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Otto Toeplitz hat sich als mathematischer Forscher vor allem auf dem Gebiet der Analysis bleibende Verdienste erworben. Er gilt mit Hellinger als einer der Vordenker der Funktionalanalysis. Die aus den Toeplitz-Matrizen als Verallgemeinerung hervorgegangenen Toeplitz-Operatoren spielen in mehreren mathematischen Gebieten und auch in der Physik eine wichtige Rolle. Er ist einer der Mitbegründer der modernen Limitierungstheorie. Sein Wirken für eine solide Lehrerbildung, für die Mathematikdidaktik und die Mathematikgeschichte hatte eine Vorbildwirkung, die bis in unsere Zeit aktuell ist.
Otto Toeplitz wurde am 1.8.1881 in Breslau geboren. Er stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie. Sein Vater Emil Toeplitz (1852–1917) wie auch sein Großvater Julius Toeplitz (1825–1897) hatten Mathematik studiert und waren als Gymnasiallehrer tätig. Ein besonderer Schatz in der Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn sind Mitschriften von Vorlesungen des berühmten Mathematikers Carl Gustav Jacob Jacobi (1804-1851), die Julius Toeplitz als Student in Königsberg ausgearbeitet hat. Obwohl Julius Toeplitz in vollem Umfang unterrichtete, wurde er als Jude nicht fest angestellt. Erst 1869 erhielt er nach langem Kampf mit den preußischen Behörden „ausnahmsweise“ eine Festanstellung; die davorliegenden 20 Jahre als Gymnasiallehrer wurden ihm auf die Pension nicht angerechnet. Otto Toeplitz’ Vater Emil Toeplitz unterrichtete am Johannes-Gymnasium in Breslau und stieg bis zum Gymnasialprofessor auf. Er war deutschlandweit bekannt als langjähriger Herausgeber des Jahrbuchs des Deutschen Philologenverbandes, des sogenannten „Kunze-Kalenders“. Die Mutter von Otto Toeplitz war eine geborene Lubliner aus dem schlesischen Städtchen Militsch. Näheres ist über sie nicht bekannt.
Otto Toeplitz besuchte in Breslau das Gymnasium, an dem sein Vater wirkte. Er rühmte später öfters die solide humanistische Bildung, insbesondere auf dem Gebiet der alten Sprachen, die er dort erhalten habe und die ihm später bei seinen mathematikhistorischen Studien sehr zugute kam. Anschließend studierte er in seiner Vaterstadt Mathematik; seine dortigen Lehrer waren die Geometer Jacob Rosanes (1842-1922) und Rudolf Sturm (1841-1919). 1905 promovierte er bei Rosanes mit einer Arbeit aus der algebraischen Geometrie. Während seiner Studienzeit fand er in Breslau zwei gute Freunde, die später auch berühmte Gelehrte wurden: Max Born (1882-1970) – er erhielt 1954 den Nobelpreis für Physik – und Richard Courant (1888-1972).
1906 ging Toeplitz nach Göttingen, das damals gewissermaßen das Mekka der Mathematik in Deutschland war, wo Felix Klein (1849-1925), David Hilbert (1882-1943) und Hermann Minkowski (1864-1909) wirkten. Hilbert hatte zu dieser Zeit seine ganze Aufmerksamkeit auf die Analysis konzentriert und damit begonnen, die Theorie der Integralgleichungen und der damit im Zusammenhang stehenden „Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten“ zu einem äußerst fruchtbaren Forschungsfeld zu entwickeln. Dabei scharten sich eine Reihe besonders begabter junger Mathematiker um ihn, unter ihnen Otto Toeplitz. Bereits 1907 habilitierte er sich mit der einschlägigen Arbeit „Zur Transformation der Scharen bilinearer Formen von unendlich vielen Veränderlichen“ und lehrte danach als Privatdozent in Göttingen. Sein Hauptarbeitsgebiet wurde, an die Habilitationsschrift anschließend, die Theorie der linearen Operatoren (bei ihm noch in der Form unendlicher Matrizen) in normierten Räumen. Heute gehört dieses Gebiet zur Funktionalanalysis. Ferner leistete Toeplitz wichtige Beiträge zur Funktionentheorie. Seine Vermutung, dass jeder geschlossenen Jordankurve ein Quadrat einbeschrieben werden kann, konnte bis heute weder bewiesen noch widerlegt werden (Toeplitz-Vermutung). Für eine Reihe spezieller Jordankurven trifft die Vermutung zu.
