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Martin Peudargent, geprägt durch die reiche Musikkultur der Niederlande zwischen Spätmittelalter und Renaissance, stand nahezu vier Jahrzehnte in den Diensten Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg (1516–1592).
Der Musiker und Komponist Martin Peudargent stammte aus Huy in den südlichen Niederlanden. Er dürfte um 1525/1530 geboren worden sein. Die Stadt Huy lag damals im Fürstbistum Lüttich. Es ist also vorstellbar, dass Martin für seine Ausbildung nach Lüttich ging. Als Musiker nachweisbar ist er erstmals 1553 mit einem Chanson, das in einem Musikdruck aus Leuven enthalten ist. Mit dem Motettendruck Liber Primus sacrarum cantionum quinque vocum, quae vulgo Moteta vocantur aus dem Jahr 1555 ist er dann am jülich-klevischen Hof als Musiker belegt: M. Martino Peudargent, Illustrißimi Ducis Iuliae, Cliviae, Bergiae etc. Musico. In einer Dorsalnotiz zu einer Urkunde vom 2.11.1532, die sich ehemals im Klever Stiftsarchiv befunden hat, erscheint er als magistri Martin Peudargent. Der Eintrag selbst stammt aber sicherlich nicht aus dem Jahr 1532. Tatsächlich ist Peudargent nach den Stiftsrechnungen erst ab dem Rechnungsjahr 1573/1574 in Kleve nachweisbar. Er besaß ein Haus ahn den Kerckberg (heute Eckhaus Kloppberg/Große Straße). Wann Peudargent in den Dienst des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg trat, ist leider nicht belegt. Vermutlich war er seit den späten 1540er Jahren für Wilhelm V. tätig. Hierfür spricht der Umstand, dass eine zweite, ebenfalls 1555 erschienene Motettensammlung ein Stück enthält, das anlässlich der Geburt beziehungsweise Taufe der ersten Tochter des Herzogs, Maria Eleonore (1550–1608), komponiert wurde: In laudem Mariae Leonorae Guilielmi Ducis Clivensis, Juliacensis, Bergen etc. Primogenitae. Dieses dürfte bei der prächtigen Tauffeierlichkeit am 9.6.1555 – Taufpaten waren die Schwestern Kaiser Karls V. (1500–1558), Maria von Ungarn (1505–1558) und Eleonore von Frankreich (1498–1558), sowie der Kölner Erzbischof Adolf von Schaumburg (1511–1556) – erklungen sein. In zwei weiteren Motetten der Sammlung wird die Geburt des Thronfolgers Karl Friedrich (1555–1575) besungen.
Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg werden mehrere Wahlsprüche zugeordnet. Der bekannteste ist In Deo spes mea – In Gott ist meine Zuversicht. Ein weiteres Motto, das schon Cicero kannte und das auch Erasmus von Rotterdam (1466-1536) in seiner Sprichwörtersammlung „Adagia“ erörtert, findet sich in Griechisch auf der dritten Auflage des bekannten Kupferstichporträts von Heinrich Aldegrever (1502–1555/1561): Sparta ist dir zugefallen, nun versuche, es zu gestalten! Diesen Leitspruch hat Konrad Heresbach (1496–1576), der Erzieher Herzog Wilhelms V., seinem 1570 erschienenen Buch „Über die Erziehung und Bildung der Fürstenkinder“ vorangestellt. Er wendet sich damit an den Erbprinzen Karl Friedrich: Dem Blut nach bist Du zum Herrscher geboren, von den Großvätern, Urgroßvätern und den Ururgroßvätern her, Fürsten, und schon von Kind an musste es für dich von Vorteil sein, die Tugenden solcher Vorfahren aufzugreifen, damit du schließlich das Sparta, das der Herrgott für Dich vorgesehen hat, mit Würde und zum Nutzen des Staates ausstatten kannst. Dieses Thema greift der zweite Teil der neunten Motette, eine der Staats- beziehungsweise Huldigungsmotetten der Sammlung, auf: Spartam praecipue partam, quo pulchrius ornes. Dabei wird dieses Sprichwort mit dem Hinweis auf Marcus Annaeus Lucanus (39 n. Chr.–65 n. Chr.) und der folgenden, von ihm populär gemachten Redewendung verbunden: Semper nocuit differre paratis (Bellum civile I. 281; ursprünglich auf Caesars Heer am Rubicon bezogen: Zögern bringt nun nichts mehr! Schließlich sind alle Vorbereitungen getroffen. Dann allgemeingültig: Wenn alle Vorbereitungen getroffen sind, hat Zögern noch immer geschadet.). Es ist gut vorstellbar, dass solche Texte von einem der humanistisch gebildeten Räte des Herzogs verfasst wurden, womit das gelehrte Netzwerk am jülich-klevischen Hof greifbar wird, zu dem auch Peudargent zählte.
