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Der österreichische Literaturwissenschaftler profilierte sich als innovativer Vertreter der Neueren Germanistik, der sein Fach einer breiten Öffentlichkeit und der zeitgenössischen Literatur öffnete. Nach seiner Berufung an die Universität Bonn zählte er zu den bekanntesten germanistischen Hochschullehrern.
Der am 28.10.1864 in Wien geborene Oskar Walzel war der Sohn des Kaufmanns und Getreidegroßhändlers August Franz Joseph Walzel (1825-1899). Seine Mutter Franziska Maria Walzel, geborene Krippel (1826-1908) war die Tochter eines Kürschnermeisters. Oskar Walzel hatte eine ältere Schwester, Eugenie Ernestine Walzel (1862-1943), die mit August Eugen Ritter Trojan von Bylendsfeld verheiratet war. Walzel selbst war seit 1894 mit der Berliner Bankierstochter Hedwig Henriette, geborene Karo (1870-1944) verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos.
Nach Privatunterricht und dem Besuch eines Wiener Gymnasiums schloss Walzel seine Schulzeit 1883 mit dem Abitur ab. Im selben Jahr begann er in Wien mit dem Studium der Germanistik. Zu seinen Lehrern gehörten Erich Schmidt (1853-1913), Richard Heinzel (1838-1905) und Jakob Minor (1855-1912); bei letzterem promovierte er 1887 mit einer Arbeit über Friedrich Schlegel („Friedrich Schlegels Abhandlung über das Studium der griechischen Poesie. Eine literarhistorische Untersuchung zur Geschichte der älteren romantischen Schule“). Während seiner Berliner Studienzeit 1887/1888 beeinflusste ihn vor allem Wilhelm Diltheys (1833-1911) geistesgeschichtliche Lehre. Von 1888-1893 wirkte er als Erzieher, Privatlehrer und Begleiter des späteren Schriftstellers und Diplomaten Leopold von Andrian (1875-1951), des Sohnes des Freiherrn Ferdinand von Andrian zu Werburg. Im Wiener Haus des angesehenen Adelsgeschlechts sowie in Altaussee im Salzkammergut und auf gemeinsamen Reisen mit Leopold unter anderem nach Venedig, Meran und Nizza lernte Oskar Walzel zahlreiche Künstler, Gelehrte und Politiker kennen. Darunter sollten insbesondere die Kontakte zu modernen Schriftstellern wie Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) für seinen weiteren Werdegang von Bedeutung sein. Seine anschließende Tätigkeit als Bibliothekar in der Wiener Hofbibliothek 1893-1894 blieb eine kurze Episode.
Walzels akademische Karriere nahm ihren Anfang mit seiner Habilitation im Sommersemester 1894 in Wien, die er bei Jakob Minor mit einem Kolloquiumsvortrag über „Lessings Begriff des Tragischen“ ablegte. Seitdem lehrte er als Privatdozent für Deutsche Philologie an der Universität Wien, bis er 1897 einen Ruf nach Bern erhielt, wo er in der Nachfolge Ludwig Hirzels (1838-1897) als ordentlicher Professor für Deutsche Literatur bis 1907 wirkte. 1907 bis 1921 lehrte er als Professor für Literatur- und Kunstgeschichte an der TH Dresden als Nachfolger Adolf Sterns (1835-1907) und war Direktor des Literaturhistorischen Seminars. Gleichzeitig nahm er einen Lehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste wahr. 1911-1913 war er Vorstand der Allgemeinen Abteilung der TH Dresden. Der als ausgewiesener Romantik-Fachmann nach Dresden Gerufene gewann hier sein prägendes Profil. Dazu trug sein wissenschaftliches Selbstverständnis bei, das ihn als Mittler zwischen Fachwissenschaft und interessierter Öffentlichkeit sah. Walzel publizierte zahlreiche Bücher, Aufsätze und Rezensionen, wobei er das journalistische Feuilleton nicht scheute und unter anderem Beiträge für den „Kunstwart“ und die „Vossischen Zeitung“ schrieb. Als Vermittler moderner Literatur referierte er über Vertreter des Expressionismus und Franz Kafka. Insofern spielte er im Kultur- und Bildungsleben Dresdens eine prominente Rolle. Die Öffnung zwischen den einzelnen geisteswissenschaftlichen Fächern war ein weiteres Anliegen Walzels; dies gilt insbesondere für die Forschungen des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin (1864-1945), dessen „Kunstgeschichtliche Grundbegriffe“ (1915) Walzel in der Literaturwissenschaft anzuwenden versuchte, aber auch für die Arbeiten Wilhelm Worringers (1881-1865). Walzels „Wechselseitige Erhellung der Künste“ (1917) betont diese kunsthistorischen Einflüsse.
