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Rudolf Schwarz war ein bedeutender Architekt von Sakral- und Profanbauten, mit Architekturbüros in Frankfurt am Main und Köln. Als Lehrer wirkte er in Offenbach (Technische Lehranstalten, 1925-1927), Aachen (Kunstgewerbeschule, 1927-1934) und Düsseldorf (Staatliche Akademie, 1953-1961). Zwischen 1946 und 1952 leitete er als Generalplaner den Wiederaufbau der Stadt Köln. Seine Bücher sind fast sämtlich wieder aufgelegt worden; sie zählen zu den wichtigen theoretischen Schriften über Kirchenbau und architektonische Moderne.
Es sei „das Kompromissloseste, was es zur Zeit gibt", war das Urteil, das der damals 33-jährige Rudolf Schwarz über den strengsten, asketischsten Kirchenbau seines Oeuvres fällte: die Kirche St. Fronleichnam in Aachen (1929/ 1930). Der in endlosen Varianten erarbeitete Entwurf zeigt einen lang gestreckten, weißen Kastenraum, den ein einziges Seitenschiff begleitet. Tageslicht fällt durch hoch gelegte quadratische Fenster des Hauptschiffes ein, wobei die Fenster an der nördlichen Seite über dem Altarberg paarweise heruntersteigen. Die Wand hinter dem Altar blieb geschlossene Fläche, „gespannte Membran", wie Schwarz sie nannte. Den frei stehenden Glockenturm verbindet eine zarte Stahlbrücke mit dem Dachraum über dem Hochschiff. Außer einer kleinen Feldsteinkapelle im Voreifeldorf Leversbach ist die Fronleichnamskirche der einzige Sakralbau, den der junge Direktor der Aachener Kunstgewerbeschule gegen Ende der Weimarer Republik realisieren konnte, ein Bau, der „in der Reinheit seiner mathematischen Form" den Gott ehren soll, „der Geometrie treibt".
Rudolf Schwarz, am 15.5.1897 als Sohn des Gymnasialdirektors Hilmar Schwarz in Straßburg geboren, aber aus einer rheinischen Familie stammend, wurde an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg ausgebildet und promoviert und war 1923/ 1924 Meisterschüler bei Hans Poelzig (1869-1936). Mit dem älteren Kirchenbaumeister Dominikus Böhm arbeitete er von 1925 bis 1927 in Offenbach zusammen. Die dritte prägende Begegnung seines Lebens war die mit dem Theologen und Liturgiereformer Romano Guardini (1885-1968). 1924 wurde Schwarz zum Burgarchitekten der Burg Rothenfels am Main berufen, dem Stammsitz der katholischen Jugendbewegung Quickborn, den Guardini ab 1927 leitete. In einem Akt schöpferischer Denkmalpflege gestaltete Schwarz das baufällige Gemäuer um, in dessen Festräumen er Elemente der Technik kompromisslos einbezog.
St. Fronleichnam, zwei Profanbauten in Aachen (Soziale Frauenschule, Haus der Jugend) und in den 30er Jahren mehrere private Wohnhäuser zählen zu den konsequenten Äußerungen der Architekturmoderne. Gleichwohl sah sich Schwarz in einem Gegensatz zu Funktionalismus, Pragmatismus und Rationalismus, der nach dem Krieg, 1953, zu einer scharfen Polemik gegen das Bauhaus und dessen Gründer Walter Gropius (1883-1969) eskalierte. Schwarz ging es um eine Welt, „die hoch über dem Brauchbaren thront", um „Architektur als freie Kunst", um „Urgestalten", wie er sie für den Sakralbau in seiner Schrift „Vom Bau der Kirche" (1938) beschwor.
Dieses Buch bedeutete eine Phänomenologie des Kirchenbaus, eine „Wesensschau", in der Schwarz sieben so genannte „Pläne" entwickelte. Sie waren nicht als Mustervorlagen gedacht, sondern als Urbilder, als „Samen von Dingen": der Heilige Ring (geschlossener Kreis), der Heilige Aufbruch (geöffneter Kreis), der Heilige Aufbruch (der nach oben geöffnete Kelch), die Heilige Fahrt (der Raum als Weg wie in St. Fronleichnam), der Heilige Wurf (die Parabel), das Heilige All und den Dom aller Zeiten, die er als Vollendung und Synthese aller vorhergehenden Zustände verstand. Die Aachener Kunstgewerbeschule wurde schon zu Beginn des „Dritten Reiches", 1934, geschlossen, der Direktor entlassen. Dem Nationalsozialismus stand Schwarz ablehnend gegenüber. Nach Jahren der Unterbeschäftigung wurde er jedoch in den Kriegsjahren zu weit reichenden planerischen Aufgaben im Gau Westmark verpflichtet. Für Schwarz war es die erste praktische Beschäftigung mit Stadt- und Landesplanung, in der sich sein bildhaftes und morphologisches Denken mit dem in den 1920er und 1930er Jahren verbreiteten Gedanken der Stadtlandschaft verband. Für ihn war es eine Vorbereitung auf die Wiederaufbauplanung, die ihn nach dem Krieg im schwer zerstörten Köln erwartete.
