Peter Fröhlich

Gewerkschafter, Kölner SPD-Politiker (1901-1984)

Klaus Schmidt (Köln)

Peter Fröhlich, 1969. (SPD Unterbezirk Köln)

Pe­ter Fröh­lich ent­stammt ei­ner zehn­köp­fi­gen Köl­ner Ar­bei­ter­fa­mi­lie. Nach Tä­tig­kei­ten als Zei­tungs­ver­käu­fer, Bau­hilfs­ar­bei­ter und Mau­rer trat er 16jäh­rig in den Ar­bei­ter-Ab­sti­nenz­ler-Bund ein, wur­de an­schlie­ßend Ge­werk­schaf­ter und Mit­glied der So­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter­ju­gend. Mit 22 Jah­ren trat er der KPD bei. 1927 wech­sel­te er zur SPD. 1946 wa­ren er und der spä­te­re Ober­bür­ger­meis­ter Theo Burau­en die ers­ten SPD-Mit­glie­der im Stadt­rat. Fröh­lich war dort über 20 Jah­re Mit­glied des Kul­tur­aus­schus­ses. Auf­grund sei­ner von ihm in Kölsch ver­fass­ten Le­bens­ge­schich­te in Kölsch ge­hört er zu den wich­ti­gen Köl­ner Mund­ar­t­au­to­ren.

Pe­ter Fröh­lich kam am 11.7.1901 in ei­ner ar­men Fa­mi­lie zur Welt. Sein Gro­ßva­ter, zu­vor ein klei­ner Bau­er aus dem Wes­ter­wald, war Flick­schus­ter, sei­ne Mut­ter Ar­bei­te­rin. „Sie war in kei­nem In­ter­nat ge­we­sen und sprach kein Wort fran­zö­si­sch“, so Pe­ter Fröh­lichs Er­in­ne­run­gen. „Sie spiel­te auch nicht auf dem Kla­vier. Statt auf die Hö­he­re Töch­ter­schu­le war sie mit 14 Jah­ren als Ar­bei­te­rin in die Scho­ko­la­den­fa­brik Stoll­werck ge­gan­gen.“ Wenn der Va­ter, ein Bau­hilfs­ar­bei­ter, im Win­ter ar­beits­los war und nicht bet­teln moch­te, ging die Mut­ter zum Pas­tor, zum Ar­men­va­ter oder zum Wohl­tä­tig­keits­ver­ein, um für das Not­wen­digs­te zu sor­gen. In der Stra­ße „Un­ter Krah­nen­bäu­men“ – in Köln UKB ge­nannt – be­wohn­te die Fa­mi­lie Fröh­lich wie fast al­le an­de­ren in UKB nur zwei Zim­mer. Ei­ne Was­ser­lei­tung gab es nur auf der Trep­pe, das Klo be­fand sich auf dem Hof. Bei Pe­ters Tau­fe wur­den Bet­ten und Klei­der­schrank auf den Flur ge­bracht, um Platz für die Gäs­te zu ha­ben.

Es gab kei­nen Kel­ler, Bri­ketts („Klüt­ten“) wur­den im Win­ter un­ter ei­ner Bank oder hin­ter dem Ofen ge­sta­pelt. Mit sin­gen­dem Ru­fen zog der „Klüt­te­bo­or“ mit sei­nem Pfer­de­fuhr­werk durch die Stra­ße. Für die Lum­pen­samm­ler war UKB nicht at­trak­tiv. Auch Pe­ters Mut­ter brauch­te Stoff­res­te als Fli­cken für die Ho­sen und Ja­cken der Kin­der, de­ren Spiel­platz die Stra­ße war. Sie hör­ten den hol­län­di­schen „Hir­rings­ver­käu­fer“ mit sei­nem Ruf, den Sche­ren­schlei­fer und den Ver­käu­fer von Flie­gen­fän­gern. Ita­lie­ner zo­gen mit Gips­fi­gu­ren durch die Stra­ße und Mark­frau­en mit ih­ren Ge­mü­se­kar­ren. Im Kram­la­den war das Glas mit Bon­bons für Pe­ter am wich­tigs­ten.

