Paul von Rusdorf

Hochmeister des Deutschen Ordens (1422-1441)

Udo Arnold (Bonn)

Sekretsiegel des Hochmeisters Paul von Rusdorf, 1. Hälfte 15. Jahrhundert. (Staatsarchiv Königsberg, Autotypie Staatliches Archivlager Göttingen)

Der aus de­m Köln-Bon­ner Raum stam­men­de Paul von Rus­dorf war von 1422 bis 1441 Hoch­meis­ter des Deut­schen Or­dens. Er über­nahm die Or­dens­herr­schaft in Preu­ßen in ei­ner au­ßen­po­li­tisch schwie­ri­gen Zeit. Ne­ben stän­di­sche Pro­ble­me tra­ten die Zen­tri­fu­gal­kräf­te in­ner­halb des Ge­samt­or­dens. Es ge­lang ihm nicht, die­se Ent­wick­lung um­zu­keh­ren, er konn­te sie le­dig­lich ver­lang­sa­men.

Paul von Rus­dorf ge­hör­te wahr­schein­lich ei­nem Mi­nis­te­rialen­ge­schlecht an, das in Rois­dorf (heu­te Stadt Born­heim) zwi­schen Köln und Bonn be­hei­ma­tet war. Ge­bo­ren wur­de er ver­mut­lich in den 1380er Jah­ren, erst­mals fass­bar ist er 1412 als Pfle­ger der preu­ßi­schen Or­dens­burg Ras­ten­burg im Os­ten des Or­dens­lan­des. 1413 über­nahm er die Kom­tu­rei Tu­chel im Wes­ten Pom­me­rel­lens. Gleich­zei­tig ver­wal­te­te er die Kom­tu­rei Pa­pau und die Vog­tei Lei­pe, bei­de im Kul­mer­land. Nach dem Um­sturz in der Or­dens­lei­tung, als Hein­rich von Plau­en (Amts­zeit 1410-1413) als Hoch­meis­ter ab­ge­setzt und Mi­cha­el Küch­meis­ter (Amts­zeit 1414-1422) an sei­ne Stel­le ge­tre­ten war, wur­de Paul von Rus­dorf in den Kreis der Gro­ß­ge­bie­ti­ger auf­ge­nom­men: 1414 als Obers­ter Tress­ler, 1415 als Obers­ter Trap­pier und Kom­tur von Mewe und schlie­ß­lich 1416 als Gro­ß­kom­tur und Stell­ver­tre­ter des Hoch­meis­ters. 1418 war er wie­der Obers­ter Trap­pier und Kom­tur von Christ­burg. Schlie­ß­lich wur­de Paul von Rus­dorf nach dem Rück­tritt Küch­meis­ters 1422 zum Hoch­meis­ter ge­wählt.

Rus­dorf kann­te al­so so­wohl das Or­dens­land als auch die ver­schie­dens­ten Ver­wal­tungs­auf­ga­ben in­ner­halb des Ter­ri­to­ri­ums gut. Den­noch sah er sich er­heb­li­chen Pro­ble­men ge­gen­über. Durch die Kon­flik­te un­ter von Plau­en und das Vor­ge­hen Küch­meis­ters war das Hoch­meis­ter­amt ge­schwächt. Po­len hat­te 1410 nach der ge­won­ne­nen Schlacht von Tan­nen­berg sei­ne Kriegs­zie­le nicht er­reicht, das Or­dens­land hat­te kei­ne grö­ße­ren Ge­bie­te ab­tre­ten müs­sen. Die­se For­de­run­gen wur­den nun wie­der­holt und mi­li­tä­risch aus­ge­tra­gen, wenn­gleich wie­der nicht mit dem von Po­len-Li­tau­en ge­wünsch­ten weit­rei­chen­den Er­folg. Es kam 1422 zum Frie­den vom Mel­no-See. Die­ser schuf zum ei­nen ei­ne sehr sta­bi­le Ost­gren­ze und räum­te zum an­de­ren den Stän­den des Or­dens­lan­des in Zu­kunft ein Mit­spra­che­recht in au­ßen­po­li­ti­schen Fra­gen ein, in­dem er sie von der Treue­pflicht bei Frie­dens­bruch sei­tens des Or­dens ent­band, was der Or­den von sich aus nicht ge­währt hät­te.