Von 1946 bis 1952 war Schwarz als Generalplaner für den Städtebau Kölns verantwortlich. Er, der sich dem organischen Bauen zurechnete, suchte die Gestalt herauszuarbeiten, dem die natürlichen Wachstumskräfte zuzusteuern schienen. Die neue Großstadt sollte „lebendig durchbaute Landschaft" sein und sich um zwei Pole gruppieren: die alte ehrwürdige „Hochstadt" mit ihren zentralen Aufgaben in Verwaltung, Bildung, „Hoheit" und „Anbetung" sowie eine neue, werktätige Stadt der Arbeit im Norden. Diese Doppelstadt bildete für Schwarz Teil eines „Städtebundes", eines „Sternhaufens". Auch ihre Bewohner waren in seinen Augen Doppelwesen, die sich einerseits moderner Technik bedienten, andererseits als „metatechnische" Wesen auf Maß, Muße und Stille angelegt waren. Entsprechend sollte die Stadt zwar großräumig angelegt sein und dem Verkehr Raum geben, zugleich aber die alten Grenzen der Kirchspiele mit ihren Pfarr- und Stiftskirchen, Plätzen und Einkaufsstraßen respektieren. Daher verfügt Kölns Innenstadt noch heute über einen hohen Anteil an Wohnbevölkerung.
Die letzten 15 Jahre seines Lebens stand Schwarz in der Vollkraft seines Schaffens. Neben und nach seiner stadtplanerischen Arbeit und der Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Akademie baute er mit anderen Architekten von 1946 bis 1948 die ausgebrannte Paulskirche in Frankfurt am Main zu einem repräsentativen Ort der Demokratie um und errichtete Maßstäbe setzende Kulturbauten in Köln: das Veranstaltungshaus Gürzenich zwischen 1949 und 1955 gemeinsam mit Karl Band (1900-1995) sowie das Wallraf-Richartz-Museum von 1950 bis 1958 mit Josef Bernard (1902-1959), als ersten Neubau eines Museums in der Bundesrepublik.
Vor allem aber schuf er zahlreiche Kirchen, überwiegend an Rhein und Ruhr und im Frankfurter Raum. Die Grundrisse entwickelte er in großer Vielfalt zwischen Rechteck, T-Form, Parabel oder Ellipse. Die Bauten sind jetzt weniger asketisch als in der Aachener Zeit. Wände wirken nicht nur als Begrenzungen von Räumen, sondern als körperhafte Raumfassungen. Immer sind es große, Freiheit lassende Raumfiguren. Forderungen der Liturgiebewegung, der Schwarz nahe stand, interpretierte er nicht als zwingendes Programm, sondern als freie Vorgaben; er wollte keine „Liturgie-Maschinen". Ein Mehr an Raum, ein Überschuss an Leere, der „heilige Überfluss" waren ihm immer wichtig. St. Anna in Düren (1951-1956), St. Michael in Frankfurt (1952-1956), Heilig Kreuz in Bottrop (1953-1957), St. Antonius in Essen-Frohnhausen (1956-1959), St. Theresien in Linz (1956-1963) und St. Bonifatius in Aachen-Forst (1959-1964) sind bedeutende Beispiele dieser Schaffensphase. Bildhafte Vorstellungen - der Mantel, die mystische Rose, die Schlucht, der Stufenberg, das Bauwerk als kleine Stadt - bestimmen auch diese Bauten. Aber diese Bilder sind ganz zurückgenommen, abstrahiert, transformiert; sie gehen vollkommen in der gebauten Architektur auf.
Als Rudolf Schwarz am 3.4.1961 in Köln einem Herzleiden erlag, hinterließ er Pläne und Skizzen für nicht weniger als neun Kirchenbauaufträge, die seine Frau, die Architektin Maria Schwarz, zusammen mit Freunden und Mitarbeitern realisierte. Sie ist es auch, die das architektonische Erbe hütet und die Bauten vor einem Schicksal wie dem Abriss der Schwarz-Kirche St. Raphael in Berlin-Gatow (2005) zu bewahren sucht.
Schriften (Auswahl)
Kirchenbau. Welt vor der Schwelle, Heidelberg 1960, Neuauflage Regensburg 2007.
Das Neue Köln, ein Vorentwurf, Köln 1950.
Vom Bau der Kirche, Würzburg 1938, Neuauflage Salzburg 1998.
Von der Bebauung der Erde, Heidelberg 1949, Neuauflage Salzburg/München 2006.
Wegweisung der Technik, Potsdam 1928, Neuauflage Köln 2007.
Literatur
Hasler, Thomas, Architektur als Ausdruck - Rudolf Schwarz, Zürich/Berlin 2000.
Mantziaras, Panos, Rudolf Schwarz et la Dissolution des Villes. La Ville-Paysage, Genf 2008.
Pehnt, Wolfgang, Rudolf Schwarz. Architekt einer anderen Moderne [mit Werkverzeichnis von Hilde Strohl], Ostfildern 1997.
Zahner, Walter, Rudolf Schwarz. Baumeister der Neuen Gemeinde, Altenberge 1992.
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Pehnt, Wolfgang, Rudolf Schwarz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/rudolf-schwarz/DE-2086/lido/57c94d23094702.06412014 (abgerufen am 07.10.2024)