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Pippin der Bucklige war der erste Sohn Karls des Großen. Im Vergleich zu seinem kaiserlichen Vater und seinem ebenfalls zum Kaiser gekrönten Halbbruder Ludwig dem Frommen (778-840) hat Pippin nur wenig Beachtung in den mittelalterlichen Quellen gefunden. In den offiziösen sogenannten Fränkischen Reichsannalen (Annales regni Francorum) wird er sogar verschwiegen. Auch die Forschung ist meist nur knapp über ihn hinweggegangen. Bestimmt wurde sein Leben von der Frage der Herrschaftsnachfolge, von der Pippin nach der Geburt mehrerer Halbbrüder aus einer späteren Eheverbindung Karls ausgeschlossen wurde. Die Gründe dafür sind unklar. Inwieweit eine körperliche Beeinträchtigung, aufgrund derer er von den beiden Biographen Karls des Großen Einhard (um 770-840) und Notker (um 840/um 850-912) seinen pejorativen Beinamen erhielt, verantwortlich war, bleibt umstritten.
Über seine Mutter Himiltrud ist wenig mehr als ihr Name bekannt. Der Geschichtsschreiber Paulus Diaconus (720/730-797/799) hielt lediglich fest, dass sie adliger Herkunft gewesen sei. Der rechtliche Charakter der Verbindung Karls mit Himiltrud sowie deren Beginn lassen sich gleichermaßen nicht sicher bestimmen. Als der fränkische König unter dem Einfluss seiner Mutter Bertrada (um 725-783) Himiltrud Ende 769 verstieß, um eine (namentlich nicht bekannte) Tochter des langobardischen Königs Desiderius (gestorben nach 786) zu ehelichen, bezeichnete Papst Stephan III. (gestorben 772, Papst 768-772) sie in einem Brief als rechtmäßige Gattin (coniux) aus einheimischem fränkischem Geschlecht. Erst im etwa 15 Jahre später entstandenen Liber de episcopis Mettensibus des Paulus Diaconus wurde die Verbindung – also im Nachhinein – als eine Beziehung vor der legalen Ehe (ante legale connubium) definiert. In der den Karolingern nahestehenden Annalistik seit 790 wurde Himiltrud gar als Konkubine (concubina) bezeichnet. Nachdem Karl Pippins Mutter verlassen hatte, dürfte sie den Rest ihres Lebens im Kloster Nivelles verbracht haben, wo Anfang der 1970er Jahre die Begräbnisstätte einer dreißig- bis vierzigjährigen Frau entdeckt wurde, die aufgrund zweier beschrifteter Ziegelplatten als Grab Himiltruds gilt.
Angesichts der programmatischen Namensgebung – Karl benannte seinen Sohn nach seinem eigenen Vater Pippin dem Jüngeren (714-768), der 751 durch eine Versammlung in Soissons nach der Absetzung des Merowingers Childerich III. (gestorben um 755, König 743-751) zum König der Franken (rex Francorum) ernannt worden war – liegt es jedoch nahe, dass Pippin zumindest anfänglich als potentieller Nachfolger verstanden wurde. Das würde auf eine legale Verbindung zwischen Karl und Himiltrud hindeuten. Zudem wäre dies ein Argument gegen die Behauptung, dass sein körperlicher Makel – Notker bezeichnet ihn nicht nur als bucklig, sondern auch als kleinwüchsig – bereits angeboren war. Entsprechend wird die Möglichkeit einer erst durch das Längenwachstum eines Kindes ab dem 10. Lebensjahr ausgebildeten Veränderung des Körpers aufgrund einer Rachitis (Vitamin D-Mangel) oder Skoliose (Verdrehung der Wirbelsäule) erwogen. Auffallend ist jedenfalls, dass der zeitnäher schreibende Paulus Diaconus im Zusammenhang mit den anderen Kindern Karls hierzu nichts vermerkt hatte. Einhard hatte zu Pippins Aussehen lakonisch konstatiert, dass dieser schön von Angesicht aber bucklig gewesen sei.
