Zu den Kapiteln
Der Jurist, umfassend gebildete und vielseitig tätige Wissenschaftsorganisator, CDU-Politiker sowie überparteilich geschätzte Ratgeber Paul Mikat gehörte zu den herausragenden Gestaltern des politisch konservativ-(katholischen) Spektrums, der in zahlreichen öffentlichen Ämtern und Funktionen seit den frühen 1960er Jahren fast ein halbes Jahrhundert lang die bildungs- und forschungspolitische Landschaft weit über Nordrhein-Westfalen hinaus geprägt hat.
Am 10.12.1924 kam Paul Josef Mikat in Scherfede bei Warburg unehelich zur Welt. Der Name des leiblichen Vaters bleibt unbekannt – die Mutter, die in Rom Kunstgeschichte studierte und ein Studium der Medizin in Deutschland abschloss, entstammte einer wohlhabenden Familie. Ihr Kind gab sie in ein Waisenhaus und zur Adoption frei. Im Alter von sechs Jahren wurde der Junge schließlich von den Eheleuten Leo (1878-1955) und Maria Mikat, geborene Tölle, am 14.3.1930 in Essen adoptiert. Paul führte seither den Namen Mikat. Während der Stiefvater, Angestellter der Friedrich Krupp AG, evangelischer Konfession war und erst später zum Katholizismus konvertierte, wurde das Kind nach dem katholischen Bekenntnis der Stiefmutter, einer Lehrerin, streng in ihrem Glauben erzogen.
Zwischen 1931 und 1935 besuchte Paul Mikat eine Katholische Volksschule in Essen und wechselte zum 1.4.1935 an das Essener Burggymnasium. Auf Wunsch des Vaters unterbrach Paul 1940 die Schulzeit für elf Monate, um in der Lehrwerkstatt der Friedrich Krupp AG in Essen ein Praktikum zu absolvieren, doch behielt Paul den Willen, das Abitur abzulegen, fest im Blick. Nachdem er den fehlenden Lernstoff in einer Abendschule nachgeholt hatte, wechselte er 1941 auf die Alfred-Krupp-Oberschule, eine Oberrealschule mit Reform-Realgymnasium für Jungen, in Essen-West. Da Paul Mikat für August 1942 zum Reichsarbeitsdienst einberufen wurde, erhielt er das Abiturzeugnis Ende Juli 1942 wegen der Kriegsereignisse mit verkürzter Prüfungsleitung (ohne mündliche Prüfung) zuerkannt.
Nach einigen Monaten Reichsarbeitsdienst in der Tschechoslowakei verrichtete Mikat ab Januar 1943 den Wehrdienst bei der Kriegsmarine. Er diente erst in der Marinekriegsschule in Flensburg, danach beim Schiffsstammregiment in Stralsund. Als Oberfähnrich d. R. wurde er von 1943 bis März 1945 auf Minensuchbooten im Baltikum, in Holland, Frankreich, Dänemark und Norwegen eingesetzt. Bis zur Kapitulation des Deutschen Reiches diente er in den letzten Kriegswochen unter Beförderung zum Leutnant z. S. bei der Marinesuchflottille Wilhelmshaven. Unter dem Befehl der Briten gehörte Mikat auch nach der Kapitulation zum Deutschen Minenräumdienst.
Im November 1945 zog der knapp 21-Jährige in das Bonner Collegium Leoninum und nahm an der gerade wiedereröffneten Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zunächst ein Theologie- und Philosophiestudium als Priesteramtskandidat des Erzbistums Köln auf – ein Ziel, das er 1948 unfreiwillig aufgeben musste, da der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings ihm das Weiterstudium und den Eintritt in das Kölner Priesterseminar verweigerte. Die genauen Gründe liegen immer noch im Unklaren, könnten aber mit seiner unehelichen Herkunft zusammenhängen. Möglicherweise war sein leiblicher Vater selbst katholischer Geistlicher.
