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Marie Luise Raskin war ursprünglich Kindermädchen, wurde Kindergärtnerin und schließlich Leiterin der „Fachschule für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen des Zentralverbandes katholischer Kindergärten und Horte Deutschlands e.V.“ in Köln. Seit den 1930er Jahren war sie von den pädagogischen Erneuerungsbestrebungen der italienischen Ärztin Maria Montessori überzeugt und verhalf der Montessori-Pädagogik in Deutschland zum Durchbruch.
Maria Luise Raskin wurde am 25.1.1909 als viertes von fünf Kindern des Postschaffners Bernhard Josef Raskin (1871-1925) und seiner Ehefrau, der Köchin Johanna Katharina Henriette Raskin, geborene Giesen (1874-1961), in Köln geboren. Ihre Zwillingsschwester Magdalena (1909-2001), genannt Leni, wurde 15 Minuten später geboren. Die Eltern erzogen ihre Kinder nach den Werten des katholischen Glaubens. Der älteste Bruder Adolf Raskin (1900-1940) wurde später NS-Intendant des Reichssenders Saarbrücken und Kommissarischer Intendant des Deutschen Kurzwellensenders. Bruder Heinrich Raskin (1902-1990), ein promovierter Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, war 1949-1963 der erste hauptamtliche Oberbürgermeister der Stadt Trier nach dem Zweiten Weltkrieg und maßgeblich für den Wiederaufbau der Moselstadt verantwortlich. Zwillingsschwester Leni wurde Mutter von vier Kindern und stand einem großen Haushalt vor, in dem auch verwaiste Nichten und Neffen Aufnahme fanden. Von einigen Unterbrechungen abgesehen lebte Luise Raskin ihr ganzes Leben lang mit Zwillingsschwester Leni und deren Mann zusammen.
1915-1919 besuchten die Zwillinge die Volksschule, anschließend die Königin-Luise-Schule. Dem Schulabschluss 1916 mit Obersekunda-Reife folgten Frauenschule und Kindergärtnerinnen-Seminar. Danach gingen sie beruflich getrennte Wege.
Durch Vermittlung der Leiterin des Kölner Kindergärtnerinnenseminars, war Luise Raskin 1929-1934, anfänglich nur vormittags, Kindermädchen in der Familie des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer. Da sie darauf angewiesen war, nicht nur halbtags zu arbeiten, übernahm sie 1929 weitere Anstellungen. So war sie einige Monate im städtischen Licht- und Luftfreibad Köln-Bocklemünd, einer Einrichtung für erholungsbedürftige Kölner Schulkinder, angestellt, danach einige Monate als Kindermädchen in einer jüdischen Familie.
Im Januar 1931 nahm Auguste (Gussie) Adenauer (1893-1966) ihr Kindermädchen mit zu einem Vortrag von Maria Montessori (1870-1952), den diese auf Einladung des „Katholischen Deutschen Frauenbundes“ in der Aula der Kölner Universität hielt. Zuvor war die „Dottoressa“, wie ihre Anhänger die italienische Ärztin und Pädagogin nannte, von Oberbürgermeister Adenauer und seiner Frau Gussie, die sich als Bezirksvorsitzende im Katholischen Frauenbund engagierte, empfangen. Adenauer gehörten unter anderem neben Thomas Mann (1875-1955), Max Reinhardt (1873-1943) und Reichspräsident Paul Löbe (1875-1967), dem Ehrenausschuss des 1930 unter der Schirmherrschaft Maria Montessoris und Mitgliedern des gehobenen Bürgertums gegründeten „Verein Montessori-Pädagogik Deutschland e. V.“ an. Dieser beanspruchte, die richtige und reine Montessori-Methode in Deutschland zu vertreten. Der Kölner Vortrag von Maria Montessori führte zu einer verstärkten Gründung von Montessori-Einrichtungen im Rheinland und darüber hinaus. Zu denen, die von den Ideen der italienischen Ärztin und ihren pädagogischen Erneuerungsbestrebungen fasziniert waren, gehörte fortan Luise Raskin.
