897-1983) und Be­ni­ta Koch-Ot­te (1892-1976). Zu­rück in Wei­mar be­such­te Gre­te Wil­lers, wohl im Som­mer­se­mes­ter 1923, Kur­se in der We­ber­ei­werk­statt. Aus die­ser Stu­di­en­zeit ha­ben sich ei­ni­ge ih­rer Ar­bei­ten (ge­web­te Stof­fe) zu­min­dest bild­lich er­hal­ten. Ei­nen Wand­be­hang glie­der­te sie mit­tels ei­ner Strei­fen­struk­tur.

 

Gre­te Wil­lers mach­te sich 1923 mit ei­ner ei­ge­nen Werk­statt in Es­sen selb­stän­dig. Sie be­saß ei­nen Flach­web­stuhl und fer­tig­te De­cken, die sie über das Es­se­ner Kauf­haus „Eick & Söh­ne“ ver­trieb. Sie stell­te ih­re Tex­ti­li­en in den Städ­ten des Ruhr­ge­biets und dar­über hin­aus aus. Be­ruf­lich kehr­te Gre­te Wil­lers an das Bau­haus zu­rück. Sie ver­ließ das Ruhr­ge­biet und fand 1927 ei­ne An­stel­lung in Des­sau, wo­hin das Bau­haus 1925 um­ge­zo­gen war. Sie war an ei­ner Klas­se für We­be­rei an der Bau­haus­schu­le Des­sau zwi­schen März und Ju­li 1927 zu­erst als Mit­ar­bei­te­rin, dann als Lei­te­rin der Mo­dell- und Pro­bier­werk­statt an­ge­stellt. Im Des­sau­er Bau­haus be­kam sie ein ei­ge­nes Ate­lier zu­ge­wie­sen und be­such­te Kur­se bei Paul Klee (1879-1940) und Was­si­ly Kandins­ky (1866-1944).

Die Künst­le­rin kehr­te wie­der zu­rück nach Es­sen. Hier im Ruhr­ge­biet nahm ih­re Le­bens- und Ar­beits­si­tua­ti­on ei­ne neue Wen­dung, in­dem sie zum 1.1.1928 die Lei­tung der We­be­rei­klas­se an der Es­se­ner Hand­wer­ker- und Kunst­ge­wer­be­schu­le an­trat. Die re­nom­mier­te Schu­le un­ter der Lei­tung des Ar­chi­tek­ten Al­fred Fi­scher (1881-1950) wur­de im glei­chen Jahr in Folk­wangschu­le für Ge­stal­tung um­be­nannt. Wil­lers war die ein­zi­ge Frau in ei­nem hoch­ka­rä­tig be­setz­ten Lehr­kör­per. Ih­re Rol­le als Folk­wang­leh­re­rin ent­sprach ih­rer ge­sell­schaft­li­chen Stel­lung in der Stadt Es­sen: Sie galt als re­nom­mier­te Künst­le­rin, die an Aus­stel­lun­gen im Mu­se­um Folk­wang teil­nahm. In den fol­gen­den Jah­ren ar­bei­te­te sie als Leh­re­rin und stell­te par­al­lel Tex­ti­li­en her, die sie aus­stell­te und ver­kauf­te. Wil­lers be­schrieb 1929 ih­re Auf­ga­be und Tä­tig­keit als Lei­te­rin der Ab­tei­lung für We­be­rei und Sti­cke­rei an­läss­lich ei­nes ge­mein­sa­men Auf­tritts der Leh­rer ih­rer Schu­le in der Es­se­ner All­ge­mei­nen Zei­tung. Je­der Leh­rer wur­de mit ei­nem klei­nen Por­trät in dem zwei­sei­ti­gen Bei­trag vor­ge­stellt. Bei der We­be­rin Wil­lers wur­de be­tont, dass es ihr im Rah­men der Aus­bil­dung wich­tig sei, „[…] den Na­del­ar­bei­ten al­ler Art neu­en Reiz ab­zu­ge­win­nen“. Ih­re Schü­le­rin­nen wür­den ler­nen, auf al­len Stof­fen die Mus­ter auf­zu­sti­cken. De­tail­liert ging Gre­te Wil­lers auf ih­re Aus­bil­dungs­zie­le ein: „An ei­nem Hoch­web­stuhl wird die Knüpf­tech­nik, die Go­be­lin- und Kelim­we­be­rei ge­lehrt. – Stof­fe zu Kis­sen, De­cken, Vor­hän­gen, Wand­be­hän­gen fer­ti­gen wir an auf Flach­web­stüh­len mit Schaft­be­trieb. Hier­zu ist nö­tig die Kennt­nis der Bin­dungs­leh­re und der Ein­rich­tung des Web­stuhls. Die­ser Zweig der Hand­we­be­rei be­deu­tet ein idea­les Lehr­mit­tel zur Schu­lung des Ma­te­ri­al­ge­fühls, zur Aus­bil­dung der Phan­ta­sie und der Er­fin­dungs­ga­be für al­le die jun­gen Mäd­chen, die spä­ter in der Tex­til­bran­che als ent­wer­fen­de oder aus­füh­ren­de Mit­ar­bei­te­rin­nen tä­tig sind. Un­ser Ziel ist, zur Selb­stän­dig­keit zu ge­lan­gen in der ge­schmack­vol­len Aus­ge­stal­tung des In­nen­raums mit­samt den Din­gen des täg­li­chen Be­darfs, so­weit die Tex­til­kunst dar­an be­tei­ligt ist.“