Schon 1946 hatte Mikat damit begonnen, zusätzlich Theologie, Geschichte und Germanistik auf Lehramt zu studieren. Auch das Fach Kunstgeschichte belegte er. Ab 1948 begann er ein weiteres Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn. 1950 schloss er sein Theologiestudium ab, drei Jahre später legte er die erste juristische Staatsprüfung ab. Durch eine Tätigkeit im höheren Schuldienst der Stadt Bonn – er unterrichtete an einer kaufmännischen Bildungsanstalt – konnte er sich zuletzt die Jahre des Studiums finanzieren. Mikat engagierte sich ebenfalls in der sogenannten „Görresgruppe“ der Universität, aus der später die dem CV angehörige KDStV Rheinfels hervorging.
Ab 1953 bis 1957 folgte der juristische Referendar- beziehungsweise Justizvorbereitungsdienst, zeitgleich von 1952-1957 war Mikat Assistent am Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte. 1954 wurde er in Bonn mit einer Arbeit über „Geschlechtliches Unvermögen als Ehehindernis im kanonischen Kirchenrecht“ zum Dr. iur. promoviert. Im gleichen Jahr heiratete er Edith Hintzen (1928-2015), eine Arzttochter aus Ratingen und Realschullehrerin, die er im Studium kennengelernt hatte. Drei Töchter entstammen dieser Ehe. Zwei Jahre nach der Promotion erfolgte die Habilitation für Kirchenrecht und Rechtsgeschichte an der Bonner Universität mit einer Arbeit über „Der Einfluss der Kirche auf die Entwicklung des Eherechts in merowingisch-fränkischer Zeit“.
Gleich 1957 nahm Paul Mikat einen Ruf an die Würzburger Universität an und lehrte dort Kirchenrecht und Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht sowie Wirtschafts- und Handelsrecht. Ordentlicher Professor blieb er bis zu seiner Emeritierung 1990, ab 1965 dann an der Ruhr-Universität in Bochum, wo er auch das Institut für deutsche Rechtsgeschichte leitete. Dass er die Bochumer Universität zudem selbst gegründet hatte, war seiner zweiten – parallelen – Laufbahn verdankt, der des Politikers.
Der CDU gehörte Mikat seit 1945 an, doch verzichtete er auf der politischen Bühne eher auf öffentliche Wirksamkeit und suchte die Rolle des Vermittlers oder Moderators hinter den Kulissen. Viele Optionen waren ihm im Laufe von Jahrzehnten angetragen worden, in der Regel lehnte er sie ab – weder wollte er anfangs einer der persönlichen Referenten Konrad Adenauers werden, noch deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom oder in späteren Jahren eine führende Rolle beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe übernehmen oder gar das Amt des Bundestagspräsidenten.
Ein politisches Amt schlug er aber nicht aus: im Bundestagswahlkampf 1957 hatte ihn der Bundeswahlleiter der CDU, Franz Meyers kennen- und als politischen Debattenredner schätzen gelernt. Als Meyers nach einer ersten vierjährigen Amtszeit nach seiner Wiederwahl als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident 1962 ein neues Kabinett bilden musste, berief er den fast 38-jährigen Mikat zum Kultusminister in Düsseldorf . Obwohl Mikat dieses Amt (unter Beibehaltung seiner Bochumer Professur) nur vier Jahre bis zur Ablösung der Regierung Meyers durch das SPD-geführte Kabinett von Heinz Kühn 1966 innehatte, traf er so viele weitreichende und die Region an Rhein und Ruhr prägende Entscheidungen, dass man ihn zeitlebens mit dieser Funktion identifizierte.