Nachdem die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht übernommen hatten, hielt sich die SS beziehungsweise SA schon vor der Kommunalwahl vom 12.3.1933, dem Tag der „Beurlaubung“ und De facto-Absetzung des Kölner Oberbürgermeisters Adenauer, in dessen Haus in der Max-Bruch-Straße auf, „zum persönlichen Schutz“, wie es hieß, woran sich auch das Kindermädchen Luise Raskin später erinnerte.
Im Mai 1934 übersiedelte die Familie Adenauer nach Berlin-Neubabelsberg ohne Luise Raskin, die einen Privatkindergarten in Köln-Deutz, Alsenstraße 10, übernahm. Dort konnte sie endlich Ansätze der Montessori-Pädagogik professionell in der Vorschulpraxis verwirklichen. Aber die christliche Ausrichtung des Kindergartens war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, wie auch seine Orientierung an der Montessori-Methode. Obwohl 1936 die Montessori-Kinderhäuser verboten wurden, konnte Luise Raskin unter schwierigsten Bedingungen ihren Kindergarten bis zu seiner totalen Zerstörung im Bombenkrieg 1944 weiterführen. Immer wieder wurde die Einrichtung auf seine „völkische Zuverlässigkeit“ von der Gestapo kontrolliert, die den Privatkindergarten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt unterstellen wollte.
Gleichzeitig mit ihren Aufgaben als Kindergartenleiterin entfaltete Luise Raskin in der katholischen Pfarrgemeinde St. Anna in Köln-Ehrenfeld eine rege religionspädagogische Arbeit. Sie absolvierte mehrere katechetische Kurse der sogenannten „Religionshochschule“ in Elkeringshausen (heute Stadt Winterberg) und unterrichtete bis Sommer 1945 Kinder unterschiedlichen Alters in katholischer Religionslehre. In diese Zeit fielen auch ihre Aktivitäten in der katholischen Jugendarbeit. Sie arbeitete mit privaten antifaschistischen Kreisen zusammen, die teils musikalisch-künstlerisch tätig waren. Hierzu gehörten unter anderen Persönlichkeiten wie der Maler, Zeichner und Graphiker Georg Meistermann (1911-1990) oder die vom jüdischen zum katholischen Glauben konvertierte Schauspielerin Minnie Maria Dronke (Künstlername Maria Korten, 1904-1987). Man las und besprach moderne katholische Autoren wie zum Beispiel Paul Claudel (1868-1955), Gertrud von le Fort (1876-1971), Romano Guardini (1885-1968) oder Theodor Haecker (1879-1945).
Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler (1889-1945) vom 20. Juli 1944 wurde Konrad Adenauer verhaftet und nach einer Zwischenstation bei der Bonner Gestapo im Kölner Messegelände in Gefangenschaft genommen. Seine Frau Gussie wurde im September 1944 für kurze Zeit eingesperrt. Luise Raskin versorgte beide unter gefährlichen Umständen so gut es ging mit Lebensmitteln.
In den Jahren 1946 und 1947 absolvierte Luise Raskin die „Fachschule für Jugendleiterinnen an der Bildungsanstalt für Sozialpädagogische Frauenberufe der Stadt Köln“, die sie mit der Befähigung als Jugendleiterin abschloss. Gleichzeitig übernahm sie die Leitung des neu errichteten Pfarrkindergartens von St. Anna, Köln. Da in der NS-Zeit Klosterfrauen keine staatliche Ausbildung zur Kindergärtnerin und Erzieherin hatten absolvieren können, eröffnete unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1945 in Köln der „Zentralverband katholischer Kindergärten und Horte Deutschlands e.V.“ unter dem Vorsitz von Prälat Albert Lenné (1878-1958) eine Ausbildungsstätte für Ordensschwestern. Die Verantwortung der Schule übernahmen die Franziskanerinnen vom Heiligsten Herzen Jesu (Rekollektinnen). Luise Raskin zeichnete ab September 1947 als einzige hauptamtliche Lehrkraft für die Praxisstunden verantwortlich. 1950 wurde ihr zunächst die kommissarische und dann die offizielle Leitung der „Fachschule für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen des Zentralverbandes katholischer Kindergärten und Horte Deutschlands e.V.“ (heute Berufskolleg des Erzbistums Köln. Fachschule für Sozialwesen – Fachrichtung Sozialpädagogik) übertragen. Die zunächst unter primitiven Umständen arbeitende Ausbildungsstätte konnte unter ihrer Ägide bald aus einem ehemaligen Hitlerjugend-Barackenheim in ein neues Haus umziehen, sich erweitern und schließlich auch weltliche Schülerinnen aufnehmen.