Das Geburtsjahr Pippins ist nicht genau zu bestimmen; in der Literatur wird meist auf 769/770 verwiesen. Die erste Erwähnung findet sich in den Lorscher Annalen zu 780: Während Karl der Große mit seinen beiden jüngeren Söhnen Karlmann (777-810) und Ludwig nach Italien gezogen sei, seien Pippin und Karl der Jüngere (772/773-812) in Worms geblieben. Die hier genannten Halbbrüder Pippins stammten aus Karls Ehe mit Hildegard (um 758-783), die Karl einging, nachdem er die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius aus politischen Gründen ebenfalls wieder verlassen hatte. In zwölf Ehejahren war Hildegard insgesamt acht Mal schwanger. Von den neun Kindern (eine Zwillingsgeburt) waren vier männlichen Geschlechts, ein Sohn starb bereits als Säugling. Durch die Geburt weiterer Söhne Karls des Großen war die Frage der Herrschaftsnachfolge respektive der konkreten Art und Weise der Beteiligung der (männlichen) Nachkommen virulent geworden. Am 15. April 781 wurden die beiden jüngeren Söhne Karlmann und Ludwig in Rom durch Papst Hadrian I. (gestorben 795, Papst 772-795) zu Königen in Italien und Aquitanien erhoben; Karlmann erhielt darüber hinaus durch eine päpstliche Taufe den Namen Pippin, was in der Regel als deutliches Zeichen der Zurücksetzung Pippins des Buckligen interpretiert wird. Ihr älterer Bruder Karl erhielt 789 mit Maine (heute Teil der Region Pays de la Loire, Frankreich) einen eigenen Herrschaftsraum, ohne dass in den Quellen dezidiert von einer Königserhebung gesprochen wird. Obschon Pippin in den 780ern zusammen mit seinen Geschwistern in ein Salzburger Gedenkbuch eingetragen sowie in königlichen Lobpreisungen zusammen mit seinem Bruder Karl genannt wurde, scheint eine vergleichbare Heranführung an eine eigenständige (königliche) Herrschaft nicht stattgefunden zu haben. Carl I. Hammer hat durch die Zusammenführung verschiedener Indizien hingegen die These aufgestellt, dass Karl für einige Zeit geplant haben könnte, Pippin nach der Absetzung des bayerischen Herzogs Tassilo III. an der (karolingischen) Herrschaft in Bayern zu beteiligen, was er vor allem mit einer Freisinger Überlieferung, in der Pippin als König (rex Pippinus) gefasst wird, begründet. In den von einem Prümer Mönch namens Wandalbert verfassten Wunderberichten des heiligen Goar ist zudem eine Anekdote festgehalten, nach der Karl der Jüngere und Pippin die zwischen ihnen seit längerem schwelenden Rivalitäten und Feindseligkeiten mit göttlicher Hilfe gelöst und in der Kirche brüderliche Eintracht und ein Freundschaftsband eingegangen seien, das sie anschließend mit einem festlichen Mahl besiegelten hätten. In der älteren (deutschen) Forschung wurde der genannte Pippin aber nicht mit Pippin dem Buckligen, sondern mit seinem Halbbruder Karlmann/Pippin identifiziert. Ob der Annalist der Reichsannalen im Eintrag zu 785 darüber hinaus Pippin den Buckligen meinte, als er vermerkte, dass Karl zur Eresburg zurückkehrt sei und seine (dritte oder vierte) Frau, die Königin Fastrada (um 765-794), mit seinen Söhnen und Töchtern zu sich kommen ließ, kann nicht als gesichert angenommen werden. Mehr als lediglich kurze Schlaglichter, die unterschiedlich interpretiert werden können, bieten diese Quellenstellen nicht.
Die in der Summe der Entscheidungen aber wohl doch sinnfällig gewordene Benachteiligung scheint Pippin nicht akzeptiert zu haben. Vielmehr war er 792 in einen Anschlagsplan fränkischer Großer gegen seinen Vater verwickelt. Lediglich knapp geht Einhard auf die Ereignisse ein: So habe sich Pippin krank gestellt und mit einigen fränkischen Großen gegen seinen Vater verschworen, die ihn durch eitle Hoffnungen auf das Königtum verführt hätten. Nach der Aufdeckung des Anschlags und Verurteilung der Verschworenen habe Karl ihn scheren und im Kloster Prüm ein gottgeweihtes Leben führen lassen. Die Lorscher Annalen bieten den zeitlich nächsten Bericht, ziehen einen Vergleich zur biblischen Figur des Abimelech (Ri. 8–9) und ergänzen, dass sich die Anschlagspläne nicht nur gegen Karl den Großen, sondern auch gegen Pippins Halbbrüder gerichtet hätten. Sowohl die sogenannten Einhardsannalen, eine früher fälschlicherweise Einhard zugeschriebene Bearbeitung der Reichannalen, als auch Einhard in seiner Vita Karoli machen die angebliche Grausamkeit Fastradas, der Stiefmutter Pippins, für den Ausbruch des Konflikts verantwortlich. Die in den weiteren Quellen gebrauchten Formulierungen lassen zudem erkennen, dass führende fränkische Große (primores) beteiligt waren, was deutlich macht, dass Pippin durchaus über eine nicht zu unterschätzende Anhängerschaft verfügt haben dürfte.
