Paul Robert Schneider

NS-Regimegegner (1897-1939)

Folkert Rickers (Duisburg)

Paul Robert Schneider, Porträtfoto. (Privatarchiv Walter Göhl)

Paul Schnei­der war ein evan­ge­li­scher Dorf­pfar­rer auf dem Huns­rück, der sich spä­tes­tens ab 1934 ve­he­ment zur Wehr setz­te ge­gen je­de po­li­ti­sche Ein­fluss­nah­me auf die Kir­che, die er al­lein ge­grün­det wuss­te in Bi­bel und Be­kennt­nis (Be­ken­nen­de Kir­che). Er ge­riet des­halb schnell in Kon­flikt mit Deut­schen Chris­ten, Deutsch­gläu­bi­gen und re­gie­ren­den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Mit glei­cher Ent­schie­den­heit trat er aber auch da­für ein, dass das deut­sche Volk in Staat und Ge­sell­schaft christ­lich aus­ge­rich­tet blei­ben müs­se. We­gen sei­ner kom­pro­miss­lo­sen Hal­tung wur­de er nicht nur schnell in der rhei­ni­schen Kir­che be­kannt, son­dern auch reichs­weit.

Paul Schnei­der wur­de am 29.8.1897 in Pferds­feld/Huns­rück als Sohn des Pfar­rers Gus­tav A. Schnei­der (1858-1926) und sei­ner Ehe­frau Eli­sa­beth, ge­bo­re­ne Schnoor (1863-1914) ge­bo­ren. Nach dem No­ta­b­itur 1915 und an­schlie­ßen­der Teil­nah­me als Frei­wil­li­ger am Ers­ten Welt­krieg stu­dier­te er 1919 bis 1922 evan­ge­li­sche Theo­lo­gie in Gie­ßen, Mar­burg und Tü­bin­gen. 1925 wur­de er Hilfs­pre­di­ger in Es­sen und über­nahm 1926 die Pfarr­stel­le sei­nes Va­ters in Hoch­el­heim und Dorn­holz­hau­sen. Im glei­chen Jahr hei­ra­te­te er Mar­ga­re­te Die­te­rich (1904-2002), die nach sei­nem To­de auch sei­ne Chro­nis­tin wur­de. Aus der Ehe gin­gen sechs Kin­der her­vor. 1934 wur­de Schnei­der nach Di­cken­schied und Worm­rath im Huns­rück ver­setzt.

 

Schnei­der war stark ge­prägt von dem bäu­er­lich-klein­bür­ger­li­chen Mi­lieu des Huns­rück. Die groß­städ­ti­sche Welt blieb ihm Zeit sei­nes Le­bens fremd. Im Stu­di­um wand­te er sich zu­nächst der li­be­ra­len Theo­lo­gie zu und wur­de in der Mar­bur­ger Zeit ihr eif­ri­ger Ver­fech­ter. In Gie­ßen und Soest ließ er sich aber von der Theo­lo­gie Adolf Schlat­ters (1852-1938) und Karl Heims (1874-1958) be­ein­dru­cken und voll­zog all­mäh­lich ei­ne Wen­dung zur po­si­ti­ven Theo­lo­gie so­wie zu ei­ner pie­tis­tisch-er­weck­lich ak­zen­tu­ier­ten Fröm­mig­keit. In po­li­ti­scher Hin­sicht stand Schnei­der in kri­ti­scher Be­zie­hung zur Wei­ma­rer Re­pu­blik, be­jah­te eher ein au­to­ri­tä­res, al­ler­dings in christ­lich-ethi­schen Grund­sät­zen ver­wur­zel­tes Staats­sys­tem. Er hat­te des­halb zu­nächst kei­ne Schwie­rig­keit, Hit­ler und die re­gie­ren­den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten als von Gott ge­ge­be­ne "Ob­rig­keit" an­zu­er­ken­nen.

Dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus be­geg­ne­te Schnei­der aus re­li­giö­ser Sicht zu­nächst 1932 mit er­heb­li­chen Vor­be­hal­ten, ließ sich dann aber in den ers­ten Mo­na­ten der Macht­über­nah­me vom na­tio­na­len Auf­bruch mit­rei­ßen, be­jah­te vor al­lem das pro­pa­gier­te so­zia­le En­ga­ge­ment Hit­lers. Mit­te 1933 trat er den Deut­schen Chris­ten bei – al­ler­dings nur für kur­ze Zeit. 1934 stieß er mit sei­ner Di­cken­schie­der Ge­mein­de zur Be­ken­nen­den Kir­che, stimm­te ins­be­son­de­re den ra­di­ka­len Be­schlüs­sen der Dah­le­mer Syn­ode (1934) zu.

