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Als Bundesminister für Wohnungsbau von 1957 bis 1965 hatte Paul Lücke großen Anteil am Wiederaufbau in der Bundesrepublik Deutschland. Anschließend war er als Bundesminister des Inneren entscheidend an der Ausarbeitung der Notstandsgesetze beteiligt. Er scheiterte jedoch mit dem Versuch, in der Bundesrepublik Deutschland ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Vorbild durchzusetzen.
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges, am 13.11.1914, wurde Paul Friedrich Lücke in dem kleinen Ort Schöneborn im 1932 gebildeten Oberbergischen Kreis geboren. Sein Vater arbeitete in einem Steinbruch und stieg später zum Steinbruchmeister auf. Die Mutter kümmerte sich um die 14 Kinder der Familie. Neben der Herkunft aus einfachen Verhältnissen wurde Lücke vor allem dadurch geprägt, dass er als Katholik in seiner Heimat zu einer kleinen Minderheit gehörte. Lücke bekannte sich aktiv zum katholischen Glauben und trat früh der katholischen Pfadfinderschaft St. Georg bei. Bereits mit 18 Jahren wurde er Dekanatsjugendführer. Außerdem war Lücke in der katholischen Laienbewegung aktiv, wo er bis zum Bezirksleiter im Aggertal aufstieg.
Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete Lücke zunächst im Steinbruch, ehe er 1928 eine Lehre als Schlosser aufnahm. Der Gesellenprüfung 1931 folgten mehrere Jahre als Grobschmied. Im Oktober 1935 wurde Lücke zum Wehrdienst einberufen. In der Wehrmacht wurde die Begabung Lückes erkannt, weshalb er am Ende seiner Dienstzeit zum Maschinenbaustudium nach Berlin geschickt wurde. Während des Studiums wohnte er im Arbeiterviertel Wedding, dessen Wohnungselend ihn erschütterte und nachhaltig prägte. Bereits kurz nach seinem Ingenieursexamen brach der Zweite Weltkrieg aus, den Lücke bis 1945 als Feuerwerker und Waffenoffizier miterlebte. Bei einem Sabotageakt der französischen Résistance in Toulouse wurde er 1944 schwer verletzt und verlor ein Bein.
Am Ende des Krieges geriet Paul Lücke in Österreich in Kriegsgefangenschaft. Doch schon im September 1945 konnte er in seine Heimat zurückkehren, wo er sich sogleich wieder der katholischen Laienbewegung anschloss. Um den Vertriebenen und Ausgebombten zu helfen, gründete er mit Gleichgesinnten das „Katholische Aufbauwerk Oberbergischer Kreis". Ab November 1945 war er als Kommunalbeamter der Kreisverwaltung in Gummersbach offiziell für die Betreuung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zuständig. Bereits 1946 wurde er zum Leiter des Kreiswirtschaftsamtes befördert. 1947 folgte die Ernennung des 33-jährigen Lücke zum Direktor des Amtes Engelskirchen auf Lebenszeit.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit war Paul Lücke parteipolitisch tätig und gehörte zu den Mitgründern der CDU im Oberbergischen Kreis. Als erfolgreicher Kommunalpolitiker wurde er von der CDU im Rheinisch-Bergischen Kreis (gleichzeitig ein Bundestagswahlkreis) als Kandidat für die Bundestagswahl 1949 aufgestellt. Auf Anhieb konnte er den Wahlkreis gewinnen und vertrat ihn bis 1972 im Deutschen Bundestag.
Im Parlament wurde Lücke Mitglied im Ausschuss für Wiederaufbau und Wohnungsbau, dem in der unmittelbaren Nachkriegszeit große Bedeutung zukam. Als nach wenigen Monaten der Ausschussvorsitzende zurücktrat, wurde das jüngste Ausschussmitglied – Paul Lücke – zum Nachfolger gewählt. Aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen in Berlin und in seiner Heimat setzte er sich für privates Wohneigentum und gegen die Entstehung von Mietskasernen ein. Die von Lücke bevorzugte Förderung des Eigenheims vor der Mietwohnung wurde 1956 im 2. Wohnungsbaugesetz verankert. Neben seiner Parlamentstätigkeit blieb Lücke auch der Kommunalpolitik verbunden. 1954 wurde er zum Präsidenten des Deutschen Gemeindetages gewählt. Bis 1966 stand er an der Spitze dieses Verbandes und wurde danach zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Nach der Bundestagswahl 1957 holte Bundeskanzler Konrad Adenauer den erfolgreichen Ausschussvorsitzenden Lücke als Bundesminister für Wohnungsbau in sein Kabinett. Als Wohnungsbauminister brachte er 1959 den „Lücke-Plan" auf den Weg, der den stufenweisen Abbau der seit langem bestehenden Wohnungszwangswirtschaft vorsah. Um den steigenden Baulandpreisen entgegenzuwirken, wurde gleichzeitig mit dem „Lücke-Plan" 1960 auch ein Bundesbaugesetz verabschiedet. Lücke behielt nach der Bundestagswahl 1961 sein Amt, dessen Kompetenzen sogar noch erweitert wurden. Als Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung wandte er sich verstärkt Fragen des Städtebaus und der Raumplanung zu. Auch nach dem Rücktritt Adenauers 1963 blieb Lücke, der über einen starken Rückhalt in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verfügte, Wohnungsbauminister unter Bundeskanzler Ludwig Erhard (1897-1977, Kanzler 1963-1966).