1921 folgte er einem Ruf an die Universität Bonn, wo er als Nachfolger Berthold Litzmanns (1857-1926) ein Ordinariat für Neuere deutsche Sprache und Literaturgeschichte wahrnahm. War Litzmann noch überzeugter Schüler der positivistischen Ausrichtung im Sinne Wilhelm Scherers (1841-1886), vertrat Oskar Walzel eine mehr ästhetische, auf die dichterische Form gerichtete Perspektive. Seine Forschungsarbeit fand einen Ausdruck in der Festschrift zu seinem 60. Geburtstag, „Vom Geiste neuer Literaturforschung“, die 1924 bezeichnenderweise von dem Literaturwissenschaftler und Goethe-und-Schiller-Fachmann Julius Wahle (1861-1940) sowie dem Romanisten Victor Klemperer (1881-1960) herausgegeben wurde. Im Unterschied zu Dresden beschränkte sich Walzel in Bonn überwiegend auf den akademischen Betrieb der Universität und ihres Umfelds. Hier publizierte er eine Reihe weiterer Veröffentlichungen, insbesondere die Edition des renommierten „Handbuchs der Literaturwissenschaft“. 1923 erschien mit dem Band „Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters“ Walzels methodenkritisches Hauptwerk. Damit festigte er seinen Ruf als einer der bedeutendsten deutschen Literaturhistoriker, der eine Vielzahl von Studierenden anzog. Zu seinen Schülern gehörte der Kunsthistoriker Heinrich Lützeler (1902-1988), als Habilitanden konnte er allerdings nur Benno von Wiese vorweisen. Walzel genoss auch außerhalb Deutschlands hohes Ansehen, was seine Aufsehen erregende Vortragsreise nach Leningrad und Moskau (1928) sowie 1934 und im folgenden Jahr die Reisen nach England und Italien bezeugen. Die Universitäten Belfast und Gent verliehen ihm die Ehrendoktorwürde; in Dresden war er unter anderem mit dem Ritterkreuz des Sächsischen Verdienstordens ausgezeichnet worden. Nach seiner Emeritierung im März 1933 unterrichtete Walzel weiter, bis ihm am 4.7.1936 der Rektor der Universität Bonn die Lehrerlaubnis entzog. Grund dafür bot die Ideologie der nazistischen Rassenlehre, der zufolge Walzel mit seiner jüdischen Ehefrau in einer „Mischehe“ lebte. Zunehmend wurde es nun still um ihn, zumal bereits 1934 seine Schwägerin Eleonore Karo (1878-1934) gestorben war, die unverheiratet im Haus des Ehepaares gewohnt hatte.
Für die 1920er Jahre hob er die Freundschaft mit dem Internisten und Hochschullehrer Karl Hirsch (1870-1930) hervor. In der Zeit der Isolation und Verfemung war ihm insbesondere Bernhard Custodis (1876-1951) ein wichtiger Gesprächspartner, der als Pfarrer von St. Elisabeth in der Bonner Südstadt Walzels Trost im katholischen Glauben unterstreicht. Hedwig Henriette Walzel wurde 1944 ins KZ Theresienstadt verschleppt und starb am 21. November dieses Jahres. Oskar Walzel kam am 29.12.1944 während eines Bombenangriffs in seinem Haus in der Reuterstraße 114 in Bonn ums Leben. Er wurde am 11.1.1945 auf dem Bonner Südfriedhof beigesetzt. 1952 erhielt er ein Ehrengrab der Stadt Bonn. Die TU Dresden gedenkt seiner durch die Vergabe des Oskar-Walzel-Preises. In Bonn erinnert die Oskar-Walzel-Straße an den großen Germanisten.
