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Das 16. Jahrhundert war nicht nur Schauplatz der konfessionellen Spaltung des Reiches und Europas, sondern auch eine Blütezeit des akademischen Diskurses in der Philosophie, im Rechtswesen und den Naturwissenschaften. Vor allem Medizin und Heilkunde gelangten durch das genaue Studium des menschlichen Körpers, seines anatomischen Aufbaus und seiner Funktionsmechanismen zu neuen Erkenntnissen und Methoden, als deren herausragender Vertreter der Universalgelehrte Philipp von Hohenheim, genannt Paracelsus (um 1493-1541), gelten darf. Mit Gisbert Longolius (1507-1543), Johannes Sinapius (1505-1560) oder eben Reiner Solenander wirkten jedoch auch gerade an den Fürstenhöfen der Zeit Ärzte einer neuen Generation, die sich häufig dem erbitterten Widerstand der etablierten Gelehrten ausgesetzt sahen.
Geboren wurde Reiner (Reinerus) Solenander im Jahr 1524 in der heute zu Wesel gehörenden Stadt Büderich am Niederrhein. Den latinisierten Namen – offensichtlich in Anlehnung an „solere“ = pflegen – nahm er erst während seines Studiums an, das ihm durch ein Stipendium Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg ermöglicht worden war; der Familienname lautete Gathmann. Viel mehr ist über die frühen Jahre Solenanders nicht bekannt, wenn auch die Tatsache der Unterstützung durch den Landesherren darauf hindeutet, dass er eine höhere Schullaufbahn, vermutlich in Wesel, durchlaufen und sich dabei durch gute Leistungen profiliert haben wird. Der Gelehrten-Biograph Melchior Adam (um 1575-1622) urteilte, Solenander habe eine glückliche Begabung gehabt.
Seine Studienjahre verbrachte Solenander überwiegend in Italien, nachdem er das philosophische Grundstudium in Löwen absolviert hatte; verbürgt sind Aufenthalte in Bologna, Pisa, Rom und Neapel. Dort geriet der junge Student zwischen die Fronten eines Gelehrtenstreits über die Richtigkeit der Lehre des griechisch-römischen Arztes Galenos von Pergamon (129/131-199/201 oder 215), der vor allem zwischen Giovanni Argenterio (1513-1572), einem Medizinprofessor unter anderem in Pisa und Rom sowie zuletzt in Turin, und Giulio Alessandrini (1506-1590), einem der Ärzte von immerhin drei römisch-deutschen Kaisern, Ferdinand I. (1503-1564), Maximilian II. (1527-1576) und Rudolf II. (1552-1612), geführt wurde. Solenander stand dabei auf der Seite Argenterios, seines akademischen Lehrers in Pisa, und stellte in seiner ersten Denkschrift „Apologia qua Iulio Alexandrino respondetur pro Argenterio“ die galenische Lehre, unter anderem die Viersäftelehre, in Frage; damit waren Solenander und die Anti-Galenianer ihrer Zeit weit voraus, denn erst im 19. Jahrhundert löste sich die Medizin endgültig von der Lehre der Wechselseitigkeit von Körpersäften und Gesundheitszustand.
In Italien beschäftigte sich Solenander insbesondere mit der Heilkraft von Thermalquellen, die bereits in der Antike genutzt worden waren. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er in der Schrift „De caloris fontium medicatorum causa“, nachdem er praktische Erfahrungen an den Heilquellen von Ischia und als einer der frühen Badeärzte im toskanischen Lucca gewonnen hatte, das für seine warmen und salzigen Schwefelquellen bekannt war. Wahrscheinlich hielt sich Solenander um 1558 für Studienzwecke in Südfrankreich auf; möglicherweise war er zu diesem Zeitpunkt aber bereits nur auf der Durchreise, denn Herzog Wilhelm hatte ihn als zweiten Leibarzt neben Johann Weyer an den Düsseldorfer Hof zurückberufen, wo er 1559 eintraf.
Hier erwarb sich Solenander schnell einen hervorragenden Ruf und verdrängte den älteren Weyer rasch als ersten Leibarzt des Herzogs. In dieser Funktion begleitete er den Herzog 1566 auf den Reichstag nach Augsburg und 1573 nach Königsberg. Als der Herzog 1566 einen Schlaganfall erlitt, behandelte Solenander ihn erfolgreich, indem er diätetische Maßnahmen verordnete. Auch dem ebenfalls im herzoglichen Dienst stehenden Kartographen Gerhard Mercator konnte Solenander helfen, indem er dessen Augenleiden mit dem Heilkraut Euphrasia kurierte.
Erfolglos blieben jedoch seine Versuche, den Thronfolger Johann Wilhelm (1562-1609) zu heilen, der bereits als Kind kränklich war und mit zunehmendem Alter unter Depressionen, Angstzuständen und Tobsuchtsanfällen litt und schließlich sogar in Katatonie verfiel. Übereinstimmend stellten Solenander, Weyer und dessen Sohn Galenus (1547-1619) die schlechten Heilungsaussichten für Johann Wilhelm fest. Dennoch blieb Solenander auch nach Wilhelms Tod an der Seite von dessen Sohn, der im Jahr 1585 mit der Markgräfin Jakobe von Baden verheiratet worden war.