Drei seiner funktionalanalytischen Arbeiten haben besondere Bedeutung erlangt und sollen deshalb hier gesondert erwähnt werden. Für die fünf Jahre 1988–1992 hat Peter Lax (Courant-Institute New York) die Daten der „Mathematical Reviews“ ausgewertet und gefunden, dass 394 Arbeiten aus diesem Zeitraum Toeplitz im Titel nennen und in 1.191 Arbeiten Toeplitz im Text genannt wird. Die große Mehrheit all dieser Referenzen bezieht sich auf Toeplitz’ knapp zweiseitigen Artikel „Über die Fourier’sche Entwickelung positiver Funktionen“ aus dem Jahre 1911. Darin führte Toeplitz die heute nach ihm benannten Matrizen ein und löste mittels dieser Matrizen ein von Constantin Carathéodory (1873-1950) aufgeworfenes Problem. Die Theorie dieser Matrizen und ihrer Verallgemeinerungen fand Anwendung in verschiedenen Zweigen der Mathematik wie Fourieranalyse, partielle Differentialgleichungen, Zeitreihenanalyse, zufällige Irrfahrten und Entwicklung schneller Algorithmen, aber auch weit über die Mathematik hinaus in der Kristallographie, der statistischen Mechanik, der Quantenmechanik und der Quantenchromodynamik.
Ebenfalls 1911 erschien Toeplitz’ grundlegender Beitrag zur Limitierungstheorie. Diese Theorie entwickelt sogenannte Limitierungsverfahren, die divergenten Folgen oder Reihen doch noch einen Limes im verallgemeinerten Sinne zuordnen. Eine große Klasse solcher Verfahren sind die Matrixverfahren, welche die gegebene divergente Folge (für divergente Reihen die Folge der Partialsummen) mit einer unendlichen Matrix multiplizieren, so dass das Ergebnis möglicherweise eine konvergente Folge ist, deren Grenzwert dann den verallgemeinerten Grenzwert der ursprünglichen Folge darstellen soll. Ein solches Verfahren heißt permanent, wenn es, auf eine konvergente Folge angewandt, den Grenzwert dieser Folge liefert. Sinnvollerweise wird man für Limitierungsverfahren Permanenz fordern. Toeplitz ist es gelungen, für Matrixverfahren notwendige und hinreichende Bedingungen für Permanenz zu finden; das ist der berühmte Toeplitzsche Permanenzsatz.
Gemeinsam mit seinem Freund Ernst Hellinger (1883–1950) bewies Toeplitz in der 1910 erschienenen Arbeit „Grundlagen für eine Theorie unendlicher Matrizen“ ein nach Hellinger und ihm benanntes Theorem, das wesentlich zur Klärung der Beziehungen zwischen Linearität und Beschränktheit von Operatoren in allgemeinen Räumen beitrug. Mehrere Jahre arbeiteten Hellinger und Toeplitz an einer zusammenfassenden Darstellung der Theorie linearer Operatoren (in der Gestalt unendlicher Matrizen) und deren Anwendungen in der Theorie der Integralgleichungen. Diese mehr als 250 Seiten umfassende Arbeit erschien 1927 in der „Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften“ unter dem Titel „Integralgleichungen und Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten“. Sie hat bald Eingang in die sich ab den 1930er Jahren entwickelnde abstrakte Form der linearen Funktionalanalysis von John (Johann) von Neumann (1903-1957), Stefan Banach (1892-1945) und anderen gefunden; sie wurde sozusagen komplett absorbiert, was für ihre Autoren gewiss ein wenig enttäuschend war.
