Zu den Kapiteln
Annähernd 1.000 Erfindungen hat Max Mannesmann gemacht, die viele Bereiche der Technik betreffen. Berühmt geworden ist er durch das mit Unterstützung durch seinen Bruder Reinhard entwickelte Mannesmann-Verfahren, für das er konstruktionstechnisch neue Wege beschritt und dem Fahrzeug-, Leitungs- und Anlagenbau völlig neue Möglichkeiten eröffnete. Mit seinem Namen sind jedoch auch Lastwagen, Hubschrauber, Gewehre, mit denen man angeblich um die Ecke schießen konnte, und sogar der „Zehenschuh“ verbunden.
Max Mannesmann wurde am 30.12.1857 als drittes Kind und zweiter Sohn des angesehenen Stahl- und Feilenfabrikanten Reinhard Mannesmann sen. und dessen Frau Clara geborene Rocholl (1834-1910) in Remscheid-Bliedinghausen geboren. Die Familie war evangelisch. Die räumlichen Verhältnisse des Elternhauses waren bis zum Umzug in einen großzügigen Neubau sehr beengt; der Vater achtete auf eine gesunde Lebensführung und eine gründliche Ausbildung in Schule und in der Fabrik. Er war Neuem gegenüber aufgeschlossen und sein Handeln war durch soziale Verantwortung geprägt. Max Mannesmann wuchs im innovationsbereiten Eisenmilieu auf und war bald mit den hier zur Lösung anstehenden Problemen vertraut.
Wie sein ein Jahr älterer und alle jüngeren Brüder besuchte er, was für bergische Fabrikantensöhne ungewöhnlich war, die Höhere Schule bis zur Erlangung der Hochschulreife 1875 in Düsseldorf; das erforderte nach der Mittleren Reife lange Schulwege und schließlich sogar einen auswärtigen Aufenthalt. Die freie Zeit war im Wesentlichen ausgefüllt mit Arbeiten in der vom Vater persönlich geleiteten Fabrik, in der er alle Schritte der Stahlerzeugung und der Feilenfertigung erlernte. Niemand aus der Familie, so hieß es, schlug die rund 1.000 Hiebe so scharf und exakt in den glühenden Stab wie er. Auch die Ausbildung der kreativen Fähigkeiten ist durch den Vater gefördert worden; er konfrontierte ihn sogar mit Problemen, an deren Lösung er selbst gescheitert war. Die Feilenhaumaschinen, die der Vater aus England mitgebracht hatte, verbesserte Max Mannesmann in einem Maße, dass daraus eine patentierte Neukonstruktion wurde. Er verfügte über große praktische Fertigkeiten, die er durch selbst durchgeführte Experimente und durch sein Hochschulstudium ergänzte.
Max Mannesmann studierte in Charlottenburg bei Berlin Maschinenbau und an der Universität Bonn Chemie. In Charlottenburg war er Schüler von Franz Reuleaux (1829-1905), dem Vater der theoretischen Kinematik (Getriebelehre) - „kein anderer Lehrer einer deutschen technischen Lehranstalt erfreute sich im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts eines solchen Ansehens in der Beurteilung technischer Fragen, kein Dozent jener Zeit galt in gleichem Maße als technische Autorität wie der... Direktor der Königlich-Preußischen Gewerbe-Akademie Berlin.“[1] Da er nicht in den Staatsdienst wollte, benötigte Max Mannesmann keinen Abschluss, sondern trat nach dem Ende seines Dienstes als Einjährig-Freiwilliger wie sein Bruder Reinhard Mannesmann jun. in die vom Vater geleitete Fabrik ein.
Max besaß einen außergewöhnlichen Erfindergeist und einen „unermüdlichen, zähen Schaffensdrang [...] Schwierigkeiten“, so später ein enger Mitarbeiter, selbst ein tüchtiger Konstrukteur, „waren … nur dazu da, um (von ihm) überwunden zu werden.“[2] Nie hat er sich durch sie abschrecken lassen. Im fortgeschrittenen Lebensalter bekannte er einmal, dass er sich glücklich schätze, diese Veranlagung zu haben und über die Voraussetzungen zu verfügen, auch praktikable Lösungen zu finden. Sein erstes Patent erhielt er gemeinsam mit seinem älteren Bruder als 21-Jähriger; es betraf einen Schallverstärker für das neue Kommunikationsmittel Telefon. Dann boten die beiden der Marine einen von ihnen entwickelten Torpedo an, dem jedoch ein ausländisches Fabrikat vorgezogen wurde.
