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Peter Kinzing war ein in Neuwied etablierter Uhrmacher, Instrumentenbauer und Mechaniker, der in Zusammenarbeit mit dem Kunstschreiner David Roentgen zu den bedeutendsten Uhrmachern in Europa aufstieg.
Peter Kinzing wurde am 21.12.1745 als Sohn des Uhrmachers Christian Kin(t)zing (1707-1804) und der Elisabeth Rupp, Tochter des Uhrmachers und Vorstehers der Neuwieder Mennonitengemeinde Leonhardt Rupp, in Neuwied geboren.
Peters Vater, Christian Kin(t)zing, der ursprünglich wie seine Vorfahren als Müller arbeitete, wurde 1738, zusammen mit seinem Bruder, dem Orgelbauer Peter Kinzing (1709-1743), in die Gemeinde der Neuwieder Mennoniten aufgenommen. Sie gründeten eine Uhrmacher-Werkstatt in dem 1741 errichteten Wohn- und Werkstatthaus im Zweifelshof an der Neuwieder Kirchstraße. Nach dem frühen Tod des Bruders eignete sich Christians Vater, Johannes Kinzing (1681-1769), der nach Auslauf des Pachtvertrags seiner Mühle in Fahr, von etwa 1744 bis 1750 als Branntweinbrenner in Neuwied tätig war, Kenntnisse in der Uhrmacherei an und arbeitete, wie vermutlich ein weiterer Bruder Christians, in der Werkstatt mit. Rechnungen der gräflichen-wiedischen Rentei dokumentieren ab 1744 deren vielfältige Aktivitäten; dazu gehörten Reparaturen von Spieluhren und musikalischen Instrumenten, aber auch die Fertigung von Kaffeemühlen, Schreibfedern und Sonnenuhren. Eine der frühesten erhaltenen Werke, die um 1751 gebaute Astronomische Bodenstanduhr, mit „Fratres Kintzinger Artifices Autodidacti fecerunt“ signiert, entstand im Auftrag des in Neuwied geborenen Hofrats Friedrich Hüsgen (1662-1766) und befindet sich heute im Goethe-Haus in Frankfurt am Main.
Peter wuchs dem entsprechend von Kindesbeinen an mit der Uhrmacherei auf, soll schon früh Begabung, Geschicklichkeit und Erfindungsreichtum bewiesen, und, nach Bericht eines Zeitgenossen, bereits mit zehn Jahren eine funktionstüchtige Pendeluhr gebaut haben. 1762 trat er in den Betrieb ein. Noch in der väterlichen Werkstatt tätig, hatte Peter das Recht, eigene Arbeiten gesondert zu signieren. Im Gegensatz zu seinem Vater „Kintzing“ zeichnete er seinen Namen ohne „t“, „Kinzing“. Demnach geht der um 1762 datierte Aufsatz-Klappschreibtisch für die russische Zarin Katharina II. (Regierungszeit 1762-1796), unterhalb des Zifferblattes der Stutzuhr signiert mit „Kinzing Newid n° 1“ (heute im Dänischen Museum für Kunst und Gewerbe in Kopenhagen) bereits auf den jungen, 17-jährigen Uhrmacher zurück. Das Uhr- und das 13-teilige Glockenspielwerk sind in höchster Qualität gearbeitet und weisen gegenüber dem älteren 30-Stunden- bereits ein 8-Tage-Gehwerk auf.
Kongenial war die intensive Zusammenarbeit mit David Roentgen, gewannen ihre wechselseitigen Produkte durch die Kunst des anderen doch zusätzlich an Wert. Für Roentgen war die Idee, seine kostbaren Möbel im Stil der Zeit mit Uhren, Spielwerken und Glockenspielen auszustatten, eine sichere Garantie, sein vornehmes Publikum zu begeistern und den Absatz zu steigern.
Eine partnerschaftliche Beziehung bestand bereits zwischen den Vätern, Abraham Roentgen und Christian Kintzing, und geht vermutlich bis in das Jahr 1754 zurück. An den drei berühmten Aufsatzschreibschränken mit Uhren, Flöten–Zimbal und Glockenspielwerken David Roentgens für die Höfe in Brüssel, Paris und Berlin (1776-1779), dürfte Peter Kinzing, trotz der Signatur seines Vaters, erheblichen Anteil gehabt haben.