Die er­zwun­ge­ne Ab­tre­tung Sa­mai­tens, der Land­brü­cke zwi­schen dem preu­ßi­schen und dem liv­län­di­schen Or­dens­ge­biet, so­wie ei­nes Teils im Os­ten des Or­dens­lan­des ver­bes­ser­te das Ver­hält­nis zu Li­tau­en, des­sen Groß­fürst Wi­told (Amts­zeit 1392-1430) da­mit zu ei­nem Ge­gen­ge­wicht in der pol­nisch-li­taui­schen Uni­on zu­guns­ten des Or­dens ge­gen den pol­ni­schen Kö­nig Wla­dys­law II. Ja­giel­lo (Amts­zeit 1386-1434) wur­de. Gleich­zei­tig lehn­te sich Paul von Rus­dorf an den deut­schen Kö­nig Si­gis­mund (Re­gie­rungs­zeit 1411-1437) an, der sei­ner­seits den Or­den für sei­ne Po­li­tik ge­gen die böh­mi­schen Hus­si­ten, die Tür­ken und Po­len in­stru­men­ta­li­sie­ren woll­te.

Der Or­den hat­te we­ni­ge Jah­re zu­vor sei­ne böh­mi­schen Be­sit­zun­gen ver­lo­ren und war an de­ren Rück­ge­win­nung in­ter­es­siert. Au­ßer­dem dran­gen die Hus­si­ten west­lich von Dan­zig bis an die Ost­see­küs­te vor. Auf dem Bal­kan ver­such­te der Or­den ab 1429, in­dem er an sei­ne bur­zen­län­di­schen Be­sit­zun­gen in Un­garn im 13. Jahr­hun­dert er­in­ner­te, an sei­ne Hei­den­kampf­auf­ga­be, nun­mehr ge­gen die Tür­ken, an­zu­knüp­fen. Die Epi­so­de währ­te je­doch nur fünf Jah­re. Als nach­hal­ti­ger er­wies sich die er­neu­te Über­tra­gung der be­reits im Pfand­be­sitz des Or­dens be­find­li­chen Neu­mark an den Or­den. Paul von Rus­dorf muss­te sich auf Druck Si­gis­munds ent­schei­den, ob er sie dem bran­den­bur­gi­schen Kur­fürs­ten Fried­rich I. von Ho­hen­zol­lern (Re­gie­rungs­zeit 1415-1440), wel­cher mit dem pol­ni­schen Kö­nig ver­wandt war, über­las­sen oder sie sel­ber käuf­lich er­wer­ben woll­te - Si­gis­mund be­nö­tig­te drin­gend Geld. Er wähl­te den Kauf, um da­mit die Land­ver­bin­dung ins Reich zu er­hal­ten und sich nicht von ei­ner pro­pol­ni­schen Ko­ali­ti­on ein­kes­seln zu las­sen. Si­gis­mund ver­lieh dar­auf­hin dem Or­den 1434, nach sei­ner Kai­ser­krö­nung 1433, ei­ne Be­stä­ti­gung al­len Be­sit­zes, doch er­hob er in dem Pri­vi­leg auch den Oberan­spruch über das Or­dens­ter­ri­to­ri­um Preu­ßen, was der Ex­emp­ti­on des au­to­no­men Preu­ßen wi­der­sprach.

