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Peter alias Pierre Lorson war ein im saarländischen Differten, heute Ortsteil der Gemeinde Wadgassen, geborener Jesuit, der als Schriftsteller, Übersetzer, Mitglied der Pax Christi und Straßburger Domprediger nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über seine Wahlheimat Frankreich hinaus Beachtung fand. Die Herkunft aus der ehemaligen preußischen Rheinprovinz war zum einen durch die kulturelle Prägung in der Kindheit, zum anderen durch den feindlichen Nationalismus, der die Beziehungen zwischen alter und neuer Heimat zutiefst belastete, von Bedeutung. Am Beispiel seiner Person wird die individuelle Auswirkung des übersteigerten nationalen Antagonismus sichtbar.
Peter Lorson wurde am 19.10.1897 als einziger Sohn eines Bergmanns neben sieben Schwestern geboren. Die Mutter förderte maßgeblich seine religiöse Entwicklung. Acht Jahre verbrachte er in der Volksschule seines Heimatortes, in der er herausragende Fähigkeiten zeigte. Die dürftigen finanziellen Verhältnisse der Familie verhinderten jedoch den begehrten Besuch eines Gymnasiums. Peter Lorsons Wunsch, den geistlichen Beruf zu ergreifen, ließ sich mit Hilfe des Dorfpfarrers verwirklichen. Auf Fälle wie den seinen waren die vom französischen Jesuitenorden unterhaltenen Apostolischen Schulen zugeschnitten. Ab 1910 besuchte er eine solche Schule im belgischen Thieu, einer Exileinrichtung des damals in Frankreich verbotenen Ordens, in der er in die religiöse Welt und in die französische Kultur hineinzuwachsen begann. Auf Empfehlung eines Lehrers – durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges war der Schulbesuch abrupt beendet worden – trat er 1915 als Novize in die Provinz der Champagne des Jesuitenordens ein.
In der abgeschlossenen Welt des Noviziats im belgischen Antoing holte ihn die Wirklichkeit unsanft ein. Dabei erwies sich seine deutsche Herkunft als eine Hypothek, zunächst im Kreis seiner französischen Mitschüler. Nach dem Kriegsausbruch verstärkte sich eine antideutsche Stimmung. Peter Lorson verleugnete auch auf Rat seiner Lehrer seine nationale Herkunft und gab sich als Elsass-Lothringer aus. Das war der Beginn eines lebenslangen und mit Gewissensqualen verbundenen Versteckspiels. Er erreichte zwar ein entspanntes Verhältnis zu seinen Mitschülern, wurde aber nicht vor einem Zugriff der deutschen Behörden und einer Einberufung zum Militärdienst vor dem Abschluss des Noviziats bewahrt.
Peter Lorson begann seine ungeliebte Soldatenzeit 1916 als Rekrut des Rheinischen Infanterie-Regiments in Euskirchen, kam zunächst an der Westfront, dann während des strengen Winters 1916/1917 an der Ostfront und anschließend wieder bis zum Kriegsende an der Westfront – zuletzt wegen seiner französischen Sprachkenntnisse im Abhördienst – zum Einsatz. Als französischer Kriegsgefangener gab er sich 1918 wiederum als Elsass-Lothringer aus und wechselte auf diese Weise die Seiten. Unter der falschen Identität wurde er in der Schlussphase des Kriegs französischer Marinesoldat, ohne jedoch noch in Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Damit war ein weiterer wichtiger Schritt auf seine künftige Wahlheimat hin getan. Den letzten, die Annahme der französischen Staatsbürgerschaft, vollzog er 1927 in seiner Ausbildungszeit zum Jesuiten.
Während des Ersten Weltkrieges (Pfingstsonntag 1917) konnte Peter Lorson das Noviziat beenden und die obligatorischen Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams vor einem deutschen Militärgeistlichen ablegen. Unmittelbar nach Kriegsende setzte er in Belgien, England und Frankreich die 15 Jahre währende Ausbildung fort (Juvenat, Philosophiestudium, Interstiz, Theologie, drittes Noviziatsjahr), im Jahre 1929 feierte er in seinem Heimatort Differten die Primiz. 1932 erfolgte mit dem Profess, der Gehorsamserklärung gegenüber dem Papst, die Leistung des letzten Gelübdes. Nach einer kurzfristigen Lehrertätigkeit in Lille (1931-1933) war fortan die Straßburger Jesuitenresidenz der Standort für seine Tätigkeiten als Schriftsteller und Seelsorger. Der Standort empfahl sich aus Peter Lorsons Sprachkenntnissen und seinem Einfühlungsvermögen in die deutsch-französische Mischkultur der Grenzregion. Als ‚Neuelsässer‘ fand er nach der saarländisch-deutschen eine zweite Identität.
