Zu den Kapiteln
Tief verwurzelt im Bergischen Land, teilt sich das öffentliche Wirken Paul Luchtenbergs in zwei große Abschnitte: zunächst die Phase des pädagogischen Reformers und Erziehungswissenschaftlers, welche vom Nationalsozialismus abgeschnitten wurde, und dann nach 1945 die des liberalen Kulturpolitikers, welche bis an die Spitze des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums führte.
Geboren am 3.6.1890 in Burscheid war Paul Luchtenberg das einzige Kind von Karl August Luchtenberg (1863-1954) und seiner Ehefrau Emma Luise, geborene Rütgers (1862-1947). Beide Eltern stammten aus Burscheid beziehungsweise seinem Umland und waren praktizierende Protestanten; der Vater hatte sich aus handwerklich-bäuerlichen Kreisen zum Bauunternehmer emporgearbeitet. Die Neigung des Sohnes zum Beruf des Erziehers wurde schon früh erkennbar, weshalb er zunächst nicht für ein Gymnasium vorgesehen wurde, sondern die Laufbahn eines Volksschullehrers mit Ausbildungsstationen in Bergneustadt und Gummersbach einschlug. Nach deren Absolvierung bekam er jedoch die Gelegenheit, sich als Externer auf die Abiturprüfung in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) vorzubereiten und dann in Bonn ein philologisches Studium aufzunehmen. Der Studienschwerpunkt verlagerte sich zwar immer mehr zur Philosophie, promoviert wurde Luchtenberg jedoch 1915 in Münster mit einer Untersuchung über den Arzt und Schriftsteller Wolfgang Müller von Königswinter.
Für kriegsuntauglich befunden unterrichtete er ab 1916 am Reformgymnasium in Lennep (heute Stadt Remscheid), bereitete aber zugleich seine Habilitation in Köln vor, wo er 1922 eine venia legendi für Philosophie, Psychologie und Pädagogik erhielt. Seine breitgestreuten pädagogischen Interessen kamen unter anderem in der Gründung der Lenneper Volkshochschule 1919 und in der Herausgabe der „Blätter für Berufserziehung“ ab 1925 zum Ausdruck. Im selben Jahr berief ihn die TH Darmstadt auf eine außerordentliche, später ordentliche Professur für Psychologie, Systematische Pädagogik und Philosophie.
1931 übernahm Luchtenberg den Lehrstuhl für Pädagogik, Philosophie und Psychologie an der TH Dresden, verbunden mit der Leitung des dortigen Pädagogischen Instituts und damit verantwortlich für die Betreuung von rund 1.000 Studenten, darunter auch künftige Gewerbelehrer, sowie 600 Schülern einer angeschlossenen Übungsschule. Parteilich zwar ungebunden, galt Luchtenberg jedoch als Anhänger der Weimarer Republik, was ab 1932 zu Konflikten mit Dozenten und nationalsozialistisch gesinnten Studenten führte. Diese konnte er, nicht zuletzt dank der Unterstützung durch den konservativen sächsischen Kultusminister Wilhelm Hartnacke (1878-1952), einigermaßen glimpflich überstehen, verlor aber 1933 die Institutsleitung. Nach der Ablösung Hartnackes wurde 1936 die Kulturwissenschaftliche Abteilung an der TH Dresden stark verkleinert und Luchtenberg in diesem Zusammenhang zwangsemeritiert ohne Aussicht auf einen Ruf anderswohin.
Er zog sich in seine bergische Heimat zurück, wo er ein der Familie gehöriges Bauerngut bewirtschafte. Über seine Ehefrau Else, geborene Richartz-Bertrams (1895-1968), die er 1923 geehelicht hatte, war er außerdem mit einem erfolgreichen bergisch-siegerländischen Unternehmen für Ofenrohre verbunden. In diesen Jahren des „inneren Exils“ erwachte Luchtenbergs Interesse an der Geschichte der Bergischen Landes, über die er nun aus unterschiedlicher Perspektive zu forschen begann und für die dann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs feste institutionelle Strukturen schuf.
Es ist bislang nicht geklärt, warum Luchtenberg, der 1945 als unbelastet galt, zunächst keinen neuerlichen Ruf an eine Universität erhielt. Möglicherweise hatte ihn Rudolf Amelunxen, der erste Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und zugleich Kultusminister, für die Leitung der Hochschulabteilung in diesem Ministerium vorgesehen, was dann aber – nach Amelunxens eigener Erinnerung - „an kleinlichen Widerständen gescheitert war“. Stattdessen wandte sich Luchtenberg nun erstmals der Parteipolitik zu. Unmittelbar nach Kriegsende gehörte er zu den lokalen Mitbegründern der „Deutschen Aufbaupartei“, die Anfang 1946 in der „Freien Demokratischen Partei für die britische Zone“ aufging. Für diese wurde Luchtenberg zunächst in seiner Heimatstadt aktiv, wo er ab 1946 im Stadtrat saß und der FDP eine starke Position verschaffte. Ähnliches galt für den Kreistag Rhein-Wupper.
