Zu den Kapiteln
Mathilde stand der Frauenkommunität Essen von 971/973 bis 1011 vor. Sie war verantwortlich für den Neubau des Westbaus der Essener Stiftskirche, des heutigen Doms, und schenkte bedeutende Kunstwerke wie das sogenannte Otto-Mathilden-Kreuz, die Goldene Madonna und den Siebenarmigen Leuchter, die heute noch im Besitz des Essener Domschatzes sind.
Mathilde wurde als ältestes Kind Liudolfs (930-957), des ältesten Sohnes und Thronanwärters Ottos des Großen (Regierungszeit 936-973), und der Ida von Schwaben (922/934-986) im Jahr 949 geboren. Ihr jüngerer Bruder Otto kam 954 zur Welt. Nach einem Aufstand Liudolfs und weiterer Rivalen gegen seinen Vater Otto wurde er 954 wieder in Gnaden aufgenommen. Bei einem Italienzug, bei dem er die Autorität Ottos wiederherstellte, starb Liudolf 957. Vermutlich schon zu dieser Zeit wurde Mathilde zur Erziehung in ein Frauenstift gegeben, wie es in der Herrscherfamilie üblich war. Urkundlich greifbar wird sie allerdings erst 966, als Otto I. einen Hof in Ehrenzell dem Essener Frauenstift schenkte.[1] Diesen Hof hatte er zuvor auf Bitten seines Sohnes seiner Enkelin Mathilde vermacht.
Vermutlich geschah die Schenkung an das Stift im Zusammenhang mit der Aufnahme Mathildes in Essen. Am 23.7.973 bestätigt Otto II. (Regierungszeit bis 983), nach dem Tod Ottos des Großen im Mai alleiniger Herrscher, seiner Nichte, der Äbtissin Mathilde, die Rechte des Stiftes Essen.[2] Spätestens im Alter von 24 Jahren war Mathilde also Vorsteherin der Essener Frauenkommunität. Da ihre Vorgängerin Ida laut einem frühneuzeitlichen Äbtissinnenkatalog 971 gestorben sein soll, kann der Beginn von Mathildes Abbatiat auch um zwei Jahre früher im Jahr 971 angesetzt werden.
Dass Frauen aus dem ottonischen Herrscherhaus mit der Leitung eines der Hausstifte, neben Essen auch Gandersheim und Quedlinburg, betraut wurden, war keine Besonderheit. Schon 966 war Mathilde (955-999), Tochter Ottos des Großen, mit der Leitung des Quedlinburger Stifts beauftragt worden. Ihre Nachfolgerin wurde ihre Nichte Adelheid (977-1044), Tochter Ottos II. Adelheids jüngere Schwester Sophia (um 975-1039) leitete das Gandersheimer Stift und übernahm später auch die Leitung des Essener Stifts.
Hauptaufgabe der Frauenkommunitäten war das Gebetsgedenken für die lebenden und verstorbenen Mitglieder des Herrscherhauses. Dennoch waren die weiblichen Mitglieder der Herrscherfamilie nach der Übernahme des Abbatiats nicht aus dem weltlichen Machtgefüge herausgenommen. Ein monastisches, zurückgezogenes Leben lässt sich nicht nachweisen. So wird Mathilde als Zeugin oder Bittstellerin in mehreren ottonischen Urkunden erwähnt, die in Aachen, Dortmund, Heiligenstadt oder Nimwegen ausgestellt wurden.