Damit sollte der katholische und insbesondere bayrische Einfluss am Niederrhein gestärkt werden. Weil Jakobe aber in religiösen Dingen sprunghaft war und keine Nachkommen zur Welt brachte, wurde sie am Düsseldorfer Hof alsbald zur persona non grata. 1595 wurde ihr die Vormundschaft über Johann Wilhelm von den Landständen entzogen und sie selbst inhaftiert. Möglicherweise hatte der Erbmarschall Wilhelm von Waldenfels, genannt Schenkern (geboren um 1560), der ihre Arretierung vornahm, bereits zum Jahresbeginn eine Ermordung Jakobes in Auftrag gegeben. Jedenfalls ist ein Brief Solenanders vom 6.1.1595 erhalten, in welchem er sich weigerte, die Herzogin zu vergiften oder ein solches Gift herzustellen: Ich gewiß wolte lieber meines Amtes ja Lebens verlustig werden, als dazu behülflich seyn, und meiner bisher von Gott reich gesegneten Kunst solchen gräulichen Schandfleck anhängen und aus einem Hoff-Apothecker einen Abdecker und Büttel machen helfen.
Diese Haltung und Äußerung zeigen Solenander als einen seiner Verantwortung über Gesundheit und Krankheit, Leben und Sterben bewussten Mediziner. Auch darf bei aller methodischen Kunst ein hohes Maß an Empathie für seine Patienten unterstellt werden; sein selbst gewählter Name scheint anzudeuten, dass ihm in erster Linie die Pflege der Kranken und eine nachhaltige Heilung wichtig waren. Im Unterschied zur überkommenen mittelalterlichen Medizin versuchte er auch, Schmerzen der Behandlung zu lindern oder zu vermeiden und auf gefährliche Eingriffe zu verzichten. Krankheiten führte er nicht auf Böses, Fremdartiges zurück, sondern auf körpereigene Fehlfunktionen, die korrigiert werden könnten. Medizingeschichtlich war er damit ein früher Vertreter einer Behandlungsmethode, die sich endgültig erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzen sollte.
1597 ist die Herzogin Jakobe schließlich doch ermordet worden. Ob einem englischen Arztkollegen danach eine zeitweilige Besserung von Johann Wilhelms Gesundheitszustand tatsächlich gelang oder ob diese Besserung nur im Vorfeld der zweiten Verheiratung des kranken Herzogs mit Antonie von Lothringen (1568-1610) verlautbart wurde, muss offen bleiben. Solenander jedenfalls hatte den Düsseldorfer Hof infolge der geplanten Vergiftung Jakobes von Baden bereits verlassen und lebte ab 1595 wieder in seinem Heimatort Büderich, wo er die Summe seiner medizinischen Erfahrungen noch einmal in einem großen Werk „Consiliorum Medicinalium sectiones quinque“ veröffentlichte. Hierin beschrieb er für über 100 verschiedene Krankheiten seine Beobachtungen über deren Entstehung und Verlauf sowie die durch die empirischen Erkenntnisse der Zeit angezeigten Behandlungsmöglichkeiten zum Wohle der Patienten.
Reiner Solenander, der evangelisch-reformierten Bekenntnisses war, starb am 5.1.1601 in Düsseldorf und wurde im Willibrordi-Dom in Wesel beigesetzt.
Werke (Auswahl)
Apologia qua Iulio Alexandrino respondetur pro Argenterio, 1556.
De caloris fontium medicatorum causa, 1558.
Consiliorum medicinalium sectiones quinque, 1596.
Reliquae quatuor ab auctore jam recens additae, 1596, 2. Auflage 1609.
Literatur
Herzog, Petra, Vom Badearzt in Lucca zum Leibarzt am herzoglichen Hof: Dr. Reiner Solenander, in: Jahrbuch des Kreises Wesel 2003, S. 74-75.
Wackenbauer, Anton, Dr. Reiner Solenander: (Reinhard Gathmann) ein niederrheinischer Arzt, Leibarzt am Düsseldorfer Hofe (1524 - 1601), Diss., Düsseldorf 1933.
Wackenbauer, Anton, Dr. Reiner Solenander, ein niederrheinischer Arzt, Leibarzt am Düsseldorfer Hof, in: Düsseldorfer Jahrbuch 37 (1932/33), S. 96–140.
Wackenbauer, Anton, Dr. Reiner Solenander, ein niederrheinischer Arzt aus Büderich (1524-1601), in: Unsere Heimat [Wesel-Büderich] 17 (2001), S. 3-47.
Online
Binz, Carl, Art. „Reiner Solenander“, in: ADB 34 (1892)-563-565. [online]
Dieckhöfer, Klemens, Solenander, Reiner, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 549. [online]
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Bock, Martin, Reiner Solenander, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reiner-solenander/DE-2086/lido/5cebd680b26428.88928117 (abgerufen am 15.12.2024)