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Die Biographie des einzigen überlebenden Sohnes von Andreas Hermes zeigt nicht nur dessen enge Verwobenheit mit dem politischen Schicksal des Vaters, sondern darin auch die Abgründe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Familiär tief geprägt von den Exzessen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, den Fronterlebnissen während des Zweiten Weltkrieges mit anschließender fünfjähriger russischer Lagerhaft gehört der Lebensweg des überzeugten Christen Peter Hermes schließlich zu den eindrucksvollsten Diplomatenkarrieren in der Bonner Republik.
Mit seiner Geburt am 8.8.1922 in Berlin-Dahlem war für das weitere Leben von Peter Hermes schon mehr vorgezeichnet als bei vielen anderen seiner Zeitgenossen. Als zweiter Sohn von Andreas Hermes und seiner Frau Anna, geborene Schaller (1894-1976), wurde er in die Familie des Zentrumspolitikers und zu der Zeit noch amtierenden Reichsfinanz- und Reichsernährungsministers hineingeboren, wobei die väterliche Ministerkarriere schon im Sommer 1923 endete.
Im Jahr 1920 hatten die Eltern, die beide aus dem Rheinland stammten, geheiratet und sich in Berlin niedergelassen, wo Andreas Hermes seine politische Karriere auf Reichsebene begann. Zwischen 1921 und 1931 kamen fünf Kinder zur Welt, erst drei Jungen und dann zwei Mädchen. Alles sprach im pulsierenden Berlin der 20er Jahre trotz aller widriger Zeitumstände für eine glückliche Kindheit in einem behüteten, bürgerlich-katholischen Elternhaus. Der Vater wechselte nach dem recht schnellen Ausscheiden aus den Ministerämtern, was keine Seltenheit in den Weimarer Jahren war, als Mandatsträger der Zentrumspartei erst in den Preußischen Landtag (1924-1928) und anschließend in den Reichstag (1928-1933).
Durch die politische Tätigkeit des Vaters erlebte Peter Hermes in Berlin am 30.1.1933 die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Infolge der letzten noch halbwegs freien Reichstagswahl am 5.3.1933 legte Andreas Hermes am 18.3.1933 sein Reichstagsmandat nieder, da er die Eröffnung der parlamentarischen Session des Reichstages in der Potsdamer Garnisonkirche am 21.3.1933 bereits als Kapitulation gegenüber den Nationalsozialisten ansah. Der Vater war fortan als Gegner des neuen Regimes stigmatisiert. Eine Kooperation mit den neuen Machthabern lehnte er strikt ab. An dem sogenannten „Tag von Potsdam“ stand er auf einer Liste während einer ersten Welle von Verhaftungen missliebiger politischer Gegner des Regimes. Im Juli 1933 verurteilte man ihn zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe, die aber durch die Untersuchungshaft als verbüßt galt. Politische Verfolgung, Strafprozesse, Trennungen der Familie und auch materielle Nöte prägten fortan den Familienalltag. Früh musste Peter Hermes nun lernen, eigenverantwortlich zu handeln und selbständig sein Leben in die Hand zu nehmen.
Andreas Hermes erkannte, dass seine Betätigungsmöglichkeiten in Deutschland aussichtslos waren und wanderte mit seiner Frau Anna 1936 nach Kolumbien ins Exil aus, wo er Wirtschaftsberater für agrarökonomische Belange der Regierung in Bogotá wurde. Die fünf Kinder ließ das Ehepaar wegen der Schulausbildung zurück in Deutschland. Hermes' ältere Schwester Therese (gestorben 1940) nahm 1936 die Kinder in Osnabrück in ihre Obhut, einzig Peter war nach einer kurzen Gymnasialzeit im Gymnasium am Lietzensee in Berlin-Charlottenburg bereits 1933 zu seiner Tante nach Osnabrück gezogen und hatte dort das Gymnasium Carolinum besucht. Die Tante zog 1937 mit den fünf Kindern wieder zurück ins Rheinland nach Bad Godesberg (heute Stadt Bonn), wohin die Eltern 1939 aus dem Exil zurückkamen, um alle Kinder nach Südamerika nachzuholen. Doch durchkreuzte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges diesen Plan. Die Familie blieb in Bad Godesberg zusammen, aber kurz darauf legte Peter sein Abitur am Aloisiuskolleg in Bad Godesberg ab und musste nun die Familie verlassen – der Reichsarbeitsdienst stand an, den er am 1.4.1940 in Ostpreußen antrat, 1.500 Kilometer vom Rhein entfernt.
