Peter Schwingen

Maler (1813-1863)

Pia Heckes (Bonn)

Peter Schwingen, Selbstporträt, Öl auf Leinwand, um 1831/1832, Foto: Julius Söhn.

Pe­ter Schwin­gen wur­de am 14.10.1813 im Win­zer­ort Muf­fen­dorf (heu­te Stadt Bonn) als zwei­tes Kind des Feld­hü­ters Pe­ter Jo­seph Schwin­gen (1786-1856) und sei­ner Frau Ca­ro­li­ne Fran­zis­ka An­toi­net­te Ni­co­lai (1791-1865) ge­bo­ren. Über sei­ne Kind­heit und Ju­gend ist kaum et­was be­kannt. 

 

Wie kam Schwin­gen nach Düs­sel­dorf? Prin­zes­sin Ma­ri­an­ne von Preu­ßen (1785-1846), ei­ne ge­bo­re­ne Prin­zes­sin von Hes­sen-Hom­burg und Gat­tin de­s­ ­Prin­zen Wil­helm (1783-1846), des jüngs­ten Bru­ders Kö­nig Fried­rich Wil­helms III.(Re­gent­schaft 1797-1840), hat­te nach ei­nem Auf­ent­halt in Bonn den jun­gen Zeich­ner Pe­ter Schwin­gen dem Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz zur Auf­nah­me in die Düs­sel­dor­fer Kunst­aka­de­mie und zur fi­nan­zi­el­len ­Un­ter­stüt­zung emp­foh­len. Dem herr­schaft­li­chen Wunsch wur­de ent­spro­chen, ab 1832 führ­te ihn die Aka­de­mie in ih­rer Schü­ler­lis­te. Schwin­gen war zu­nächst ein Au­ßen­sei­ter im Kreis der Düs­sel­dor­fer Ma­ler. Der des Le­sens und Schrei­bens wohl nur sehr mä­ßig kun­di­ge und fi­nan­zi­ell mit­tel­lo­se Künst­ler be­durf­te ei­nes Sti­pen­di­ums, um in der ers­ten Zeit der Aka­de­mie­aus­bil­dung über­haupt über Geld ver­fü­gen zu kön­nen. Her­vor­zu­he­ben ist, dass er Meis­ter­schü­ler beim Di­rek­tor der Aka­de­mie, Wil­helm von Scha­dow, war. Spä­ter wur­de er Mit­glied in der „Ge­sell­schaft der Car­ne­vals­freun­de" und im 1848 ge­grün­de­ten Düs­sel­dor­fer Künst­ler­ver­ein „Mal­kas­ten". Bei­des spricht da­für, dass er mit der Zeit vom Au­ßen­sei­ter zum in­te­grier­ten Mit­glied der Düs­sel­dor­fer Künst­ler­ge­sell­schaft wur­de. Auch wenn er, wie die münd­li­che Über­lie­fe­rung be­rich­tet, zu Schnur­ren neig­te. So soll er sei­ne Kin­der in ei­nem von Zie­gen ge­zo­ge­nen Wa­gen spa­zie­ren ge­fah­ren ha­ben. 

In Pe­ter Schwin­gens Werk ver­ei­nen sich zwei gro­ße The­men: Zum ei­nen sind es die Por­träts von Zeit­ge­nos­sen, vor al­lem In­dus­tri­el­ler aus dem Wup­per­tal, zum an­de­ren - und dies scheint das ei­gent­lich Be­deu­ten­de zu sein - wand­te sich Schwin­gen nicht dem oft­mals fal­schen Pa­thos der aka­de­mi­schen Ma­le­rei sei­ner Zeit zu; son­dern mal­te Sze­nen des ein­fa­chen bäu­er­li­chen und klein­bür­ger­li­chen Le­bens, die so rea­lis­tisch wir­ken, als ob sie aus sei­ner Er­in­ne­rung stamm­ten. 