Otto Toeplitz heiratete 1910 die Studentin der klassischen Philologie Erna Henschel (1886-1976), die, wie damals üblich, das Studium nach der Eheschließung aufgab. Sie war eine begabte Pianistin und Sängerin; die klassische Musik spielte in der Familie Toeplitz stets eine große Rolle. Das Ehepaar Toeplitz hatte drei Kinder: Walter, Erich (Uri) und Eva. Walter wurde Jurist und emigrierte 1933 nach Südafrika, wo er bereits als junger Mann verstarb. Erich wurde Berufsmusiker, emigrierte 1936 nach Palästina, baute dort das „Israel Philharmonic Orchestra“ mit auf und wirkte viele Jahre als erster Flötist in diesem Orchester. Eva war vor ihrer Eheschließung Offizierin der israelischen Armee.
1911 wurde Toeplitz in Göttingen zum außerplanmäßigen außerordentlichen Professor berufen. Es war dies ein „Titel ohne Mittel“, das heißt, seine Einnahmen bestanden wie vorher als Privatdozent lediglich aus den Kolleggeldern seiner Vorlesungen, und man war oft recht klamm bei Kasse.
1913 erhielt Toeplitz seine erste besoldete Anstellung, er wurde zum planmäßigen außerordentlichen Professor an die Universität Kiel berufen, wo er 1920 endlich ein Ordinariat erhielt. Bereits in Göttingen war er durch Diskussionen mit Felix Klein mit didaktischen Fragen des Gymnasialunterrichts und der Hochschulausbildung sowie mit Problemen der Lehrerbildung konfrontiert worden. Als ein leidenschaftlicher Hochschullehrer hat er sich in Kiel neben seiner mathematischen Forschungsarbeit besonders diesen Fragen gewidmet. Er hielt regelmäßig ein didaktisches Kolloquium für angehende Lehrer ab und organisierte für die Region Kiel Ferienkurse zur Weiterbildung der Mathematiklehrer. Durch Publikationen wie „Die Idee der mathematisch-didaktischen Kolloquien“ (1926) oder „Die Rolle der Mathematik auf dem zu erneuernden humanistischen Gymnasium“ (1926) versuchte er seine Ideen über die kleine Provinzuniversität Kiel hinaus wirksam werden zu lassen. Auf der Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 1926 in Düsseldorf hielt er einen viel beachteten Vortrag „Das Problem der Universitätsvorlesungen über Infinitesimalrechnung und ihrer Abgrenzung gegenüber der Infinitesimalrechnung an den höheren Schulen“. Dass seine Bemühungen über den Kreis der Mathematiker hinaus Anerkennung fanden, mag man daraus ersehen, dass Karl Jaspers (1883-1969) sein 1923 erschienenes Buch „Die Idee der Universität“ Otto Toeplitz gewidmet hat.
Ein weiteres Interessengebiet von Toeplitz war die Geschichte der Mathematik und hier besonders der Mathematik in der griechischen Antike. Bei diesen Studien kamen ihm seine hervorragenden Kenntnisse der alten Sprachen zugute. In Kiel fand er in dem Philosophen, klassischen Philologen und bedeutenden Platon-Forscher Julius Stenzel (1883-1935) und in dem Theologen und späteren bekannten Logiker Heinrich Scholz (1884-1956) gleichgesinnte Kollegen und veranstaltete mit ihnen regelmäßig Seminare über die Mathematik in der Antike. Toeplitz hat auch einschlägige Arbeiten publiziert, so zum Beispiel den Aufsatz „Mathematik und Antike“ in der Zeitschrift „Die Antike“. Mit Julius Stenzel und Otto Neugebauer (1899-1990) begründete er 1929 die Zeitschrift „Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik“, die bereits zwei Jahre nach der Gründung um die Geschichte der Astronomie und Physik erweitert wurde. Sie ist leider während der NS-Zeit Ende der 1930er Jahre eingestellt worden.