Niedergedrückt angesichts der wenig verheißungsvollen Zukunftsaussichten inmitten einer ihn abstoßenden Männergesellschaft tat sich ihm nach fünf Monaten ein letzter Lichtblick für die nächsten zehn Jahre auf: Peter Hermes durfte im September 1940 in München sein Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre beginnen. Bis März 1941 blieb er ein Semester an der Isar, für das Sommersemester 1941 wechselte er nach Wien. Für den jungen Studenten die richtige Art der intellektuellen Beschäftigung in anregender Umgebung – bei allem Fleiß mit Blick auf seine Fächer schloss er sich katholischen Studentengemeinden an, besuchte Konzerte, Oper und Theater. Ausflüge und Besichtigungen mit Gleichgesinnten hinterließen bei ihm den kurzfristigen Eindruck glücklicher Tage.
Im September 1941 endete die erste Studienzeit mit der Einberufung zum Militärdienst. Zunächst in Rendsburg in Holstein als Flaksoldat eingesetzt, folgte nach kurzem Zwischenhalt in Wien ein Einsatz in Nordfrankreich, ehe Peter Hermes im Winter 1942/1943 nach Russland verlegt wurde. Bald qualifizierte er sich für die Reserve-Offizierslaufbahn und hatte im August und September 1943 einen Lehrgang in Frankreich zu besuchen. Für wenige Wochen entfernt von der Ostfront in Russland war er in diesen Wochen nicht konfrontiert mit den schweren Rückzugsgefechten – im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern. An anderen, im Süden der Sowjetunion gelegenen Einsatzorten, fielen innerhalb von knapp zwei Wochen sein ein Jahr älterer Bruder Otto am 26.8.1943 im Alter von 22 Jahren und sein ein Jahr jüngerer Bruder Bruno am 7.9.1943 im Alter von 19 Jahren.
Von Bad Godesberg aus hatte Andreas Hermes mittlerweile über zahlreiche rheinische Freunde Anfang der 1940er Jahre erste Kontakte zu katholischen Widerstandskreisen im Westen des Reiches aufgenommen, in denen Männer wie Bernhard Letterhaus, Nikolaus Groß oder Jakob Kaiser (1888-1961) eine wichtige Rolle spielten. Über die Gegner des Hitler-Regimes im sogenannten „Kölner Kreis“ kam Andreas Hermes in Kontakt mit Widerstandskämpfern wie Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945), Wilhelm Leuschner (1890-1944) und dem Berliner Rechtsanwalt Josef Wirmer (1901-1944) sowie zu dem sogenannten „Kreisauer Kreis“.
Als es am 20. Juli 1944 zu dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler (1889-1945) kam, das zum Ziel hatte, Hitler durch Goerdeler als neuen Reichskanzler zu ersetzen, stand auch Andreas Hermes auf einer Liste möglicher neuer Reichsminister. Die Aufdeckung der beteiligten Namen führte am 22.7.1944 zur Verhaftung und Einweisung von Peter Hermes' Vater in das Gefängnis Berlin-Moabit. Die Mutter informierte Peter über die Verhaftung des Vaters und dem Sohn, mittlerweile als Fähnrich bei der Luftwaffe in Oberschlesien stationiert, wurde erlaubt, im KZ Ravensbrück den Vater zu sehen. Bei dem sich anschließenden Schauprozess wurde Andreas Hermes am 11.1.1945 durch den Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler (1893-1945), als Hoch- und Landesverräter zum Tode verurteilt.