In Kon­flikt mit Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, Deutsch­chris­ten und Deutsch­gläu­bi­gen ge­riet Schnei­der durch ver­schie­de­ne, von ihm selbst in­iti­ier­te Ak­tio­nen. 1933/ 1934 fühl­te er sich auf­ge­ru­fen, ge­gen die Li­be­ra­li­sie­rung der Mo­ral und die Vor­stel­lung der "neu­en Frau", wie sie SA-Füh­rer E. Röhm (1887-1934) und Reichs­pro­pa­gan­dalei­ter Jo­seph Go­eb­bels in Zei­tungs­ar­ti­keln be­für­wor­tet hat­ten, öf­fent­lich vor der Ge­mein­de zu pro­tes­tie­ren.

Im Ju­ni 1934 hat­te er in der Nach­bar­ge­mein­de Ge­mün­den ver­tre­tungs­wei­se die Be­er­di­gung des Hit­ler­jun­gen Karl Moog (1916-1934), des ers­ten Hit­ler­jun­gen des gan­zen Gaus, über­nom­men. Wäh­rend der Bei­set­zung er­klär­te der Kreis­lei­ter von Sim­mern, Hein­rich Na­dig, Moog „sei nun in den Sturm Horst Wes­sel hin­über ge­gan­gen". Schnei­der pro­tes­tier­te da­ge­gen scharf und be­haup­te­te ge­gen den Kreis­lei­ter sei­nen christ­li­chen Stand­punkt.

Im Herbst 1935 wei­ger­te Schnei­der sich, die Kon­fir­man­den­stun­den – wie es Vor­schrift war in schu­li­schen Räu­men – mit dem „deut­schen Gruß" zu er­öff­nen und zu be­schlie­ßen. Spek­ta­ku­lär war Schnei­ders öf­fent­lich er­klär­ter Boy­kott der Reichs­tags­wah­len am 29.3.1936. Er wol­le ver­hin­dern, dass sei­ne Stim­me als Zu­stim­mung zur an­ti­christ­li­chen Welt­an­schau­ungs­po­li­tik des Staa­tes auf­ge­fasst wer­den kön­ne. Schlie­ß­lich ging Schnei­der ge­gen die bei­den deutsch­gläu­bi­gen Leh­rer in sei­ner Ge­mein­de vor. Bei­de klag­te er an, in der Schu­le, na­ment­lich im Re­li­gi­ons­un­ter­richt, nicht-christ­li­che Vor­stel­lun­gen zu ver­brei­ten. Die Pres­by­te­ri­en bei­der Ge­mein­den er­öff­ne­ten ge­gen die Leh­rer Kir­chen­zucht­ver­fah­ren, die al­ler­dings nicht bis zu En­de ge­führt wer­den konn­ten. Ob­schon es Schnei­der in al­len Fäl­len al­lein um ein re­li­giö­ses An­lie­gen ging, wur­den sei­ne Ak­tio­nen sei­tens der Par­tei und des Staa­tes als po­li­ti­sche an­ge­se­hen, ge­nau­er als staats­feind­li­che. Ent­spre­chend wa­ren die Re­ak­tio­nen und Maß­nah­men: Er wur­de de­nun­ziert, an­ge­zeigt und mehr­fach in Haft ge­nom­men. Die Ver­fah­ren ge­gen ihn, die bei ei­nem Son­der­ge­richt in Köln zu­sam­men­ge­zo­gen wor­den wa­ren, führ­ten aber nicht zum Er­folg; es fand sich kein wirk­lich be­las­ten­des Ma­te­ri­al ge­gen ihn.