Die mit Abstand wichtigste Erfindung - sie wird auch heute noch weltweit angewandt - war das Mannesmann-Verfahren zur Herstellung nahtloser Rohre aus dem massiven Stahlblock allein durch Walzen. Wie das Erfindertagebuch von Max Mannesmann ausweist, dauerten die Versuche mehr als zwei Jahre. Sie erfolgten vorwiegend nachts, weil tagsüber die Dampfmaschine in der Feilenproduktion benötigt wurde. Es bedurfte nicht allein der Idee und der konstruktiven Umsetzung des in jeder Hinsicht anspruchsvollen Schrägwalzens, das einem der Fertigungsabschnitte den Namen gab; bezeichnenderweise erfand Max Mannesmann daneben mindestens zwölf weitere Neuerungen, die sämtlich patentiert wurden, um die gewaltigen Antriebskräfte so auf die Walzen zu übertragen, dass weder die Anlage noch das Walzgut Schaden nahmen. Als man feststellen musste, dass mit dem Schrägwalzwerk allein marktfähige Rohre nicht wirtschaftlich hergestellt werden konnten, erfand Max Mannesmann mit dem Pilgerwalzwerk die Ergänzung und endgültige Lösung. Beide zusammen, Schräg- und Pilgerwalzwerk, bilden das Mannesmann-Verfahren, das die technische Welt revolutionierte.
Innerhalb weniger Monate wurden Mannesmannröhren-Werke in Deutschland, in Österreich und in Großbritannien gegründet. Das Kapital stellten namhafte Investoren zur Verfügung, die hauptsächlich von Reuleaux, der von dem Verfahren begeistert war und wirksam dafür warb, gewonnen wurden; die Erfinder erhielten für die Überlassung der Patente die Hälfte der Gesellschaftsanteile. Alle Werke mussten mit Walzwerken aus der Remscheider Werkstatt ausgerüstet werden; außerdem galt es, die Walzwerker in das völlig neue Verfahren einzuweisen. Das sowie die technische Leitung der Werke übernahmen Reinhard jun. und Max sowie deren Brüder Alfred (1859-1944) und Carl (1861-1950) sowie nahe Verwandte und Studienfreunde. Als die kontinentalen Werke 1890 in einem großen Konzern vereinigt wurden, waren Reinhard und Max die beiden Generaldirektoren.
Da diese der technischen Weiterentwicklung zulasten der Wirtschaftlichkeit und der kaufmännischen Verwaltung Priorität einräumten, kam es zu Auseinandersetzungen mit den Kapitalgebern. Die Erfinder lehnten jede Bevormundung ab und schieden aus dem Vorstand aus. Während Reinhard jun. und die genannten Brüder in die USA reisten, um das Verfahren dort zu etablieren, kämpfte Max im Aufsichtsrat der Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG, um den Einfluss der Familie zu wahren. Ferner setzte er in Russland eine Anlage in Betrieb, um dort Patentschutz zu erhalten; dabei verkehrte er in St. Petersburg im Hause der Familie Nobel. Im Übrigen ging er mit Nachdruck seiner Erfindertätigkeit nach. Dazu gründete er in Remscheid ein technisches Büro. Manche der damals erfundenen Walzwerke waren ihrer Zeit voraus und wurden erst Jahrzehnte später eingesetzt. Für die unter Nutzung des Mannesmann-Verfahrens gewalzten Hohlschienen, die gleichzeitig dem Eisenbahnverkehr und der Durchleitung von Wasser dienen sollten, fanden sich keine Interessenten; eine Verwendung zur Erschließung der dürren Landstriche in Marokko verhinderte der Erste Weltkrieg.
Der 1907 patentierte Zehenschuh, bei dem jeder Zeh – wie bei einem Handschuh der Finger – ein eigenes Fach hat, ist oft als skurrile Erfinderlaune belächelt worden. Dabei wurde übersehen, dass Max Mannesmann sehr gesundheitsbewusst lebte und beispielsweise Hemden trug, die luftdurchlässig waren. Er trieb ausgiebig und intensiv Sport, er schwamm regelmäßig, spielte Tennis und fuhr Fahrrad. Er empfahl den Damen, sich ihrer „Miederfoltergeräte“ zu entledigen und gründete einen Verein, der die damals in Indien noch übliche Verbrennung von Witwen ächtete. Die Schuhmode, knöchelhoch geschnürt und oft noch nicht für den linken und rechten Fuß getrennt, war in seinen Augen unbequem und schädlich für die Füße. Er setzte seinen Zehenschuh, den es in vielen Materialien und Formen für alle möglichen Gelegenheiten gab, dagegen. Er gründete in der Pfalz eine Schuhfabrik und trug die Schuhe selbst – sogar im Berliner Hotel Adlon, wie der Autobiographie des Managers eines bedeutenden Chemieunternehmens zu entnehmen ist. Der Zehenschuh hat sich nicht durchsetzen können; ihn gibt es jedoch heute noch, wie die Angebote von Sportartikelgeschäften zeigen.
1908 ließ er sich ein Verfahren zur Herstellung von Betonhäusern patentrechtlich schützen. Er glaubte, dadurch der bestehenden Wohnungsnot wirkungsvoll begegnen zu können. In der Anmeldung heißt es: „Die vorliegende Erfindung will die handwerksmäßige Herstellung massiver Häuser an der Baustelle durch fabrikmäßige Herstellung in einer Spezialfabrik und Transport zur Baustelle mittels enormer Wagen und Aufstellen daselbst eventuell mittels gigantischer Kranen ersetzen.“ Zusatzpatente ergänzten die Erfindung, die auch im Ausland, beispielsweise in der Schweiz, geschützt wurde. Nach dem Krieg hat Reinhard Mannesmann jun. in Remscheid eine Fabrik errichtet und Teile für Häuser in Remscheid, Solingen, Wuppertal und Köln sowie anderen Orten gefertigt – nicht wenige von ihnen stehen heute noch.