Dieses Todesurteil war der unheilvolle Höhepunkt im Leben der Familie Hermes, deren christliche Weltanschauung und aufrechte patriotisch-demokratische Gesinnung ein Hauptmotiv ihres Widerstandes war. Eindringlich schildert Peter Hermes die Wochen bis zum Todesurteil in seinen Erinnerungen „Meine Zeitgeschichte“ und die beiden vermutlich letzten Begegnungen mit dem Vater. Der Sohn kämpfte an der Front für ein Regime, das nach dem Soldatentod der beiden Brüder nun seinen Vater hinzurichten beabsichtigte. Er konnte dem Vater nur versichern, mit seinem Handeln im Widerstand völlig übereinzustimmen und stolz auf die Eltern zu sein. Nach der Verkündung des Todesurteils wurden zunächst alle weiteren Urlaubsgesuche Peters abgelehnt, so dass Andreas Hermes seinem Sohn – nicht wissend, ob er ihn wiedersehen würde – noch einen eindrucksvollen Abschiedsbrief aus der Todeszelle im Berliner Gefängnis in der Lehrter Straße schrieb (abgedruckt in: Meine Zeitgeschichte, S. 108-111). Als Peter Hermes doch noch vier Tage Urlaub bewilligt bekam, fuhr er nach Berlin. An diesem 23.1.1945 wurden zehn Mitangeklagte des Vaters aus dem Umfeld des 20. Juli gehängt, selbst Andreas Hermes’ Zellennachbar Eugen Bolz (1881-1945) war darunter. Das vermeintlich letzte Wiedersehen am 25.1.1945 erschütterte Peter Hermes sehr.
Während aber die sowjetischen Truppen immer weiter nach Berlin vorrückten und Anna Hermes sich in den Tagen und Wochen der drohenden Vollstreckung des Todesurteils recht geschickt im Umgang mit den Behörden verhielt und einige Beamte im Reichsjustizministerium die Vollstreckung des Urteils aufhalten konnten, geriet der Sohn Peter auf dem Weg zurück an die Front in den Abwehrkrieg gegen die vorrückende sowjetische Armee und anschließend am 19.3.1945 in Schlesien in russische Kriegsgefangenschaft – in dem Glauben, sein Vater sei hingerichtet.
Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin am 24.4.1945 endete die quälend ungewisse Zeit in der Todeszelle und der politisch völlig unbelastete Andreas Hermes wurde schon am 7.5.1945 vom sowjetischen Stadtkommandanten Nikolai Bersarin (1904-1945) zum Ernährungskommissar von Berlin und zu einem der vier Stellvertreter des neu eingesetzten Berliner Oberbürgermeisters Arthur Werner (1877-1967) ernannt. Erst Anfang August 1945 sah der Sohn in einer sowjetischen Zeitung für Kriegsgefangene in deutscher Sprache Berichte über die politische Tätigkeit des Vaters im sowjetisch besetzten Teil Berlins und begriff, dass er überlebt haben musste. Andreas Hermes war seit den Sommerwochen 1945 mit Jakob Kaiser, Ferdinand Friedensburg (1886-1972) und Walther Schreiber (1884-1958) an der Gründung der Christlich Demokratischen Union in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beteiligt.
In der Frage der Bodenreform entwickelte sich ab Sommer 1945 ein gravierender Streitpunkt mit der sowjetischen Besatzungsmacht. Andreas Hermes legte Wert auf die Wahrung der Rechte des Privateigentums und die Förderung von Bauerntum und Mittelstand, eine Vergesellschaftung der Bodenschätze und eine Enteignung im Sinne der sowjetischen Besatzer lehnte er strikt ab. Dies machte die sowjetischen Besatzer auf die Familie Hermes nur noch aufmerksamer, sie nahmen den Sohn Peter gewissermaßen in Sippenhaft: Freiheit für Peter aus der Kriegsgefangenschaft, wenn der Vater den Grundsätzen der sowjetischen Bodenreform zustimmte und sich künftig kooperativ gegenüber den Kommunisten verhielte.
Peter Hermes war zunächst als Kriegsgefangener nach Oppeln, ab September 1945 schließlich nach Breslau gekommen. Am 12.3.1946 brachte man den Gefangenen in Zivilkleidung nach Potsdam zurück. Dort erhielt er 63 Tage Isolationshaft ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Der Kriegsgefangene wurde zum politischen Gefangenen der Sowjetischen Militäradministration und er blieb fortan politischer Gefangener. Am 18.5.1946 wurde er nach Frankfurt/Oder verlegt.
