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Paul Schneider war ein evangelischer Dorfpfarrer auf dem Hunsrück, der sich spätestens ab 1934 vehement zur Wehr setzte gegen jede politische Einflussnahme auf die Kirche, die er allein gegründet wusste in Bibel und Bekenntnis (Bekennende Kirche). Er geriet deshalb schnell in Konflikt mit Deutschen Christen, Deutschgläubigen und regierenden Nationalsozialisten. Mit gleicher Entschiedenheit trat er aber auch dafür ein, dass das deutsche Volk in Staat und Gesellschaft christlich ausgerichtet bleiben müsse. Wegen seiner kompromisslosen Haltung wurde er nicht nur schnell in der rheinischen Kirche bekannt, sondern auch reichsweit.
Paul Schneider wurde am 29.8.1897 in Pferdsfeld/Hunsrück als Sohn des Pfarrers Gustav A. Schneider (1858-1926) und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Schnoor (1863-1914) geboren. Nach dem Notabitur 1915 und anschließender Teilnahme als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg studierte er 1919 bis 1922 evangelische Theologie in Gießen, Marburg und Tübingen. 1925 wurde er Hilfsprediger in Essen und übernahm 1926 die Pfarrstelle seines Vaters in Hochelheim und Dornholzhausen. Im gleichen Jahr heiratete er Margarete Dieterich (1904-2002), die nach seinem Tode auch seine Chronistin wurde. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. 1934 wurde Schneider nach Dickenschied und Wormrath im Hunsrück versetzt.
Schneider war stark geprägt von dem bäuerlich-kleinbürgerlichen Milieu des Hunsrück. Die großstädtische Welt blieb ihm Zeit seines Lebens fremd. Im Studium wandte er sich zunächst der liberalen Theologie zu und wurde in der Marburger Zeit ihr eifriger Verfechter. In Gießen und Soest ließ er sich aber von der Theologie Adolf Schlatters (1852-1938) und Karl Heims (1874-1958) beeindrucken und vollzog allmählich eine Wendung zur positiven Theologie sowie zu einer pietistisch-erwecklich akzentuierten Frömmigkeit. In politischer Hinsicht stand Schneider in kritischer Beziehung zur Weimarer Republik, bejahte eher ein autoritäres, allerdings in christlich-ethischen Grundsätzen verwurzeltes Staatssystem. Er hatte deshalb zunächst keine Schwierigkeit, Hitler und die regierenden Nationalsozialisten als von Gott gegebene "Obrigkeit" anzuerkennen.
Dem Nationalsozialismus begegnete Schneider aus religiöser Sicht zunächst 1932 mit erheblichen Vorbehalten, ließ sich dann aber in den ersten Monaten der Machtübernahme vom nationalen Aufbruch mitreißen, bejahte vor allem das propagierte soziale Engagement Hitlers. Mitte 1933 trat er den Deutschen Christen bei – allerdings nur für kurze Zeit. 1934 stieß er mit seiner Dickenschieder Gemeinde zur Bekennenden Kirche, stimmte insbesondere den radikalen Beschlüssen der Dahlemer Synode (1934) zu.
In Konflikt mit Nationalsozialisten, Deutschchristen und Deutschgläubigen geriet Schneider durch verschiedene, von ihm selbst initiierte Aktionen. 1933/ 1934 fühlte er sich aufgerufen, gegen die Liberalisierung der Moral und die Vorstellung der "neuen Frau", wie sie SA-Führer E. Röhm (1887-1934) und Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels in Zeitungsartikeln befürwortet hatten, öffentlich vor der Gemeinde zu protestieren.
Im Juni 1934 hatte er in der Nachbargemeinde Gemünden vertretungsweise die Beerdigung des Hitlerjungen Karl Moog (1916-1934), des ersten Hitlerjungen des ganzen Gaus, übernommen. Während der Beisetzung erklärte der Kreisleiter von Simmern, Heinrich Nadig, Moog „sei nun in den Sturm Horst Wessel hinüber gegangen". Schneider protestierte dagegen scharf und behauptete gegen den Kreisleiter seinen christlichen Standpunkt.