Luise Raskin stellte ab 1955 mehrere Räume ihrer Schule für die Durchführung von Montessori-Lehrgängen zum Erwerb des Montessori-Diploms zur Verfügung. Sie selbst absolvierte zusammen mit einigen ihrer Schülerinnen einen von ihr veranlassten Montessori-Kurs (26.4.1955-27.3.1956). Dieser stand unter der Leitung von Helene Helming (1888-1977), einer von Maria Montessori persönlich ausgebildeten Schülerin unter Mitwirkung von Mario Montessori (1898-1982), dem Sohn und geistigen Erben von Maria Montessori. Bereits vor diesem Lehrgang entstand 1954 während des ersten Internationalen Montessori-Kurses nach 1945 in Frankfurt am Main der Gedanke, eine „Katholische Arbeitsgemeinschaft für Montessori-Pädagogik“ innerhalb der „Deutschen Montessori-Gesellschaft e.V.“ (DMG) zu gründen. Dadurch sollte die Montessori-Pädagogik verstärkt im katholischen Raum verbreitet werden.
Luise Raskin war Mitglied der „Association Montessori Internationale“ und lange Zeit Vorstandsmitglied der „Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Montessori-Pädagogik“, die 1961 in die selbständige „Katholische Vereinigung für Montessori-Pädagogik“ und acht Jahre später in „Montessori-Vereinigung e.V., Sitz Aachen“, umgewandelt wurde. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die von ihr geleitete Fachschule zu einer vorbildlichen Bildungsinstitution, die die Montessori-Pädagogik in ihr Ausbildungskonzept aufnahm.
Als die Eintrittsvoraussetzungen für den Beruf des Erziehers/der Erzieherin stiegen und die mittlere Reife oder die Fachoberschulreife Voraussetzung für die Ausbildung wurde, rief Luise Raskin einen Lehrgang für junge Mädchen/Frauen ins Leben, die sich in der Praxis als Helferinnen im Kindergarten und Hort bewährten, denen jedoch der mittlere Abschluss fehlte. Die Bildungsmaßnahme fand zunächst abends und an Wochenenden in den Schulräumen statt. Bedingt durch den hohen zeitlichen Aufwand für die Teilnehmerinnen entstand die Idee, dieses Qualifizierungszusatzangebot in Form von Fernlehrkursen zu organisieren. In Zusammenarbeit mit Lehrern und Lehrerinnen entwickelte Luise Raskin Lehrbriefe und bot ein entsprechendes Fernstudium kombiniert mit Wochenendschulungen an. Schließlich rief sie den Trägerverein „Kölner Fernlehr-Institut“ ins Leben, der an das „Kolping Bildungswerk“ überging.
Trotz ihrer Sympathie für die Montessori-Pädagogik blieb Luise Raskin offen für andere pädagogische Konzepte. So schätzte sie Friedrich Fröbel (1782-1852) als den großen „Menschenerzieher“, dessen Lehren in ihrer Schule gleichrangig neben denen von Maria Montessori standen. Luise Raskin setzte sich unter anderem dafür ein, dass Kinder unter drei Jahren nicht in einer vorschulischen Einrichtung aufgenommen, sondern von der Mutter betreut werden sollten.
Ungeachtet ihrer Tätigkeit als Schulleiterin, als Mitglied in verschiedenen sozialen und kirchlichen Verbänden sowie als gesuchte Referentin zu Fragen der Kleinkinder- und Montessoripädagogik war Luise Raskin auch publizistisch tätig. Die meisten ihrer Aufsätze veröffentlichte sie in der katholischen Fachzeitschrift „Kinderheim“ (heute „Welt des Kindes“). Dadurch übte sie einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung und Gestaltung des katholischen Kindergartenwesens nach 1945 aus.