Für Vater und - obwohl kein persönlicher Kontakt in diesen Wochen bestand – auch für den Sohn war eine Zustimmung gegen die eigene Überzeugung zur Bodenreform keine Option, für Peter Hermes folgten jedoch ab dem 16.7.1946 mit der Verlegung nach Rostow am Don noch lange vier Jahre in verschiedenen russischen Kriegsgefangenenlagern, in denen „Arbeit bis zur Erschöpfung, Hunger bis zum Verhungern, Mißhandlungen, Quälereien, primitivste hygienische Verhältnisse, ganz mangelhafte ärztliche Versorgung, Lumpenkleidung, Läuse und Wanzen als ständige Begleiter, Verlust jeder Privatsphäre, Unmöglichkeit der geistigen Beschäftigung“ (Meine Zeitgeschichte, S. 124) den Alltag prägten. Weiter schreibt Peter Hermes: „Den Krieg hatte ich überlebt, aber aus der drohenden nationalsozialistischen Sippenhaft war ich in die unbefristete sowjetische geraten. In beiden Fällen ging es nicht um mich, sondern um meinen Vater.“ (Meine Zeitgeschichte, S.129).
Nach Gründung der DDR im Oktober 1949 – Andreas Hermes war längst mit seiner Familie wieder nach Bad Godesberg zurückgekehrt, da er keinerlei Möglichkeit einer langfristigen politischen Betätigung in der Sowjetischen Besatzungszone sah – verloren die Russen das Interesse an der Familie Hermes und auch an dem Faustpfand Peter Hermes. Im Dezember 1949 erfuhr er von seiner Freilassung, am 8.1.1950 nahmen die Eltern und die beiden jüngeren Schwestern den zwar äußerlich gezeichneten, aber innerlich nie gebrochenen Sohn und Bruder am Kölner Hauptbahnhof in Empfang.
Schon eine Woche nach seiner Rückkehr schrieb sich Peter Hermes an der Universität Bonn wieder für das Studium der Rechtswissenschaften ein, das er im Herbst 1940 begonnen hatte. Auch trat er 1950 in die CDU ein. Schon am 21.7.1951 bestand er das Referendarexamen, am 23.7.1952 „magna cum laude“ die mündliche Prüfung zur juristischen Promotion, die schriftlich ein Jahr zuvor zum Thema „Die Südtiroler Autonomie, zugleich ein Beitrag zum Minderheitenrecht“ abgeschlossen worden war, und am 27.1.1955 das Assessorexamen. Er erwirkte 1955 beim Landgericht Berlin die Aufhebung des Todesurteils gegen den Vater und heiratete im gleichen Jahr Maria Wirmer (geboren 1930), die Tochter Josef Wirmers, der seit 1936 zum Widerstandskreis der christlichen Gewerkschafter um Jakob Kaiser gehörte, am 4.8.1944 als Beteiligter am 20. Juli verhaftet, am 8.9.1944 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet wurde. Peter und Maria Hermes wurden Eltern von sechs Kindern, zwei Söhnen und vier Töchtern.
Für den 33-jährigen Peter Hermes begann nun eine außergewöhnliche, über 30-jährige Berufsphase im Dienst des Auswärtigen Amtes, in der er alle Kontinente kennenlernte. Im Auswärtigen Dienst half er mit, den beschädigten Namen Deutschlands in der Welt wiederherzustellen, was er durch seine bisherige Vita eindrucksvoll erreichen konnte. So prägte er von der zweiten Hälfte der Adenauer-Ära bis in die Kanzlerschaft von Helmut Kohl (geboren 1930, Bundeskanzler 1982-1998, gestorben 2017) hinein die Bonner Republik an immer entscheidenderen Stellen mit. Sein Einsatz für Rechtsstaat, Demokratie, europäische Integration und die weltweite Konferenzdiplomatie bestimmten fortan sein Leben.
