Zu den Kapiteln
Regino von Prüm entstammte vermutlich einer adligen Familie und wurde 892 Abt der Reichsabtei Prüm. Er erwies sich beim Wiederaufbau des durch die Normanneneinfälle verwüsteten Klosterbesitzes nicht nur als glänzender Organisator, sondern als Autor von musiktheoretischen und kirchenrechtlichen Schriften sowie einer in zwei Bänden untergliederten Weltchronik auch als einer der bedeutenden Universalgelehrten seiner Zeit.
Reginos Geburtsdatum, seine genaue Herkunft und der Zeitpunkt des Klostereintritts sind unbekannt. Erst eine späte Aufzeichnung bezeichnet Altrip bei Speyer als seinen Herkunftsort. Sie gibt auch den einzigen Hinweis auf seine mögliche adlige Abstammung. Kürzlich machte Franceso Roberg aufgrund einer Notiz des Necrologs von St. Maximin (Trier) den Eintritt Reginos in den geistlichen und monastischen Stand in diesem Trierer Kloster wahrscheinlich. Sicher ist, dass Regino nach der Resignation des Abtes Farabert von Prüm (Abbatiat 886-892) dessen Nachfolger wurde.
Das Benediktinerkloster Prüm, vom karolingischen Königshaus seit der Mitte des 8. Jahrhunderts beschenkt, gefördert und als Königskloster geschützt, genutzt und privilegiert, war zum Zeitpunkt von Reginos Amtsantritt in einem desolatem Zustand. Die Normannen hatten das Kloster und seine Ländereien geplündert, Abt Farabert war vor ihnen mit den meisten Mönchen geflohen; das klösterliche Leben war faktisch erloschen. Als Zeugnis der Restitutionsversuche Reginos ist das berühmte Prümer Urbar von 893 überliefert, die Aufzeichnung der weit gestreuten Besitzungen des Klosters mit Besitzzentren, um die wichtigsten zu nennen, in Eifel und Ardennen, im Mittel-Moselraum, in den Rheinlanden vom Niederrhein bis Speyer sowie in der Bretagne. Das Urbar bezeugt über die Orte hinaus zahlreiche Einzelpersonen und ihre Leistungs- und Abgabepflichten in Frondiensten, Naturalien und Geldzinsen sowie die fortbestehenden Lieferpflichten an die Aachener Königspfalz.
Mit der Abnahme der Normanneneinfälle war die Gefahr für den lotharingischen Raum nicht vorüber. Zwar zählte das ehemalige lotharingische Mittelreich zum Herrschaftsgebiet des ostfränkischen Königs Arnulf von Kärnten (Regierung 887-899), lag aber am Rand von dessen auf Bayern und Schwaben zentrierten Einfluss. Auch nachdem 895 Arnulfs Sohn Zwentibold (870-900) zum (Unter-)König in Lotharingien und Burgund erhoben worden war, verbesserte sich die schwache Stellung des Königtums in diesem Raum nicht. So konnten hier starke Adelsfamilien in Auseinandersetzungen miteinander und mit Usurpation von Königs- und Kirchengut ihre Stellung ausbauen. Die mächtigsten waren die Reginare, die Matfride und die Konradiner. 899 musste Regino auf Drängen der Matfride sein Abbatiat zugunsten des dieser Familie zugehörigen Richarius von Hennegau (Abbatiat 899-921) aufgeben. Erzbischof Radbod (Episkopat 883-915) nahm Regino in Trier auf und vertraute ihm die Leitung des durch die Normannen zerstörten Martinsklosters an. In Trier starb Regino 915. Seine letzte Ruhestätte fand er in der Kirche St. Maximin.
Aus den anderthalb Jahrzehnten, die Regino im Umkreis des Erzbischofs Radbod von Trier verbrachte, stammen seine überlieferten Schriften: ein musiktheoretischer Brief an Radbod von Trier, das „Tonar", sein Handbuch zu Sendgericht und Kirchenrecht, das er auf Bitten Radbods verfasste und dem Erzbischof Hatto von Mainz (Episkopat 891-913) widmete, sowie sein historiographisches Werk, die dem Bischof Adalbero von Augsburg (Episkopat 887-909) zugeeignete „Chronica". Alle Schriften nehmen in ihren jeweiligen Fachgebieten - der Musiktheorie, der Kanonistik und der mittelalterlichen Geschichtsschreibung - herausragende Plätze ein.
Reginos musiktheoretische Schriften stehen im Dienst der Kirchenmusik, in der spätantiken Bildungstradition der „artes liberales" und im Zusammenhang mit der in Lotharingien in der Karolingerzeit besonders intensiven Musikpflege, die uns durch die Berichte Notkers von St. Gallen (840-912) und handschriftliche Überlieferungen (Metzer Tonar) bekannt sind. Der Brief an Radbod von Trier, selbst schon ein kleines Handbuch, fußt auf den Schriften des spätantiken Philosophen Boethius (480-524/25) und geht von den Anforderungen des Kirchengesangs aus. Das mit diesem im handschriftlichen Zusammenhang überlieferte „Tonar" bringt Kurztexte zu Antiphon, Responsorien, Lobgesängen und anderen Teilen der Messe mit darüber notierten Neumen, geordnet nach den acht Kirchentonarten und versehen mit Hinweisen zu Tonartwechseln und Schlusskadenzen. Sein in zwei Bücher gegliedertes Sendhandbuch verfasste Regino für die praktische Visitationstätigkeit der Bischöfe Radbod und Hatto. Jedem der beiden Bücher ist ein Fragenkatalog vorangestellt, der als Arbeitsgrundlage für die Erkundungen während der Sendgerichtstage dienen sollte, im ersten Buch Fragen zum Zustand der Pfarrkirchen, ihrer Ausstattung mit Büchern und Altargerät und ihrer wirtschaftlichen Situation sowie Anforderungen an Lebenswandel und Arbeit der Geistlichen, im zweiten Buch Fragen und Regulative zum Leben der Laien, ihren kirchlichen Pflichten, Straftaten, Sexualpraxis, Zauberei. Auf die Fragenkataloge folgen umfangreiche Auszüge aus kirchlichen und weltlichen Rechtstexten, Bußbüchern und Briefen als Handreichungen für die angesprochenen Probleme. Zwei Drittel dieser Schrift Reginos hat der Wormser Erzbischof Burchard (Episkopat 1000-1025) in seine stark benutzte Kirchenrechtssammlung übernommen, die großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kanonistik hatte.