Dreimal ließ sie sich vom jeweils neuen König das Wahlrecht, den Besitz und die Immunität ihres Stiftes bestätigen. Ob sie dies aufgrund oder trotz ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen tat, ist heute nicht mehr auszumachen. Für diese Eingaben scheint sie zu den Hoftagen Ottos III. (Regierungszeit 983-1002) gereist zu sein. Im Jahr 982 war sie gemeinsam mit ihrer Mutter Ida bei der Beisetzung ihres früh verstorbenen Bruders Otto von Schwaben in Aschaffenburg. Die schwäbische Linie der Ottonen erlosch mit seinem Tod, das Erbe fiel an Mathilde als letzte Vertreterin der Familie. Die ihr dadurch zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel scheint sie für die weiter unten aufgeführten Schenkungen genutzt zu haben. Eine letzte urkundliche Erwähnung fand Mathilde in dem 1003 von Heinrich II. (Regierungszeit 1002-1024) ausgestellten Diplom, in dem sie sich zum dritten Mal die Rechte und den Besitz des Essener Stiftes bestätigen ließ. Heinrich ließ vermutlich eine Münze schlagen, auf deren Titelseite er als REX HENRICUS angegeben ist. Auf der Rückseite steht der Namenszug MAHTHILD ABBATISSA A()NI_DENSI, eine ungewöhnliche öffentliche Wertschätzung der Äbtissin. Außer dieser Münze sind nur drei weitere Münzfunde mit Frauennamen aus dieser Zeit in Europa und Byzanz bekannt. Weitere Quellen gibt es zu Mathilde nicht mehr. Sie starb am 5.11.1011 und wurde nach heutigem Forschungsstand in der Essener Münsterkirche begraben.
Ihre zweite Nachfolgerin, die Äbtissin Theophanu, Enkelin Ottos II., hat die Krypta unter dem Chor der Stiftskirche wahrscheinlich auch als Grablege für Mathilde ausführen lassen. Der Todestag Mathildes ist im Essener Nekrolog vom Ende des 13. Jahrhunderts erwähnt, Ende des 14. Jahrhunderts wird sie im Essener Liber Ordinarius als „Mater ecclesie“, als Mutter unserer Kirche, bezeichnet. Die Erinnerung an sie ist in Essen bis auf den heutigen Tag lebendig.
Mathildes nahezu 40 Jahre währende Amtszeit wurde zur ersten und einer der wichtigsten Blütezeiten des Essener Frauenstifts. Ist die schriftliche Überlieferung auch eher spärlich, so hat sich Mathilde als Schenkerin bedeutender Schatzstücke hervorgetan, die bis heute zu den berühmtesten Kunstwerken der ottonischen Goldschmiedekunst und zum Bestand der Essener Domschatzkammer gehören. Mathilde erwies sich auch als Bauherrin, die die Essener Stiftskirche St. Cosmas und Damian renovierte und erweiterte.
Neuere Bauforschungen haben ergeben, dass Mathilde die in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts errichtete dreischiffige Basilika mit Westbau mit einer neuen Dreiturmanlage im Westen ausbauen ließ. Das mit seinem achteckigen Mittelturm und zwei flankierenden Treppentürmen repräsentativ und monumental ausgestaltete Bauteil entspricht außen der typischen Dreiteilung der ottonischen Westbauten. Innen kopieren drei zweizonige Wandaufbauten das Oktogon der Aachener Marienstiftskirche, des heutigen Doms. Aber nicht der gesamte Aachener Zentralbau wird hier kopiert, sondern nur drei Achtel des Oktogons, so dass sich der Essener Westbau zur Kirche hin öffnet. Mit diesem Bauzitat erinnerte Mathilde an die Kaiserherrschaft Karls des Großen und an die Reichsidee ihres jungen Vetters Ottos III. Sie stellte damit gleichsam das Essener Münster in die Reihe herrschaftlicher Bauten und demonstrierte, wie auch die Diplome zeigen, Herrschernähe. Der ottonische Westbau ist heute der älteste Teil der Münsterkirche. Da die Kirche zur Zeit seiner Errichtung noch keinen Frauenchor besaß, wird vermutet, dass auf dem Westchor die Äbtissin und die Stiftsfrauen der heiligen Messe beiwohnten und möglicherweise auch das gemeinsame Stundengebet hier gebetet wurde.
Das Otto-Mathilden-Kreuz genannte Vortragekreuz zeigt auf einer kleinen Emailplatte Mathilde und ihren Bruder Otto in höfischer Tracht, die gemeinsam den Schaft eines Kreuzes halten. Ihre Namenszusätze weisen sie als Äbtissin und Herzog aus. Genauso selbstbewusst ist die aufrechte Haltung der Geschwister, die von anderen Bildern mit knienden und demütigen Stiftern stark abweicht. Heute wird angenommen, dass Mathilde das Kreuz nach dem Tod Ottos 983 als Memorialgabe anfertigen ließ. Das Kreuz, stilistisch verwandt mit dem Lotharkreuz in Aachen, hatte großen Einfluss auf die Form der drei weiteren Essener Kreuze, die in den folgenden 70 Jahren entstanden. Doch das Otto-Mathilden-Kreuz ist nicht nur das älteste erhaltene Beispiel eines Gemmenkreuzes in Verbindung mit einem Kruzifixus, seine Emails sind auch die besten der ottonischen Zeit. Sie stammen aus der Trierer Egbert-Werkstatt. Unbekannt ist hingegen, wo das gesamte Kreuz entstanden ist.
