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Robert Lehr war ein bedeutender Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf in der Weimarer Republik. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich für eine Neuordnung der Bundesländer und die Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Von 1950 bis 1953 gestaltete er als Bundesinnenminister die Innenpolitik der Anfangsjahre der Bundesrepublik maßgeblich mit. Als erster Präsident der „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald" (SDW) engagierte er sich für den Natur- und Umweltschutz.
Robert Lehr wurde am 20.8.1883 im niedersächsischen Celle als Sohn des nassauisch-luxemburgischen Hofmarschalls und, nach der Annexion Nassaus durch Preußen 1866, preußischen Generalmajors Oskar Lehr (1847-1923) und seiner Frau Clara, geborene Stück (1847-1923), geboren. Er wuchs in einem konservativ-protestantischen Elternhaus auf. Nach dem Besuch der Volksschule und der Realgymnasien in Kassel, Einbeck und Koblenz, wo er 1904 das Abitur ablegte, studierte Lehr Jura an den Universitäten Marburg, Berlin und Bonn. In Marburg schloss er sich dem Corps Teutonia an, einer pflichtschlagenden und farbentragenden Studentenverbindung.
Das erste juristische Staatsexamen legte Lehr 1907 in Köln ab. Ein Jahr später wurde er in Heidelberg zum Dr. jur. promoviert. Noch während seiner juristischen Ausbildung heiratete er 1909 Anna Meta (Aenne) Steinbach (1880-1968). Nach dem zweiten Staatsexamen 1912 und Zwischenstationen in Kassel und Rheydt (heute Stadt Mönchengladbach) begann Lehr seine kommunalpolitische Laufbahn 1913 als juristischer „Hilfsarbeiter" bei der Stadtverwaltung Düsseldorf. Bereits 1914 wurde er zum Beigeordneten gewählt. In den unruhigen Nachkriegsjahren bis 1924, die etwa die Novemberrevolution 1918, die französische Besetzung Düsseldorfs 1921 bis 1925 und die Hyperinflation gesehen hatten, leitete Lehr nacheinander das Polizeidezernat und das Finanzdezernat. Als Beigeordneter setzte er energisch die öffentliche Ordnung gegen die Revolution der Linken durch.
1924 wählte die Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung den konservativen Verwaltungsexperten ohne Parteibuch erstmalig zum Oberbürgermeister und damit zum höchsten hauptamtlichen Repräsentanten der Stadt, Chef der Stadtverwaltung und Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung. In diesem neuen Amt zählte Lehr bald zu den bedeutenden rheinischen Oberbürgermeistern, die über erheblichen Einfluss auf die Politik in Preußen und im Reich verfügten. Er war Mitglied der Vorstände des Deutschen und Preußischen Städtetages.
Nach der Währungsstabilisierung und Entschuldung der Stadt unternahm Lehr als Oberbürgermeister große Anstrengungen, die wirtschaftliche Basis der Stadt zu verbreitern und nutzte dazu seine guten Beziehungen zur Wirtschaft. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit war der nachhaltige Ausbau des Industriestandortes Düsseldorf. Ihm gelang die Ansiedlung von Industrieverwaltungen und -anlagen (zum Beispiel Vereinigte Stahlwerke AG 1926), die Gründung des Flughafens und die Eingliederung der industriereichen Gemeinde Benrath im Süden Düsseldorfs durch die kommunale Neuordnung 1929.
In der Amtszeit Lehrs machte Düsseldorf auch als aufstrebende Ausstellungs- und Kongressstadt von sich reden. Die „Große Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen" (GeSoLei) 1926 fand mit rund 7,5 Millionen Besuchern große internationale Beachtung und brachte Lehr zahlreiche Ehrungen ein. Die Universität Münster verlieh Lehr in diesem Jahr die Ehrendoktorwürde. 1927 wurde er Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Akademie zur Förderung der Wissenschaft. Die in diesen Jahren stattfindende „Großen Kunstausstellung" festigte den Ruf Düsseldorfs als Stadt der Künste, ebenso die Modernisierung der Kunstakademie.
In der Sozialpolitik widmete sich Lehr pragmatisch der großen Wohnungsnot durch ein kreatives Bau- und Siedlungsprogramm mit dem 17.000 neue Wohnungen errichtet wurden. 1929 trat Lehr der protestantisch-monarchistisch orientierten „Deutschnationalen Volkspartei" (DNVP) bei, um seinen kommunalpolitischen Einfluss zu sichern. Er befand sich damit im rechten Spektrum der Parteien und seiner Amtskollegen. Während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 war Lehr erfolgreich auf die Konsolidierung der städtischen Finanzen bei einer gleichzeitigen Unterstützung und Beschäftigung der vielen Bedürftigen und Arbeitslosen bedacht.
Obwohl konservativ, hielt Lehr stets Distanz zum aufkommenden Nationalsozialismus. 1933 entfernten die Nationalsozialisten unter Führung des Gauleiters Friedrich Karl Florian den hoch angesehenen Oberbürgermeister unter dem fadenscheinigen Vorwurf der Bestechlichkeit durch Verhaftung aus dem Amt. Lehr zog sich bis 1945 ganz aus der Politik und dem öffentlichen Leben in Düsseldorf zurück. In dieser Zeit unterhielt er Verbindungen zum Widerstand von Katholiken in Rheinland und Westfalen, unter anderem zum Düsseldorfer Kreis um den späteren Ministerpräsidenten Karl Arnold, und zum konservativen Berliner Widerstand.