Er begann ab dem 1.4.1955 im neunten Attachélehrgang des Auswärtigen Amtes seine diplomatische Laufbahn. Am 4.5.1956 bestand er die Aufnahmeprüfung für den höheren Auswärtigen Dienst und seine erste Auslandsstation wurde für zwei Jahre bis 1958 die Rechtsabteilung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in San Francisco. Nach einer kurzen Vertretung im Generalkonsulat in Basel erlebte er von 1958 bis 1961 als Erster Sekretär der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl in Rom die ersten Pontifikatsjahre von Papst Johannes XXIII. (Pontifikat 1958-1961) aus der Nähe und die damit verbundene Aufbruchstimmung der Vorkonzilsphase. Für weitere vier Jahre wechselte er dann 1961 bis 1965 als Leiter des Referats für Handelspolitik, Agrarpolitik und die Fischerei bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nach Paris, wo er sich in die Entwicklungshilfe und Konjunkturpolitik der Mitgliedsländer vertiefte. Die Gepflogenheiten des Protokolls lernte Hermes in diesen ersten zehn Jahren ebenfalls kennen. Er begleitete beispielsweise viele deutsche Politiker in Rom und Paris bei ihren Staatsbesuchen, so etwa Konrad Adenauer, Willy Brandt (1913-1992) und Richard Stücklen (1916-2002) bei ihren Besuchen im Vatikan und zu den Papstaudienzen. In Reims nahm Peter Hermes an der Versöhnungsmesse mit Konrad Adenauer und Charles de Gaulle (1890-1970, Staatspräsident 1959-1969) am 8.7.1962 teil.
In den Jahren 1965 bis 1979 wechselte Peter Hermes nach Bonn, um verschiedene leitende Funktionen innerhalb der Zentrale des Auswärtigen Amtes einzunehmen. Er entwickelte sich unabhängig von den jeweiligen Bundesregierungen zum Experten für Außenwirtschaftsbeziehungen und wurde zunächst stellvertretender Referatsleiter für Wirtschaftsbeziehungen zum Westen mit besonderer Zuständigkeit für die USA und Kanada (1965–1970), dann Botschafter und Beauftragter für Handelsvertragsverhandlungen (1970–1973), schließlich Leiter der Abteilung für Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik und europäische wirtschaftliche Integration (1973–1975).
Seine Arbeitsgebiete waren die Devisenausgleichsverhandlungen mit den USA und Großbritannien, die Vertragsverhandlungen über den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den europäischen sozialistischen Ländern, die Gestaltung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen in der Ära von Leonid Breschnew (1906-1982). Unter seiner Ägide wurden die langfristigen Wirtschaftsabkommen mit Ungarn, Bulgarien und der Sowjetunion abgeschlossen, um schrittweise zu mehr Liberalisierung im Warenaustausch und Verständigung in Kooperationsfragen zu kommen. Doch auch die Entwicklungshilfe, die Zusammenarbeit mit Afrika und Asien sowie den Wirtschaftsausschüssen der Vereinten Nationen, ferner die Intensivierung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen in den Europäischen Gemeinschaften, die Lösung der Energiekrise im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt sowie die Nuklear- und Rüstungsexportpolitik gehörten zu Hermes‘ Aufgaben.
Als im Juli 1975 Außenamts-Staatssekretär Hans-Georg Sachs (1911-1975) tödlich verunglückte, schlug Hans-Dietrich Genscher (1927-2016, Bundesaußenminister 1974-1992) Peter Hermes als Nachfolger mit der Zuständigkeit für Wirtschafts-, Rechts- und Kulturfragen vor. Dieser Karrieresprung unter einer sozialliberalen Koalition unter der Führung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1918-2015, Bundeskanzler 1974-1982) stellte hinsichtlich seiner CDU-Mitgliedschaft sicherlich eine Besonderheit dar, nicht jedoch angesichts des familiären und persönlichen Hintergrunds sowie der erbrachten Leistungen. Eine Reihe schwieriger Sonderaufträge nahm Hermes in dieser Zeit wahr, so die Verhandlungen zur gemeinsamen europäischen Agrarpolitik, die Vertretung deutscher Interessen bei der Internationalen Seerechtskonferenz und der UNO-Mammutkonferenz für Entwicklungsfragen in Manila.
