Zu den Kapiteln
Der Neandertaler wurde 1856 bei Steinbrucharbeiten in dem gleichnamigen Tal zwischen Erkrath und Mettmann entdeckt. Er war der erste Beweis für die Existenz fossiler Menschen und ein Kronzeuge der Evolutionstheorie des Charles Darwin (1809-1882).
Der Fund des Neandertalers (Homo sapiens neanderthalensis) gelang durch Zufall. Beim Abbau der kleinen Feldhofer Grotte wurden 16 Knochenfragmente im August 1856 durch Steinbrucharbeiter geborgen und an den Elberfelder Lehrer Johann Carl Fuhlrott übergeben. Dieser stellte den Fund 1859 als Beleg für die Existenz fossiler Menschen der Fachöffentlichkeit vor und löste eine heftige Diskussion in der Wissenschaft aus, die mehrere Jahrzehnte andauerte und erst durch weitere Neandertalerfunde in Spy (Belgien) im Jahr 1886 beendet wurde. Die Höhle mit der Fundstelle wurde im 19. Jahrhundert nicht weiter untersucht, sondern durch den Kalkabbau restlos zerstört. Die Funde konnten 1877 vom Provinzialmuseum zu Bonn, dem heutigen LVR-LandesMuseum Bonn, erworben werden.
Während der Fund zu Weltruhm gelangte, ging das Wissen über seine genaue Lage im Tal verloren. Unter der Leitung von Gerhard Bosinski führte die Universität Köln in den Jahren 1983 bis 1985 erste Suchgrabungen durch, die eine Annährung ermöglichten, ohne die ursprüngliche Lage der Feldhofer Grotte abschließend klären zu können. Inzwischen ist es bekannt, dass diese Geländearbeiten den Fundort um etwa 100 Meter verfehlten.
Die beiden Archäologen Ralf W. Schmitz und Jürgen Thissen hatten mehr Glück. Sie führten im Herbst 1997 eine weitere Suchgrabung im Auftrag des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege durch. Unter etwa drei Metern Sprengschutt fanden sie bis zu einem Meter mächtige lehmige Sedimente mit Steinwerkzeugen, Tierknochen und Menschenresten. Nachdem ein Knochenfragment an den linken Oberschenkel des Fundes von 1856 angepasst werden konnte, bestand kein Zweifel mehr daran, dass sie die Höhlenfüllung der Feldhofer Grotte entdeckt hatten. Den Lehm, mit dem die Höhle verfüllt war, hatten die Steinbrucharbeiter vor der Sprengung ausgeräumt und auf den Talgrund am Fuß der Felswand geworfen.
Im Jahre 2000 folgte unter Leitung der beiden Wiederentdecker eine mehrmonatige Grabungskampagne in dem Abwurfmaterial, das eine große Zahl von neuen Funden freigab. Das Fundortgelände war 1998 von der Stiftung Neanderthal Museum mit Unterstützung der NRW Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege erworben worden und wurde 2002 der Öffentlichkeit als archäologischer Park zugänglich gemacht.
Die neuen Funde erbrachten zusammen mit neuen Untersuchungen an den Altfunden von 1856 eine Vielzahl neuer Erkenntnisse. Beim Neandertaler handelt es sich um einen erwachsenen Mann, der zum Zeitpunkt seines Todes 40 bis 60 Jahre alt war. Seine Körpergröße lag bei etwa 168 Zentimetern. Er ist in der letzten Eiszeit vor etwa 40.000 Jahren in waagerechter Rückenlage in der kleinen Feldhofer Grotte bestattet worden. Sein Skelett weist einige interessante Besonderheiten auf. Über seiner rechten Augenbraue sind Spuren einer verheilten Verletzung, die durch Schlag oder Sturz entstanden sein könnte, zurückgeblieben. Seine linke Elle ist nach einem Bruch kurz unterhalb des Ellenbogengelenks in anatomisch falscher Position zusammengewachsen. Dadurch war der Neandertaler behindert und konnte seinen linken Arm nur eingeschränkt bewegen. Da diese Verletzung viele Jahre vor seinem Tod entstanden ist, ist davon auszugehen, dass der Neandertaler durch andere Mitglieder seiner Gruppe versorgt wurde. Aus seinem rechten Oberarm konnten Proben für eine genetische Untersuchung gewonnen werden, die zum ersten Mal den Nachweis fossiler menschlicher DNA ermöglichte. Der Neandertaler ist Namensgeber einer Menschenform, die sich aus afrikanischen Vorfahren vor etwa 300.000 Jahren in Europa entwickelte. Ihr Verbreitungsgebiet reichte von den Britischen Inseln bis nach Zentralasien, wobei das Mittelmeer die südliche Grenze bildete. Heute sind etwa 300 Neandertalerfunde aus diesem Gebiet belegt. Von den heutigen Menschen unterscheiden sich die Neandertaler durch einige anatomische Merkmale am Skelett. Insbesondere der Schädel weist Besonderheiten auf. Die großen Überaugenwülste sind auch für Laien sofort erkennbar. Das Kinn der Neandertaler war nur schwach ausgeprägt. Ihre Stirnpartie war leicht fliehend und sie hatten große Zähne. Der Schädel war länglich und das Gehirngewicht der Neandertaler war größer als beim heutigen Menschen. Bis heute hat die Anthropologie keine überzeugende Erklärung dafür, warum Neandertaler diese anatomischen Besonderheiten aufweisen.