1906 konn­te die Fa­mi­lie in ei­ne et­was grö­ße­re Woh­nung um­zie­hen, doch die Not blieb. In Köln starb je­des zwei­te Kind un­ter fünf Jah­ren. Die Kin­der­sterb­lich­keit war bei Ar­bei­tern vier­mal so hoch wie bei Aka­de­mi­kern. 1908 kam Pe­ter in die ka­tho­li­sche Volks­schu­le. Die evan­ge­li­sche Schu­le war nicht weit ent­fernt da­von. Bei Rei­be­rei­en san­gen ka­tho­li­sche Kin­der: „Evan­ge­li­sche Rat­te / en Bot­ter je­ba­cke, / en Mähl je­rührt / un zum Dü­vel je­führt.“ Die evan­ge­li­schen san­gen das glei­che Lied über die nun ka­tho­li­schen Rat­ten.

Kin­der aus ar­men Fa­mi­li­en lie­fen im Som­mer, au­ßer sonn­tags, bar­fuss her­um. Klum­pen – oben Le­der, un­ten ei­ne Holz­soh­le –, die sie vom Ar­men­va­ter er­hiel­ten, zo­gen sie nur in der Schu­le und im Win­ter an. Man­che Leh­rer mach­ten ei­nen Un­ter­schied zwi­schen „Klum­pen­trä­gern“ und den an­de­ren. Das Schuh­werk bil­de­te ei­ne Art Klas­sen­schran­ke, die oft zu Prü­ge­lei­en führ­te. In dem auf dem Schul­hof aus­ge­tra­ge­nen Klas­sen­kampf sieg­ten meist die „Klum­pe­drä­jer“. „Kein Wun­der“, so Pe­ter Fröh­lich, „es gab schon im­mer mehr Ar­me als Rei­che.“ 

Vor der Reichs­tags­wahl ver­teil­te er 1912 für sei­nen Va­ter Flug­blät­ter der in Köln er­folg­rei­chen SPD. Ih­rer Gro­ß­ver­an­stal­tung für den Völ­ker­frie­den folg­te 1914 al­ler­dings Kriegs­be­geis­te­rung. Pe­ter hör­te die Sol­da­ten Lie­der sin­gen, die er in der Schu­le ge­lernt hat­te: „Es braust ein Ruf wie Don­ner­hall, wie Schwert­ge­klirr und Wo­gen­prall…“

1915, nach En­de der Schul­zeit, muss­te Pe­ter Fröh­lich Zei­tun­gen ver­kau­fen, weil die In­va­li­den­ren­te des Va­ters nicht zum Le­ben reich­te. Dann ver­dien­te er et­was Geld als Eil­bo­te. 1917 ar­bei­te­te er zu­erst in der Ma­schi­nen­fa­brik Hum­boldt in Köln-Kalk, dann in ei­ner Mu­ni­ti­ons­fa­brik in Trois­dorf. Ei­ne Wo­che nach sei­nem Ar­beits­an­tritt kam es dort zu ei­ner Ex­plo­si­on, die über 200 Men­schen das Le­ben kos­te­te.

Im äu­ßerst kal­ten „Steck­rü­ben­win­ter“ 1916/1917, in dem Rü­ben die Kar­tof­feln er­set­zen muss­ten, ver­schlech­ter­te sich die Ver­sor­gungs­la­ge der Be­völ­ke­rung dra­ma­tisch. Für die Be­dürf­tigs­ten wur­den Stadt­kü­chen und Wär­me­hal­len in Schu­len und Turn­hal­len ein­ge­rich­tet. Für die Le­bens­mit­tel­ver­sor­gung war der Bei­ge­ord­ne­te und spä­te­re Ober­bür­ger­meis­ter Kon­rad Ade­nau­er zu­stän­dig, dem die­se Tä­tig­keit gro­ße Sym­pa­thi­en ver­schaff­te. Er er­fand das „Köl­ner Spar­bro­t“ – ein aus Mais, Reis und Gers­te ge­ba­cke­nes Schrot­brot. „Ob­wohl die Mas­se hun­ger­te, konn­te sich der­je­ni­ge, der das Geld da­zu hat­te, auf dem schwar­zen Markt noch al­les kau­fen, ja es wur­de ihm so­gar ins Haus ge­brach­t“, er­in­ner­te sich Pe­ter Fröh­lich. „Das ar­me Volk ging ‚hams­tern’. Wie aus der Drei­gro­schen­oper ent­sprun­gen zo­gen sie trupp­wei­se, meis­tens Frau­en und Kin­der, über Land von Hof zu Hof, ab­ge­ris­sen mit hung­ri­gen Au­gen hiel­ten sie bei den Bau­ern so­lan­ge um ei­ne Schnit­te Brot oder ei­ne Kar­tof­fel an, bis der Bau­er weich wur­de.“