Ebenfalls mit Mathildes Namen gekennzeichnet und deshalb bewusst mit ihrem Gebetsgedenken verknüpft ist der Essener Siebenarmige Leuchter, der das älteste erhaltene Exemplar seiner Art ist. Die lateinische Inschrift am unteren Leuchterstamm lautet Mahthild abbatissa me fieri iussit et Christo consecravit (Die Äbtissin Mathilde ließ mich anfertigen und Christus weihen). Er gilt als eines der herausragenden Werke mittelalterlichen Bronzegusses. Einige seiner Ornamente wie mit Getier bevölkerte Spiralranken erinnern an die Scheide des Essener Schwertes, das zur Zeit der Äbtissin Mathilde vermutlich als Geschenk in das Essener Stift gelangte. Die hohe Qualität der Waffe, die über rund zwei Jahrzehnte im Kampf eingesetzt war, bringt sie mit dem ottonischen Herrscherhaus in Verbindung. Eine Schenkung an ein Stift, dem ein Familienmitglied vorstand, möglicherweise auch aus Gründen der Memoria, wäre nicht unwahrscheinlich. Die Klinge wurde schon um 950 gefertigt, die Prunkscheide erst später nach der Aufnahme in den Stiftsschatz. Ob die Treibarbeiten im dünnen Goldblech der Scheide den Bronzeguss des Leuchters beeinflussten oder umgekehrt, muss offen bleiben, die Entsprechung ist jedoch evident.
Zur Zeit der Äbtissin Mathilde wurde auch eine vollplastische goldene Marienfigur geschaffen, die heute „Goldene Madonna“ genannt wird. Als älteste Marienplastik der Welt ist sie das bedeutendste Kunstwerk des Essener Schatzes wie des gesamten Ruhrgebiets. Im liturgischen Leben des Frauenstifts wurde sie in verschiedenen Prozessionen mitgeführt. Wer die Goldene Madonna geschaffen hat und ob es im Auftrag der Mathilde geschah, ist unbekannt. Doch ist das Bildwerk mit dem Gerokreuz im Kölner Dom und der heiligen Fides im Schatz von Conques eine der wenigen Großplastiken, die sich aus der Zeit vor der Jahrtausendwende in Europa erhalten haben.
Reliquien waren der eigentliche Schatz der Frauenkommunität. Allein 15 Bleireliquiare aus dem 10. und 11. Jahrhundert zeugen im Essener Domschatz von dieser religiösen Praxis. Mathilde ließ auch einen Reliquienschrein anfertigen, den sogenannten Marsusschrein, der bei der Flucht vor den Franzosen 1794 unfachgemäß zerlegt und später eingeschmolzen wurde. Der aus Goldblech bestehende und mit Gemmen, Perlen und Emails geschmückte Schrein war einer der frühen rheinischen Großschreine. Drei Inschriften an diesem Schrein belegten Mathilde als Stifterin beziehungsweise Auftraggeberin.[3] Neben der Aufbewahrung und Verehrung von Reliquien der Heiligen Marsus, Liuttrudis, der Stiftspatrone Cosmas und Damian und weiterer Heiliger sollte er nach einer der Inschriften auch der Seele Ottos ein ehrendes Andenken bieten. Wenn mit Otto Otto II. gemeint war, dann wäre der Marsusschrein eine Memorialstiftung der ottonischen Familie für den in Rom gestorbenen und beerdigten Herrscher gewesen und damit das von Mathilde geleitete Stift als herausragender Memorialort nördlich der Alpen gedacht gewesen.
