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Max von Oppenheims Lebensthema war der Vordere Orient. Als Archäologe, Ethnologe, Forschungsreisender und passionierter Sammler erkundete er diesen alten Kulturraum. Ihm, dem Autodidakten, gelangen dabei herausragende Forschungsleistungen. Bekannt ist er bis heute auch für sein Engagement in der deutschen Orientpolitik des Kaiserreichs.
Oppenheims Herkunft hatte diesen Lebensweg keineswegs vorgezeichnet. Er wurde am 15.7.1860 in die Kölner Bankiersfamilie Oppenheim hineingeboren. Sein Vater Albert Freiherr von Oppenheim (1834-1912) stand in dritter Generation an der Spitze von Sal. Oppenheim jr. & Cie., einer der bedeutendsten Privatbanken Deutschlands. Seine Mutter Paula geborene Engels (1837-1919) entstammte einem alten Kölner Patriziergeschlecht; ihren katholischen Glauben hatte Albert von Oppenheim vor der Eheschließung angenommen. Albert sah in dem begabten Sohn seinen natürlichen Nachfolger, aber dessen früh erwachtes Interesse am Orient durchkreuzte die Pläne der Eltern. Für Max stand schon als Teenager fest, dass er Forschungsreisender im Orient werden wollte. Erst nach Jahren zähen Kampfes gaben die Eltern ihn frei, nachdem er als Zeichen seines guten Willens ein Jurastudium absolviert hatte.
Es spricht für die Innigkeit und Belastbarkeit der familiären Beziehungen, dass die Eltern den Weg des Sohnes respektierten und seine Unternehmungen vorbehaltlos finanziell unterstützten. Dies gilt zunächst für eine große Orient-Forschungsreise, die im Winter 1892/1893 mit einem mehrmonatigen Aufenthalt in Kairo begann. Max von Oppenheim vervollkommnete seine Arabischkenntnisse und widmete sich Land und Leuten mit wachsender Empathie. Die eigentliche Expedition führte ihn durch die heutigen Staaten Libanon, Syrien und Irak. Hier begegnete er zum ersten Mal Beduinen, deren Freiheitsgefühl, Gastfreundschaft und archaisches Verständnis männlicher Tugenden ihn begeisterten. Damals begann er mit der wissenschaftlichen Erforschung ihrer Lebensweise, die ihn zu Erkenntnissen führen sollte, die bis heute gültig sind. Einige Jahre nach seiner Rückkehr veröffentlichte Oppenheim eine Beschreibung seiner Reise „Vom Mittelmeer zum Persischen Golf“; das Buch machte ihn weithin bekannt.
Außerdem beschäftigte Oppenheim die Planung seiner beruflichen Zukunft. Sein Traumziel war ein diplomatischer Posten im Orient. Adlige Herkunft, juristische Ausbildung, Sprachkenntnisse, Weltgewandtheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit empfahlen ihn dafür. Er hatte jedoch nicht mit dem tief verwurzelten Antisemitismus im Auswärtigen Amt gerechnet. Seine Bewerbung wurde mit Verweis auf seine jüdische Herkunft wiederholt abgelehnt. Erst die Intervention einflussreicher Freunde führte schließlich zur Aufnahme Oppenheims in den konsularischen Dienst, der allerdings als zweitrangig angesehen wurde.
Seine Zeit am deutschen Generalkonsulat in Kairo, dem er von 1896 bis 1909 zugeteilt war, beschrieb er später dennoch als die Glanzzeit seines Lebens. Dank der Geldmittel, die er von seinem Vater erhielt, pflegte er einen luxuriösen Lebensstil. Seine Villa, an der Grenze von arabischem und europäischem Viertel gelegen, wurde Schauplatz glanzvoller Feste, die ihn stadtbekannt machten. In einem für Fremde nicht zugänglichen Teil des Hauses hielten sich seine „Zeitfrauen“ auf, junge Ägypterinnen, die sein Leben teilten. Weniger zufriedenstellend verlief Oppenheims berufliche Karriere, die darunter litt, dass das Auswärtige Amt ihn ohne genauen Arbeitsauftrag nach Kairo entsandt hatte. Am Generalkonsulat blieb er daher ungeliebter Außenseiter. Immerhin war ihm erlaubt, direkt an den Reichskanzler zu berichten. Davon machte er ausgiebig Gebrauch: An die 500 Berichte gingen mit den Jahren nach Berlin, in denen Oppenheim seine Beobachtungen zur politischen Situation im Osmanischen Reich niederlegte.