1928 wurde Toeplitz als Nachfolger von Eduard Study (1862-1930) zum ordentlichen Professor nach Bonn berufen. Mit dem hier wirkenden Felix Hausdorff verstand sich Toeplitz sehr gut. Die Familien waren bald befreundet; nicht zuletzt verband sie die Liebe zur Musik. Bonn war die zweitgrößte preußische Universität, und so hatte Toeplitz als akademischer Lehrer einen bedeutend größeren Wirkungskreis als in Kiel. In seiner Anfängervorlesung zur Analysis saßen bis zu 200 Studenten. Es wird berichtet, dass er sich sehr für seine Studenten engagierte und ein vorbildliches Übungssystem aufbaute. Ihn beschäftigte viele Jahre das Problem, wie man Anfängern die Analysis nahebringen sollte. Seine Idee war, die grundlegenden Begriffe und Theoreme in ihrer historischen Entwicklung darzustellen und so das geistige Ringen um ihr Entstehen und Wachsen bis zu ihrer endgültigen Form für die Hörer der Vorlesung nacherlebbar zu machen. Dieses Herangehen nannte er die „genetische Methode“. Er hat an einem Lehrbuch, in dem die Infinitesimalrechnung nach der genetischen Methode dargestellt werden sollte, viele Jahre gearbeitet und das Material mit seinen Schülern immer wieder diskutiert. Die Schrecken der NS-Zeit haben die Fertigstellung verhindert. Im Nachlass fand sich ein umfangreiches Manuskript, das sein Schüler Gottfried Köthe (1905-1989) nach dem Krieg herausgegeben hat: „Die Entwicklung der Infinitesimalrechnung I“.
Auch seine Bemühungen um die Mathematikgeschichte und die Didaktik der Mathematik konnte Toeplitz in Bonn unter besseren Bedingungen als in Kiel fortsetzen. Bei den Verhandlungen um seine Berufung nach Bonn hatte er erreicht, dass der Mathematikhistoriker Erich Bessel-Hagen (1898-1946) als Privatdozent nach Bonn kommen konnte und einen festen Lehrauftrag erhielt, der einige historische Vorlesungen, aber auch mathematische Vorlesungen umfasste. Bessel-Hagen war Toeplitz eine große Hilfe beim Aufbau einer Historisch-Didaktischen Abteilung des Mathematischen Seminars mit einer großen historischen Bibliothek als Kernstück. Diese Institution war einmalig in der damaligen Universitätslandschaft und die historische Bibliothek entwickelte sich zur besten dieser Art in Deutschland. Leider ist sie bei einem Bombenangriff 1944 vernichtet worden. Die Kolloquien zur Mathematikgeschichte führten Toeplitz und Bessel-Hagen gemeinsam mit dem Philosophen Oskar Becker (1889-1964) durch. Es gab zwischen der Bonner Historisch-Didaktischen Abteilung und den Kollegen Ernst Hellinger, Max Dehn (1878-1952) und Carl Ludwig Siegel (1896-1981) in Frankfurt/Main, die dort auch öfter Seminare zur Geschichte der Mathematik durchführten, einen lebhaften Austausch und gegenseitige Besuche.
Es war Toeplitz schon in Kiel und nun auch verstärkt in Bonn ein Anliegen, mit der Lehrerschaft an den Gymnasien in fachlichen und didaktischen Fragen besser ins Gespräch zu kommen und Anregungen beider Seiten miteinander auszutauschen. 1928 hat er auf der Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hamburg einen Vortrag über „Die Spannungen zwischen den Aufgaben und Zielen der Mathematik an der Hochschule und an der höheren Schule“ gehalten. Gemeinsam mit Heinrich Behnke (1898-1979) von der Universität Münster begründete Toeplitz 1932 die Zeitschrift „Semester-Berichte zur Pflege des Zusammenhangs von Universität und Schule“. Sie existiert bis heute, nun unter dem Titel „Mathematische Semesterberichte“, und verfolgt in etwa noch die Ziele von damals.
Toeplitz hatte ein besonderes Talent, in Vorträgen breiten Kreisen interessierter Zuhörer mathematische Themen nahe zu bringen. Auch sein Breslauer Kollege Hans Rademacher (1892-1969), den er von Göttingen her gut kannte, bemühte sich in Vorlesungen „für Hörer aller Fakultäten“ geeignete Gebiete der Mathematik für Laien verständlich darzustellen. Bei einem Besuch Rademachers in Kiel entstand die Idee, aus diesen Vorträgen und Vorlesungen ein gemeinsames Buch zu schaffen. 1930 erschien schließlich bei Springer das gemeinsame Werk „Von Zahlen und Figuren – Proben mathematischen Denkens für Liebhaber der Mathematik“. Das Buch von Rademacher und Toeplitz ist eines der besten Werke der populärwissenschaftlichen mathematischen Literatur und etwa für die Arbeit mit interessierten Schülern eine wahre Fundgrube. Es ist bis in die jüngste Zeit immer wieder in hoher Auflage nachgedruckt worden. Neben Übersetzungen ins Englische, Spanische und Japanische ist auch eine ins Russische erschienen. Die russische Ausgabe kam 1937 auf dem Höhepunkt der Stalinschen „Säuberungen“ in Moskau heraus. Die Übersetzer und Herausgeber der Moskauer Ausgabe waren ein nicht zu unterschätzendes Risiko eingegangen, denn die vorgeschobenen Gründe für die Verfolgung von Wissenschaftlern bestanden oft darin, dass diese angeblich ausländische Gelehrte besonders herausgestellt und es versäumt hätten, stattdessen die großen Verdienste der sowjetischen Wissenschaft genügend in den Vordergrund zu rücken.