Im Oktober 1965 übernahm Lücke das Bundesinnenministerium, als Erhard sein Kabinett nach der Bundestagswahl umbildete. Mit dem neuen Amt übernahm er auch die schwierige Aufgabe der Ausarbeitung einer Notstandsverfassung. Dabei waren die guten Kontakte Lückes zur SPD von Vorteil, deren Zustimmung nötig war, um Notstandsgesetze überhaupt verabschieden zu können. Auch nach dem Rücktritt Erhards im November 1966 und der Bildung einer Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1904-1988, Kanzler 1966-1969) aus CDU/CSU und SPD blieb Lücke an der Spitze des Innenministeriums. Schon während der Spiegel-Affäre 1962 hatte er sich für eine Koalition mit der SPD ausgesprochen. Gemeinsam mit der SPD hoffte Lücke, nun endlich ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Muster einführen zu können. Dadurch wollte er die Bundesrepublik Deutschland vor innenpolitischen Krisen wie in der Weimarer Republik bewahren und im Bundestag stets klare Mehrheitsverhältnisse schaffen.
Tatsächlich gehörten die Verabschiedung der Notstandsverfassung und die Einführung eines Mehrheitswahlrechts zu den Grundlagen der Großen Koalition. Beide Koalitionspartner hatten allerdings unterschiedliche Auffassungen zum Mehrheitswahlrecht. Als die SPD auf ihrem Parteitag im März 1968 die Wahlrechtsreform auf einen späteren Zeitpunkt verschob, trat Lücke enttäuscht von seinem Amt als Innenminister zurück. Er blieb jedoch Mitglied des Deutschen Bundestages. Bei der Bundestagswahl 1972 verlor Paul Lücke seinen Wahlkreis und schied damit auch aus dem Parlament aus, da er nicht über die Landesliste der CDU abgesichert war.
Das Ende seiner politischen Karriere bedeutete für Lücke aber noch nicht den Rückzug aufs Altenteil. Er blieb Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, deren Gründung er als Bundesinnenminister aktiv unterstützt hatte, und Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Seit 1969 war er außerdem Geschäftsführer zweier Kölner Wohnungsbaugesellschaften. Der Vater von sechs Kindern war Träger des Großkreuzes des päpstlichen Gregoriusordens und des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Am 10.8.1976 starb Paul Lücke an den Folgen einer Operation in einem Krankenhaus in Erlangen. Der „Vater des sozialen Wohnungsbaus" wurde mit einem Staatsbegräbnis geehrt und in Bensberg (heute Stadt Bergisch Gladbach) bei Köln beigesetzt.
Literatur
Aretz, Jürgen, Paul Lücke, in: Aretz, Jürgen/Morsey, Rudolf/Rauscher, Anton (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 11, Münster i.W. 2004, S. 195-212.
Jesse, Eckhard, Paul Lücke, in: Kempf, Udo/Merz, Hans-Georg (Hg.), Kanzler und Minister 1949-1998. Ein biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Opladen 2001, S. 454-459.
Lücke, Paul, Ist Bonn doch Weimar? Der Kampf um das Mehrheitswahlrecht, Frankfurt a.M./Berlin 1968.
Schulz, Günther, Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis 1957, Düsseldorf 1993.
Online
Aretz, Jürgen, Soziale Marktwirtschaft mit großem "S". Vor neunzig Jahren wurde Paul Lücke geboren, in: Die Politische Meinung 420 (2004), S. 90-94. (Text als PDF-Dokument auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung). [Online]
Frommelt, Reinhard, "Lücke, Paul", in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 449. [Online]
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Grau, Andreas, Paul Lücke, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-luecke/DE-2086/lido/57c945bdb56f81.21820620 (abgerufen am 05.12.2024)