Deutschland war nach der Reichsgründung von 1871 bestrebt, im Vorderen Orient größeren Einfluss auszuüben. Diese Politik unterstützte Oppenheim nachdrücklich. Ihm ging es im Wesentlichen darum, Deutschlands Einfluss durch Wirtschaftshilfe zu stärken. Und anders als die meisten anderen Europäer behandelte er die Einheimischen in jener Hochphase des Imperialismus mit Toleranz und Respekt. In der deutschen Regierung fanden seine Ideen kaum Widerhall. In Kairo jedoch erregten seine Gedanken, vor allem aber seine exzellenten Kontakte zur einheimischen Führungsschicht, das Misstrauen der Briten, die den umtriebigen Deutschen nicht einzuordnen wussten. Hauptziel der britischen Politik war die Sicherung ihrer imperialen Vorherrschaft, die sie stets bedroht sahen. So auch durch Oppenheim, den britische Stimmen zur größten Bedrohung des Empire stempelten. Zermürbt von den zahlreichen gegen ihn gerichteten Pressekampagnen, außerdem inzwischen davon überzeugt, dass die erstrebte Diplomatenkarriere ewiger Wunsch bleiben würde, quittierte er 1909 den Dienst.
Aber es winkte bereits eine neue Aufgabe. 1899 hatte Oppenheim während einer Reise durch das nördliche Mesopotamien auf einem Hügel namens Tell Halaf die Überreste einer antiken Stadt entdeckt. Nach seiner Demission aus dem auswärtigen Dienst holte er 1910 die Grabungserlaubnis beim türkischen Sultan ein. Nach intensiver Vorarbeit begann ein Jahr später seine wissenschaftliche Erkundung des Tell Halaf, für die er ein Expertenteam hatte gewinnen können. Die Grabung förderte sensationelle Funde aus der rund 3.000 Jahre alten aramäischen Stadt Guzana zutage, darunter das ehrfurchtgebietende Eingangstor des Westpalasts, ausdrucksvolle Großskulpturen und Bildreliefs. In tieferen Schichten fand Oppenheim die älteste damals bekannte bemalte Keramik, die aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. stammte.
1913 unterbrach Oppenheim seine Arbeiten. Noch bevor er seine Grabung wiederaufnehmen konnte, brach der Erste Weltkrieg aus. Der Vordere Orient spielte in den strategischen Planungen der deutschen Führung eine bedeutende Rolle, und so war nun die Expertise eines Oppenheim gefragt. Grundgedanke der deutschen Kriegsstrategie im Nahen Osten war die Destabilisierung Großbritanniens und Frankreichs durch Volksaufstände in jenen Kolonialgebieten, die von Muslimen bewohnt waren. Oppenheim erhielt den Auftrag, aus der Vielfalt der kursierenden Ideen eine Strategie zu formulieren. Ergebnis war seine „Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“, die er im Oktober 1914 vorlegte. Zur Umsetzung der Pläne wurde die zunächst von Oppenheim geleitete „Nachrichtenstelle für den Orient“ geschaffen, die entsprechendes Propagandamaterial zur Verbreitung im Orient herstellte. Die im Auswärtigen Amt angesiedelte Dienststelle litt unter konzeptionellen und personellen Schwächen und verfehlte die hochgesteckten Ziele. Dies erwies sich als symptomatisch für die gesamte Aufwiegelungsstrategie: Oppenheim und die deutsche Politik hatten die Bereitschaft der Muslime zum Aufstand maßlos überschätzt, die Bemühungen gingen ins Leere und wurden bald eingestellt.
Mit der deutschen Niederlage von 1918 und dem Ende des Kaiserreichs brach für Oppenheim eine Welt zusammen. Er zog sich in Berlin auf eine Privatgelehrtenexistenz zurück, die um das 1922 von ihm gegründete Orient-Forschungs-Institut kreiste, das interdisziplinär ausgerichtet war. Zur Sicherung seines Erbes gründete Oppenheim 1929 die Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung. Während der Hyperinflation von 1923 verlor er sein gesamtes Barvermögen und war mehr denn je auf die Unterstützung seiner wohlhabenden Kölner Verwandten angewiesen. Dennoch brach er 1927 erneut zum Tell Halaf auf, um einen wesentlichen Teil seiner Funde mit Genehmigung der französischen Mandatsregierung nach Berlin abzutransportieren. 1929 kehrte er für eine zweite Grabungskampagne zurück, die wieder erfolgreich verlief. Zur Finanzierung seiner Forschungen verstrickte er sich immer tiefer in Schulden.