Der Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere erfolgte 1979 bis 1984 mit der Berufung zum Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den USA. In die Washingtoner Zeit fiel der Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau, insbesondere aber der NATO-Doppelbeschluss vom 12.12.1979. Mit dem Beginn der Reagan-Administration im Januar 1981 wuchsen die Verständigungsschwierigkeiten zwischen der westlichen Vormacht USA und ihren europäischen Verbündeten. Mit den nicht selten ausbleibenden Informationen an die Bündnispartner vor wichtigen und weitreichenden Entscheidungen war die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Washington stärker gefordert. Zum Abschied seiner Zeit in den USA erhielt Peter Hermes noch die Ehrendoktorwürde der University of Nebraska-Lincoln.
In den letzten drei Jahren seiner Dienstzeit vertrat der gläubige Katholik Hermes, dem sein christlicher Glaube durch alle Jahrzehnte getragen hatte, die Bundesrepublik als Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom, der Stadt, die er von allen Städten seiner Lebensstationen als die schönste und interessanteste empfand. Damit war auch seine Karriere als Diplomat zu einem krönenden Abschluss gelangt. Mit dem Abschiedsbesuch bei Papst Johannes Paul II. (Pontifikat 1978-2005) Ende August 1987 endete die diplomatische Laufbahn von Peter Hermes mit der Versetzung in den Ruhestand.
Aber auch im Ruhestand blieb Peter Hermes weiter aktiv. Die Verantwortung für das Gedenken an den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus war längst zu einem wichtigen Familienauftrag der Familien Hermes und Wirmer geworden. Besonders die Weitergabe dieses Wissens an die jüngeren Generationen war stets ein Anliegen von Peter Hermes. Dem diente auch die Veröffentlichung des ersten Teils seiner Memoiren „Rückblicke und Einsichten 1933-1950“ im Jahr 1996, die er 2007 zu „Meine Zeitgeschichte 1922-1987“ erweiterte.
Er engagierte sich zudem über viele Jahre noch als stellvertretender Vorsitzender der Theodor Wiegand Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts, deren Vorsitzender er bis 2002 sowie Ehrenmitglied des Instituts war. Auch dem Trägerverein der Kommission für Zeitgeschichte e.V. gehörte er bis zu seinem Tod an. In den letzten römischen Jahren lernte das Botschafterpaar Hermes Josef Kardinal Ratzinger (geboren 1927) kennen. Anlässlich der Goldenen Hochzeit von Peter und Maria Hermes empfing dieser 2005 als Papst Benedikt XVI. (Pontifikat 2005-2013) die gesamte Familie Hermes mit den sechs Kindern, Schwiegerkindern und 23 Enkeln zu einer Privataudienz in Castel Gandolfo – eine Ehre, die ihn sicherlich noch mehr freute als alle Orden und Ehrenzeichen, die er im Laufe seiner aktiven Diplomatenlaufbahn verliehen bekam. Am 14.10.2015 starb Peter Hermes im Alter von 93 Jahren in Bonn-Bad Godesberg, wo er am 23.10.2015 im Grab seiner Eltern beigesetzt wurde.
Werke (Auswahl)
Die Südtiroler Autonomie, Frankfurt a. M./Berlin 1952.
Die Christlich-Demokratische Union und die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Jahre 1945, Saarbrücken 1963.
Sozialismus oder Volkspartei. Andreas Hermes und die Gründung der CDU in Berlin 1945, in: Die Politische Meinung 25 (1980), S. 69-89.
Die Wahrung des Friedens und die deutsche Außenpolitik, in: Jenninger, Philipp (Hg.), Alois Mertes zur Erinnerung: Ansprachen und Nachrufe, Kevelaer 1986, S. 30-32.
Rückblicke und Einsichten 1933–1950, Sankt Augustin 1996.
Meine Zeitgeschichte 1922–1987, Paderborn [u.a.] 2007.
Online
Peter Hermes: Überzeugter Christ und Diplomat, in: Geschichte der CDU. [Online]
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Burtscheidt, Andreas, Peter Hermes, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-hermes/DE-2086/lido/6098f36dcb8838.99764481 (abgerufen am 15.10.2024)