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Antisemitismus Staatsdoktrin. Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurden Beamte „nichtarischer Abstammung“ in den Ruhestand versetzt: Vorerst ausgenommen waren diejenigen, die schon vor 1914 Beamte waren. Toeplitz fiel unter diese Ausnahmeregelung und konnte so zunächst seine Vorlesungstätigkeit fortsetzen. Aufgrund der Nürnberger Rassengesetze vom September 1935 wurde Toeplitz zum Ende des Jahres zwangsweise in den Ruhestand versetzt; ein Wort des Dankes für fast 30 Jahre verdienstvollen Wirkens im deutschen Hochschulwesen sucht man im Entlassungsschreiben vom 17.12.1935 vergebens. Die Ruhebezüge für Toeplitz lagen weit unter denen eines emeritierten Professors.
Aber Toeplitz resignierte nicht. Er wandte sich wieder verstärkt der mathematischen Forschung zu und publizierte gemeinsam mit Gottfried Köthe mehrere Arbeiten über die von ihnen eingeführten vollkommenen Räume und deren Eigenschaften; es sind dies lineare Räume, die mit ihrem Bidual identisch sind und die, mit passenden Topologien versehen, interessante Anwendungen gestatten. Einen großen Teil seiner Energie und Arbeitskraft widmete Toeplitz seit 1933 jedoch dem selbstlosen Wirken für die jüdische Gemeinschaft unter immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen.
Bereits 1933 wurde er in den Vorstand der Bonner jüdischen Gemeinde gewählt. Da die Diskriminierung jüdischer Kinder schon in der Grundschule alltäglich war, hatte der Bonner Rabbiner Alfred Levy (1880-1934) die Einrichtung einer jüdischen Volksschule vorgeschlagen. Toeplitz sah es in der Folgezeit als seine wichtigste Aufgabe an, eine solche Schule für die Kinder von Bonn und Umgebung aufzubauen und so die Kinder zu beschützen. Er wurde Vorsitzender des jüdischen Kultur- und Schulvereins, der die Trägerschaft für die Schule übernehmen sollte. Toeplitz führte die Verhandlungen mit den Behörden und kümmerte sich um die Finanzierung. Als Lehrer konnte er den hervorragenden Pädagogen Hans Herbert Hammerstein (1901-1996) für die Schule gewinnen. Am 1.5.1934 konnte die Schule im Hause der Ludwig-Philippson-Loge eröffnet werden. Sie hatte 1935 84 Schüler. Toeplitz blieb bis 1936 Vorsitzender des Schulvereins.
Eine wichtige Funktion hatte Toeplitz in der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“, und zwar als Leiter der Hochschulabteilung. In dieser Funktion setzte er sich für die Ausreise jüdischer Dozenten und Studenten ein; insbesondere organisierte er Stipendien für die Auswanderung begabter jüdischer Studenten. In einer sorgfältig geführten Kartei dokumentierte er Absetzungen und Selbstmorde jüdischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen. Auch seine Frau Erna engagierte sich im Vorstand des Frauenvereins der jüdischen Gemeinde. Ferner gründete sie die „Women’s International Zionist Organization“ und wurde deren Vorstandsvorsitzende. Gemeinsam mit Sozialarbeiterinnen aus Köln richtete sie die jüdische Sozialhilfe-Organisation „Hilfe und Aufbau“ ein.
