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Marta Worringer war eine Kölner Künstlerin der Avantgarde, die mit ihren Porträts leidender Frauen in den 1920er Jahren größere Bekanntheit in der rheinischen Kunstszene erlangte. Ihr kleines überliefertes Oeuvre stammt vor allem aus Worringers Haupt- und später Schaffensphase. Das Frühwerk sowie ein Großteil der Arbeiten aus der NS-Zeit gelten als verschollen. Sie war die Ehefrau des renommierten Kunsthistorikers Wilhelm Worringer (1881-1965).
Marta Maria Emilie Worringer, geborene Schmitz, kam als drittes Kind des Rechtsanwalts Philipp Emil Schmitz (1844-1919) und dessen Ehefrau Else (geboren 1847) am 16.1.1881 in Köln zur Welt. Der Vater, später Mitglied der Liberalen Fraktion im Kölner Stadtrat und als Spezialist für Handelsrecht ein bedeutender Anwalt am Oberlandesgericht, stammte aus dem saarländischen Tholey. Dort war Martas Großvater Anton Schmitz als Gerichtsvollzieher tätig. Die Mutter Else, geborene Esser, stammte aus einer Kölner Unternehmerfamilie.
Kurz nach Martas Geburt bezog die wohlhabende Familie Schmitz das repräsentative Wohnhaus Am Gereonsdriesch 11a, in dem die Künstlerin aufwuchs. Ihre Kindheit empfand sie nicht zuletzt aufgrund der problematischen Beziehung der Eltern als freudlos. Darauf führte sie später ihre oft melancholische Grundstimmung zurück, die nachhaltigen Einfluss auf ihre Kunst nahm. Nach Absolvierung des Lyzeums besuchte Marta zur Fortsetzung ihrer höheren Bildung ab 1897 zwei Jahre lang ein Pensionat in Belgien. Ab 1899 nahm sie privaten Malunterricht bei Willy Spatz (1861-1931), Professor der Elementarklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie. Anfang 1905 zog die Künstlerin mit ihrer Freundin Agnes Oster später verheiraterte Forell, nach München, wo sie sich als Kunstschülerin Angelo Janks (1868-1940) in der Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins sowie an der progressiven Debschitz-Schule weiterbildete. 1906 schlossen sich die Kölner Freundinnen Olga Oppenheimer und Emmy Worringer (1878-1961) der Wohngemeinschaft an. Gemeinsam siedelte man im März 1907 nach Dachau über, das damals für seine Künstlerkolonie bekannt war.
In München hatte Schmitz Ende Januar 1905 Emmy Worringers Bruder Wilhelm kennengelernt, der in dieser Zeit dort Kunst studierte. Die beiden heirateten am 11.5.1907 in Köln, nachdem Letzterer zu Jahresanfang mit der für den Expressionismus wegweisenden kunsttheoretischen Arbeit „Abstraktion und Einfühlung“ promoviert worden war. Nach einer halbjährigen Hochzeitsreise durch Italien kehrte das junge Ehepaar im Januar 1908 nach München zurück, wo im September des Jahres die erste Tochter, Brigitte (gestorben 1934), zur Welt kam. Marta Worringer sah sich fortan gezwungen, ihre geliebten künstlerischen Tätigkeiten mit ihrer Pflicht zur Haushaltsführung und Kindererziehung zu vereinen. Dies war der Hauptgrund dafür, dass Worringers Schaffen in den folgenden Jahrzehnten meist im Schatten der Arbeit ihres Mannes stand.
1909 siedelte die Familie nach Bern über, wo Wilhelm Worringer sich habilitierte und als Privatdozent unterrichtete. Hier trat seine Ehefrau Marta 1910 in der Weihnachtsausstellung der „Gesellschaft Schweizer Maler, Bildhauer und Architekten“ im Kunstmuseum Bern mit ihrem Werk erstmals an die Öffentlichkeit. Um die gleiche Zeit hatte das Ehepaar Worringer den Künstler Cuno Amiet (1868-1961) kennengelernt, dessen Schülerin Marta wurde und durch den das Paar Kontakt zu Amiets Oschwander Freundeskreis erhielt. Im darauffolgenden Jahr nahm die Künstlerin dann vom 1. Oktober bis 8. November mit einem Werk am bedeutenden Pariser Herbstsalon teil. Am ersten Ausstellungstag brachte Marta Worringer ihre zweite Tochter Renate zur Welt. Während ihrer Zeit in Bern hielten die Worringers, nicht zuletzt durch mehrere Reisen nach Köln, engen Kontakt zur rheinischen Kunstszene. So war Marta Mitglied der 1911 gegründeten „Kölner Sezession“ geworden und nahm an der ersten Ausstellung im Januar des folgenden Jahres teil. Darüber hinaus stand sie dem Kölner Ausstellungs- und Diskussionsforum Gereonsklub nah, das Ende 1910 von ihrer Schwägerin Emmy Worringer mit gegründet worden war. Wilhelm Worringer hielt unter anderem den ersten Vortrag in diesem Club.