Forschend wie lehrend widmete sich Oskar Walzel der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, wobei seine Schwerpunkte von Lessing, Goethe, Schiller über Romantiker wie Novalis und Friedrich Schlegel zu Heine sowie Naturalismus und Impressionismus reichten. Hervorzuheben ist seine Aufmerksamkeit für zeitgenössische Autoren wie Franz Kafka, Gerhart Hauptmann, Ricarda Huch, Henrik Ibsen und Schriftsteller des Expressionismus. Mit seinen Publikationen zur Ideengeschichte und Gestalttheorie vertrat er eine geistesgeschichtlich orientierte Germanistik, die den Positivismus des 19. Jahrhunderts überwand. Walzel betrieb eine synthetische Literaturforschung, die sich einer Gesamtschau öffnen wollte und ihren Blick auch auf bildende Künste und Musik richtete. Seine theoretisch anspruchsvollen Schlüsselbegriffe Gehalt und Gestalt fanden in der Forschung nicht immer Resonanz. Die Vergleichende Literaturwissenschaft sowie moderne Forschungsansätze um „Form“ als geisteswissenschaftlichen Grundbegriff greifen jedoch auf Oskar Walzels Ergebnisse zurück.
Nachlass
Sein Teilnachlass befindet sich in der ULB Bonn https-blank://www.ulb.uni-bonn.de/de/sammlungen/nachlaesse/walzel-oskar.
Werke (Auswahl)
(Hg.), Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, Berlin 1890.
(Hg.), Adelbert von Chamisso. Werke,. Stuttgart 1892.
Von 1870 bis 1900. Strömungen der neuesten deutschen Literatur, 1900.
(Hg.), Zeitschriften der Romantik,.1904.
Deutsche Romantik. Eine Skizze, 1908.
(Hg.), Heines Werke in zehn Bänden, Leipzig 1910-1915.
Vom Geistesleben des 18. und 19. Jahrhunderts. Aufsätze, Leipzig 1911.
Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe, Berlin 1917.
Deutsche Romantik, 2 Bände, Leipzig 1918.
Die deutsche Dichtung seit Goethes Tod, Berlin 1919.
(Hg.), Handbuch der Literaturwissenschaft, 1923-1931.
(Hg.), Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin-Neubabelsberg 1923.
Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung, Leipzig 1926.
Wachstum und Wandel. Lebenserinnerungen, aus dem Nachlass hg. von Carl Enders, Berlin 1956.
Festschrift
Vom Geiste neuer Literaturforschung, hg. von Julius Wahle und Victor Klemperer, Wildpark-Potsdam 1924.
Literatur (Auswahl)
Allemann, Beda/Tack, Paul, Oskar Walzel, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Sprachwissenschaften, Bonn 1970, S. 124-128.
Enders, Carl, Oskar Walzel. Persönlichkeit und Werk, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 75 (1956), S. 186-199.
Gossens, Peter, Walzel, Oskar Franz, in: Christoph König (Hg.), Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, Band 3, Berlin/New York 2003, S. 1980-1983.
Naderer, Klaus, Oskar Walzels Ansatz einer neuen Literaturwissenschaft, Bonn 1992.
Salm, Peter, Drei Richtungen der Literaturwissenschaft. Scherer – Walzel – Staiger, Tübingen 1970, S. 37-73.
Schmitz, Walter, Oskar Walzel (1864-1944), in: König, Christoph/Müller, Hans-Harald/Röcke, Werner (Hg.), Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts. Berlin/New York 2000, S. 115-127.
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Krause, Arnulf, Oskar Walzel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/oskar-walzel/DE-2086/lido/5e1479953eed48.41338875 (abgerufen am 12.10.2024)