Zu den Kapiteln
Gräfin Mechthild verkaufte nach dem Tod ihres Gatten Graf Heinrich III. von Sayn 1246/1247 ihr umfangreiches Westerwälder Heiratsgut an das Erzstift Köln, dessen dortige Landesherrschaft darauf gründete. Schon während ihrer erbenlos gebliebenen Ehe vergab sie zahlreiche fromme Stiftungen, insbesondere an den Deutschen Ritterorden und die Zisterzienser und Zisterzienserinnen, die die Kirchenlandschaft des Mittelrheins für Jahrhunderte mitprägten. In der mündlichen Überlieferung blieb sie im Westerwald bis Anfang des 20. Jahrhunderts wegen ihrer Mildtätigkeit bekannt.
Die Geburt der in ihrer Identität und Herkunft heute unbestrittenen Person der Gräfin Mechthild kann mit 1200 bis 1203 eingegrenzt werden. Sie entstammt einer Verbindung der Nebenlinien der Wettiner und Ludowinger. Ihr Vater Markgraf Dietrich von Landsberg/Sachsen-Anhalt (um 1145–1207) hatte kurz vor 1190 Jutta (um 1174–vor 1216), die Erbtochter des Landgrafen Ludwig III. von Thüringen (gestorben 1190), geheiratet. Nach einer jahrelangen Fehde während des staufisch-welfischen Thronstreits zwischen den Grafen von Landsberg und Sayn hat Mechthild spätestens 1215 als Erbin des umfangreichen mütterlichen Fernbesitzes im Westerwald (zwischen Windeck, Altenwied und Neuerburg) durch ihre Heirat mit Heinrich III. die alte Grafschaft (der Westerwald zwischen Sieg und Saynbach; das Bonner Umland, usw.) zu einem der bedeutendsten im Rheinland arrondiert.
Über ihre Verwandtschaft gehörte Mechthild zum erweiterten europäischen Hochadel, was das vergleichsweise junge Grafengeschlecht erheblich aufwertete. Repräsentationsraum der höfischen Gesellschaft (Staufische Klassik), die beim Sayner Grafenpaar überdurchschnittlich nachweisbar ist, dürften die Residenzen in Sayn, Blankenberg und Köln gewesen sein. Erhaltene materielle Statussymbole dieser Kultur sind ihr erstes repräsentatives höfisches Siegel (’Falkenjagd ohne Pferd’), das einzigartige Grabmal ihres Gatten und wahrscheinlich der Besitz religiöser und literarischer Handschriften. Kontakte ihres Gatten zu Repräsentanten der mittelhochdeutschen Dichtung wie Eilhard von Oberge (belegt 1189-1227), Reinmar von Zweter (um 1200 – nach 1248) und Caesarius von Heisterbach sind belegt. In den Urkunden ihres Gatten kommt sie als Mitausstellerin oder Zeugin vor, was ihre aktive Beteiligung an der Herrschaftsausübung belegt. Die gravierendsten Ereignisse ihrer Ehezeit, die erfolgreiche Teilnahme ihres Gatten am Kreuzzug von 1218/1219 nach Damiette (Ägypten) und sein siegreich überstandener Ketzerprozess 1233/1234, dürften sie in ihrer Frömmigkeit noch bestärkt haben. Der Wechsel 1234 zu ihrem zweiten Siegel mit religiösem Thema (’Flucht der heiligen Familie’) rührt wohl daher. Der erbenlose Tod Heinrichs zum Jahresende 1246/1247 zog jahrelange Auseinandersetzungen um die testamentarisch bestimmte territoriale Integrität der Grafschaft Sayn mit den Sponheimer Erbneffen (Johann, Simon, Heinrich) nach sich. Sie erhielten Ende August 1247 – als jede denkbare Schwangerschaft Mechthilds geendet haben musste – die alte Grafschaft Sayn, mussten jedoch auf das ludowingische Heiratsgut verzichten, über das die Witwe wieder verfügte. Die jüngere Linie der Grafen von Sayn ab Johann (1206-1266) konnte nicht mehr an die Bedeutung Heinrichs III. heranreichen. In den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der späten Stauferzeit gelang es der Witwe mit Hilfe ihrer Vasallen und Dienstleute („vrunde“) noch drei Jahre lang, das verbliebene umfangreiche Territorium als Landesherrin zu behaupten – was ihr auch unter herrschaftlichem Aspekt in Deutschland eine Sonderstellung einräumt. Bis 1250 verkaufte die „ehemalige Gräfin“ (Jch Mechtilt wilen Greuinne was ze Seyne), die als Landfremde ohne den Rückhalt einer eigenen Sippe keine Hilfe erwarten durfte, gegen eine hohe jährliche Leibrente die Anwartschaft auf ihre Westerwälder Landesherrschaft (als bedeutenden Fernbesitz Burg und Land Waldenburg / Südwestfalen) an den mächtigsten Reichsfürsten dieser Zeit, den Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden. Die festgelegten Schutz- und Zahlungsversprechen konnten er und seine Nachfolger in ihrer 38-jährigen Witwenzeit allerdings nicht durchgehend einhalten. Rückhalt erhielt die Witwe auch vom Kölner Domkapitel, dem ihr wichtigster Schreiber der deutschsprachigen Urkunden und Testamentsvollstrecker angehörte. Mechthild verblieb ein weiterhin umfangreicher Besitz: unter anderem die Löwenburg bei Bad Honnef, die Neuerburg bei Niederbreitbach und das Areal des Kölner Zisterzienserinnenklosters Seine. Mechthild, die sicherlich ihre letzten Lebensjahre in diesem Kloster verbrachte (Grabstätte), trat nie in einen Frauenorden ein.