Den Winter 1913/1914 verbrachte die Familie Worringer in Berlin, da Wilhelm während eines Freisemesters dort wissenschaftliche Forschungen durchführte. Seine Ehefrau nutzte den Aufenthalt, um sich an einer Berliner Kunstschule weiterzubilden. In der Reichshauptstadt hatte sich das Paar jedoch nie recht eingelebt, sodass es sich glücklich schätzte, als es im August 1914 nach Bonn zog, wohin Wilhelm Worringer von Paul Clemen an das Kunsthistorische Institut der Universität geholt worden war. Der Erste Weltkrieg beendete allerdings bald die Lehrtätigkeit. Der Kunsthistoriker meldete sich im April 1915 freiwillig zum Kriegsdienst. Auch brachte der Krieg die Ausstellungstätigkeit seiner Ehefrau zum Erliegen, die am 29.3.1918 ihr drittes Kind Lucinde zur Welt brachte. Erst für die Sonderausstellung von Handtextilarbeiten der Kestner-Gesellschaft in Hannover lässt sich wieder eine Ausstellungsbeteiligung belegen. Dort zeigte die Künstlerin expressive Stickbilder, die neben graphischen und illustrierenden Arbeiten Worringers bevorzugte Arbeitstechnik bildeten. Die Werke dieser Phase sind gleichzeitig die frühesten erhaltenen Arbeiten der Künstlerin. Aus der Ausbildungszeit sowie den darauffolgenden Jahren bis 1918 ist lediglich ein aquarelliertes Ex Libris aus dem Jahr 1906 überliefert.
Zum bestimmenden Bildmotiv ihrer zunächst noch expressionistischen, in den folgenden Jahren realistischer werdenden Werke wurde die Darstellung leidender Menschen, vor allem von Frauen. Die Bilder zeigen meist schmale Personen mit überproportional großen und gestreckten Körperteilen, riesigen Augen und starren Gesichtern in Situationen von Hoffnungslosigkeit, Angst oder Trauer. Auslöser sind gewöhnlich Armut, Not oder Krieg. Thematisch und kompositorisch sind diese Arbeiten stark an Käthe Kollwitz‘ (1867-1945) sozialen Realismus angelehnt. Neben Worringers schwermütigem Charakter bildeten die Krisenjahre der Nachkriegszeit mit Inflation, Putschversuchen und Ruhrkampf Anregung für diese Motive. Auch persönlich brachte die Nachkriegszeit dem Ehepaar Worringer Geldsorgen sowie Beziehungsprobleme, die zum Teil durch die häufigen Affären des Ehemanns begründet waren. Während der lebenslustige Wilhelm Worringer oft mit Martas Schwermut zu kämpfen hatte, sah diese sich häufig der Unfähigkeit des Ehemanns in vielen Belangen der Lebensführung gegenüber. In der Arbeit unterstützte sie ihn, indem sie regelmäßig seine Vorlesungen besuchte, dazu kritische Anmerkungen machte und Ratschläge gab.
Nach der Unterbrechung durch die Kriegsjahre nahm Worringers Ausstellungspräsenz im Rheinland in den 1920er Jahren deutlich zu. Nachdem sie bereits 1919 an der Ausstellung „Frauen“ in der Galerie Flechtheim mit Illustrationen und Stickbildern teilgenommen hatte, war sie 1920 auf der „Großen Düsseldorfer Kunstausstellung“ und Anfang 1922 in einer Graphik-Schau im Folkwang-Museum in Hagen vertreten. Mit den Ausstellungerfolgen gingen eine künstlerische Emanzipation und steigende Bilderverkäufe einher. Darüber hinaus trug Worringer durch Buch-Illustrationen zu Heinrich von Kleists „Marquise von O.“ (1920) und Fjodor Dostojewskis „Die Sanfte“ (1925) zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ihre Anbindung an den Düsseldorfer Kunstbetrieb verstärkte sich durch ihre Mitgliedschaft in der avantgardistischen Ausstellungsgemeinschaft „Das Junge Rheinland“, an deren vielbeachteten „1. Internationalen Kunstausstellung“ im Kaufhaus Tietz sie 1922 mit zwei Lithographien beteiligt war. Kurz zuvor hatte sie sich mit der Prinzipalin des Düsseldorfer Schauspielhauses, Louise Dumont, angefreundet, die in den folgenden Jahren eine enge Vertraute und Beraterin wurde. 1924 war Worringer durch die Ausstellung „Kölner Künstler“ im Kölnischen Kunstverein schließlich auch in ihrer Heimatstadt zu sehen; im Juni 1925 dann in der Ausstellung der „Bonner Künstlervereinigung 1914“ in der Villa Obernier in Bonn, an deren Schau sie auch im Folgejahr teilnahm. 1926 wurde sie zudem Mitglied der wiederbegründeten Kölner Sezession.