Von der zu­stän­di­gen (deutsch­christ­lich ori­en­tier­ten) Kir­chen­be­hör­de in Ko­blenz be­zie­hungs­wei­se Düs­sel­dorf, dem Evan­ge­li­schen Kon­sis­to­ri­um der Rhein­pro­vinz, wur­de zu­nächst sei­ne Be­ur­lau­bung, dann sei­ne Ver­set­zung, schlie­ß­lich sei­ne Amts­ent­he­bung be­trie­ben. Da­bei wirk­ten je­weils staat­li­che Be­hör­den, Ge­sta­po, Par­tei­stel­len und kirch­li­che Be­hör­den in un­ter­schied­li­cher Wei­se ge­gen Schnei­der zu­sam­men.

We­gen der Kir­chen­zucht­ver­fah­ren wur­de Schnei­der schlie­ß­lich am 31.5.1937 auf Be­fehl Hit­lers in Ko­blenz in­haf­tiert. Er wur­de zwar nach ei­ni­gen Wo­chen wie­der ent­las­sen, zu­gleich aber des Lan­des (der Rhein­pro­vinz) ver­wie­sen. Die Aus­wei­sung er­kann­te er al­ler­dings nicht an: Er wis­se sich – so ließ er in ei­nem Schrei­ben an die Reichs­kanz­lei in Ber­lin vom 30.9.1937 wis­sen – "vor Gott an (s)mei­ne Ge­mein­de ge­wie­sen" und kön­ne sich des­halb durch Men­schen von die­sem Auf­trag nicht ab­brin­gen las­sen. Er wol­le des­halb den "ge­bo­te­nen Un­ge­hor­sam" nach Apos­tel­ge­schich­te 5,29 prak­ti­zie­ren: "Man muss Gott mehr ge­hor­chen denn den Men­schen". Um die Kon­se­quen­zen wis­send, fuhr er im Ok­to­ber 1937 nach Di­cken­schied zu­rück. Nach der Pre­digt, auf dem Weg nach Wom­rath, wur­de er er­neut ver­haf­tet. Da er der wie­der­hol­ten Auf­for­de­rung nicht nach­kam, ein schrift­li­ches Ein­ver­ständ­nis zur Aus­wei­sung zu ge­ben, wur­de er schlie­ß­lich am 26.11.1937 in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Bu­chen­wald über­stellt.

In Bu­chen­wald muss­te er schwers­te Ar­beit im Stein­bruch ver­rich­ten. Als er bei der Flag­gen­his­sung am Ge­burts­tag des Füh­rers am 20.4.1938 sei­ne Müt­ze nicht ab­ge­nom­men hat­te – er wol­le die­ses Ver­bre­cher­sym­bol nicht grü­ßen –, wur­de für ihn Prü­gel­stra­fe an­ge­ord­net, die auch so­fort auf dem be­rüch­tig­ten Prü­gel­bock voll­zo­gen wur­de. An­schlie­ßend kam er zur Ein­zel­haft in den "Bun­ker". Hier ver­brach­te er fast un­un­ter­bro­chen die wei­te­re Zeit bis zu sei­nem To­de, sich stand­haft wei­gernd, den Aus­wei­sungs­be­fehl zu un­ter­schrei­ben und da­mit frei zu wer­den. Un­ter un­mensch­li­chen Be­din­gun­gen und da­bei stän­dig der Prü­gel­stra­fe durch den im La­ger als sa­dis­tisch be­kann­ten Auf­se­her Mar­tin Som­mer (1915-1988) aus­ge­setzt, ver­such­te er aus dem Fens­ter sei­ner Ar­rest­zel­le her­aus, den Mit­ge­fan­ge­nen auf dem Ap­pell­platz das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den. Spä­te­ren Zeug­nis­sen von Mit­ge­fan­ge­nen zu­fol­ge soll er auch ge­ru­fen ha­ben, dass in die­sem La­ger ge­fol­tert und ge­mor­det wer­de. Glaub­haft be­legt ist au­ßer­dem sei­ne Äu­ße­rung, er wol­le als sei­ne Nächs­ten auch Ju­den in Schutz neh­men.

Die mo­na­te­lan­ge Qual en­de­te am 18.7.1939 mit sei­nem Tod. Nach der Aus­sa­ge des Mit­häft­lings Wal­ter Pol­ler soll die­ser nach Ver­ab­rei­chung ei­ner Über­do­sis Stro­phan­tin durch den La­ger­arzt Dr. Er­win-Os­kar Ding-Schuler (1912-1945) ein­ge­tre­ten sein. Sein Leich­nam wur­de nach Di­cken­schied über­führt und un­ter gro­ßer An­teil­nah­me der Be­völ­ke­rung im Bei­sein von vie­len Pfar­rern in Amts­tracht aus al­len Tei­len des Deut­schen Rei­ches bei­ge­setzt.