Seit Kin­der­jah­ren hat­te Pe­ter Fröh­lich er­lebt, wie der Al­ko­hol Fa­mi­li­en ge­fähr­den, ja rui­nie­ren konn­te. An Lohn­ta­gen stan­den im­mer wie­der Frau­en an den Fa­brik­to­ren, um ih­re Män­ner da­von ab­zu­hal­ten, so­gleich die nächs­te Knei­pe an­zu­steu­ern. Man­che ris­sen zu Hau­se dann Fens­ter und Tü­ren auf, wohl wis­send, dass der Mann öf­fent­li­ches Mit­hö­ren scheu­te. Be­son­ders bei den Ha­fen- und Bau­ar­bei­tern spiel­te der Schnaps ei­ne gro­ße Rol­le. Manch­mal rui­nier­te der Suff des Man­nes die Fa­mi­lie fi­nan­zi­ell oder ge­sund­heit­lich. Pe­ter Fröh­lich, der das in der Nach­bar­schaft er­leb­te, wur­de mit 16 Jah­ren Mit­glied des „Ar­bei­ter-Ab­sti­nenz­ler­bun­des“ und sang dort ein „Kampf­lie­d“, das ein staat­li­ches Al­ko­hol­ver­bot for­der­te.

Im In­fla­ti­ons­jahr 1923 war er als Mau­rer am Bau des Köl­ner Sta­di­ons in Köln-Mün­gers­dorf be­tei­ligt. Im Ok­to­ber hat­ten die Dru­cke­rei­en kein Pa­pier mehr, um neu­es Geld zu dru­cken. Fröh­lich er­hielt als Ob­mann der Bau­stel­le des­halb ei­nen Scheck in Hö­he von zehn Mil­li­ar­den Mark. Nach Fei­er­abend be­stell­te er – mitt­ler­wei­le fern al­ler Ab­sti­nenz – für sich und neun Kol­le­gen in der Knei­pe Bier, Schnaps und Zi­gar­ren. Doch der Wirt woll­te den Scheck nicht ha­ben. Die Män­ner lie­ßen al­so an­schrei­ben. Der Vor­gang wie­der­hol­te, und sie zo­gen, die In­ter­na­tio­na­le sin­gend, wei­ter. „Als ich den Scheck am an­de­ren Ta­ge dem Un­ter­neh­mer wie­der­ga­b“, so Fröh­lich, „war er das Pa­pier nicht mehr wert, auf dem die Zahl ‚ Zehn Mil­li­ar­den’ ge­schrie­ben war.“

Nach Be­en­di­gung der Ar­beit im Sta­di­on wur­de er ar­beits­los. Er trat der KPD bei, ent­schloss sich 1927 aber zu ei­nem Wech­sel und wur­de in der SPD und der Bau­ge­werk­schaft ak­tiv. Von der Ge­werk­schaft er­hielt er 1928 ein Sti­pen­di­um zum Be­such der „Staat­li­chen Fach­schu­le für Wirt­schaft und Ver­wal­tun­g“ in Düs­sel­dorf. Zwei Jah­re spä­ter wur­de er Ge­werk­schafts­se­kre­tär beim Deut­schen Ge­werk­schafts­bund und ver­trat von nun an Ar­beit­neh­mer in Rechts­strei­tig­kei­ten ge­gen ih­re Ar­beit­ge­ber. Nach der Kom­mu­nal­wahl im März 1933 ge­hör­te er als Stadt­ver­ord­ne­ter der So­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Stadt­rats­frak­ti­on an. Doch nach der ers­ten Sit­zung be­gann auch in Köln die brau­ne Dik­ta­tur.