Mit die­sen Gen­re­bil­dern, die zum Über­zeu­gends­ten ge­hö­ren, was die Düs­sel­dor­fer Ma­ler der Zeit her­vor­ge­bracht ha­ben, re­flek­tiert er lie­be­voll, bis­wei­len auch iro­nisch, das dörf­li­che Le­ben mit sei­nen def­ti­gen Bräu­chen. Das „Schie­ßen um ein fet­tes Schwein" oder „Der Ge­winn des gro­ßen Lo­ses" schil­dern glei­cher­ma­ßen ein harm­los-dörf­li­ches Ver­gnü­gen wie auch die si­cher oft­mals her­bei­ge­sehn­te Mög­lich­keit, durch den Wink des Schick­sals reich zu wer­den – ein­mal nicht dank mü­he­vol­ler Ar­beit den ver­dien­ten Lohn zu er­hal­ten, son­dern rei­che Ga­ben gleich­sam von ei­ner Schick­sals­göt­tin zu­ge­wor­fen zu be­kom­men. 

Die kri­ti­sche Dar­stel­lung ei­ner „Pfän­dung" - sein Bild war das ers­te im Rhein­land mit die­sem The­ma -, zeigt die Ver­elen­dung der klei­nen Hand­wer­ker zu Be­ginn der In­dus­tria­li­sie­rung. Es be­legt die The­se, dass die Düs­sel­dor­fer Ma­ler sehr ge­nau die Strö­mun­gen ih­rer Zeit auf­nah­men und in Bil­dern ver­ar­bei­te­ten. Die fort­schrei­ten­de Po­li­ti­sie­rung des Le­bens in der Zeit zwi­schen 1830 und 1848 lässt sich auch an den Bild­zeug­nis­sen ab­le­sen. 

Zu Schwin­gens be­schei­de­nem so­zia­len Auf­stieg ver­hal­fen ihm die Por­trät­auf­trä­ge, die ihn in das früh­in­dus­tri­ell pros­pe­rie­ren­de Tal der Wup­per führ­ten. Die spä­ten 1830er Jah­re brach­ten ihm zahl­rei­che Auf­trä­ge. Schwin­gen grün­de­te ei­ne Fa­mi­lie: 1837 hei­ra­te­te er Mag­da­le­na Phil­ip­pi­ne Schmitz (1816-1848), mit der er vier Kin­der hat­te. Auch aus Schwin­gens zwei­ter Ehe, die er 1849 nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau mit So­phie Ze­cher (1824-1886) ein­ging, gin­gen vier Kin­der her­vor. Im Jahr 1844 be­kam er den Auf­trag, die Wup­per­ta­ler Fa­mi­lie Keu­chen-Wer­lé dar­zu­stel­len. Schwin­gen blieb bei dem bis­her so er­folg­reich an­ge­wand­ten Bild­auf­bau, füg­te ei­nen klei­nen Hund hin­zu und cha­rak­te­ri­sier­te die Fa­mi­lie durch drei Bil­der an den Wän­den des Zim­mers als kunst­sin­nig. Die Fa­mi­lie scheint wie zur Kaf­fee­stun­de ver­sam­melt, doch nicht zu­fäl­lig, son­dern mit dem Be­wusst­sein, dem Künst­ler Mo­dell für ein be­deu­ten­des Fa­mi­li­en­bild zu sit­zen. Schwin­gens Ge­mäl­de nahm schon ei­ni­ges des­sen vor­aus, was die frü­he Por­trät­fo­to­gra­fie in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts für uns heu­te so in­ter­es­sant macht. Ma­ler und Fo­to­gra­fen stan­den sich kaum nach in der In­ten­ti­on, der Wahr­heit mög­lichst na­he zu kom­men und ei­ne au­then­ti­sche Mo­ment­auf­nah­me zu schaf­fen. Es ist der ana­ly­ti­sche Blick, den die Ma­ler des Bie­der­mei­ers die Fo­to­gra­fen lehr­ten. Es ist der Blick, der sich be­müht, hin­ter die Ku­lis­sen zu schau­en, oh­ne da­bei al­ler­dings die ge­sell­schaft­li­chen und per­sön­li­chen Ta­bus zu ver­let­zen.  

