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Maurus Wolter begründete die Benediktinerabtei Beuron und die Beuroner Benediktinerkongregation. Beiden stand er als erster Erzabt vor. Beuron entwickelte sich zu einer Keimzelle der benediktinischen Erneuerung im 19. Jahrhundert und gab wichtige Impulse für die Liturgische Bewegung. Mit seinen programmatischen Schriften legte er die Grundlagen für die kontemplative und liturgische Ausrichtung der Klöster und die Verfassung des Klosterverbands.
Rudolf Wolter, so der bürgerliche Name, wurde am 4.6.1825 in Bonn als drittes Kind des katholischen Lorenz Wolter (1796-1876) und seiner protestantischen Ehefrau Elisabeth Schuchart (1802-1856) aus Wetzlar geboren. Er wurde in der katholischen Stiftskirche getauft. Der Vater, ein Bierbrauer, hatte bei der ersten Stadterweiterung nach 1825 in Immobilien investiert. Dadurch finanziell unabhängig, konnte er sich ganz der Erziehung und Bildung seiner Kinder widmen. Rudolf Wolter wuchs mit elf Geschwistern auf, von denen fünf einen geistlichen Beruf wählten. Zwei Brüder wurden ebenfalls Benediktiner, Karl (1826-1859) und Ernst (1828-1908), später sein Nachfolger als Erzabt Placidus.
Rudolf, ein ernster und begabter Mensch, besuchte das Königliche Gymnasium in Bonn (heute Beethoven-Gymnasium). Nach dem Abitur studierte er ab 1844 Philologie, Philosophie und Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Wie sein Bruder Ernst gehörte er zum Freundeskreis um Pfarrer Wilhelm Reinkens (1811-1889) und den Priester und Philosophieprofessor Franz Peter Knoodt (1811-1889), der 1848 Rudolf Wolters Promotion an der Philosophischen Fakultät betreute. Knoodt brachte der Gruppe die damals von Neuscholastikern bekämpfte, 1857 von der römischen Indexkongregation verbotene Lehre Anton Günthers (1783-1863) nahe. Im Kern ging es dabei um eine Verbindung des katholischen Glaubens mit der modernen Philosophie. Ein einflussreicher Kontrahent war der Kölner Erzbischof Johannes von Geissel, der in der theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzung um die Ausrichtung der katholischen Kirche der neuscholastischen und ultramontanen Strömung angehörte.
1849 bezog Rudolf Wolter das Priesterseminar in Köln. Nach der Priesterweihe am 3.9.1850 trat er seine erste Stelle als Vikar und Rektor der neuen Allgemeinen höheren Stadtschule in Jülich an. Dort gründete er 1850 den ersten deutschen katholischen Arbeiterverein (Jülicher-Kranken-Arbeiter-Verein). 1852 legte er in Münster das von der Regierung geforderte Staatsexamen für das gymnasiale Lehramt ab. 1854 wurde er nach Aachen an die höhere Stiftsschule versetzt, wo schon sein Bruder Ernst unterrichtete. Die beiden teilten eine Wohnung, bis Ernst Wolter 1855 in die römische Benediktinerabtei St. Paul vor den Mauern eintrat. Deren Abt, auch Anhänger Günthers, verfolgte damals die Idee, in Rom deutsche Novizen für eine Klostergründung in Deutschland heranzubilden. Die Gebrüder Wolter und ihre Freunde nahmen dieses Vorhaben begeistert auf, beschäftigte sie doch seit der Studienzeit die Vorstellung von einer Erneuerung des religiösen Lebens mit Hilfe der Benediktiner.
Rudolf Wolter, der den Ordensnamen Maurus erhielt, begann sein Noviziat im November 1856 in Perugia. Am 15.11.1857 legte er in Rom Profess ab. Im Sommer 1859 hielt er sich zur Kur in Tivoli auf. Dort wurde er Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen (1817-1893) vorgestellt, die nach einem Giftanschlag auf ihr Leben gerade aus dem Noviziat des römischen Nonnenklosters Sant’Ambrogio geflohen war. Die Fürstin vertraute sich dem Mönch in der Beichte an. Dieser trug ihr auf, beim Heiligen Offizium Anzeige zu erstatten. Dadurch kam ein spektakuläres Inquisitionsverfahren in Gang.
1860 begleiteten Maurus und Placidus Wolter die Fürstin auf einer Pilgerfahrt nach Palästina. Sie trug sich schon länger mit dem Wunsch, ein Kloster zu stiften. Günstiger konnte die Konstellation für die Verwirklichung einer benediktinischen Gründung in Preußen, erstmals nach der Säkularisation, nicht sein. Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen förderte die Vision Maurus Wolters aus ihrem Vermögen und mit ihrem Einfluss in Kirche und Politik. In einer Privataudienz billigte Papst Pius IX. (1792-1878, Pontifikat 1846-1878) ihr Vorhaben. Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt prüften die Brüder im Herbst 1860 einige ehemalige Klöster in der preußischen Rheinprovinz, unter anderem Knechtsteden, Altenberg und Kamp. Im früheren Dominikanerkloster Materborn bei Kleve eröffneten sie im Februar 1861 eine Niederlassung. Diese Gründung konnte sich wegen des Widerstands des Ortsklerus und mangels bischöflicher Unterstützung nicht etablieren. 1862 finanzierte die Stifterin den Ankauf des ehemaligen Augustinerchorherrenstifts Beuron. Es lag im preußischen Regierungsbezirk Sigmaringen, der administrativ mit der Rheinprovinz verbunden war. Mit dem Erzbischof von Freiburg war die Gründung abgestimmt. Während die Ansiedlung in Beuron noch vorbereitet wurde, brachte Maurus Wolter im Herbst 1862 einen Novizen in die französische Benediktinerabtei Solesmes, wo dieser als Gast das vorgeschriebene Noviziat absolvierte. Die dortige Neubesinnung auf den Gregrorianischen Choral und Abt Prosper Guéranger (1805-1875) beeindruckten Maurus Wolter so tief, dass auch er für drei Monate blieb. Durch genaue Beobachtung und zahlreiche Gespräche mit Guéranger gelangte er zu einer neuen Vorstellung vom idealen monastischen Leben, bestimmt durch festliche Liturgie mit Choralgesang, Gemeinschaftsleben und Seelsorge. Für die deutsche Gründung strebte er nunmehr eine Trennung von der Abtei St. Paul vor den Mauern und der Cassinesischen Kongregation an. Pfingsten 1863 wurde das unabhängige Priorat Beuron unter Maurus Wolters Leitung feierlich eröffnet.