Allein vier Universitäten wurden in den vier Jahren seiner Amtszeit gegründet: in Bochum, Düsseldorf, Bielefeld und Dortmund. Seine Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels in Nordrhein-Westfalen machten ihn einer breiten Öffentlichkeit schlagartig bekannt: etwa 4.500 fehlende Lehrerstellen im Volksschulbereich ließen ihn gleich nach Amtsübernahme zu einer ungewöhnlichen Maßnahme greifen. Es sollten Aushilfskräfte, die zumindest ein Abitur hatten, nach einem einjährigen Lehrgang auf den Volksschuldienst vorbereitet werden. Absolventen dieses Schnellverfahrens hießen im Volksmund bald „Mikätzchen“ und „Mikater“. Zusätzliche Weiterbildungen sollten diese Quereinsteiger mehr und mehr auf den Stand ihrer Kollegen mit akademischem Vollstudium bringen. Fast 2.500 Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen begannen 1963 ihre Lehrgänge und unterrichteten schon ab Januar 1964. Zwei Jahre von 1963-1965 stand Mikat auch als Präsident der bundesdeutschen Kultusministerkonferenz vor.
Von 1966-1969 gehörte er dem Landtag von Nordrhein-Westfalen an, nahm dann aber von 1969-1987 ein Mandat als Mitglied des Deutschen Bundestages in Bonn wahr. Obwohl auch zeitweilig Mitglied im Bundesvorstand der CDU war die reine Parteiarbeit seine Sache nicht. Vielmehr lagen ihm andere Bühnen, auf denen er sich als Wissenschaftsorganisator, Weichensteller und Ideengeber präsentieren konnte und sein Sachverstand jahrzehntelang gefragt war.
Mikats wichtigstes Tätigkeitsfeld war dabei die „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft“, eine alt-ehrwürdige Einrichtung katholischer Wissenschafter, die sich während der Kulturkampfzeit in der Bismarck-Ära gebildet hatte, und der er von 1967 bis 2007 als Präsident vorstand. Seinen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Interessen entsprechend erschien keine Tätigkeit seines Lebens so sehr auf ihn zugeschnitten wie die Führung dieser Gesellschaft. Gerade der aktualisierten Herausgabe der mit der Gesellschaft verbundenen lexikalischen Nachschlagewerke, wie zum Beispiel das Staatslexikon, widmete er sich mit Enthusiasmus.
Zwischen 1967 und 1998 vertraute man in der Villa Hügel Mikat die verantwortungsvolle Aufgabe des Testamentsvollstreckers für Alfried Krupp von Bohlen und Halbach an. Auch an die Spitze verschiedener Kommissionen im Bereich der Steinkohle und des schwierigen wirtschafts- und energiepolitischen Strukturwandels im Ruhrgebiet berief man den unermüdlichen Ratgeber, etwa leitete er 1987-1989 die „Kommission Montanregion des Landes Nordrhein-Westfalen“, danach war er Vorsitzender einer Expertenkommission der Bundesregierung und der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Saarland bezüglich einer künftigen Kohlepolitik, 1998 wiederum für die Bundesregierung Vorsitzender der Energie-Kommission.
Kurz vor seinem Tod geriet Paul Mikat im Herbst 2009 in ein zwiespältiges Licht: er soll 1943 als junger Kriegsdienstleistender freiwillig in die NSDAP eingetreten und bis Kriegsende Mitglied der Partei geblieben sein – Anschuldigungen, zu denen Mikat selbst nicht mehr Stellung nahm. Nach jüngsten Untersuchungen des Historikers Rudolf Morsey fehlen allerdings für diese Behauptung einwandfreie Belege, die einen von ihm ausgehenden erklärten Beitritt beweisen.