1950 zog er über die Landesliste seiner Partei in den Düsseldorfer Landtag ein, rückte aber schon Ende des gleichen Jahres in den Bonner Bundestag nach. Sein Schwerpunkt verlagerte sich, da Luchtenberg ab 1951 auch dem FDP-Bundesverstand angehörte, in die Bundespolitik, wo er sich als kulturpolitischer Sprecher der Partei profilierte. Dabei verfolgte er einen Kurs, den er selbst später unter dem Schlagwort „geläuterter Liberalismus“ fasste und der vor allem das Verhältnis zu den Kirchen auf eine neue Basis stellen wollte: So sollte der anti-klerikale Grundzug der Aufklärung dadurch überwunden werden, indem die Liberalen die „abendländischen Grundlagen des Geistesleben behüte(n)“ und sowohl „dem Christentum (als) auch dem Humanismus, der Wissenschaft und der Philosophie ihre Rechte sichern“ sollten. Ziel eines solchen Liberalismus war nach Luchtenberg die „freie Persönlichkeit eines auf religiös-sittlichen Fundamenten beruhenden demokratischen Staates“. An der Bonner Universität nahm Luchtenberg ab 1953 auch eine Honorarprofessur für Berufspädagogik wahr; letztere wurde nun zu einem Schwerpunkt seiner erziehungswissenschaftlichen Tätigkeit.
Nachdem er 1954 auch in den zweiten Bundestag nachgerückt war, kam es durch den Düsseldorfer „Jungtürken-Aufstand“ zwei Jahre später zu einer erneuten Wende in Luchtenbergs Leben: Der von jüngeren nordrhein-westfälischen FDP-Politikern um Walter Scheel herbeigeführte Sturz von Ministerpräsident Karl Arnold und die Bildung einer SPD-FDP-Landesregierung unter Fritz Steinhoff (1897-1969) führten ihn von Bonn rheinabwärts nach Düsseldorf. Denn nach Verzicht von Friedrich Middelhauve, der den Koalitionswechsel seiner Partei missbilligte, wurde Luchtenberg zum nordrhein-westfälischen Kultusminister ernannt. Der erste liberale Amtsinhaber wurde, obwohl er zu den „geläuterten“ Liberalen zählte, von der nunmehr oppositionellen CDU wegen der traditionellen Konflikte in der Schulpolitik mit besonderem Misstrauen gesehen. Hinzu kam, dass nun ein bekennender Anhänger eines „Bundeskultusministeriums“ föderale Kulturpolitik betreiben sollte.
Die Möglichkeiten zu einem generellen schulpolitischen Umsteuern waren aber schon dadurch stark eingeschränkt, dass die neue Regierung nur über eine sehr knappe Mehrheit verfügte und die Unterstützung der Zentrumspartei suchte. So schlug Luchtenberg einen eher behutsamen Kurs ein, der aber dennoch in den zwei Jahren seiner Amtszeit etliche Neuerungen brachte. Dazu gehörten die Verlängerung und Verwissenschaftlichung der Volksschul- und Berufsschullehrer-Ausbildung, die Neuordnung der Pädagogischen Akademien und die Erweiterung der Möglichkeiten, über den „Zweiten Bildungsweg“ die Hochschulreife zu erlangen. Gegenüber den Kirchen nahm der Kultusminister Luchtenberg eine Haltung der „aktiven Toleranz“ ein, die für diese durchaus von Vorteil war, da eine Reihe von Projekten zum Abschluss gebracht wurden wie die Regelung des Verhältnisses zu den drei evangelischen Landeskirchen, die Errichtung des Ruhrbistums oder der Wiederaufbau der Domkurien in Münster und Paderborn. Stolz war Luchtenberg vor allem darauf, dass es ihm 1957 gelang, den Streit um die simultane Nutzung des Altenberger Doms endgültig zu schlichten.
Diese unbestreitbaren Erfolge wirkten sich aber nicht auf die Landtagswahlen aus, 1958 erzielte die CDU eine absolute Mehrheit im Düsseldorfer Parlament und Luchtenberg, der dabei in den Landtag zurückgekehrt war, musste sein Amt aufgeben. Er blieb noch zwei Legislaturperioden einfacher Landtagsabgeordneter, trat aber politisch nicht mehr sonderlich hervor.