Im Jahr 1556 folgte schließlich der dritte Band der von Peudargent herausgegebenen Motettensammlungen, der überwiegend Stücke anderer zeitgenössischer Komponisten enthält. Für das erste Motettenbuch Peudargents hatte Paulus Chimarrhaeus (1513–1563) ein Widmungsgedicht für Herzog Wilhelm V. beigesteuert. Johannes Oridryus (um 1515–1590) hatte zudem ein Lobgedicht auf Peudargent verfasst, das hier ebenfalls zum Abdruck kam: AD AUTOREM. Joannes Oridryus./Cedat Nunc Orpheus, Thymbraeus cedat Apollo,/Arcadas oblectet Pan deus ipse suos,/Tu nobis Orpheus, Linus, Thaemirasque,/Nostra tuum recreet pectora dulce melos,/Nomen ab argento modico nunc geris olim/Aut cum erit dabit hoc Musica dia tibi. (Verkürzte Übersetzung: Johannes Oridryus an den Autor! Alle großen Dichter und Sänger können sich zurückziehen oder in kleinem Kreis die Herzen erfreuen! Du bist für uns nun der allergrößte Sänger. In Zukunft soll nur noch deine honigsüße Melodie unsere Herzen erfreuen! Einen silbern klingenden Namen trägst du nun oder deine göttliche Musik wird dir mit diesem Lied einen solchen geben!). Oridryus war von 1556 bis 1572 Lehrer für Latein und Musik an der Partikular-Schule in Düsseldorf. 1557 gab er einen Musiktraktat heraus, bei dessen Bearbeitung ihm der Herzogliche Musiker Peudargent behilflich war. Peudargent wiederum veröffentlichte als Magister Musicus 1561 bei Oridryus und Buysius (Albert Buys; ab 1558 in Düsseldorf nachweisbar) eine weitere Sammlung, diesmal von Chansons, die auch einige Werke anderer Komponisten enthält. Es sind dies Stücke von Josquin Baston (um 1515–um 1576), Pierre de Manchicourt (um 1510–1564), Joannes Petit de Latre (um 1505–1569) und Jacobus Clemens non Papa (um 1510/1515–um 1555). 1575 ist die Teilnahme Peudargents bei einem Gottesdienst in der Kirche St. Anna in Düren belegt. Zehn Jahre später war er verantwortlich für die musikalische Gestaltung der Hochzeit Jungherzog Johann Wilhelms von Jülich-Kleve-Berg (1562–1609) mit der Markgräfin Jakobe von Baden (1558–1597) in Düsseldorf.
Eine wichtige Quelle für die Musikkultur am jülich-klevischen Hof ist die zeitgenössische Festbeschreibung dieses Ereignisses durch den Landschreiber Dietrich Graminäus (1530–1593), ausgestattet mit Radierungen von Franz Hogenberg (1538–1590), die 1587 im Druck in Köln erschien. Das Hochzeitsbankett am 16.6.1585 fand im großen Festsaal des Düsseldorfer Schlosses statt. Hierzu heißt es bei Graminäus: Auch ist bey wehrender Fürstlicher Mahlzeit von allen Instrumentisten und Fürstlichen Musicis/so etliche auch auß frembden örtern zu dem Hochzeitlichen Ehrenfest beschrieben und beruffen/so lieblich und künstig gedienet/das solches verwunderung gehabt/und menniglich gar genehm und lüstig anzuhören gewesen. Auf mehreren der Radierungen sind Musiker wiedergegeben; so erkennt man beispielsweise eine Gruppe Trompeter, deren Signale den zeremoniellen Ablauf der Feierlichkeiten strukturierten – eine Aufgabe, die sie auch im Alltag wahrnahmen. Daneben fällt auf den Darstellungen des Festbankettes und des anschließenden Tanzvergnügens eine weitere Gruppe Musiker auf. Hierbei handelt es sich um den am Virginal sitzenden Martin Peudargent, der von Instrumentalisten und Sängern umringt wird. Auf der Ansicht des Bankettes scharen sich um Peudargent sechs Sänger, darunter Adamus de Ponta (Lebensdaten unbekannt) aus Lüttich mit seinen zwey Jungen (Sängerknaben), und fünf Instrumentalisten; auf der des anschließenden Tanzes vier Sänger und sechs Instrumentalisten. An Instrumenten sind unter anderem eine Laute, zwei Geigen und ein Zink auszumachen. Die Sänger halten Stimmbücher in ihren Händen. Damit zeigte sich der jülich-klevische Hof auf der Höhe der Zeit, spielten doch Streichinstrumente erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Rolle an fürstlichen Höfen.