Marokko hat Max Mannesmann im Unterschied zu seinen Brüdern, die mit Ausnahme von Carl alle nach dort übersiedelten, nicht gelockt. Er ist nur einmal dort gewesen; er hat das wirtschaftliche Potential anerkannt, jedoch zugleich auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die die mit Frankreich strittige Rechtslage bedeutete. Allerdings hat er sich dann mit allem Nachdruck dafür eingesetzt, dass das internationale Schiedsgerichtsverfahren ohne Formfehler stattfand und den Standpunkt der Familie Mannesmann bekräftigte. Außerdem hat er die von aus Marokko nach Remscheid geschickten Erzproben untersuchen lassen und die Ergebnisse nach Marokko geschickt.
1908 erwarb Max Mannesmann mit finanzieller Beteiligung durch seine Brüder eine Lastwagenfabrik in Aachen und übernahm 1911 deren technische Leitung; 1913 wurde die Gesellschaft in Mannesmann-Mulag umbenannt. Max entwickelte wettbewerbsfähige Lastkraftwagen, Wohnwagen und Busse sowie verschiedene Spezialfahrzeuge unter anderem für die Müllentsorgung und die Straßenreinigung. Die Fahrzeuge bewährten sich nicht allein im Alltag, sondern gingen auch aus vielen der damals nicht nur beim Militär beliebten Fernfahrten als Sieger hervor. In mehr als 20 Staaten in Europa, in Afrika, in Asien und Südamerika verließen sich private Spediteure, Busunternehmer, Landwirte und Brauereien auf diese, dank vieler Verbesserungen zuverlässigen, pflegeleichten und sparsamen sowie nutzerfreundlichen Fahrzeuge, ebenso in Deutschland die Reichspost- und Telegrafenverwaltung sowie mobile Militäreinheiten in Deutschland und vielen weiteren europäischen Staaten.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Produktion vollständig auf den Heeresbedarf umgestellt; außer Lastkraftwagen und Zugmaschinen sowie Motoren wurden nun auch Flugzeugmotoren gefertigt. Monatlich wurden 60 bis 100 schwere Lastkraftwagen übergeben.
Max Mannesmann entwickelte neben einer Vorrichtung, die das Mündungsfeuer unsichtbar machte, und einer Visiereinrichtung, die es dem Schützen erlaubte, in der Deckung zu bleiben, auch einen speziellen Wagen für den schonenden Transport von Verwundeten. Er war so leicht und beweglich, dass er von den Sanitätern von Hand bewegt und später bis zu zehn Stück hintereinander an ein Motorfahrzeug angehängt werden konnten. Um zu prüfen, ob seine Erfindung sich in der rauen Kriegspraxis bewährte, begleitete er im Februar 1915 einen Konvoi an die Westfront und von dort ins Lazarett. Dabei überließ der inzwischen 57-Jährige einem Verwundeten seinen Pelzmantel und zog sich im offenen Fahrzeug eine Lungenentzündung zu, an deren Folgen er am 2.3.1915 in einem Aachener Lazarett verstarb. Sogar die „Chicago Daily Tribune“ widmete dem „berühmten Deutschen“ einen ausführlichen Nachruf. Seine letzte Ruhestätte fand er im Familiengrab auf dem Remscheider Stadtfriedhof.
Drei Monate nach seinem Tod machte die „Tägliche Rundschau“ auf eine seiner letzten Erfindungen aufmerksam: einen Hubschrauber.
Quellen
Salzgitter AG-Konzern-Archiv/Mannesmann-Archiv, Bestände M 20, M 40 und M 68.
Sondersammlungen des Deutschen Museums, Nachlass Mannesmann.
Literatur
Brandt-Mannesmann, Ruthilt, Dokumente aus dem Leben der Erfinder, Remscheid 1965.
Bungeroth, Rudolf, 50 Jahre Mannesmannröhren 1884-1934. Erinnerungen und Erlebnisse, Berlin 1934.
Wessel, Horst A., Max Mannesmann (1857-1915). Ein großer Erfinder mit Grundsätzen, in: Schritt für Schritt. Die Geburt des modernen Schuhs. Katalog zur Ausstellung des Wilhelm-Fabry-Museums, Hilden 2013, S. 168-175.
Wessel, Horst A., Die Techniker der Familie Mannesmann, in: Weber, Wolfhard (Hg.), Ingenieure im Ruhrgebiet (= Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien 17), Münster 1999, S. 124-148.
Online
Hatzfeld, Lutz, „Mannesmann, Max“, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 63 f. [Online]
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Wessel, Horst A., Max Mannesmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-mannesmann/DE-2086/lido/57c94701579694.52529690 (abgerufen am 12.11.2024)