1777 heiratete Peter Kinzing Maria Magdalena Sabina, geborene Metz, Witwe des Bäckers Anton Caesar, und richtete sich im Haus seiner Schwiegereltern in der Bunte Straße 51 eine eigene Werkstatt ein. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, Christian (1778-1861) und Carl (1781-1840), die ebenfalls Uhrmacher wurden.
1779 fuhren David Roentgen und Peter Kinzing gemeinsam mit einer großen Möbelladung mit Werken aus beiden Kinzing-Werkstätten an den Pariser Hof. In der Wochenzeitschrift „Nouvelles de la République des Lettres et des Arts“ vom 23.3.1779 wird eine Stutzuhr und Spielwerke Kinzings beschrieben „einem tüchtigen Uhrmacher, der für die Fabrik des Herrn Roentgen arbeitet…“[1]. Dass Peter Kinzing sowohl als selbstständiger Uhrmacher, gleichzeitig aber in der Werkstatt Roentgens arbeitete, wird durch das Gesellenverzeichnis Roentgens deutlich, wo Peter Kinzing als „Uhren- und Claviermacher“ geführt wird.[2] Die gegenseitige Verschränkung der Werkstätten lässt sich des Weiteren daran erkennen, dass Roentgens Werkstattleiter Christian Krause (1748-1792) auch als technischer Koordinator der Kinzing-Werkstatt fungierte sowie weitere Mitarbeiter für die Unternehmen Hand in Hand arbeiteten.
Ab 1777 waren Vater und Sohn Kinzing Partner von David Roentgen, wie die unterschiedliche Namensschreibweise in den Doppelsignaturen zeigt. 41 Werke haben die Leitsignatur (davon zwei die Initialen PK) „Kinzing“, davon 29 „Roentgen & Kinzing“; letztere datieren aus den Jahren 1784-1791 und weisen Peter Kinzing als Roentgens Kompagnon aus.
Peter Kinzing hatte 1782 sein Wohn- und Werkhaus in der Bunte Straße 51 ausgebaut und verzeichnete 1785 einen Mitarbeiterstab von 16-18 Personen. Ab 1783 baute er zusammen mit Christian Krause für die französische Königin Marie-Antoinette (1755-1793) die komplizierte „Zimbal-Spielerin“, deren Prototyp auf Josef Möllinger (gestorben 1772) zurückgeht; dieser war von 1756-1770 Mechaniker, Klavierbauer, Hofuhrmacher und Münzmeister in Zweibrücken und vermutlich ein Lehrmeister Peter Kinzings.
Die „Zimbal-Spielerin“ auf sechsbeinigem Tisch wurde um die Jahreswende 1784/1785 an den französischen Königshof geliefert. Peter Kinzing bekam für dieses kostbare Spielwerk den Ehrentitel „Horloger de la Reine“ verliehen. „Die Königin hat sich vor kurzem eine kleine Automaten-Frauenfigur von achtzehn bis zwanzig Daumen Höhe angeschafft, die sehr schöne verschiedene Arien auf einer Art Tympanon in Form eines kleinen Cembalos spielt. Diese Figur, deren Züge, Ebenmaß und Putz sehr elegant sind, schlägt im Takt die verschiedenen Saiten des Instrumentes mit zwei kleinen Hämmern aus Metall, die sie in den Händen hält und die sich mit großer Exaktheit und Genauigkeit bewegen. Sie hat übrigens, beim Spielen der Weisen, Kopfbewegungen und eine Art verschiedenen Ausdrucks in den Augen und in den Blicken, die sehr angenehm sind und eine überraschende Illusion bilden. Sie sitzt auf einem Tisch aus herrlichem Holz, der auch das Tympanon trägt; und der ganze Mechanismus ist im Tisch eingeschlossen und versteckt […]“, schreibt der Leibarzt der Königin, François Lassone, anlässlich der Schenkung des künstlerisch und wissenschaftlich bedeutenden Werkes an die Académie Française am 4.3.1785.[3]