Im Herbst 1935 weigerte Schneider sich, die Konfirmandenstunden – wie es Vorschrift war in schulischen Räumen – mit dem „deutschen Gruß" zu eröffnen und zu beschließen. Spektakulär war Schneiders öffentlich erklärter Boykott der Reichstagswahlen am 29.3.1936. Er wolle verhindern, dass seine Stimme als Zustimmung zur antichristlichen Weltanschauungspolitik des Staates aufgefasst werden könne. Schließlich ging Schneider gegen die beiden deutschgläubigen Lehrer in seiner Gemeinde vor. Beide klagte er an, in der Schule, namentlich im Religionsunterricht, nicht-christliche Vorstellungen zu verbreiten. Die Presbyterien beider Gemeinden eröffneten gegen die Lehrer Kirchenzuchtverfahren, die allerdings nicht bis zu Ende geführt werden konnten. Obschon es Schneider in allen Fällen allein um ein religiöses Anliegen ging, wurden seine Aktionen seitens der Partei und des Staates als politische angesehen, genauer als staatsfeindliche. Entsprechend waren die Reaktionen und Maßnahmen: Er wurde denunziert, angezeigt und mehrfach in Haft genommen. Die Verfahren gegen ihn, die bei einem Sondergericht in Köln zusammengezogen worden waren, führten aber nicht zum Erfolg; es fand sich kein wirklich belastendes Material gegen ihn.
Von der zuständigen (deutschchristlich orientierten) Kirchenbehörde in Koblenz beziehungsweise Düsseldorf, dem Evangelischen Konsistorium der Rheinprovinz, wurde zunächst seine Beurlaubung, dann seine Versetzung, schließlich seine Amtsenthebung betrieben. Dabei wirkten jeweils staatliche Behörden, Gestapo, Parteistellen und kirchliche Behörden in unterschiedlicher Weise gegen Schneider zusammen.
Wegen der Kirchenzuchtverfahren wurde Schneider schließlich am 31.5.1937 auf Befehl Hitlers in Koblenz inhaftiert. Er wurde zwar nach einigen Wochen wieder entlassen, zugleich aber des Landes (der Rheinprovinz) verwiesen. Die Ausweisung erkannte er allerdings nicht an: Er wisse sich – so ließ er in einem Schreiben an die Reichskanzlei in Berlin vom 30.9.1937 wissen – "vor Gott an (s)meine Gemeinde gewiesen" und könne sich deshalb durch Menschen von diesem Auftrag nicht abbringen lassen. Er wolle deshalb den "gebotenen Ungehorsam" nach Apostelgeschichte 5,29 praktizieren: "Man muss Gott mehr gehorchen denn den Menschen". Um die Konsequenzen wissend, fuhr er im Oktober 1937 nach Dickenschied zurück. Nach der Predigt, auf dem Weg nach Womrath, wurde er erneut verhaftet. Da er der wiederholten Aufforderung nicht nachkam, ein schriftliches Einverständnis zur Ausweisung zu geben, wurde er schließlich am 26.11.1937 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt.