Sein Schwerpunkt verlagerte sich auf sein ehrenamtliches Engagement. Dieses verband sich neben zahlreichen wissenschaftlichen und pädagogischen Institutionen vor allem mit zwei Feldern: der bergischen Geschichte und der politischen Bildung. 1958 gehörte Luchtenberg zu den Mitbegründern der von Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963, Bundespräsident 1949-1959) und Altministerpräsident Reinhold Maier (1889-1971) ins Leben gerufen Friedrich-Naumann-Stiftung. Hier war er zunächst Mitglied des Vorstandes und dann von 1961 bis 1970 Vorsitzender. Dies war eine erste Phase, in der die Arbeit der FDP-nahen Stiftung stark expandierte, etwa durch die Aufnahme ihrer Tätigkeit im Ausland, die Übernahm des Parteiarchivs der FDP-Bundespartei oder die Eröffnung einer Bildungsstätte im Gummersbach, also in ziemlicher Nähe von Luchtenbergs Geburts- und Wohnort, obwohl nicht das, sondern die Vermittlung durch den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Gerhard Kienbaum (1919-1998) bei der Standortwahl ausschlaggebend war.
Noch länger und quasi bis zuletzt anhaltend war sein Wirken für die Belange der heimatlichen Geschichte. 1950 rief er mit anderen die „Romerike Berge“ als populärwissenschaftliche Zeitschrift für die bergische Heimatgeschichte ins Leben, die er dann bis 1973 herausgab. Ähnlich lang präsidierte Luchtenberg dem „Schlossbauverein Burg an der Wupper“, der sich seit 1887 dem Wiederaufbau und Erhalt sowie der adäquaten Nutzung der ehemaligen Hauptresidenz der Grafen von Berg in Solingen widmet. In die 24 Jahre seines Vorsitzes fielen unter anderem die Errichtung einer „Gedenkstätte des Deutschen Ostens“ dort sowie die Neukonzeption des in der weiten Schlossanlage ansässigen „Bergischen Museums“.
Luchtenberg selbst legte in diesen Jahren gewichtige Werke zur Kulturgeschichte des Bergischen Landes vor, zum Teil Frucht Jahrzehnte langer Forschung. Vielfach geehrt, unter anderem als Ehrensenator der TU Darmstadt, Ehrendoktor der Universität Köln und Ehrenbürger seiner Heimatstadt, der er seine umfangreiche Sammlung mittelalterlicher Kunst sowie von Werken der Düsseldorfer Malerschule vermachte, starb Paul Luchtenberg am 7.4.1973 in Burscheid.
Werke (Auswahl)
Antinomien der Pädagogik, Langensalza 1923, Nachdruck Darmstadt 1963.
Das Lebensrätsel des Instinktiven, Langensalza 1925.
Burscheid. Zeugnisse seiner Vergangenheit 1175-1815, Leverkusen 1941.
(Hg.) Beiträge zur Reform der Berufserziehung, Bielefeld 1952.
(Mit-Hg.) Merkmale der amerikanischen Berufsausbildung und Berufserziehung, 2. Auflage, Bielefeld 1955.
Wolfgang Müller von Königswinter, Köln 1959.
Wandlung und Auftrag liberaler Kulturpolitik. Reden und Aufsätze, Bonn [1960].
Der Bildhauer Ernst Kunst. Versuch einer Deutung seines Schaffens, [Remscheid] 1962.
Johannes Löh und die Aufklärung im Bergischen, Köln 1965.
Meilensteine [Jugenderinnerungen], in: Romerike Berge 23 (1973), S. 76-87.
Literatur
Faßbender, Monika, „… auf der Grundlage des Liberalismus tätig“. Die Geschichte der Friedrich-Naumann-Stiftung, Baden-Baden 2008.
Kulturpolitik und Menschenbildung. Festschrift für Paul Luchtenberg, Neustadt/Aisch 1965.
Luchtenberg, Paul, in: Vierhaus, Rudolf/Herbst, Ludolf (Hg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, München 2002, S. 517.
Rakette, Egon H. (Hg.), Im Dienste des Menschen. Hommage für Paul Luchtenberg, München 1975.
Reinmöller, Lore, Weg und Werk. Ein Beitrag zum Lebensbild Prof. Dr. Paul Luchtenbergs, in: Unterwegs wohin? Geist und Gesellschaft, Mannheim 1965, S. 37-52.
dies. (Hg.): Das Wagnis der Mündigkeit. Beiträge zum Selbstverständnis des Liberalismus. Festschrift für Paul Luchtenberg. Neustadt/Aisch 1970
Schmoeckel, Gisela, Der geläuterte Liberale. Paul Luchtenberg starb vor 20 Jahren, in: Bergische Blätter 6 v. 27.3.1993, S. 10-12.
Online
Paul Luchtenberg beim Landtag von Nordrhein-Westfalen. [online]
beim Darmstädter Stadtlexikon. [online]
in der Hessischen Biographie. [online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Frölich, Jürgen, Paul Luchtenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-luchtenberg/DE-2086/lido/5bb5d052ea59e5.88644808 (abgerufen am 07.10.2024)