Theodor von der Goltz

Agrarwissenschaftler (1836-1905)

Björn Thomann (Suderburg)

Theodor von der Goltz, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

Theo­dor von der Goltz gilt ne­ben Ju­li­us Kühn (1825-1910) als be­deu­tends­ter deutsch­spra­chi­ger Agrar­wis­sen­schaft­ler der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts. Sein For­schungs­feld um­fass­te die land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re so­wie die von ihm als Teil­dis­zi­plin der Land­wirt­schafts­leh­re eta­blier­te Agrar­po­li­tik. Hier wid­me­te er sich im Be­son­de­ren der so­zi­al­po­li­tisch bri­san­ten Land­ar­bei­ter­fra­ge. Als aka­de­mi­scher Leh­rer nahm er dar­über hin­aus auch Ein­fluss auf die Ent­wick­lung des agrar­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­ums. 

Theo­dor Alex­an­der Lud­wig Ge­org Frei­herr von der Goltz wur­de am 10.7.1836 in Ko­blenz ge­bo­ren. Er war der jüngs­te von drei Söh­nen des preu­ßi­schen Oberst­leut­nants Alex­an­der von der Goltz (1800-1870) und des­sen Ehe­frau Ma­rie Gö­bel (1802-1864). Bei sei­nen Brü­dern han­del­te es sich um den Land­rat de­s Krei­ses Mett­mann Alex­an­der von der Goltz (1831-1912) und den evan­ge­li­schen Theo­lo­gen Her­mann von der Goltz (1835-1906). In­ ­s­ei­nem von pie­tis­ti­schen Ma­xi­men be­stimm­ten El­tern­haus lag so­wohl sei­ne stark aus­ge­präg­te Re­li­gio­si­tät, als auch das für sein spä­te­res Wir­ken ent­schei­den­de Ver­ständ­nis für die Nö­te der so­zia­len Un­ter­schicht be­grün­det.

Goltz be­such­te das Gym­na­si­um in Ko­blenz, an dem er zu Os­tern 1853 die Prü­fun­gen zum Ab­itur be­stand. Sein Wunsch Land­wirt­schaft zu stu­die­ren schei­ter­te zu­nächst an öko­no­mi­schen Er­wä­gun­gen. Da er nicht ver­mö­gend war und die Aus­sicht auf ab­seh­ba­re Zeit ein ei­ge­nes Gut über­neh­men zu kön­nen als ge­ring ein­ge­stuft wur­de, ent­schied er sich für ei­ne Lauf­bahn im ju­ris­ti­schen Staats­dienst. Im Som­mer­se­mes­ter 1853 im­ma­tri­ku­lier­te er sich an der ju­ris­ti­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Er­lan­gen. Mit Be­ginn des Win­ter­se­mes­ters 1854/1855 über­sie­del­te er nach Bonn, um­ ­s­ei­ne Stu­di­en an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät fort­zu­set­zen. Hier schloss er sich, wie be­reits zu­vor in Er­lan­gen, dem christ­li­chen Win­golf an, je­doch zwang ihn noch im Herbst des­sel­ben Jah­res ein schwe­res Ner­ven- und Au­gen­lei­den zum vor­zei­ti­gen Ab­bruch des Stu­di­ums. 