In Berlin verhandelte Oppenheim mit den Staatlichen Museen über die permanente Unterbringung seiner Tell Halaf-Funde. Die Gespräche scheiterten jedoch an unüberbrückbaren Differenzen über die Höhe seiner finanziellen Abfindung. Oppenheim gründete daraufhin 1930 sein privates Tell Halaf-Museum im Stadtteil Charlottenburg, das er wiederum mit hohen Krediten finanzierte. Trotz der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte Oppenheim, der nach den Nürnberger Gesetzen als „Halbjude“ galt, seine wissenschaftliche Arbeit ungehindert fortsetzen. Ob er unter besonderem Schutz stand, ist bis heute ungeklärt.
Der Krieg vernichtete einen Großteil von Oppenheims Lebenswerk. 1943 trafen Brandbomben sein Museum, die antiken Skulpturen zerplatzten in tausende Stücke. Seine umfassende Orient-Bibliothek und die prächtige Orientalia-Sammlung wurden erheblich dezimiert. Oppenheim gab sich dennoch optimistisch, getreu seinem Lebensmotto „Kopf hoch! Mut hoch! und Humor hoch!“. Mehr als sechs Jahrzehnte nach seinem Tod am 15.11.1946 hat sich seine Zuversicht bestätigt. Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum stellt ihn in seinem neuen Haus als Sammlerpersönlichkeit heraus. Seine Tell Halaf-Funde sind in jüngster Zeit aus 26.000 Trümmerteilen rekonstruiert worden. 2011 wurden sie nach 68 Jahren wieder der Öffentlichkeit präsentiert und harren nun des Einzugs in das renovierte Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel.
Werke (Auswahl)
Vom Mittelmeer zum Persischen Golf. Durch den Hauran, die Syrische Wüste und Mesopotamien, 2 Bände, Berlin 1899-1900.
Der Tell Halaf. Eine neue Kultur im ältesten Mesopotamien, Leipzig 1931.
Unter Mitwirkung von Erich Bräunlich und Werner Caskel, Die Beduinen. Band 1: Die Beduinenstämme in Mesopotamien und Syrien, Wiesbaden 1939; Band 2: Die Beduinenstämme in Palästina, Transjordanien, Sinai, Hedjaz, Leipzig 1943.
Literatur
Cholidis, Nadja/Martin, Lutz, Kopf hoch! Mut hoch! Und Humor hoch! Der Tell Halaf und sein Ausgräber Max Freiherr von Oppenheim, Mainz 2002.
Faszination Orient. Max von Oppenheim. Forscher, Sammler, Diplomat. Hg. von Gabriele Teichmann und Gisela Völger im Auftrag der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, 2. Auflage, Köln 2002.
Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf. Begleitbuch zur Sonderausstellung des Vorderasiatischen Museums „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“, vom 28.1. – 14.8.2011 im Pergamonmuseum. Für das Vorderasiatische Museum – Staatliche Museen zu Berlin hg. von Nadja Cholidis und Lutz Martin, Regensburg 2011.
Oberhaus, Salvador, „Zum wilden Aufstande entflammen“. Die deutsche Propagandastrategie für den Orient im Ersten Weltkrieg am Beispiel Ägypten, Saarbrücken 2007.
Online
Moortgat-Correns, Ursula, Artikel „Oppenheim, Max Freiherr von“, www.deutsche-biographie.de Printversion in: Neue Deutsche Biographie Bd. 19, Berlin 1999, S. 562f. [Online]
Die digitalisierte, rund 13.000 Exemplare umfassende Fotosammlung Oppenheims: www.arachne.uni-koeln.de. [Online]
Zur Rekonstruktion der kriegszerstörten Tell Halaf-Funde: www.tell-halaf-projekt.de. [Online]
Geschichte der Familie und des Bankhauses Oppenheim(Webseite des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie). [Online]
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Teichmann, Gabriele, Max Freiherr von Oppenheim, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-freiherr-von-oppenheim/DE-2086/lido/57c956f74bb733.44811635 (abgerufen am 05.12.2024)