Von Bonn zog die Familie im September 1928 nach Königsberg, wo Wilhelm Worringer zum Wintersemester eine Ordentliche Professur für Kunstgeschichte an der Universität antrat. An der örtlichen Kunstakademie erhielt seine Ehefrau Marta erstmals ein eigenes Atelier. Hier arbeitete sie mit Fritz Burmann (1892-1945) zusammen und widmete sich in der Folgezeit großformatigen Ölgemälden. Dem neuen Wohnort zunächst ablehnend gegenüberstehend, wurde Königsberg Worringer bald zur neuen Heimat, besonders Nidden an der Kurischen Nehrung galt ihr als beliebtes Ausflugsziel. In Königsberg setzte die Künstlerin auch ihre Ausstellungstätigkeit fort. So war sie seit 1931 regelmäßig auf den jährlichen Kunstausstellungen des Königsberger Kunstvereins vertreten. Auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten reagierte das Ehepaar mit einem Rückzug in die „innere Migration“. 1933 wurde die Künstlerin Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste, was unumgänglich war, wollte sie im NS-Staat weiterhin öffentlich künstlerisch tätig bleiben. Worringer verlor schließlich dennoch ihr Atelier. Während sie im Privaten weiter arbeitete, publizierte ihr oft von Selbstzweifeln geplagter Ehemann bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs keinen einzigen Text, behielt dennoch seinen Lehrstuhl.
Im Mai 1934 erlitten die Worringers einen schweren Schicksalsschlag, als die älteste Tochter Brigitte, die Assistenzärztin war, in Berlin-Charlottenburg an einer Scharlachinfektion starb. Die Künstlerin verfiel danach in eine langandauernde Depression, während der sie sich ihrem katholischen Glauben zuwandte. Durch den Zweiten Weltkrieg zunehmend politisiert, näherte sie sich in folgenden Jahren dem Linkskatholizismus an, was Reibungen mit ihrem areligiösen Ehemann verursachte. Der Krieg führte indessen dazu, dass die Künstlerin sich zunehmend mit Todesgedanken plagte. Im August 1944 floh das Ehepaar zur Tochter Renate nach Berlin, wobei ein Großteil von Worringers Werk verloren ging. In der Hauptstadt nahm sie im Laufe der nächsten Monate ihre künstlerische Arbeit wieder auf. Nach Kriegsende wurde die Malerin im Oktober 1945 Mitglied in der „Kammer der Kunstschaffenden“. Bereits im Dezember des Jahres hatte sie durch die Teilnahme an einer Kunstschau in Berlin-Reinickendorf auch ihre Ausstellungstätigkeit wieder aufgenommen.
Nach der entbehrungsreichen Zeit in Berlin erhielt Wilhelm Worringer für das Wintersemester 1946/1947 eine Professur an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale, wozu das Ehepaar im Oktober 1946 in die Händelstadt zog. Marta Worringer stand hier wieder ein eigenes Atelier zur Verfügung. 1949 konnte sie auch am neuen Wohnort ihr Werk in der „Kunstausstellung Sachsen-Anhalt“ der Öffentlichkeit präsentieren. Der politische Druck auf Wilhelm Worringer führte jedoch wenig später dazu, dass das Paar 1950 die DDR Richtung München verließ. Dort wohnten die Worringers bis 1954 bei ihren Jugendfreunden Agnes und Alfred Forell. Danach bezog das Paar eine eigene Wohnung am Heidelberger Platz, in der Nähe ihrer jüngsten Tochter Lucinde. Während Wilhelm Worringers Arbeitswille nach der Übersiedlung nicht zuletzt aufgrund einer Trigeminus-Neuralgie zunehmend zum Erliegen kam, war Martas künstlerischer Arbeitseifer bis kurz vor ihrem Tod ungebrochen. In diesen letzten Jahren entstanden vor allem Zeichnungen und Stickarbeiten, unter anderem mit ihren bereits bekannten Frauenbildnissen, Märchendarstellungen und Selbstportraits. Die Pension Wilhelm Worringers und die Entschädigung, die Marta für das zerstörte Elternhaus in Köln erhalten hatte, sicherten in dieser Zeit das Einkommen des Paars und ermöglichten Reisen an den Rhein, nach Italien und Königsstein im Taunus, wo die Familie der Tochter Renate inzwischen lebte.
Nur wenige Monate nach dem Tod ihres Ehemanns Wilhelm am 29.3.1965 starb Marta Worringer am 27.10.1965 in München an Herzversagen.
Werkverzeichnis
Marta Worringer. »meiner Arbeit mehr denn je verfallen«. Mit einem Werkverzeichnis. Ausstellungskatalog, hg. vom Verein August Macke Haus e.V., Bonn 2001.
Literatur
Grebing, Helga, Die Worringers. Bildungsbürgerlichkeit als Lebenssinn. Wilhelm und Marta Worringer (1881-1965), Berlin 2004.
Münster, Anke, Marta Worringer, in: Rheinische Expressionistinnen. Trude Brück, Lisa Hartlieb-Rilke, Fifi Kreutzer, Marie von Malachowski, Olga Oppenheimer, Lotte B. Prechner, Marta Worringer, hg. vom Verein August Macke Haus e.V., Bonn 1993, S. 140-159.
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Pesch, Martin, Marta Worringer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/marta-worringer/DE-2086/lido/5bc72c322bb714.92293685 (abgerufen am 05.12.2024)