Reginos Chronik ist in zwei Bücher gegliedert. Das erste umfasst die Zeit von der Geburt Christi bis zum Tod Karl Martells 741, das zweite reicht vom Tod Karl Martells bis zu Reginos Gegenwart. Nach dem einleitenden Widmungsschreiben an Adalbero von Augsburg reichte das zweite Buch bis 908; in allen handschriftlichen Überlieferungen bricht es jedoch im Jahr 906 mit dem Bericht über den Schlachtentod Konrads des Älteren (gestorben 906), die Verurteilung und Hinrichtung Adalberts von Babenberg (854-906) und die Ächtung der Matfride durch König Ludwig IV. „das Kind" (Regierungszeit 900-911) ab.
Erst ab 860 berichtet Regino ausführlicher, aus eigenem Wissen und aus Kenntnis und unter Wiedergabe von Akten. Für die Zeit davor beruht sein Bericht auf Vorlagen. Die Darstellung erfolgt im Prinzip jahrweise, doch wird dieses annalistische Schema immer wieder durch Vor- und Rückgriffe sowie durch übergreifende Reflexionen mit dem Ziel, Zusammenhänge zu erläutern, ergänzt. In diesem Sinn beispielhaft ist Reginos Charakterisierung des Zerfalls des geeinten Frankenreiches in Einzel-Reiche nach der Absetzung und dem Tod Kaiser Karls III. „des Dicken" (Regierungszeit 876-887) im Jahr 888. Zu den Hintergründen seiner eigenen Amtsenthebung 892 in Prüm durch die Matfride kündigt Regino einen genauen Bericht an, der jedoch in der gesamten handschriftlichen Überlieferung fehlt und aus dieser – nach dem Textzusammenhang – offensichtlich getilgt wurde.
Vorsicht und Auslassungen kennzeichnen insgesamt die Darstellung der Ereignisse in Lotharingien zwischen 890 und 906, um Zeitgenossen zu schonen, wie Regino selbst in seinem Widmungsbrief an Adalbero sagt, ein Zeichen dafür, dass er bis 906 die Machtverhältnisse nicht als endgültig geklärt ansah. Dennoch kann nach seinen Äußerungen zu den Matfriden und nach dem Kreis der Bischöfe, denen sich Regino verbunden fühlte, Radbod von Trier, Hatto von Mainz und Adalbero von Augsburg, der der Erzieher Ludwigs IV. war, kein Zweifel daran bestehen, dass er sich den Karolingerkönigen, ihrer Reichskirche und dann den Konradinern verbunden fühlte. Der Gesichtskreis der Chronik umfasst im wesentlichen Lotharingien und das Westfrankenreich und reicht im Osten nicht über das Maingebiet hinaus. Die Einfälle der Normannen und Ungarn, die Kriege bei den Bretonen (Prüm hatte Besitzungen in der Bretagne) und die Feldzüge Arnulfs gegen die Mährer nehmen einen breiten Raum ein.
Für die starke Verbreitung von Reginos Chronik spricht die reiche handschriftliche Überlieferung. Die etwa 30 Handschriften lassen sich in zwei Klassen einteilen, die eine, die nur die Chronik bringt, die zweite, die zusätzlich zu dieser auch die aus der Feder des Mönchs und späteren Magdeburger Erzbischofs Adalbert von St. Maximin (Episkopat 968-981) stammende Fortsetzung bis zum Jahr 967 überliefert.
Quellen
Anton, Hans Hubert, "Regino von Prüm", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 7 (1994), Sp. 1483-1487.
Bernhard, Michael/Gerberti, Clavis, Eine Revision von Martin Gerberts Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum (St. Blasien 1784), in: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Musikhistorische Kommission 7, München 1989, S. 37-73.
Coussemaker, Edmond de (Hg.), Scriptores de musica medii aevi N.S. II., Paris 1863, Nachdruck Hildesheim 1963.
Hartmann, Wilfried (Hg.), Das Sendhandbuch des Regino von Prüm (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 42), Darmstadt 2004.
Rau, Reinhold (Hg.), Regino, Chronik, unveränderte Neuedition der Ausgabe von F. Kurze (1890) in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 3, Darmstadt 1960, S. 179-319.
Schwab, Ingo (Hg.), Das Prümer Urbar, Düsseldorf 1983.
Literatur
Roberg, Francesco, Neues zur Biographie des Regino von Prüm, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 72 (2008), S. 224-229.
Online
Hartmann, Wilfried, "Regino von Prüm", in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 269-270. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Heidrich, Ingrid, Regino von Prüm, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/regino-von-pruem/DE-2086/lido/57cd1cd8452925.39773680 (abgerufen am 28.03.2025)
Veröffentlicht am 05.09.2016, zuletzt geändert am 08.05.2020