Vom Anfang seiner wissenschaftlich-schriftstellerischen Tätigkeit an war, auch wenn seine Interessen universal ausgerichtet waren, die deutsche Herkunft Peter Lorsons von Bedeutung. Als Philosophiestudent übersetzte er ein Werk Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814) für die Edition eines Ordensmitgliedes. Später übersetzte er Werke von Peter Lippert (1879-1936), Franziskus Maria Stratmann (1883-1971) und vor allem von Romano Guardini (1885-1968), darunter „Der Herr“, mit dem er in Frankreich einen großen Bucherfolg erzielte. Deutsche Kultur vermittelte er des Weiteren durch Rezensionen und Artikel über geistliche und weltliche Literatur. So verfasste er beispielsweise eine von Thomas Mann (1875-1955) geschätzte Besprechung des „Doktor Faustus“. Er schrieb über den Katholizismus in verschiedenen europäischen Ländern und engagierte sich für den Erneuerungsprozess der Kirche. Im Katholizismus glaubte er auch ein Bollwerk gegen den deutschen Nationalsozialismus zu sehen. Er predigte, lehrte und schrieb gegen die drohenden Gefahren rassistischer Lehren für Leib und Seele.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, holte Peter Lorson seine deutsche Vergangenheit wiederum ein. Er wurde von den Franzosen eingezogen und an der Maginotlinie zunächst als Sanitäter, dann als Militärgeistlicher eingesetzt. Seiner Seelsorgertätigkeit an der Front kam er mit großer Begeisterung nach. Insbesondere standen ihm die elsäsischen Soldaten sehr nahe. Persönlich musste er wiederum seine wahre Identität verbergen, wollte er nicht als Spion oder Verräter angeklagt werden. Nach dem raschen Kriegsende floh er nach Südfrankreich, um dem sicheren Tod in deutscher Kriegsgefangenschaft zu entgehen. In den Kriegsjahren war er im Bistum Fréjus-Toulon weiterhin unermüdlich als Übersetzer, Prediger, Lehrer und Schriftsteller tätig. Politisch bekannte er sich zum Widerstand. In autobiographischen Aufzeichnungen dieser Zeit definierte er sich, im Bewusstsein seiner zwitterhaften Identität, als „Saar-Franzose“ („Franco-Sarrois“).
Nach dem Krieg exponierte sich Peter Lorson in Wort und Schrift als bekennender Pazifist. Er war Repräsentant der Pax Christi für die Diözese Straßburg. Als sich 1948 der Europarat in der elsässischen Hauptstadt etablierte, setzte er sich vehement für dessen Ziele und Entwicklung ein. Mit dem französischen Staatsmann Robert Schuman (1886-1963) verband ihn religiös und politisch eine Gesinnungsgemeinschaft. Dem Elsass, mehr aber noch dem Saarland (Grenzregionen mit einer Mischkultur) sprach er eine Scharnierfunktion für die deutsch-französische Aussöhnung und für die europäische Einheit zu. Im Entwurf einer Europäischen Universität des Saarlandes überhöhte er die Bestimmung seines Heimatlandes, das auch eine eigene Diözese erhalten sollte. Im Saarland als einem eigenen Staat sollte die ‚europäische Seele‘ eine Heimstätte finden. Peter Lorsons früher Tod in Saarbrücken am 6.5.1954 ersparte ihm, das Scheitern seiner Erwartungen erleben zu müssen. Die Volksabstimmung am 23.10.1955 leitete die Wiedervereinigung des Saarlandes mit Deutschland ein.
Peter Lorson wurde im Grabe der Eltern in Differten beerdigt. Wenn auch seine Herkunft als schwere Hypothek auf ihm persönlich gelastet hatte, der nicht zuletzt daraus hervorgegangene Beitrag zur deutsch-französischen Versöhnung war verdienstvoll und zukunftsweisend.
Werke (Auswahl)
Voyages en chrétienté. Première série : Angleterre, Pologne, Suisse, Allemagne, Colmar / Paris 1936, [mehr nicht erschienen].
[unter dem Pseudonym Lucien Valdor], Le Chrétien devant le racisme, Colmar / Paris 1939.
La Révolution des cœurs, renouveau avec Notre-Dame, Colmar / Paris, 1942; nouvelle édition, adaptée aux circonstances 1946.
La Symphonie pacifique : la paix individuelle, nationale, internationale, Strasbourg / Paris 1948.
Un chrétien peut-il être objecteur de conscience, Paris 1950. [In deutscher Sprache: Wehrpflicht und christliches Gewissen, Übertr.: Kaspar Mayr, Frankfurt/M. 1952.]
[Unter dem Pseudonym René Baltus], De la vieille à la nouvelle Europe. Préface du Président Robert Schuman, Paris 1953.
Übersetzungen aus dem Deutschen
Guardini, Romano, Le Seigneur, méditations sur la personne et la vie de Jésus-Christ, traduit par le R. Pierre Lorson, 2 Bände, Colmar / Paris1946, 3. Auflage 2009. [deutsch: Der Herr, 1937].
Lippert, Peter, Bonté, la vertu d'aujourd'hui et de demain, traduit et présenté par le R. P. Pierre Lorson, Paris 1946 [deutsch: Vom guten Menschen, 1931].
Stratmann, Franziskus-Maria, Jésus-Christ et l'État, traduit de l'allemand par Pierre Lorson, Tournai, Paris 1952 [deutsch: Die Heiligen und der Staat, 1949].
Literatur
Baltus, René, Pater Lorson. Grenzländer, Domprediger, Europäer 1897-1954, Blieskastel 2004.
Burg, Peter, Saar-Franzose. Peter/Pierre Lorson SJ, Trier 2011.
Online
www.peter-burg.de (mit Schriftenverzeichnis von Pater Lorson, Texte von und Aufsätze über Pater Lorson). [Online]
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Burg, Peter, Peter Lorson, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-lorson/DE-2086/lido/57c943760a0081.11525999 (abgerufen am 14.11.2024)