Schwin­gens Dor­f­idyl­len wer­den er­gänzt durch ein 1842 ent­stan­de­nes Bild, das drei Kin­der mit Hund zeigt. „Die Kin­der pfle­gen ih­ren kran­ken Hund" – ei­ne all­täg­li­che Be­ge­ben­heit, wie al­le Kin­der sie schon ein­mal er­lebt ha­ben. Der klei­ne Hund wird zum Ge­gen­stand erns­ter Sor­ge, wenn er ein­mal ei­nen Tag fas­tet oder we­ni­ger leb­haft als an an­de­ren Tag ist. So lässt der Hund denn, hin- und her ge­ris­sen zwi­schen ech­ter Freu­de über die Zu­wen­dung und dem Wunsch, sich den Kin­dern ent­zie­hen zu kön­nen, al­les mit sich ge­sche­hen. Er er­trägt die lie­be­vol­le Zwangs­füt­te­rung, so­lan­ge er sich nur der Auf­merk­sam­keit der Kin­der si­cher ist. Auch hier deu­ten Brun­nen und Ho­lun­der­busch auf ei­ne dörf­li­che Um­ge­bung hin. Schwin­gen mag sich an Be­ge­ben­hei­ten aus sei­nen Kin­der­ta­gen in Muf­fen­dorf er­in­nert ha­ben und mit lei­ser Weh­mut, ge­paart mit fei­nem Hu­mor, die­se Kin­der­bil­der als Be­schwö­rung ei­ner glück­li­chen Kind­heit in ei­ner ihm nun fer­nen Ver­gan­gen­heit ge­malt ha­ben. 

1837 schuf Al­bert Lort­zing (1801-1851) sei­ne Oper „Zar und Zim­mer­mann" und nahm da­mit die Fra­ge des so­zia­len Sta­tus auf. Nur ein Jahr spä­ter er­schien in Eng­land Charles Di­ckens (1812-1870) Ro­man „Oli­ver Twist", der zum Syn­onym für so­zi­al­kri­ti­sche Li­te­ra­tur wur­de. Di­ckens selbst hat­te nach dem Bank­rott des vä­ter­li­chen Ge­schäfts ei­ni­ge Jah­re lang bit­te­re Not ge­lit­ten und als Kind in ei­ner Fa­brik für Schuh­creme ar­bei­ten müs­sen. So­zia­les Elend kann­te er so­mit aus di­rek­ter An­schau­ung. In Mit­tel­eu­ro­pa ver­schlim­mer­te sich die Si­tua­ti­on be­son­ders nach 1845. Miss­ern­ten trie­ben die Brot­prei­se in die Hö­he; 1848 kam es zur Re­vo­lu­ti­on. Po­li­ti­sche so­wie so­zia­le Um­wäl­zun­gen be­tra­fen auch das Rhein­land und wur­den von den Düs­sel­dor­fern Ma­lern auf­ge­nom­men. 

Pe­ter Schwin­gen ge­hört zu ei­ner Grup­pe von Düs­sel­dor­fern Ma­lern, de­ren Haupt­in­ter­es­se dem Gen­re und dem Por­trät galt. Das Gen­re­bild als „freie Kunst", das Por­trät als „Brot­kunst". Zu die­ser Grup­pe der po­li­tisch in­ter­es­sier­ten rhei­ni­schen Gen­re­ma­ler sind vor al­lem der mit Schwin­gen be­freun­de­te Jo­hann Pe­ter Ha­sen­cle­ver, fer­ner Wil­helm Jo­seph Hei­ne (1813-1839), Carl Wil­helm Hüb­ner (1814-1879), Adolf Schro­ed­ter (1805-1875), Hen­ry Rit­ter (1816-1853) und Lud­wig Knaus (1829-1910) zu zäh­len. In wie fern Chris­ti­an Edu­ard Boett­cher (1818-1889) spä­ter be­son­ders vom Werk Schwin­gens pro­fi­tiert hat, in dem er sehr ähn­li­che Su­jets aus­wähl­te und auch ein groß­for­ma­ti­ges Land­schafts­bild mit dem Blick über Muf­fen­dorf auf das Sie­ben­ge­bir­ge schuf, bleibt noch zu un­ter­su­chen. 