Mit dem Namen Paul Mikats verbunden bleiben jedoch eine eigene Stiftung, die dem Zweck dient, Forschung und Lehre (speziell an der juristischen Fakultät) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu fördern. Nicht nur hatte Paul Mikat auch diese Universität gegründet, in Düsseldorf war das rastlos tätige Organisationstalent, dessen Lebensradius sich fast ausschließlich entlang von Rhein und Ruhr bewegte, privat heimisch geworden. In Düsseldorf starb Paul Mikat auch am 24.9.2011 im Alter von 86 Jahren – ausgestattet mit einer Vielzahl von staatlichen und kirchlichen Orden und Ehrenpromotionen, darunter das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband (1985), den Staatspreis von Nordrhein-Westfalen (1994) und zuletzt das Großkreuz des päpstlichen Gregoriusordens (2005). Ein besonderes Vergnügen bereitete Mikat die regelmäßige Teilnahme an der Ordensverleihung „Wider den tierischen Ernst“ des Aachener Karnevalsvereins, die ihn 1965 als Ordensritter auszeichnete und deren Ritterschaft er als Ordenskanzler viele Jahre anführte.
Werke (Auswahl)
Geschlechtliches Unvermögen als Ehehindernis im kanonischen Kirchenrecht, Diss iur., Bonn 1954.
Der Einfluss der Kirche auf die Entwicklung des Eherechts in merowingisch-fränkischer Zeit, Habilitationsschrift 1956
Grundlagen, Aufgaben und Schwerpunkte einer künftigen Kultur- und Schulpolitik im Lande Nordrhein-Westfalen. Eine Denkschrift, Ratingen 1966.
Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/ Opladen 1966.
Das C der CDU. Mahnung und Risiko (Bundesgeschäftsstelle der CDU), Bonn 1969.
Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, Darmstadt 1980.
Rechtsprobleme der Schlüsselgewalt, Opladen 1981.
Die Bergpredigt – eine Herausforderung für alle, Freiburg i.Br./Basel/Wien 1983.
Die Inzestgesetzgebung der merowingisch-fränkischen Konzilien (511–626/27), Paderborn [u.a.] 1994.
[zusammen mit] (Hg.): Moral – Vernunft – Natur. Beiträge zur Ethik. Wolfgang Kluxen, Paderborn [u.a.] 1997.
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Aufsatzsammlungen, Reden_
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_ Giesen, Dieter/Ruthe, Dietlinde (Hg.), Geschichte, Recht, Religion, Politik. Beiträge von Paul Mikat, 2 Bände, Paderborn [u.a.] 1984.
Listl, Josef (Hg.), Paul Mikat. Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht, 4 Halbbände, Berlin 1974.
Mertens, Gerhard (Hg.), Spektrum. Aufsätze und Reden von Paul Mikat, Paderborn [u.a.] 1995.
Literatur
Hatt, Hanns [u.a.], Paul Mikat zu Ehren, Gedenkveranstaltung zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Mikat am 3. Juli 2012, Paderborn [u.a.] 2013.
Morsey, Rudolf,: Paul Mikat: Präsident der Görres-Gesellschaft 1967-2007 Fakten und persönliche Erinnerungen, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2012, S. 91-105.
Morsey, Rudolf, Die Wahl von Paul Mikat zum Präsidenten der Görres-Gesellschaft – 1966 vertagt, 1967 in einer Kampfabstimmung erfolgt, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2011, S. 45-78.
Morsey, Rudolf, Zur Vita Paul Mikats bis zu seiner Berufung an die Universität Würzburg (1924-1957), in: Historisch-Politische Mitteilungen 22 (2015), S. 275-300.
Schwab, Dieter, Zum wissenschaftlichen Werk von Paul Mikat, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2012, S. 77-90.
Willhardt, Rolf (Red.), Der Gründervater. Prof. Dr. Dr. h.c. mult Paul Mikat zum 75. Geburtstag, Düsseldorf 2000.
Festschriften
Heahling, Raban von (Hg.), Rom und das himmlische Jerusalem: die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung. Paul Mikat zum 75. Geburtstag am 10.12.1999, Darmstadt 2000.
Schwab, Dieter [u.a.] (Hg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag, Berlin 1989.
Online
Biogramm auf der Seite der Konrad-Adenauer-Stiftung. [Online]
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Burtscheidt, Andreas, Paul Mikat, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-mikat/DE-2086/lido/57c94f36dd5082.42356591 (abgerufen am 05.12.2024)