Während der Anfangsjahre legte er einige geistliche Schriften vor und erarbeitete die Verfassungstexte für die geplante Kongregation. 1868 wurde Beuron zur Abtei erhoben und Maurus Wolter zum ersten Abt geweiht. Bereits 1872 konnte er mit einigen Mönchen ein Tochterkloster im belgischen Maredsous begründen. 1874 gab er die dortige Leitung an seinen Bruder Placidus ab. Von der Durchführung des preußischen Gesetzes vom 31.5.1875 gegen alle katholischen Orden und Kongregationen, die nicht in der Krankenpflege tätig waren, war auch Beuron betroffen. Am 3.12.1875 musste das Kloster geschlossen werden. Maurus Wolter zog mit dem Großteil des Konvents nach Volders in Österreich. In Beuron sorgte Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen während der Abwesenheit des Konvents für die Verwaltung der Gebäude und Ländereien, bis die Mönche mit dem Abbau der Kulturkampfgesetze 1887 dorthin zurückkehren konnten. Abt Maurus widmete sich in den Jahren des Exils intensiv dem Schreiben: seine Hauptwerke sind ein mehrbändiger Psalmenkommentar und die Praecipua Elementa, in denen er zum Benediktsjubiläum 1880 seine Grundsätze des mönchischen Lebens darlegte. Mit seinen Veröffentlichungen wollte er nicht als Wissenschaftler hervortreten. Vielmehr schrieb er für den konkreten Gebrauch im kirchlichen Leben, schwerpunktmäßig zur Liturgie, zu deren vertiefterem Verständnis er beitragen wollte.
Da ein längeres Asyl in Volders nicht möglich war, gründete eine kleinere Gruppe in England die Abtei Erdington. Indes musste Abt Maurus für die größere Anzahl der Mönche eine andere Lösung finden. Gegen viele Bedenken, unter anderem seines Bruders Placidus, favorisierte er die Gründung eines Stadtklosters im Benediktinerstift Emaus in Prag. Die städtische Lage biete den Mönchen gute Möglichkeiten, sowohl in der Verkündigung als auch als Künstler und Wissenschaftler zu wirken. 1880 übernahmen die Beuroner das Prager Kloster. Der Konvent vergrößerte sich rasch, so dass 1883 eine weitere Gründung in Österreich-Ungarn, nämlich im steirischen Seckau möglich wurde. Nach der endgültigen Approbation seiner Konstitutionen wurde Maurus Wolter 1884 Erzabt der damit errichteten Beuroner Kongregation und nahm seinen Sitz in Seckau. In Prag setzte er den bisherigen Prior 1885 zum ersten Abt ein, um nicht zwei Häuser leiten zu müssen. 1887 gab er auch die Leitung von Seckau ab.
Mit dem Abbau der Kulturkampfgesetze durften die Orden seit Januar 1887 nach Preußen zurückkehren. Die Abtei Beuron wurde wieder eröffnet und Sitz des Erzabts sowie Tagungsort des jährlichen Generalkapitels der Kongregation. Anhaltende Differenzen zwischen Erzabt Maurus und der Stifterin führten zum Wegzug Katharinas von Hohenzollern-Sigmaringen im Juli 1890. Während des dritten Generalkapitels erkrankte Erzabt Maurus und starb am 8.7.1890 in Beuron. Er wurde in der Klosterkirche beigesetzt.
Werke (Auswahl)
Praecipua Ordinis monastici Elementa, e Regula Sancti Patris Benedicti adumbravit, testimoniis ornavit, Brügge 1880.
Psallite sapienter: „Psallieret weise!“, Erklärung der Psalmen im Geiste des betrachtenden Gebets und der Liturgie, Dem Clerus und Volk gewidmet, 5 Bde., 3. Auflage, Freiburg 1904-1907.
Literatur
Buschmann, Johanna, Beuroner Mönchtum, Studien zu Spiritualität, Verfassung und Lebensform der Beuroner Benediktinerkongregation von 1863 bis 1914, Münster 1994.
Schäfer, Cyrill (Hg.), Solesmes und Beuron, Briefe und Dokumente 1862 – 1914, St. Ottilien 2013.
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Ostrowitzki, Anja, Maurus (Rudolf) Wolter, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maurus-rudolf-wolter/DE-2086/lido/57c935c3eaa642.81273483 (abgerufen am 15.12.2024)