Pe­ter Schwin­gen hat sich zeit­le­bens nicht auf ein be­stimm­tes The­ma fest­ge­legt. Sein Werk um­fasst ei­nen wei­ten Bo­gen: Por­träts, Fa­mi­li­en­bild­nis­se, Kin­der­bil­der, länd­li­che Sze­nen, so­zia­les Gen­re­bild, die Schil­de­rung des rhei­ni­schen Brauch­tums und Selbst­por­träts. Ge­ra­de die­se Viel­falt mach­te es in der Ver­gan­gen­heit schwer, Schwin­gens Werk ein­zu­ord­nen. Vie­le Bil­der ha­ben ei­nen sehr pri­va­ten Cha­rak­ter, wo­bei die Kin­der­bil­der und die länd­li­chen Sze­nen am meis­ten über Schwin­gen aus­sa­gen. Den Le­bens­un­ter­halt für die gro­ße Fa­mi­lie si­cher­ten die Bild­nis­auf­trä­ge, sein Herz ge­hör­te aber den Kin­der­bil­dern und den Sze­nen des länd­li­chen Le­bens, die er lie­be­voll aus­for­mu­lier­te und ih­nen man­che po­li­ti­sche An­deu­tung bei­gab, wie das "Preis­schie­ßen um ein fet­tes Schwein" (1844) be­weist. Dort fin­det sich, un­auf­fäl­lig in den Mit­tel­grund des Bil­des ge­rückt, der schlaf­müt­zi­ge "deut­sche Mi­chel", der noch zielt, oh­ne er­fasst zu ha­ben, dass der "Vo­gel" schon längst ge­fal­len und der Schüt­zen­kö­nig aus­ge­ru­fen ist. Schwin­gen ist glaub­wür­dig ei­ne Syn­the­se aus Ro­man­tik und Rea­lis­mus ge­lun­gen, die für die Düs­sel­dor­fer Ma­ler­schu­le ty­pisch ist. Schwin­gen ge­hört zu den be­deu­ten­den Ver­tre­tern die­ser Schu­le.

Er starb im Al­ter von noch nicht ganz 50 Jah­ren am 6.5.1863 in Düs­sel­dorf, wo er bis da­hin mit sei­ner kin­der­rei­chen Fa­mi­lie leb­te. In Bonn wur­de in Er­in­ne­rung an den be­kann­ten rhei­ni­schen Ma­ler ei­ne Stra­ße nach ihm be­nannt. 

Werkverzeichnis

Hei­der­mann, Horst, Werk­ver­zeich­nis Pe­ter Schwin­gen, mit ei­ner bio­gra­phi­schen Ein­lei­tung, Bonn-Bad Go­des­berg 2000.

Literatur

He­ckes, Pia/Hei­der­mann, Horst, Pe­ter Schwin­gen. Le­ben und Werk, Bonn 1996.
Hei­der­mann, Horst, Pe­ter Schwin­gen (1813-1863), Ge­mal­te Fa­mi­li­en­ge­schich­ten aus dem Tal, in: Rome­ri­ke Ber­ge 52 (2002), S. 26-42.
Holz­hau­sen, Wal­ter, Pe­ter Schwin­gen, Ma­ler aus Muf­fen­dorf. Ein Le­bens­bild, dar­ge­bo­ten zu sei­nem hun­dert­fünf­zigs­ten Ge­burts­ta­ge und hun­derts­ten To­des­ta­ge 1963, Bad Go­des­berg 1964.
Nie­sen Jo­sef, Bon­ner Per­so­nen­le­xi­kon, 2. Auf­la­ge, Bonn 2008, S. 294-295.
Pe­ter Schwin­gen - Ein Ma­ler der Düs­sel­dor­fer Ma­ler­schu­le. Zum 200. Ge­burts­tag, hg. v. In­grid Bo­dsch und mit Bei­trä­gen von Pia He­ckes und Horst Hei­der­mann, Bonn 2013.

Preisschießen um ein fettes Schwein, Gemälde von Peter Schwingen, 1844. (Stiftung Sammlung Volmer, Wuppertal)

 
Zitationshinweis

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Heckes, Pia, Peter Schwingen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-schwingen/DE-2086/lido/57c94d4eca2412.85108683 (abgerufen am 16.04.2024)