1972 zog sich Luise Raskin aus dem aktiven Berufsleben zurück. Noch lange galt ihr Interesse der Entwicklung „ihrer“ Ausbildungsstätte, der Montessori-Pädagogik sowie den neuen pädagogischen Strömungen im Kindergartenwesen. Darüber hinaus engagierte sie sich in sozialen und kulturellen Vereinen der Domstadt. Für ihre Verdienste erhielt sie am 8.7.1972 das päpstliche Ehrenkreuz „Pro ecclesia et pontefice“. Mit ihrer Zwillingsschwester und weiteren Personen gründete sie am 11.6.1979 den ökumenischen „Familien- und Krankenpflegeverein Köln-Niehl-Weidenpesch e.V.“, dessen Vorstand sie einige Jahre angehörte.
Im November 1996 übersiedelten Luise Raskin, Schwester Leni und Schwager Ernst Hoerner (1912-2000) gemeinsam in das „Herz-Jesu-Alten- und Pflegeheim“ gegenüber dem Kölner Stadtpark, genannt Friedenspark. Luise Raskin starb am 23.10.2002 in ihrer Geburtsstadt Köln, unbemerkt von der pädagogischen-montessorianischen Fachwelt.
Schriften (Auswahl)
Themen zum Mütterabend, in: Kinderhein 27 (1949), S. 654-667.
Positiver Jugendschutz durch Schrifttumspflege, in: Kinderheim (28)1950, S. 199-206.
Moderne Kindergartenidee in Theorie und Praxis, in: Kinderheim (29) 1951, S. 153-160.
Fröbels Kindergartenidee und ihre Verwirklichung in der Gegenwart, in: Kinderheim (30) 1952, S. 100-103.
Nachklang zum Fröbeljahr, in: Katholische Frauenbildung (54) 1953, S. 58-60. Häusliche Arbeiten, in: Kinderheim (35) 1957, S. 165-167.
Wird unsere praktische Erziehungsarbeit in Kindergarten und Hort den Lebensbedürfnissen des heutigen Kindes gerecht?, in: Kinderheim (37) 1959, S. 61-74.
Allgemeine Probleme um den Schulkindergarten, in: Kinderheim (42) 1964, S. 272-277.
Miteinander leben lernen, in: Kinderheim (43) 1965, S. 153-163.
Maria Wachendorf – eine Würdigung zum 70. Geburtstag (1983), in: Ludwig, Harald/Fischer, Christian/Fischer, Reinhard (Hg.), Montessori-Pädagogik in Deutschland, Münster 2002, S. 145-146.
Chronik der Fachschule für Sozialpädagogik des Zentralverbandes kath. Kindergärten und Kinderhorte Deutschlands e. V.: Köln, Weißenburgstr. 14, 1946-1972, Köln 2002 [unveröffentlicht].
Literatur
Bender, Annie, Maria Montessori in Köln, in: Die Christliche Frau 29 (1931), S. 57-59.
Berger, Manfred, Raskin, Maria Luise, in: Bautz, Traugott (Hg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 22, Nordhausen 2003, Sp. 1137-1145.
Hoerner, Ludwig, Luise Raskin 25.01.1909-23.10.2002. Ihre Lebens-Erinnerungen, Köln o. J.
Konrad, Franz-Michael, Kindergarten oder Kinderhaus? Montessori-Rezeption und pädagogischer Diskurs in Deutschland bis 1939, Freiburg i. Br. 1997.
Küsters, Hanns Jürgen (Hg. u. Bearb.), Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961-1966, Paderborn 2017.
Ludwig, Harald/Fischer, Christian/Fischer, Reinhard (Hg.), Montessori-Pädagogik in Deutschland, Münster 2002.
Wachendorf, Maria, Zum 70. Geburtstag von Luise Raskin, in: Montessori-Werkbrief 18 (1979), S. 30.
Wachendorf, Maria, Über die Anfänge unserer „Montessori-Vereinigung“, in: Montessori-Werkbrief 23 (1985), S. 111-113.
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Berger, Manfred, Maria Luise Raskin, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-luise-raskin/DE-2086/lido/675963c960fc72.00844614 (abgerufen am 24.01.2025)