Einem besonderen Höhepunkt strebten die Feierlichkeiten am dritten Tag zu: Vor den Toren Düsseldorfs war ein Turnierrund errichtet worden. Das erste Reitturnier wurde nach dem festlichen Einzug der Teilnehmer eingeleitet von einer opernhaften Aufführung, der für den deutschsprachigen Raum ersten belegten. Hierfür hatte man einen künstlichen Berg geschaffen, der in der Hochzeitsbeschreibung von Graminäus in einer eigenen Radierung wiedergegeben ist. Das Singspiel erzählte die Geschichte der Sänger Orpheus und Amphion. Die Lyra-Klänge des Orpheus besänftigten alle wilden Tiere und brachten sie zum Tanzen, der Gesang des Amphion ließ Felsen einstürzen, die sich zu den die Stadt Theben schützenden Mauern und Türmen zusammenfügten. Zwei Jünglinge füllten die Rollen der beiden göttlichen Sänger nach Graminäus so gut aus, dass man glauben konnte, das himmlische Paradies habe sich geöffnet: Also dass es denselben/so dazumahl nit zugegen gewesen/und solchen Musicum concertum & Symphoniam gehört haben/onmüglich zu glauben. Während Angaben zum Komponisten fehlen, teilt Graminäus die Namen der aufführenden Musiker mit, darunter Martin Peudargent als Sangmeister. Die Aufführung war selbstredend symbolisch zu verstehen. Orpheus und Amphion standen dabei für den Regenten, der die Welt in einen Zustand der Harmonie führt.
Das über alle Maßen prächtige Fest verschärfte die finanzielle Schieflage der jülich-klevischen Hofhaltung nachhaltig. Dies bekamen die Hofmusiker zu spüren. In einer Supplik vom 5.7.1587 an den Herzog beklagt Peudargent die Kürzung seiner Zuwendungen, die es ihm nun nicht mehr erlaubten, für den Lebensunterhalt seiner Familie (weib vnnd kindter) zu sorgen. Schon sein Familien- beziehungsweise Rufname ist eine Anspielung auf die finanziell prekäre Situation von Künstlern: wenig Silber. Peudargent verweist in seiner Supplik auf die lange Zeit, die er dem Herzog gedient habe und während der er blind geworden sei. In der Jülicher Landrentmeisterrechnung von 1587 erscheint er als Sang-Mr Mertin van Hoya (Huy). Die Hofordnung vom 7.12.1589 führt ihn noch auf, die von 1594 jedoch nicht mehr. In der Zeit dazwischen dürfte Peudargent demnach verstorben sein.
Aus musikwissenschaftlicher Sicht kann Martin Peudargent nach Martin Lubenow wie folgt bewertet werden: Seine Kompositionen „sind durchgängig im strengen Stil der niederländischen Vokalpolyphonie geschrieben. Ein musikalischer Gedanke wird in allen Stimmen imitatorisch behandelt, darauf folgt der nächste Abschnitt in derselben Technik. Durch die einstimmige liturgische Praxis waren diese Melodien natürlich sowohl den Ausführenden als auch den Zuhörenden hinlänglich bekannt. Bemerkenswert ist auch, dass die globalen Tonumfänge seiner Kompositionen häufig sehr eng sind, also hoch liegende Bässe und tiefliegende Sopranstimmen, womit er sich auch kompositionstechnisch als Meister der ‚Alten Schule‘ zeigt.“ Insgesamt steht Martin Peudargent für den gemeinsamen niederländisch-niederrheinischen Kulturraum in Spätmittelalter und Früher Neuzeit sowie die Verwurzelung der jülich-klevischen Hofkultur in eben diesen. Das von der Wittelsbacher Nebenlinie Pfalz-Neuburg nach 1609 in Düsseldorf etablierte Hofleben hatte dagegen dann ein ganz anderes, barockes Gepräge.
Werke
LIBER PRIMVS Sacrarum Cantionum quinque vocum, quae vulgo Moteta vocantur, Düsseldorf 1555.
LIBER SECVNDVS Sacrarum Cantionum quinque vocum, quae vulgo Moteta vocantur, Düsseldorf 1555.
LIBER TERTIVS Sacrarvm Cantionum diversorum autorum quatuor, cinque, et sex vocum, Düsseldorf 1556.
NOVI PRORSVS ET ELEGANTIS LIBRI MVSICI: IN QUO CONTINENTUR PARTIM SVAVISSIMA (VT VOCANT), Düsseldorf 1561 (nur Bass-Stimmbuch bekannt).
Quellen
Lubenow, Martin (Bearb.), Martin Peudargent. Musiker und Komponist am jülich-klevischen Hof. Gesamtausgabe, Jülich/Germersheim 2006.
Rabaskadol, Fritz Heller, Capella '92 u. Gerben van der Veen, Martin Peudargent. Music at the court of duke Wilhelm V of Jülich-Kleve-Berg, [Joure:] Aliud Records 2007 (Audio-CD).
Literatur
Büren, Guido von, Der Hof Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg und die Musik, in: Rhein-Maas. Geschichte, Sprache und Kultur 7 (2017), S. 53–81.
Lubenow, Martin, Musik am Hof Wilhelms V., in: Büren, Guido von/Fuchs, Ralf-Peter/Mölich, Georg (Hg.), Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit, 2. Auflage, Bielefeld 2020, S. 371–381.
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von Büren, Guido, Martin Peudargent, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/martin-peudargent-/DE-2086/lido/61823ce1c27ff4.30984287 (abgerufen am 09.12.2024)