Das Mu­se­um Folk­wang stell­te 1928 Gre­te Wil­lers in ei­ner Aus­stel­lung als Teil der „Künst­ler von der Mar­ga­re­then­hö­he“ vor. Au­ßer ih­ren Ar­bei­ten wa­ren Wer­ke von Eli­sa­beth Tres­kow, Kurt Le­wy (1898-1963), Fri­da Schoy (1889-1962), Edith Sa­mu­el (1907-1964) und wei­te­rer Künst­le­rin­nen (Gre­te Jung­fer, Ruth Johow) zu se­hen. Die Es­se­ner All­ge­mei­ne Zei­tung hielt fest: „Von Mar­ga­re­the Wil­lers sieht man far­ben­fro­he und schön ge­mus­ter­te Web­ar­bei­ten.“ Pri­vat leb­te sie 1924–1936 in der Vir­chow­stra­ße und zog dann in die na­he Pel­man­stra­ße um, wo sie bis 1941 in den Adress­bü­chern der Stadt Es­sen zu fin­den ist. Bei­de Woh­nun­gen la­gen in Rüt­ten­scheid, na­he der Hand­wer­ker- und Kunst­ge­wer­be­schu­le auf der ei­nen und der Künst­ler­sied­lung Mar­ga­re­then­hö­he auf der an­de­ren Sei­te. In­ner­halb die­ser Künst­ler­ge­mein­schaft war sie mit Eli­sa­beth Tres­kow und Fri­da Schoy be­freun­det. Ge­mein­sam war man – zu­sam­men mit Max Peif­fer Wa­ten­phul – 1923 zu ei­nem Ur­laub an den Gar­da­see auf­ge­bro­chen. Aus Mal­ce­si­ne schrie­ben Tres­kow, Wil­lers, Schoy und Peif­fer Wa­ten­phul ge­mein­sam ei­ne Post­kar­te an den Ar­chi­tek­ten der Mar­ga­re­then­hö­he in Es­sen, Ge­org Met­zen­dorf (1874–1934): „Es ist fa­bel­haft schön hier und Ih­re Be­fürch­tun­gen es sei zu heiß, sind gar nicht ein­ge­trof­fen. Fe­ri­en sind das Schöns­te was es gibt. Wir ha­ben ei­ne Es­se­ner-Ko­lo­nie be­grün­det, die Sie recht herz­lich grü­ßt.“

Margarete Willers in ihrer Webstube in Essen. (Sammlung Robert Welzel, Essen)

 