Doch nicht nur Schatzstücke gehen auf Äbtissin Mathilde zurück. Sie gab in England bei einem gewissen Æthelweard, ealdorman der westlichen Provinzen, eine Chronik in Auftrag, die die Geschichte ihrer angelsächsischen Vorfahren zum Inhalt hat. Denn Mathilde ist die Urenkelin König Alfreds des Großen (Regierungszeit 871/886-899). Æthelweard, ein Verwandter Mathildes, widmet ihr in der Vorrede die Chronik und erwähnt sie als „begabte und wahre Dienerin Gottes“ in den Prologen der vier Bücher. 18 nach einem Brand stark verkohlte Blätter einer Abschrift aus dem 11. Jahrhundert befinden sich heute in der British Library in London.
Der Auftrag für die Æthelweard-Chronik wie auch die Schatzstücke zeugen von Mathildes Bemühen, die Memoria für ihrer Familie wie auch für sich selbst zu sichern, ein Bemühen, das bis zum heutigen Tag Erfolg hatte.
Quellen
Ungedruckte Quellen
Aschaffenburger Evangeliar, Aschaffenburger Stiftsbibliothek, Ms. Perg. 37, fol. 2*r.
Æthelweard-Chronik, Cotton Manuscripts, Otho A.I-E.XIV, Otho A.x. und Otho A.xii., British Library, London (früher im British Museum).
Liber Ordinarius, Domschatz Essen, Hs 19.
Gedruckte Quellen
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_ MGH Poetae V: Die Ottonenzeit, Teil 1 u. 2, 1937-1939, Nachdruck 1978.
Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Treverensi, ed. Friedrich Kurze, Hannover 1890 (MGH SS rer. Germ. 50).
Hiltrop, Wirich, Catalogus abbatissarum regalis ecclesie Assindensis, in: Seibertz, Johann Suibert (Hg.), Quellen der westfälischen Geschichte, Band 2, Arnsberg 1860, S. 455-460.
Schilp, Thomas (Bearb.), Essener Urkundenbuch. Regesten der Urkunden des Frauenstifts Essen im Mittelalter, Band 1: Von der Gründung um 850 bis 1350, Düsseldorf 2010.
Literatur
Beuckers, Klaus Gereon, Der Essener Marsusschrein. Untersuchungen zu einem verlorenen Hauptwerk der ottonischen Goldschmiedekunst, Münster 2006.
Beuckers, Klaus Gereon, Otto-Mathilden-Kreuz, in: Falk, Birgitta (Hg.), Der Essener Domschatz, Essen 2009, S. 64-65.
Falk, Birgitta/von Hülsen-Esch, Andrea (Hg.), Mathilde – Glanzzeit des Essener Frauenstifts, Essen 2011.
Falk, Birgitta, Goldene Madonna, in: Falk, Birgitta (Hg.), Der Essener Domschatz, Essen 2009, S. 62-63.
Falk, Birgitta, Essener Schwert, in: Falk, Birgitta (Hg.), Der Essener Domschatz, Essen 2009, S. 68-69.
Falk, Birgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hg.), "Wie das Gold den Augen leuchtet ..." Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007.
Germes-Dohmen, Ina, Siebenarmiger Leuchter, in: Falk, Birgitta (Hg.), Der Essener Domschatz, Essen 2009, S. 66-67.
Hermann, Sonja (Bearb.), Die Inschriften der Stadt Essen, Wiesbaden 2011, S. 13-14, 17–26.
Lange, Klaus, Die Krypta der Essener Stiftskirche, in: Gerchow, Jan/Schilp, Thomas (Hg.), Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter, Essen 2003, S. 161–183.
Lange, Klaus, St. Cosmas und Damian zu Essen. Ein Plädoyer für eine neue Sicht der älteren Baugeschichte, in: Berghaus, Günter/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hg.), Herrschaft, Bildung und Gebet, Essen 2000, S. 43–57.
Schilp, Thomas, Artikel „Essen, Stift“, in: Nordrheinisches Klosterbuch, hg. v. Manfred Groten [u.a.], Band 2, Siegburg 2012, S. 296-319.
Online
Freise, Eckhard, Mathilde, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 374f. [Online]
1000 Jahre Äbtissin Mathilde. [Online]
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Germes-Dohmen, Ina, Mathilde von Schwaben, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mathilde-von-schwaben/DE-2086/lido/57c9499b6215d2.00447883 (abgerufen am 03.12.2024)