Neandertaler lebten als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen von etwa 20 Personen. Sie waren sehr viel unterwegs und wechselten mehrfach im Laufe eines Jahres ihren Lagerplatz. Zu ihrem Jagdwild gehörten alle eiszeitlichen Tierarten bis hin zum Mammut. An ihren Lagerplätzen haben sich vor allem Knochen der Jagdbeute erhalten und Steinwerkzeuge. Andere Teile ihrer Ausrüstung wie Holzgeräte haben sich nur in Ausnahmefällen erhalten. Leder, Häute, Sehnen sowie andere organische Materialien sind vergangen. Aus einigen Fundstellen liegen rote und schwarze Farbsteine vor, die belegen, dass Neandertaler auch Farben benutzt haben.
Über das Verschwinden der Neandertaler vor etwa 35.000 Jahren und ihre Beziehung zum modernen Menschen herrschen in der Forschung sehr unterschiedliche Ansichten. Ein Teil der Forscher geht davon aus, dass Neandertaler dem modernen Menschen intellektuell und kulturell unterlegen waren, durch ihn verdrängt wurden und schließlich ausgestorben sind, ohne sich mit unseren direkten Vorfahren vermischt zu haben. Der andere Teil der Forscher sieht keine intellektuellen und kulturellen Unterschiede zwischen beiden Menschenformen und geht davon aus, dass sich Neandertaler und moderne Menschen vermischt haben. Allerdings hat diese Vermischung keine heute noch erkennbaren Spuren im Genpool des modernen Menschen hinterlassen. Dabei soll die geringe Anzahl von Neandertalern – es lebten in dem gesamten Verbreitungsgebiet im günstigsten Fall maximal 150.000 Menschen – ebenso eine Rolle gespielt haben wie die wechselvolle Klimageschichte Europas. In der letzten Eiszeit verlief in Europa die nördliche Verbreitungsgrenze menschlicher Besiedlung. Durch abrupte, sehr dramatische Klimaschwankungen wurde diese Besiedlung wahrscheinlich immer wieder unterbrochen.
Die verschiedenen Positionen in der Wissenschaft werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass der berühmteste Rheinländer selbst Zehntausende von Jahren nach seinem Tod die Öffentlichkeit bewegen wird.
Literatur
Auffermann, Bärbel/Orschiedt, Jörg, Die Neandertaler. Auf dem Weg zum modernen Menschen, Stuttgart 2006.
Fuhlrott, Johann Carl, Menschliche Ueberreste aus einer Felsengrotte des Düsselthals. Ein Beitrag zur Frage über die Existenz fossiler Menschen, in: Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preussischen Rheinlande und Westphalens 16 (1859), S. 131-153.
Narr, Karl J./Weniger, Gerd-Christian (Hg.), Der Neanderthaler und sein Entdecker. Johann Carl Fuhlrott und die Forschungsgeschichte, Mettmann 2001.
Schmitz, Ralf W./Weniger, Gerd-Christian , Das Neandertal. Eine faszinierende Erinnerungslandschaft, Neuss 2003.
Schmitz, Ralf W. (Hg.), Neanderthal 1856-2006, Mainz 2006.
Online
Neanderthal-Museum Mettmann. [Online]
NESPOS - Pleistocene People and Places (Englischsprachiges wissenschaftliches Portal zur frühen Menschheitsgeschichte der NESPOS Society e.V. im Neanderthal-Museum Mettmann). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Weniger, Gerd Christian, Neandertaler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/neandertaler/DE-2086/lido/57c952a54538e7.30352550 (abgerufen am 06.12.2024)