Während des Pogroms vom 9./10.11.1938 war Otto Toeplitz wegen seiner herausragenden Stellung in der Gemeinde und darüber hinaus besonders gefährdet. Sein Freund, der Geologe Hans Cloos (1885-1951), brachte ihn im Auto in die Nähe von Aachen in ein Versteck, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte. Cloos hat ihm damit vielleicht das Leben gerettet, denn es gab an die 400 Todesopfer in der Pogromnacht und um die 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. Es war also allerhöchste Zeit zu emigrieren. Im Januar 1939, nach der Überwindung erheblicher Schwierigkeiten, emigrierte Otto Toeplitz mit seiner Frau und der Tochter Eva nach Palästina. Er trat dort eine Stellung in der Hochschulverwaltung an, starb aber bereits am 15.2.1940 in Jerusalem. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Jerusalem am Fuße des Ölbergs.
Das Mathematische Institut der Universität Bonn ehrte Otto Toeplitz mit einer granitenen Gedenktafel. Mit der Einrichtung eines „Toeplitz-Kolloquium zur Didaktik und Geschichte der Mathematik“ gedenkt das „Hausdorff Center for Mathematics“ der Bonner Universität des großen Engagements von Otto Toeplitz für diese Gebiete. Es findet regelmäßig mit drei bis vier Vorträgen pro Semester statt.
Nachlass
Ein Teilnachlass befindet sich in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (NL Toeplitz). Findbuch bearb. v. René Wiegand, Bonn 1999.
Werke (Auswahl)
Zur Transformation der Scharen bilinearer Formen von unendlichvielen Veränderlichen, in: Nachrichten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Mathematisch-physikalische Klasse 1907, S. 110–116.
Die Jacobische Transformation der quadratischen Formen von unendlichvielen Veränderlichen, in: Nachrichten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Mathematisch-physikalische Klasse 1907, S. 101-109.
[mit Ernst Hellinger], Grundlagen für eine Theorie unendlicher Matrizen, in: Mathematische Annalen 69 (1910), S. 289-330.
Über die Fourier'sche Entwickelung positiver Funktionen, in: Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo 32 (1911), S. 191-192.
Das Problem der Universitätsvorlesungen über Infinitesimalrechnung und ihrer Abgrenzung gegenüber der Infinitesimalrechnung an den höheren Schulen, in Jahresbericht der Deutsche Mathematiker-Vereinigung 36 (1927), S. 88–100.
[mit Ernst Hellinger], Integralgleichungen und Gleichungen mit unendlich vielen Unbekannten, 1927, Reprint Chelsea 1953.
[mit Hans Rademacher], Von Zahlen und Figuren. Proben mathematischen Denkens für Liebhaber der Mathematik, Berlin 1930, 2. Auflage Berlin 1933. Die Entwicklung der Infinitesimalrechnung. Eine Einleitung in die Infinitesimalrechnung nach der genetischen Methode, Band 1, aus dem Nachlass hg. v. Gottfried Köthe, Berlin [u.a.] 1949, Neuauflage 1972 [Englische Übersetzung: The Calculus, a genetic approach, Chicago 1963, Neuauflage Chicago 2008].
Literatur
Behnke, Heinrich/Köthe, Gottfried, Otto Toeplitz zum Gedächtnis, in: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 66 (1963), S. 1–16.
Hildebrandt, Stefan, Mathematik an der Universität zu Bonn von 1818 bis 2018, in: Becker, Thomas/Rosin, Philip (Hg.), Die Natur und Lebenswissenschaften. Geschichte der Universität Bonn, Band 4, Göttingen 2018, S. 238-263, bes. S. 241-247.
Hildebrandt, Stefan/Lax, Peter D. (Hg.), Otto Toeplitz, Bonn 1999.
Otto Toeplitz 1881-1940. Gedächtnisfeier zur Wiederkehr seines 100. Geburtstages in Bonn am 3. Juli 1981, Bonn 1982.
Toeplitz, Uri, Und Worte reichen nicht. Von der Mathematik in Deutschland zur Musik in Israel. Eine jüdische Familiengeschichte, Konstanz 1999.
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Purkert, Walter, Otto Toeplitz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-toeplitz/DE-2086/lido/5f0d6c8629f333.82381110 (abgerufen am 06.12.2024)