In Buchenwald musste er schwerste Arbeit im Steinbruch verrichten. Als er bei der Flaggenhissung am Geburtstag des Führers am 20.4.1938 seine Mütze nicht abgenommen hatte – er wolle dieses Verbrechersymbol nicht grüßen –, wurde für ihn Prügelstrafe angeordnet, die auch sofort auf dem berüchtigten Prügelbock vollzogen wurde. Anschließend kam er zur Einzelhaft in den "Bunker". Hier verbrachte er fast ununterbrochen die weitere Zeit bis zu seinem Tode, sich standhaft weigernd, den Ausweisungsbefehl zu unterschreiben und damit frei zu werden. Unter unmenschlichen Bedingungen und dabei ständig der Prügelstrafe durch den im Lager als sadistisch bekannten Aufseher Martin Sommer (1915-1988) ausgesetzt, versuchte er aus dem Fenster seiner Arrestzelle heraus, den Mitgefangenen auf dem Appellplatz das Evangelium zu verkünden. Späteren Zeugnissen von Mitgefangenen zufolge soll er auch gerufen haben, dass in diesem Lager gefoltert und gemordet werde. Glaubhaft belegt ist außerdem seine Äußerung, er wolle als seine Nächsten auch Juden in Schutz nehmen.
Die monatelange Qual endete am 18.7.1939 mit seinem Tod. Nach der Aussage des Mithäftlings Walter Poller soll dieser nach Verabreichung einer Überdosis Strophantin durch den Lagerarzt Dr. Erwin-Oskar Ding-Schuler (1912-1945) eingetreten sein. Sein Leichnam wurde nach Dickenschied überführt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung im Beisein von vielen Pfarrern in Amtstracht aus allen Teilen des Deutschen Reiches beigesetzt.
Schneiders Bedeutung für die Gegenwart ist neuerdings umstritten. Bisher wurde er besonders in kirchlichen Kreisen recht einhellig rezipiert als Zeuge seines Herrn Jesus Christus, der ihm in schwerer Zeit und in nicht zu überbietender Standhaftigkeit die Treue gehalten hat bis in den Tod. Aichelin hat diese Position ergänzt um die These, dass Schneider im Verlauf der Auseinandersetzung nicht nur zum Märtyrer, sondern immer mehr auch zum politischen Widerständler herangereift sei. Letzteres wird von Rickers grundsätzlich bestritten, der auch geltend macht, dass Schneider nur aus der Position einer gesetzlichen Form von Frömmigkeit zu verstehen ist, innerhalb derer er die Bereitschaft hat ausprägen können, für seinen Herrn leiden und sterben zu sollen. Der Märtyrertod wurde von ihm gewiss nicht angestrebt; aber er hat sich ihm nicht widersetzt. Schneider war auch ein religiöser und moralischer Eiferer.
Literatur
Aichelin, Albrecht, Paul Schneider. Ein radikales Glaubenzeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, Gütersloh 1994.
Rickers, Folkert, Das neuerliche Interesse an Märtyrern und Märtyrerinnen und Paul Schneider, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 56 (2007), S. 253-271.
Rickers, Folkert, Das Weltbild Paul Schneiders, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 53 (2004), S. 133-184.
Rickers, Folkert, Widerstehen in schwerer Zeit. Erinnerung an Paul Schneider (1897-1939). Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht in den Sekundarstufen und für die kirchliche Bildungsarbeit, Neukirchen-Vluyn 1997.
Schneider, Margarete, Der Prediger von Buchenwald. Das Martyrium Paul Schneiders, Berlin 1953, hg. von Heinrich Vogel; danach zahlreiche weitere Ausgaben und Auflagen; Lizenzausgabe Berlin-Ost 1957.
Wentorf, Rudolf, Der Fall des Pfarrers Paul Schneider. Eine biographische Dokumentation, Neukirchen-Vluyn 1989.
Wesseling, Klaus-Gunther, "Paul Schneider", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995), Sp. 563-568.
Film
Steinwender, Sabine, Rickers, Folkert, „Ihr Massenmörder – ich klage euch an". Pfarrer Paul Schneider, Düsseldorf 2000; englische Fassung unter dem Titel „You Mass Murderers – I accuse you". Reverend Paul Schneider«, Film Funk Fernseh Zentrum der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 2002.
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Rickers, Folkert, Paul Robert Schneider, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-robert-schneider/DE-2086/lido/57c9487bba3239.23550197 (abgerufen am 05.12.2024)