Nach ein­jäh­ri­ger Ge­ne­sungs­zeit ent­schloss er sich, nicht zu­letzt auf An­ra­ten sei­nes Arz­tes, zum Stu­di­um der Land­wirt­schaft, das er mit dem Ziel ver­band, Leh­rer an ei­ner agrar­wis­sen­schaft­li­chen Bil­dungs­ein­rich­tung zu wer­den. Die zur Auf­nah­me in ei­ne land­wirt­schaft­li­che Lehr­an­stalt er­for­der­li­che Lehr­zeit ab­sol­vier­te er zwi­schen 1856 und 1858. Nach­dem er auf Gut Bes­se­lich un­weit von Ko­blenz sei­ne ers­ten prak­ti­schen Er­fah­run­gen ge­sam­melt hat­te, vo­lon­tier­te er auf dem pom­mer­schen Rit­ter­gut Ra­me­low, des­sen Be­sit­zer Wil­helm Flüg­ge (1819-1879) ein Freund sei­nes Va­ters war, und auf der Do­mä­ne Ein­sie­del bei Tü­bin­gen. Vom Win­ter­se­mes­ter 1858/1859 bis zum En­de des Som­mer­se­mes­ters 1860 stu­dier­te er an der Hö­he­ren Land­wirt­schaft­li­chen Lehr­an­stalt Pop­pels­dorf. Un­mit­tel­bar nach­dem er die Ab­gangs­prü­fung am 10.8.1860 mit der Be­wer­tung „Vor­züg­li­ch“ be­stan­den hat­te, er­hielt er ei­ne An­stel­lung als Leh­rer für Land­wirt­schaft und Na­tur­wis­sen­schaf­ten an der Acker­bau­schu­le Gut Rie­sen­rodt in West­fa­len. Im Früh­jahr 1862 pro­mo­vier­te er in Leip­zig zum Dok­tor der Phi­lo­so­phie. 

Ne­ben sei­nen Ar­bei­ten zur land­wirt­schaft­li­chen Be­triebs­leh­re be­schäf­tig­te sich Goltz seit Mit­te der 1860er Jah­re in­ten­siv mit Fra­gen der So­zi­al­po­li­tik und da­bei vor al­lem mit der öko­no­mi­schen Ver­elen­dung der Land­ar­bei­ter. Zwi­schen 1871 und 1876 war er als frei­er Mit­ar­bei­ter für die von Lo­renz Na­gel (1828-1895) her­aus­ge­ge­be­ne Wo­chen­schrift „Con­cor­dia. Zeit­schrift für die Ar­bei­ter­fra­ge“ tä­tig, wo­bei er in sei­nen Bei­trä­gen nicht mit schar­fer Kri­tik an den ge­sell­schaft­li­chen Hier­ar­chi­en im Deut­schen Reich spar­te, auf die vor al­lem der preu­ßi­sche Gro­ßgrund­be­sitz mit öf­fent­li­chen An­fein­dun­gen re­agier­te. 

Im An­schluss über­sie­del­te Goltz nach Ost­preu­ßen, wo er als Gut­sad­mi­nis­tra­tor und Leh­rer an der Land­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie Waldau zum 1.8.1862 in den Dienst des preu­ßi­schen Staa­tes trat. Wäh­rend sei­ner sie­ben­jäh­ri­gen Tä­tig­keit be­grün­de­te er hier mit sei­ner 1867 ver­öf­fent­lich­ten Schrift „Über die land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­füh­run­g“ sei­nen Ruf als ei­ner der füh­ren­den deut­schen Agrar­öko­no­men. Seit 1865 war er mit sei­ner Cou­si­ne Ber­tha von der Goltz (1838-1901) ver­lobt, die er am 23.7.1869 in Kö­nigs­berg hei­ra­te­te. Aus der Ehe ging als ein­zi­ges Kind die Toch­ter Do­ra her­vor. 