Neben dem französischen Hof wurde die russische Zarin Katharina II. die wichtigste Kundin von David Roentgen und Peter Kinzing. Uhren, Uhrenmöbel und Klaviere wurden ab 1785 in großem Umfang und zu Höchstpreisen nach St. Petersburg geliefert. Hierzu gehören zum Beispiel ein Apollo-Schreibtisch mit Spielwerken und Verwandlungstechniken, ein Zylinderbureau mit Uhr- und Glockenspiel, zwei Pendeluhren, die „laut und leise auf Flöten und einem Clavecin mit 8 Zylindern spielen“ sowie ein Exemplar der so genannten „Apollouhr“ für die Gräfin Schuwalowa – eine Standuhr in Form eines antiken Monuments im Stil des damals hochmodernen Klassizismus. Das Musikwerk mit 20 Flöten und 60-Saiten-Zimbal galt als Besonderheit, die Abspieltechnik als revolutionäre Neuerung. Erfinder waren die Orgelbauer Johann Wilhelm (1756-1813) und Johann Christian Weyl (1762-1827), deren Mitarbeit durch eine Signatur nachweisbar ist. Mehr als 15 Exemplare dieses Uhrentypus gingen aus der Roentgen-Kinzing-Werkstatt hervor. Peter Kinzing hat David Roentgen auf zahlreichen Liefer-Reisen begleitet, zumal die Wartung und Feinabstimmung der komplizierten Instrumente von Roentgen vertraglich mit den Käufern vereinbart wurde.
Auf Qualität, Präzision und Ganggenauigkeit der Uhrwerke stets bedacht, gelang Peter Kinzing nicht nur als erstem der Bau einer Präzisionspendeluhr mit Äquation (Anzeige von Normalzeit und Sonnenuhrzeit), sondern auch die Weiterentwicklung der so genannten „Franklin-Uhr“. Durch das 4-Stunden-Zifferblatt und vereinfachtes, aber hochpräzises Gehwerk lässt sich die von Benjamin Franklin (1706-1790) entwickelte und von James Ferguson (1710-1776) in „Selected mechanical exercises…“ in London 1773/1778/1790 beschriebene und verbesserte „Dreiräderuhr“ von anderen Uhren deutlich unterscheiden.
Es ist nicht auszuschließen, dass Peter Kinzing und Benjamin Franklin sich auf ihren Geschäftsreisen 1785 in Paris persönlich begegnet sind. Die Franklin-Uhren aus Neuwied wurden zwischen 1785-1790 hergestellt. Eine besondere Verbesserung lag in einem Zeigerverstellmechanismus, der das Ablesen der Zeit vereinfachte. Im Großen und Ganzen war die von einem obeliskförmigen hochwertigen Gehäuse David Roentgens umschlossene Bodenstanduhr jedoch eher ein Prestigeobjekt für den französischen Adel.
Mit der Schließung der Roentgen-Werkstatt 1795 nahm die fruchtbare Zusammenarbeit Roentgen-Kinzing ein Ende, doch im Gegensatz zu David Roentgen nahm Peter Kinzing zusammen mit seinem jüngeren Bruder Johannes (gestorben 1806) und seinen beiden Söhnen Christian und Carl die Arbeit wieder auf. Er gründete ein Uhrengeschäft mit Werkstatt in der Engerser Straße und noch 1809 stand sein Unternehmen, wie A. Nemnich in seinem Reisetagebuch aus demselben Jahre mitteilt, „in voller Blüte“. Die Übergabe der Werkstatt an seine Söhne erfolgte wohl zwischen 1810-1812.
Am 1.1.1816 verstarb Peter Kinzing an „Abzehrung“. Im evangelisch-reformierten Kirchenbuch der Stadt Neuwied wird er mit den Titeln „herzoglich nassauischer und königlich französischer Hofuhrmacher" bezeichnet.
Die Werkstatt seines Vaters Christian Kinzing wurde von dem Uhrmacher Hermann Achenbach (1730-1792) weitergeführt, der 1753 als Geselle in den Betrieb eintrat und 1759 Christians jüngere Schwester, Elisabeth Kinzing (geboren 1721) geheiratet hatte.
1823 versuchte Carl wegen des Konjunkturrückgangs einen Neuanfang in Mainz, während Christian eine Uhrmacherei in der Pfarrstraße 22 in Neuwied bis 1833 führte, dann in die Mittelstraße 328 umzog und 1838 das Geschäft aufgab. Damit endete die fast 100-jährige Werkstatttätigkeit der Kinzings.