Die Witwe spielte aber eine wichtige Rolle im Bereich der religiösen volkssprachigen Schriftlichkeit in Köln (Psalter, ‘Kölner Klosterpredigten‘). Ihre persönliche Bekanntschaft mit Thomas von Aquin (um 1225-1274) ist wahrscheinlich, die mit Albertus Magnus urkundlich belegt. Anders als ihre Verwandten, die teilweise exzessiv selbstzerstörerisch religiösen Heiligen Elisabeth von Thüringen (1207 - 1231), Hedwig von Schlesien (1170/80-1243) und die Selige Yolanda von Vianden (1231-1283), gilt Mechthild nicht als Protagonistin der Frauenfrömmigkeit. Eine Motivation für ihre außergewöhnliche umfangreiche Unterstützung geistlicher Institutionen lässt sich aus den Arengen mancher ihrer Stiftungsurkunden erschließen: nämlich sowohl bei Mechthild als auch bei Heinrich das Bewusstsein, der jeweils letzte Vertreter eines ganzen Grafenhauses zu sein. Denn hierin lag ihre ganz besondere Verpflichtung, durch fromme Stiftungen besonders gut und langfristig für das eigene wie auch für das Seelenheil ihrer Elternpaare vorzusorgen. Sie können als Mitgründer der Zisterzienserkonvente Heisterbach und Marienstatt gelten; bei den Frauenkonventen nach 1247 von Seine / Marienspiegel in Köln, von Herchen an der Sieg, von Drolshagen im Sauerland und von Blankenberg (später nach Zissendorf verlegt). Die sehr zahlreichen und frühen deutschsprachigen Urkunden (Briefe, Sühnen, Quittungen, Stiftungen, Testamente) nach 1262 sind in vielen prägnanten Formulierungen auf das persönliche Diktat der sicherlich deutschsprachig (eventuell auch lateinisch) literaten Gräfin zurückzuführen. Erkennbar individuelle Charakterzüge sind ihre zähe Hartnäckigkeit bei der Verteidigung ererbter Rechte und Besitzungen sowie festgeschriebener Bestimmungen, die allerdings häufiger wegen militärischer Schwäche aufgegeben werden mussten. Neben ihrer tiefen Frömmigkeit ist ihre mehrfach geäußerte Sorge um das Wohl der ihr verbliebenen Untertanen herauszuheben: in ihrem Testament von 1283 vermachte sie zum Beispiel 300 Mark Silber an ihre Westerwälder Landbevölkerung. Die ganz ungewöhnlich gute urkundliche Originalüberlieferung kommt einmal von der langfristigen besitzrechtlichen Wichtigkeit der Stücke und andererseits der Sorgfalt ihrer Testamentsvollstrecker.
Literatur
Bohn, Thomas, Gräfin Mechthild von Sayn (1200/03-1285). Eine Studie zur rheinischen Geschichte und Kultur, Köln/Weimar/Wien 2002.
Halbekann, J. Joachim, Die älteren Grafen von Sayn. Personen-, Verfassungs- und Besitzgeschichte eines rheinischen Grafengeschlechts 1139-1246/47, Wiesbaden 1997.
Halbekann, J. Joachim, Besitzungen und Rechte der Grafen von Sayn bis 1246/47 und ihre Erben (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande V/2), Köln 1996.
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Bohn, Thomas, Mechthild von Sayn, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mechthild-von-sayn/DE-2086/lido/57c94a8a760643.80278545 (abgerufen am 10.10.2024)