Zum Win­ter­se­mes­ter 1869/1870 er­hielt Goltz die von ihm an­ge­streb­te Pro­fes­sur für Agrar­wis­sen­schaf­ten an der phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät der Al­ber­tus-Uni­ver­si­tät in Kö­nigs­berg. Be­reits im Jahr 1870 wur­de ihm dar­über hin­aus die Ver­ant­wor­tung für den Auf­bau ei­nes uni­ver­si­täts­ei­ge­nen Land­wirt­schaft­li­chen In­sti­tuts über­tra­gen. Die Um­set­zung des Pro­jek­tes ge­stal­te­te sich je­doch schwie­rig und er­streck­te sich über ei­nen Zeit­raum von meh­re­ren Jah­ren, in­ner­halb de­rer sich Goltz als eben­so be­harr­li­cher wie en­er­gi­scher Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tor er­wies. Nach­dem im Win­ter­se­mes­ter 1876/1877 der Lehr­be­trieb auf­ge­nom­men wer­den konn­te, wid­me­te sich Goltz in den fol­gen­den Jah­ren als Di­rek­tor dem wei­te­ren Aus­bau des­sel­ben, ehe er zum Win­ter­se­mes­ter 1885/1886 ei­nem Ruf an die land­wirt­schaft­li­che Lehr­an­stalt der Uni­ver­si­tät Je­na folg­te. Das im Jahr 1826 durch den Agrar­öko­no­men Fried­rich Gott­lob Schul­ze (1795-1860) ge­grün­de­te Je­na­er In­sti­tut be­fand sich auf­grund sin­ken­der Stu­die­ren­den­zah­len in ei­ner exis­ten­ti­el­len Kri­se. Sei­ne Ret­tung stell­te für Goltz, des­sen Wir­ken durch die Schrif­ten Schul­zes ent­schei­dend be­ein­flusst wor­den war, ei­ne be­son­de­re Her­aus­for­de­rung dar. Trotz der be­deu­ten­den Kon­kur­renz durch die Land­wirt­schaft­li­chen In­sti­tu­te an den na­he­ge­le­ge­nen Uni­ver­si­tä­ten Hal­le und Leip­zig, ge­lang es ihm, die At­trak­ti­vi­tät des Stand­or­tes Je­na durch ver­schie­de­ne in­fra­struk­tu­rel­le Aus­bau- und Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men deut­lich zu er­hö­hen. Auch die von ihm in­iti­ier­te Re­form der Prü­fungs­ord­nung nach preu­ßi­schem Vor­bild und die Ver­lei­hung des Pro­mo­ti­ons­rechts tru­gen zu ei­ner deut­li­chen Stei­ge­rung und Sta­bi­li­sie­rung der Fre­quenz bei.

Im Jahr 1895 folg­te Goltz ei­nem Ruf auf den Lehr­stuhl für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re und Agrar­po­li­tik der Uni­ver­si­tät Bonn und über­nahm zu­gleich die Lei­tung der Land­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie in Pop­pels­dorf. Auch an sei­ner neu­en Wir­kungs­stät­te ge­lang es ihm, die Ver­wal­tung zu ord­nen, den aka­de­mi­schen Be­trieb ef­fi­zi­en­ter zu ge­stal­ten und vor al­lem den Aus­bau der Aka­de­mie ent­schei­dend zu for­cie­ren. In sei­ner Amts­zeit konn­ten un­ter an­de­rem das In­sti­tut für Bo­den­leh­re und Pflan­zen­bau und das Tier­phy­sio­lo­gi­sche In­sti­tut fer­tig­ge­stellt wer­den. Au­ßer­dem wur­de die aka­de­mi­sche Guts­wirt­schaft Diko­pshof (Wes­se­ling) er­wor­ben; bis 2009 wur­de der Diko­pshof von der Uni­ver­si­tät Bonn als Frei­land­ver­suchs­gut ge­nutzt. Wei­te­re Pro­jek­te wie die Ein­rich­tung des In­sti­tuts für Tier­zucht und Mol­ke­rei­we­sen wur­den kurz nach sei­nem Tod ab­ge­schlos­sen. 

An sämt­li­chen sei­ner Wir­kungs­stät­ten leg­te Goltz gro­ßen Wert auf ei­nen en­gen Kon­takt zu sei­nen Stu­den­ten, der sich un­ter an­de­rem in der Ver­lei­hung der Eh­ren­mit­glied­schaf­ten der Aka­de­misch Land­wirt­schaft­li­chen Ver­ei­ne Agro­no­mia Kö­nigs­berg (1883), Agro­no­mia Je­na (1885) und Agra­ria Bonn (1896) wie­der­spie­gelt. Die Nach­hal­tig­keit sei­nes Wir­kens do­ku­men­tiert nicht zu­letzt die ho­he Zahl sei­ner Dok­to­ran­den, zu de­nen her­aus­ra­gen­de Agrar­wis­sen­schaft­ler des 20. Jahr­hun­derts wie Fried­rich Ae­re­boe (1865-1942), Jo­han­nes Han­sen (1863-1938) oder Theo­dor Brink­mann (1877-1951) zähl­ten. 