Zu die­sem we­nig er­folg­rei­chen Wir­ken in der preu­ßi­schen Au­ßen­po­li­tik ka­men wirt­schaft­li­che Pro­ble­me hin­zu. Der Hoch­meis­ter hat­te im Ers­ten Thor­ner Frie­den 1411 zwar das Ter­ri­to­ri­um im we­sent­li­chen be­haup­ten kön­nen, doch die Geld­leis­tun­gen an Po­len zehr­ten er­heb­lich an der Fi­nanz­kraft des Or­dens, die durch das Neu­mark­ge­schäft wei­ter ge­schwächt wur­de. Die da­durch ver­ur­sach­ten Vor­ge­hens­wei­sen des preu­ßi­schen Or­dens­zwei­ges zu­guns­ten des Ei­gen­han­dels so­wie da­mit ver­bun­de­ne Steu­er­er­he­bun­gen brach­ten deut­li­che Ge­gen­sät­ze zur Han­se und den preu­ßi­schen Han­se­städ­ten, vor al­lem Dan­zig. So­mit ver­tief­te der Hoch­meis­ter den Zwie­spalt mit den Stän­den, de­ren Po­si­ti­on seit 1422 im­mer mehr er­stark­te. Sie nutz­ten die Op­po­si­ti­on des Or­dens zu Po­len zur wei­te­ren Stär­kung, in­dem sie nach klei­ne­ren Waf­fen­gän­gen in dem zwi­schen Po­len und dem Hoch­meis­ter ge­schlos­se­nen Frie­den von Brest 1435 de fac­to ein Wi­der­stands­recht ge­gen den Or­den durch­setz­ten. Dem folg­te 1440 der Zu­sam­men­schluss von Städ­ten und Land­stän­den vor al­lem im west­li­chen Or­dens­land zum so ge­nann­ten "Preu­ßi­schen Bund", ei­ner Wi­der­stands­ver­ei­ni­gung ge­gen den Or­den. 1454 kam es schlie­ß­lich zum of­fe­nen Krieg ge­gen den Lan­des­herrn.

In­ner­halb des Ge­samt­or­dens ver­lor der Hoch­meis­ter stän­dig an Macht. Zwar war er der Obe­re al­ler drei Or­dens­zwei­ge, doch han­del­te er pri­mär als preu­ßi­scher Lan­des­herr. Er ver­such­te durch häu­fi­ge­re Vi­si­ta­tio­nen die Or­dens­zwei­ge in Liv­land und Deutsch­land stär­ker an sich zu bin­den, doch ge­ra­de im Deutsch­meis­ter Eber­hard von Seins­heim (cir­ca 1385-1443) er­wuchs ihm ein ernst­haf­ter Geg­ner.

Die Or­dens­po­li­tik im Reich kann­te an­de­re Prio­ri­tä­ten als in Preu­ßen, der Deutsch­meis­ter folg­te ih­nen ge­gen die hoch­meis­ter­li­chen Ver­su­che ei­ner Zen­tra­li­sie­rung. Der dar­aus er­wach­se­ne Streit führ­te bis zur An­fer­ti­gung ge­fälsch­ter Sta­tu­ten durch Seins­heim, die ihm in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen ei­ne Ober­auf­sicht über den Hoch­meis­ter zu­ge­stan­den. Hoch­meis­ter und Deutsch­meis­ter setz­ten sich dar­auf­hin ge­gen­sei­tig ab und tru­gen ih­ren Streit bis vor das Kon­zil von Ba­sel (1431-1449). Nur müh­sam konn­te ein Kom­pro­miss ge­fun­den wer­den, der die Or­dens­zwei­ge zu­sam­men­hielt, aber auch die in­ne­woh­nen­den Zen­tri­fu­gal­kräf­te ver­deut­lich­te. Die­se schlu­gen sich eben­falls im Auf­stand der gro­ßen Or­dens­kon­ven­te Kö­nigs­berg, Bal­ga und Bran­den­burg in Preu­ßen ge­gen den Hoch­meis­ter 1439/1440 nie­der, der nicht zu­letzt auf lands­mann­schaft­li­chen Ge­gen­sät­zen be­ruh­te. Der Vor­wurf der über­wie­gend ober­deutsch be­setz­ten Kon­ven­te rich­te­te sich ge­gen die Be­vor­zu­gung rhei­ni­scher Or­dens­brü­der durch den Hoch­meis­ter. Zwar kam es En­de 1440 zu ei­ner vor­läu­fi­gen Be­ru­hi­gung, doch der Kom­pro­miss war brü­chig.