1939 wur­de er vom Ar­beits­amt dienst­ver­pflich­tet und muss­te am Bau des West­walls mit­wir­ken. „Für den Füh­rer zu bau­en“ war ihm „im­mer noch lie­ber, als für ihn zu ster­ben.“ Den Rück­zug aus Frank­reich kom­men­tier­te er mit den Wor­ten: „In halb Eu­ro­pa ha­ben wir Bun­ker ge­baut und für den End­sieg ge­ar­bei­tet.“ Doch er op­po­nier­te nicht, woll­te nicht im letz­ten Mo­ment noch auf­ge­hängt wer­den. Beim zwangs­läu­fi­gen „Heil-Hit­ler-Gru­ß“ in­ner­lich zu flu­chen, war für ihn „die ge­rings­te Art von Wi­der­stand, die man sich leis­ten konn­te“.

Im Mai 1945 mach­te er sich von Süd­deutsch­land aus auf den Heim­weg. „Ze Foß noh Köl­le ze jon“ wä­re lang­wie­rig ge­we­sen, und so war er froh, die Rei­se we­nigs­tens mit ei­nem Fahr­rad an­tre­ten zu kön­nen. Vie­le Rück­keh­rer hat­ten die Stadt erst nach lan­gen Fu­ß­mär­schen er­reicht. Er sah Men­schen mit Kin­der­wa­gen, Schub­kar­ren, Hand­wa­gen, ei­ni­ge auch mit ei­nem Pfer­de­fuhr­werk. Die Stadt lag in Schutt und Asche, er ent­deck­te ne­ben Elend und Not doch auch Zei­chen von Gal­gen­hu­mor. Auf ei­ne Tür im Trüm­mer­schutt hat­te je­mand mit Krei­de ge­schrie­ben: „Kräf­tig drü­cken, Tü­re klemm­t“. An ei­nem Mau­er­rest las Pe­ter Fröh­lich den Hin­weis „Schel­len zweck­los, wir lie­gen im Kel­ler“, an an­de­rer Stel­le: „Die Post ist im Him­mel ab­zu­ho­len.“

1946 wur­de Pe­ter Fröh­lich in Köln er­neut SPD-Rats­mit­glied. In je­nem Jahr er­klär­te der Köl­ner Kar­di­nal Frings in sei­ner Sil­ves­ter­pre­digt, man le­be jetzt in Zei­ten, in de­nen der Ein­zel­ne das zur Er­hal­tung sei­nes Le­bens und sei­ner Ge­sund­heit Not­wen­di­ge neh­men dür­fe, wenn er es „durch sei­ne Ar­beit oder durch Bit­ten nicht er­lan­gen“ kön­ne. We­gen der bit­te­ren Käl­te wur­den oft Bri­ketts ge­klaut, und „frings­en“ wur­de zum ge­flü­gel­ten Wort. „Wäh­rend ich bei ei­ner Rats­sit­zung am Red­ner­pult stand und von Recht und Ge­rech­tig­keit sprach“, so Zeit­zeu­ge Fröh­lich, „klau­ten mei­ne Frau und mei­ne Toch­ter am Gü­ter­bahn­hof Klüt­ten. Ge­wis­sens­bis­se hat­te ich nicht.“ 

Über 20 Jah­re lang war er Mit­glied des Kul­tur­aus­schus­ses. Nach sei­ner Pen­sio­nie­rung 1966 be­gann er, sei­ne Er­in­ne­run­gen an sein Le­ben und sei­ne Hei­mat­stadt „op köl­sch“ wie auch auf Hoch­deutsch auf­zu­schrei­ben – ein Ka­pi­tel er­leb­ter Ge­schich­te. Pe­ter Fröh­lich starb am 1.8.1984 in sei­ner Hei­mat­stadt.

Werke

Köl­le vör fuff­zich Joh­re. Je­schich­ten us dem ah­le Köl­le, Band 1, 4. Auf­la­ge, Köln 1973; Band 2, 5. Auf­la­ge, Köln 1981.

Su­lang dä Dom en Köl­le steit, Köln 1974.

Es war ein lan­ger Weg – Er­in­ne­run­gen ei­nes al­ten Köl­ners, Köln 1976. 

Literatur

Schmidt, Klaus, Le­ben im Vee­del – Pe­ter Fröh­lichs jun­ge Jah­re…, in: Ders., Kölns klei­ne Leu­te. Ge­schich­ten und Por­träts, Köln 2011, S. 137-145.

 
Zitationshinweis

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Schmidt, Klaus, Peter Fröhlich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-froehlich/DE-2086/lido/64d6058df3f5c1.57412753 (abgerufen am 07.12.2024)