Seit der Macht­über­nah­me durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten 1933 ver­schlech­ter­te sich die Si­tua­ti­on von Gre­te Wil­lers an der Folk­wangschu­le für Ge­stal­tung in Es­sen zu­neh­mend. Ih­re Zu­kunft un­ter dem neu­en Schul­lei­ter Al­bert Man­kopf (1904-1986), ei­nem Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, war un­ge­wiss. Die Schu­le er­höh­te ihr Stun­den­de­pu­tat und lös­te gleich­zei­tig ih­ren Ver­trag als fest­an­ge­stell­te Leh­re­rin auf. Nun muss­ten die Kurs­teil­neh­mer die Ge­büh­ren je­weils an ih­re Leh­re­rin über­wei­sen, so dass sie von der Zahl der Schü­ler ab­hän­gig war. Ih­re fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on ver­schlech­ter­te sich im Lau­fe des Zwei­ten Welt­krie­ges zu­neh­mend. 1943 zog sie – be­dingt durch die Bom­bar­die­run­gen Es­sens und die Schä­den an ih­rer Schu­le – nach Bü­cke­burg, wo sie die Hand­we­be­rei „Bäu­er­li­cher Haus­flei­ß“ lei­te­te. Nach Krie­gen­de be­müh­te sie sich er­folg­los, wie­der an der Es­se­ner Schu­le als Leh­re­rin an­ge­stellt zu wer­den.

Statt­des­sen un­ter­rich­te­te sie wei­ter im nie­der­säch­si­schen Bü­cke­burg und hat­te ei­ne Stel­le bis 1955 als Lehr­meis­te­rin in der Hand­we­be­rei in­ne. Zwi­schen 1955 und 1960 führ­te sie noch Ar­bei­ten am Hoch­web­stuhl aus, fer­tig­te Wand­be­hän­ge und klei­ne­re Tex­ti­li­en, be­vor sie sich auf­grund von Ar­beits­un­fä­hig­keit aus dem Be­ruf zu­rück­zie­hen muss­te. Die Pres­se wür­dig­te 1953 ih­re Leis­tun­gen an­läss­lich ih­res 70. Ge­burts­ta­ges mit nur we­ni­gen Zei­len. In der Rhei­ni­schen Post er­schien der Ar­ti­kel „Mar­ga­re­te Wil­lers 70 Jah­re“, der knapp ih­ren be­ruf­li­chen Wer­de­gang re­fe­rier­te. Auf Aus­stel­lun­gen sei­en ih­re „kul­ti­vier­ten wie stil­vol­len Ar­bei­ten und Ent­wür­fe“ kom­po­niert nach Ma­te­ri­al, Form und Far­be zu fin­den. Gre­te Wil­lers starb am 12.6.1977 in Es­sen.

Literatur

Grüt­ter, Hein­rich Theo­dor/Heim­soth, Axel (Hg.), Auf­bruch im Wes­ten. Die Künst­ler­sied­lung Mar­ga­re­then­hö­he, Es­sen 2019.
Heim­soth, Axel, Die We­be­rin Mar­ga­re­the Wil­lers. Ei­ne Bau­haus­schü­le­rin an der Es­se­ner Folk­wangschu­le für Ge­stal­tung, in: Es­se­ner Bei­trä­ge 131 (2019), S. 143-169.
Heim­soth, Axel, Der Künst­ler­kreis auf der Mar­ga­re­then­hö­he. Ein kul­tur­po­li­ti­scher Auf­bruch Es­sens in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, in: Es­se­ner Bei­trä­ge 133 (2020), S. 238-273.
Hip­pel, Kat­rin, Art. Wil­lers, Mar­ga­re­te, in: Bey­er, An­dre­as/Sa­voy, Bé­né­dic­te/Te­ge­t­hoff, Wolf (Hg.), All­ge­mei­nes Künst­ler­le­xi­kon – In­ter­na­tio­na­le Künst­ler­da­ten­bank – On­line, Ber­lin New York 2022.
Wernz-Kai­ser, Hei­ke, Die Ma­le­rin und We­be­rin Mar­ga­re­te Wil­lers (1883-1977). Die Jah­re am Bau­haus in Wei­mar und Des­sau, in: Nie­der­deut­sche Bei­trä­ge zur Kunst­ge­schich­te, Neue Fol­ge, Band 3 (2018,) S. 178-188. 

Handgewebter Teppich von Margarete Willers, 1926. (Abbildung in: Essen und Werkbundgedanke, hrsg. v. Presseamt der Stadt Essen, Essen 1926)

 
Zitationshinweis

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Heimsoth, Axel, Margarete Willers, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/margarete-willers/DE-2086/lido/63d8dc3ebcd077.72234321 (abgerufen am 05.11.2024)