Schnei­ders Be­deu­tung für die Ge­gen­wart ist neu­er­dings um­strit­ten. Bis­her wur­de er be­son­ders in kirch­li­chen Krei­sen recht ein­hel­lig re­zi­piert als Zeu­ge sei­nes Herrn Je­sus Chris­tus, der ihm in schwe­rer Zeit und in nicht zu über­bie­ten­der Stand­haf­tig­keit die Treue ge­hal­ten hat bis in den Tod. Ai­che­lin hat die­se Po­si­ti­on er­gänzt um die The­se, dass Schnei­der im Ver­lauf der Aus­ein­an­der­set­zung nicht nur zum Mär­ty­rer, son­dern im­mer mehr auch zum po­li­ti­schen Wi­der­ständ­ler her­an­ge­reift sei. Letz­te­res wird von Ri­ckers grund­sätz­lich be­strit­ten, der auch gel­tend macht, dass Schnei­der nur aus der Po­si­ti­on ei­ner ge­setz­li­chen Form von Fröm­mig­keit zu ver­ste­hen ist, in­ner­halb de­rer er die Be­reit­schaft hat aus­prä­gen kön­nen, für sei­nen Herrn lei­den und ster­ben zu sol­len. Der Mär­ty­rer­tod wur­de von ihm ge­wiss nicht an­ge­strebt; aber er hat sich ihm nicht wi­der­setzt. Schnei­der war auch ein re­li­giö­ser und mo­ra­li­scher Ei­fe­rer.

Literatur

Ai­che­lin, Al­brecht, Paul Schnei­der. Ein ra­di­ka­les Glau­ben­zeug­nis ge­gen die Ge­walt­herr­schaft des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, Gü­ters­loh 1994.
Ri­ckers, Fol­kert, Das neu­er­li­che In­ter­es­se an Mär­ty­rern und Mär­ty­re­rin­nen und Paul Schnei­der, in: Mo­nats­hef­te für Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 56 (2007), S. 253-271.
Ri­ckers, Fol­kert, Das Welt­bild Paul Schnei­ders, in: Mo­nats­hef­te für Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 53 (2004), S. 133-184.
Ri­ckers, Fol­kert, Wi­der­ste­hen in schwe­rer Zeit. Er­in­ne­rung an Paul Schnei­der (1897-1939). Ein Ar­beits­buch für den Re­li­gi­ons­un­ter­richt in den Se­kun­dar­stu­fen und für die kirch­li­che Bil­dungs­ar­beit, Neu­kir­chen-Vluyn 1997.
Schnei­der, Mar­ga­re­te, Der Pre­di­ger von Bu­chen­wald. Das Mar­ty­ri­um Paul Schnei­ders, Ber­lin 1953, hg. von Hein­rich Vo­gel; da­nach zahl­rei­che wei­te­re Aus­ga­ben und Auf­la­gen; Li­zenz­aus­ga­be Ber­lin-Ost 1957.
Wen­torf, Ru­dolf, Der Fall des Pfar­rers Paul Schnei­der. Ei­ne bio­gra­phi­sche Do­ku­men­ta­ti­on, Neu­kir­chen-Vluyn 1989.
Wes­se­ling, Klaus-Gun­ther, "Paul Schnei­der", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 9 (1995), Sp. 563-568.

Film

Stein­wen­der, Sa­bi­ne, Ri­ckers, Fol­kert, „Ihr Mas­sen­mör­der – ich kla­ge euch an". Pfar­rer Paul Schnei­der, Düs­sel­dorf 2000; eng­li­sche Fas­sung un­ter dem Ti­tel „You Mass Mur­de­rers – I ac­cu­se you". Re­ver­end Paul Schnei­der«, Film Funk Fern­seh Zen­trum der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land, Düs­sel­dorf 2002.

Paul Robert Schneider als Student in Gießen, Porträtfoto, um 1920.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rickers, Folkert, Paul Robert Schneider, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-robert-schneider/DE-2086/lido/57c9487bba3239.23550197 (abgerufen am 07.12.2024)