Den ausführlichsten, aber narrativ ausgeschmückten Bericht bietet Notker, Mönch im Kloster St. Gallen, der den gleichfalls wenig schmeichelnden Beinamen ‚der Stammler‘ (Notkerus Balbulus) erhielt. Er setzt mit der Bemerkung ein, Karl sei von Pippin und seinen Anhängern beinahe gefangen gesetzt und zum Tode verurteilt worden, was folgendermaßen ans Licht gekommen sei: Pippin hätte in der Kirche des heiligen Petrus in Regensburg Große versammelt und sich mit ihnen über die Ermordung Karls beraten. Anschließend habe er, um ganz sicher zu sein, nachsehen lassen, ob nicht jemand in den Winkeln oder unter dem Altar versteckt sei. Wie befürchtet sei ein Geistlicher gefunden worden, der genötigt worden sei, ihnen zu schwören, ihr Vorhaben nicht zu verraten. Anschließend sei dieser jedoch in den Palast geeilt und habe Karl gewarnt. Die Verschwörer seien noch vor der dritten Stunde des Tages, ganz wie sie es verdienten, entweder in die Verbannung geschickt oder in anderer Weise bestraft worden; Pippin sei gegeißelt und geschoren in das Kloster St. Gallen geschickt worden, um sich dort auf einige Zeit zu kasteien. Womöglich aufgrund seiner Erfahrungen als Anführer respektive Kristallisationspunkt einer früheren Verschwörung gegen Karl den Großen hätte dieser seinen Sohn bei einem folgenden Anschlagsplan – wenigstens nach Notker – um Rat gefragt. Die von Karl geschickten Gesandten hätten Pippin im Kloster bei der Gartenarbeit angetroffen und von ihm als Antwort erhalten, Karl würde, wenn er auf seinen Rat Wert lege, ihn nicht solcher Kränkung aussetzen: Sagt ihm, bei welcher Tätigkeit Ihr mich angetroffen habt. Damit hätten sich die Gesandten nicht zufriedengegeben und erneut nachgefragt, woraufhin Pippin geantwortet hätte: Nichts anderes habe ich ihm zu bestellen, als was ich tue. Ich reiße das unnütze Gewächs heraus, damit die unentbehrlichen Kräuter unbehinderter wachsen können. Von dieser Antwort enttäuscht und eine Bestrafung befürchtend, seien die Gesandten wieder zu Karl zurückgekehrt. Doch der Kaiser hätte den Sinn des Gesagten sogleich erkannt und zur Ausführung gebracht: Er nahm alle diese Verschwörer aus der Mitte der Lebenden hinweg und überließ dann seinen Getreuen die von den Unnützen behaupteten Plätze, damit sie wachsen und sich ausdehnen sollten.

Miniatur Kaiser Karls I. und Pippins von Italien, Miniatur aus dem Liber legum (154v), entstanden zwischen 870-950, Original im Archivio Capitolare di Modena. (gemeinfrei)
Seinen Sohn Pippin habe er daraufhin angewiesen, sich auszusuchen, wie er sein Leben verbringen wolle, woraufhin Pippin sich entschieden habe, in das Kloster Prüm zu wechseln. Da keine weiteren Nachrichten über Pippin existieren, steht zu vermuten, dass er bis zu seinem Tod im Jahr 811 dort lebte. Im Gegensatz zum Enkel Karls des Großen, Kaiser Lothar I., dessen Gebeine im Jahr 1860 beim Abbau des alten Hochaltars in der dortigen Sankt-Salvator-Basilika freigelegt wurden und für den mit finanzieller Unterstützung Kaiser Wilhelms I. (1797-1888) ein Grabmal eingerichtet wurde, hat Pippin der Bucklige auch hier keine Spuren hinterlassen.
Die vermeintliche Tragik von Pippins Lebens diente indes als Inspiration für ein lose an seiner Biographie angelehntes Broadway-Musical von Stephen Schwartz aus dem Jahre 1972, das 2013 nochmals aufgelegt und in Deutschland beispielsweise von der Staatsoperette Dresden adaptiert wurde. Durch eine weibliche Besetzung der Prinzipalrolle entfernte sich diese Version freilich noch weiter von der historischen Person.
Quellen (Auswahl)
Annales Laureshamenses, hg. v. Georg Heinrich Pertz, in: MGH SS 1, Hannover 1826, S. 22-39.
Einhard, Vita Karoli magni, hg. v. Oswald Holder-Egger (Editio Sexta) (MGH SS rer. Germ. [25]), Hannover/Leipzig 1911.
Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen [Gesta Karoli], hg. v. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ. N. S. 12), Berlin 1959.
Literatur (Auswahl)
Hack, Achim Thomas, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger, Stuttgart 2009.
Hagn, Hans, Illegitimität und Thronfolge. Zur Thronfolgeproblematik illegitimer Merowinger, Karolinger und Ottonen, Neuried 2006.
Hammer, Carl I., „Pipinus rex“. Pipin's plot of 792 and Bavaria, in: Traditio 63 (2008), S. 235–272.
Kasten, Brigitte, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit, Hannover 1997.
Nelson, Janet Loughland, King and Emperor. A new life of Charlemagne, London 2019.
Pitzen, Hubert, Pippin der Bucklige. Ein fast unbekannter „Prümer“. Versuch einer Kurzbiografie, in: Der Prümer Landbote 74 (2002), S. 19–23.

Theaterproduktion von "Pippin", Werbefoto der amerikanischen Schauspieler (v. l. n. r.) Barry Williams , I. M. Hogson, Louisa Flaningam und Adam Grammis, 2.5.1975. (gemeinfrei)
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Groth, Simon, Pippin der Bucklige, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/pippin-der-bucklige-/DE-2086/lido/682f2009879d87.72921338 (abgerufen am 14.06.2025)
Veröffentlicht am 28.05.2025, zuletzt geändert am 01.06.2025