Rus­dorf ver­zich­te­te am 2.1.1441 auf sein Amt und starb ei­ne Wo­che spä­ter in der Ma­ri­en­burg. Bei­ge­setzt wur­de er in der dor­ti­gen Hoch­meis­ter­gruft.

"Paul von Rus­dorf ist wäh­rend sei­ner na­he­zu zwan­zig­jäh­ri­gen Amts­zeit ein glück­lo­ser, wenn auch nicht ganz er­folg­lo­ser Hoch­meis­ter ge­we­sen. ... Man wird ihm des­halb nur ge­recht, wenn man sei­ne Leis­tun­gen vor dem Hin­ter­grund der vie­len An­fech­tun­gen, de­nen der Or­dens­staat in Preu­ßen un­ter sei­ner Re­gie­rungs­zeit aus­ge­setzt ge­we­sen ist, wür­digt und da­bei be­denkt, daß es Rus­dorf ge­lun­gen ist, den Or­dens­staat nicht nur in sei­ner Sub­stanz zu wah­ren, son­dern im Ver­gleich zur Si­tua­ti­on von 1422 au­ßen­po­li­tisch zu sta­bi­li­sie­ren. ... Was er al­ler­dings ... nicht ver­stan­den hat, ist das For­mu­lie­ren ei­ner po­li­ti­schen Ant­wort auf die stän­di­sche Her­aus­for­de­rung." (Carl Au­gust Lü­ck­erath).

In­ner­halb der Or­dens­kor­po­ra­ti­on hat sei­ne Re­gie­rungs­zeit die seit Jahr­zehn­ten be­reits vor­han­de­nen Zen­tri­fu­gal­kräf­te noch deut­li­cher sicht­bar ge­macht. Paul von Rus­dorf ließ den all­mäh­li­chen Nie­der­gang des Or­dens zu­min­dest in Preu­ßen er­kenn­bar wer­den.

Literatur

Lü­ck­erath, Carl Au­gust, Deutsch­meis­ter Eber­hard von Sauns­heim - Wi­der­sa­cher des Hoch­meis­ter­tums, in: Zeit­schrift für Ost­for­schung 18 (1969), S. 270-287.
Lü­ck­erath, Carl Au­gust, Paul von Rus­dorf, in: Ar­nold, Udo (Hg.), Die Hoch­meis­ter des Deut­schen Or­dens 1190-1994, Mar­burg 1998, S. 122-128.
Lü­ck­erath, Carl Au­gust, Paul von Rus­dorf. Hoch­meis­ter des Deut­schen Or­dens 1422-1441, Bad Go­des­berg 1969.
Oels­nitz, A[lex­an­der] B[ern­hard] E[rnst] von der, Her­kunft und Wap­pen der Hoch­meis­ter des Deut­schen Or­dens 1190-1525, Kö­nigs­berg 1926, S. 73-74.
Wei­se, Erich, Der rhei­ni­sche Hoch­meis­ter Paul von Rus­dorf (1422-1441) und das Wi­der­stands­recht der preu­ßi­schen Stän­de, in: Jahr­buch des Köl­ni­schen Ge­schichts­ver­eins 27 (1953), S. 1-41.

Online

Lü­ck­erath, Carl Au­gust, "Paul von Rus­dorf", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 20 (2001), S. 108-109. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Arnold, Udo, Paul von Rusdorf, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-von-rusdorf/DE-2086/lido/57cd242a8054f1.21732576 (abgerufen am 18.04.2024)