Werke (Auswahl)
Um 1762 - Stutzuhr im Aufsatz-Klappschreibtisch, Kunst- und Industriemuseum Kopenhagen.
Um 1770-1780 Bodenstanduhr, Roentgen-Museum, Neuwied.
1781 - Stutzuhr im Kabinettschrank, Schloss Aschaffenburg.
Um 1783 - Apolloschreibtisch mit Musikwerk für Katharina II. von Russland.
Um 1785 – Wanduhr für James Noble in Barby, einzig erhaltene Kinzing-Wanduhr, Heimatmuseum Herrnhut.
Um 1785 - Stutzuhr auf Kommode mit Schreibschrankaufsatz.
Um 1783/1785 - Je zwei „Zwei-Säulen-Spieluhren“ für Katharina II. von Russland und König Ludwig XVI. von Frankreich.
Um 1785 - Apollo-Bodenstanduhr für die Gräfin Schuwalowa, St. Petersburg, Roentgen-Museum, Neuwied.
Um 1785 - Berliner und Weimarer Spieluhren, als gestalterische Varianten der Apollospieluhr.
1785 - Zimbalspielerin auf sechsbeinigem Tisch für Marie-Antoinette, Königin von Frankreich, Paris, Musée National des Techniques, Conservatoire National des Arts et Métiers.
1786 - Großes mechanisches Pult zum Schreiben im Sitzen und Stehen für Katharina II. von Russland.
1786 - Klassizistischer Rollschreibtisch mit Stutzuhr und Glockenspielwerk für Katharina II. von Russland.
1785-1790 – Bodenstanduhr, Leipziger Rathaus.
1785-1790 - Dreiräder-Standuhr, Weiterentwicklung der Franklin-Uhr, Roentgen-Museum, Neuwied.
Um 1785 - Tafelklaviere als „clavecin engainé“ aus Schloss Pawlovsk, später Schloss Gatschina, heute in Privatbesitz USA und Coburg.
Literatur
Fabian, Dietrich, Kinzing und Roentgen-Uhren aus Neuwied. Uhren, Uhrenmöbel, Musikinstrumente, Spielwerke, Bad Neustadt 1983.
Fowler, Ian D./Denkel, Eugen, Franklin-Uhren aus Neuwied, in: Kinzing & Co, Innovative Uhren aus der Provinz. Ausstellungskatalog, Roentgen-Museum Neuwied 2003. S. 36-51.
Löber, Ulrich/Wilbert, Karl-Jürgen, Meisterwerke – 2000 Jahre Handwerk am Mittelrhein, Ausstellungskatalog HWK Koblenz und Landesmuseum Koblenz, Band 8: Uhren, Koblenz 1992.
Sauer-Kaulbach, Lieselotte, Vom Mühlrad zum Uhrwerk. Die Erfolgsgeschichte der Neuwieder Uhrmacherfamilie Kinzing, in: Kinzing & Co, Innovative Uhren aus der Provinz. Ausstellungskatalog, Roentgen-Museum Neuwied 2003. S. 6-27.
Schmidt, W. F. [u.a.], Kinzing und Roentgen, Uhren aus Neuwied, Leben und Werk der Uhrmacherfamilien Kinzing und der Kunstschreiner Abraham und David Roentgen, Bad Neustadt 1984.
Willscheid, Bernd, Eine Musikuhr für den Zarenhof, in: Kinzing & Co, Innovative Uhren aus der Provinz. Ausstellungskatalog, Roentgen-Museum Neuwied 2003, S. 28-35.
1653-1953, 300 Jahre Neuwied – ein Stadt und Heimatbuch, hg. v. d. Stadtverwaltung Neuwied., Neuwied 1953, Peter Kinzing, der kunstsinnige Uhrmacher und Mitarbeiter Roentgens (1745-1816), S. 512-514.
Online
Fowler, Ian D.: Uhrmacherbiographien. [Online]
Roentgen Museum Neuwied. [Online]
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Steger, Denise, Peter Kinzing, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-kinzing/DE-2086/lido/57c934f746b878.17123961 (abgerufen am 09.10.2024)