Sein um­fang­rei­ches pu­bli­zis­ti­sches Ge­samt­werk krön­te Goltz mit sei­ner zwi­schen 1900 und 1902 nie­der­ge­schrie­be­nen zwei­bän­di­gen „Ge­schich­te der deut­schen Land­wirt­schaf­t“, die bis in die Ge­gen­wart zur Stan­dard­li­te­ra­tur der agrar­his­to­ri­schen For­schung zählt und ih­ren Au­tor als ei­nen land­wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Uni­ver­sal­ge­lehr­ten aus­weist.

Wäh­rend ei­ner Rei­se nach Ober­ita­li­en er­krank­te Goltz im Jahr 1901 an ei­ner Rip­pen­fell­ent­zün­dung, die sei­ne Ge­sund­heit trotz meh­re­rer Kur­auf­ent­hal­te nach­hal­tig schwäch­te. Seit März 1905 war es ihm nicht mehr mög­lich sei­ne Amts­ge­schäf­te aus­zu­üben. Theo­dor von der Goltz starb am 6.11.1905 im Rang ei­nes Ge­hei­men Re­gie­rungs­rats in Bonn. 

Werke (Auswahl)

Über die Mög­lich­keit und Zweck­mä­ßig­keit land­wirt­schaft­li­cher As­so­zia­tio­nen nebst Vor­schlä­gen zu de­ren Or­ga­ni­sie­rung, Dis­ser­ta­ti­ons­schrift, Leip­zig 1862.
Die lan­wirt­schaft­li­che Buch­füh­rung, Ber­lin 1866.
Die länd­li­che Ar­bei­ter­fra­ge und ih­re Lö­sung, Dan­zig 1872.
Agrar­we­sen und Agrar­po­li­tik, Je­na 1889.
Die Auf­ga­ben der Kir­che ge­gen­über dem Ar­bei­ter­stan­de in Stadt und Land, Leip­zig 1891.
Land­wirt­schaft­li­che Ta­xa­ti­ons­leh­re, Ber­lin 1892.
Die länd­li­che Ar­bei­ter­klas­se und der preu­ßi­sche Staat, Je­na 1893.
Ge­schich­te der deut­schen Land­wirt­schaft, 2 Bän­de, Stutt­gart 1902-1903.

Literatur

Küh­ner, Mar­tin, Frei­herr von der Goltz - der Be­triebs­wirt­schaft­ler und Agrar­his­to­ri­ker, in: Küh­ner, Mar­tin / Mor­gen, Her­bert, Pflü­gen­de Hand - For­schen­der Geist. Le­bens­bil­der denk­wür­di­ger Bahn­bre­cher und Füh­rer des Nähr­stan­des, Ber­lin 1934, S. 149-159.
Mu­nier, Kurt, Theo­dor Frei­herr von der Goltz. Ein Bild sei­nes Le­bens und Schaf­fens, Ber­lin 1921.
Ne­rée, Do­na­ta von, Theo­dor Frei­herr von der Goltz (1836-1905) - ein So­zi­al­re­for­mer?, in: Jahr­buch der Al­ber­tus-Uni­ver­si­tät zu Kö­nigs­berg 29 (1995), S. 663-677.

Online

Haus­ho­fer, Heinz, Ar­ti­kel "Goltz, Theo­dor Alex­an­der Ge­org Lud­wig von der", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 6 (1964), S. 635-636

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Theodor von der Goltz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/theodor-von-der-goltz/DE-2086/lido/57c6c999e37905.98306866 (abgerufen am 05.12.2024)