Im Auftrag der amerikanischen Besatzung übernahm Lehr unmittelbar gegen Kriegsende 1945 das Bürgermeisteramt in der kleinen Gemeinde Oberbrügge im märkischen Kreis Altena. Bereits im Juni 1945 wechselte Lehr in die Landespolitik und leitete bis Oktober 1945 die Abteilung für Allgemeine Verwaltung des Oberpräsidiums Nordrhein-Provinz für den heutigen rheinischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen. Lehr setzte seine Karriere mit der Berufung zum Oberpräsidenten der Nordrhein-Provinz durch die britische Besatzungsmacht fort. Er plädierte für eine Dreiteilung der britischen Besatzungszone und die Fusion der Nordrhein-Provinz mit Westfalen, Lippe und Landkreisen der Provinz Hannover. Nach der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen 1946 scheiterten seine Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten. Mit der Konstituierung des ersten Landtags 1946 amtierte Lehr kurzzeitig als dessen erster Präsident, danach als Vorsitzender des Hauptausschusses. 1950 schied Lehr aus dem Landtag aus.
Als Konsequenz aus den Erfahrungen als Oberbürgermeister in der Weimarer Republik engagierte sich Lehr in der Nachkriegszeit von Anfang an parteipolitisch. Er trug zum Aufbau eines demokratischen Parteiensystems im Westen Deutschlands bei. Im August 1945 war er Gründungsmitglied der CDU im Rheinland. In den Jahren 1945 und 1946 und ab 1948 war er stellvertretender Vorsitzender der rheinischen CDU.
Lehrs politische Aktivitäten reichten nach 1945 stets über die Landespolitik hinaus. Von 1946 bis 1948 war er Mitglied des Zonenbeirates der Britischen Besatzungszone. Mit seiner Mitgliedschaft im Parlamentarischen Rat und dem Vorsitz im Ausschuss für die Organisation des Bundes wurde Lehr zu einem der Wegbereiter des Grundgesetzes in den Jahren 1948 und 1949. Lehr plädierte erfolgreich für die Ausgestaltung des Bundesrats als Ländervertretung. Er bereitete nun den vollständigen Wechsel in die Politik der jungen Bundesrepublik vor.
Lehr gehörte dem ersten Deutschen Bundestag an. Der erfahrene Verwaltungsfachmann übernahm dort den stellvertretenden Vorsitz des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung bis zu seiner Ernennung zum Bundesinnenminister. Als Nachfolger von Gustav Heinemann prägte Lehr im Amt des Bundesministers des Innern unter Bundeskanzler Konrad Adenauer in den Jahren 1950 bis 1953 die Innenpolitik der jungen Bundesrepublik nachhaltig. Sie war wesentlich vom „Kalten Krieg" zwischen West und Ost und vom Leitbild der „wehrhaften Demokratie" gegen verfassungsfeindliche Gruppierungen bestimmt.
Lehr bekämpfte energisch Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung des Westens Deutschlands. Er trieb den Aufbau des Bundesgrenzschutzes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln und des Bundesverwaltungsgerichtes in Berlin voran. Mit der Verlegung von Bundesdienststellen nach Westberlin wurde dessen Zugehörigkeit zur Bundesrepublik unterstrichen. Auf Verlangen des amerikanischen Hochkommissars wurde ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen die rechtsextreme „Sozialistische Reichspartei" (SRP) mit Bezügen zum Nationalsozialismus eingeleitet, das mit dem Verbot der Partei im Jahr 1952 endete. Gegen die linksextreme „Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD), welche enge Kontakte in die DDR und Sowjetunion unterhielt, ging Lehr ebenfalls mit einem Verbotsverfahren vor. Erst 1956 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht verboten.
In den Zeiten des Energiemangels während des Krieges und in den Nachkriegsjahren war viel mehr Holz in den Wäldern geschlagen worden als natürlich nachwachsen konnte. Lehr fürchtete die langfristigen negativen Auswirkungen dieses kurzsichtigen Raubbaues. So setzte er sich neben seinem Engagement in der Landes- und Bundespolitik für den Erhalt und die Wiederaufforstung der Wälder in Deutschland ein. Als Mitbegründer und erster Präsident der „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald" (SDW) in den Jahren 1947 bis 1956 wurde er ein Pionier des Naturschutzes, der Nachhaltigkeit der Waldwirtschaft und einer naturnahen Pädagogik für Kinder in Waldkindergärten. In seine Amtszeit fiel der erste „Tag des Baumes".
Mit Robert Lehr starb am 13.10.1956 in Düsseldorf ein konservativer Verwaltungsfachmann und Politiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Fähigkeit für nachhaltige Initiativen und Entscheidungen für die Stadt Düsseldorf, das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik.
Quellen
Sent, Eleonore (Bearb.), Dr. Robert Lehr 1883-1956. Findbuch zu seinem Nachlass im Stadtarchiv Düsseldorf, Düsseldorf 2006.
Literatur
Först, Walter, Robert Lehr als Oberbürgermeister. Ein Kapitel deutscher Kommunalpolitik, Düsseldorf 1962.
Först, Walter, Artikel „Robert Lehr", in: Rheinische Lebensbilder 3 (1956), S. 249-269.
Fischer-Reichenberg, Karl, Robert Lehr, in: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen (Hg.), Nordrhein-Westfalen und die Entstehung des Grundgesetzes, Düsseldorf 1989, S. 143-146.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 599-600.
Online
Kaff, Brigitte, Artikel "Lehr, Robert", in: Neue Deutsche Biogrpahie 14 (1985), S. 112-113. [Online]
Robert Lehr (Biographische Kurzinformation auf der Website Gedenkstätte Deutscher Widerstand). [Online]
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Weiß, Lothar, Robert Lehr, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/robert-lehr/DE-2086/lido/57c93e7849f8d0.12525166 (abgerufen am 03.12.2024)