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Ulrich Stutz, gebürtiger Schweizer, gilt als der wohl bedeutendste Kirchenrechtshistoriker des 20. Jahrhunderts. 1904 bis 1917 Professor an der Universität Bonn, baute er das bis heute bestehende Kirchenrechtliche Institut an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät auf und legte die Grundsteine der Entwicklung der historischen Kanonistik.
Einer der Architekten des Weltruhms deutscher Universitäten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Ministerialdirektor im preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Friedrich Althoff, wollte den protestantischen Kirchenrechtler und Rechtshistoriker Stutz für eine preußische Universität gewinnen. Dieser Gelehrte schweizerischer Herkunft – er wurde am 5.5.1868 in Zürich geboren – war 1896 von Basel, seiner ersten Professur, nach Freiburg im Breisgau berufen worden. Althoff suchte Unterricht und Forschung im Kirchenrecht in Preußen zu stärken. Dieses sollte durch Konzentration an einer Fakultät geschehen: „Es habe keinen Zweck, an sämtlichen preußischen Hochschulen besondere, über den gewöhnlichen Bedarf hinausgehende Veranstaltungen für den kirchenrechtlichen Unterricht zu treffen. Ein einziges, von einem als Forscher und Lehrer auf diesem Gebiete bereits Erprobten geleitetes Institut müsse genügen", schrieb Stutz 1920 in einer Skizze zur Geschichte des kirchenrechtlichen Seminars der Universität Bonn.
Die Wahl fiel auf den Lehrstuhl Johann Friedrich von Schultes an der Universität Bonn. Bonn wurde nicht zuletzt deshalb ausgewählt, da dem mit guten Kontakten zur katholischen Kirche ausgestatteten schweizerischen Protestanten eine vermittelnde und versöhnende Stellung zwischen den Konfessionen zugetraut wurde. Das Institut war an seine Person gebunden, folgte ihm dann auch nach Berlin, als er von der dortigen Juristischen Fakultät 1916/ 1917 berufen wurde. Stutz stellte fest: „Ich aber schlug freudig ein [in den Ruf nach Bonn] und rief im Frühjahr 1904 das Institut ins Leben, dem ich mit Vorbedacht den bescheideneren und herkömmlichen Namen Seminar gab." Räumlich war das Institut samt der schließlich 1.900 Bände umfassenden kirchenrechtlichen Bibliothek im als Hauptgebäude der Universität fungierenden Schloss angesiedelt. Neben (Spezial-)Vorlesungen über Rheinisches Kirchenrecht, über Papstwahl und Kirchliche Rechtsgeschichte stand das kirchenrechtliche Seminar als Lehrveranstaltung in den 26 Semestern seines Bonner Wirkens im Vordergrund: Insgesamt hatte dieses Seminar 162 Teilnehmer, darunter zwei Frauen, neben Juristen vor allem Theologen und Historiker. Ausländische Gäste, vorrangig aus Österreich, der Schweiz, aber auch aus Holland, Belgien, Ungarn, Polen und Griechenland waren hier ebenso anzutreffen wie Benediktinermönche aus der Abtei Maria Laach. Darunter der spätere Abt Ildefons Herwegen, mit dem Stutz eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte; auch der spätere Vorsitzende der Zentrumspartei Prälat Ludwig Kaas gehörte zu Stutz’ Bonner Schülern.
Vor dem Ersten Weltkrieg stand das Kirchenrecht bereits nicht mehr im Mittelpunkt der juristischen Ausbildung. Gleichwohl wurde Stutz nicht müde, die günstigen Bedingungen für dieses Fach zu betonen, „wie überhaupt bei den rheinischen praktischen Juristen mehr Verständnis für Kirchenrecht als anderwärts zu finden ist". Schon damals verbot es sich dem examensorientierten Rechtsstudenten, sich vor Ablegung der Ersten Staatsprüfung in dieser Disziplin wissenschaftlich zu exponieren: „Die Juristen, bei denen vor dem Referendarexamen im Interesse ihrer gleichmäßigen Vorbereitung eine aktive Teilnahme und eine Vertiefung in eine Spezialarbeit sich verbot, nahmen während der Studienzeit regelmäßig lediglich als Hörer teil, um dann nachher als Referendare sich um so reger zu beteiligen." Neben den Juristen nahmen auch Historiker und Theologen an den kirchenrechtlichen Seminaren teil: „Am schwersten waren die evangelischen Theologen zu gewinnen. Ich hatte gehofft, auf dem klassischen Boden des neuzeitlichen deutsch-evangelischen Kirchenrechts auch für dieses Gebiet Schule machen zu können. ... Ich las sogar gelegentlich speziell für evangelische Theologen über die rheinische Kirchenordnung, jedoch gleich verschiedenen Vorgängern ohne Erfolg. Um so größer war dieser bei den katholischen Theologen ..."
Als Kirchenrechtler gilt Stutz als Begründer der modernen historischen Kanonistik als eigenständiger Disziplin. Der geborene Zürcher studierte in seiner Heimatstadt und in Berlin, wo er 1892 mit einem Teilabdruck „Die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen Kirchenrechts" seines 1895 erschienenen größeren Werks über kirchliches Benefizialwesen promoviert wurde. Zu seinen Lehrern und Mentoren gehörten neben Otto von Gierke (1841-1921) auch Adolf von Harnack (1851-1930) und der Kirchenrechtler Paul Hinschius (1835-1898). Der Dissertation war ein derartiger Erfolg beschieden, dass ihm die Juristische Fakultät der Universität Basel 1894 ohne Ablieferung einer Habilitationsschrift die Venia legendi erteilte. Die Entdeckung der „Eigenkirche" bleibt bis heute wissenschaftlich mit seinem Namen verbunden: Es handelt sich um Eigentum beziehungsweise Eigenherrschaft an Kirchen, die über die vermögensrechtliche Beziehung hinaus auch Personalentscheidungen umfasste. Im Verlauf der Entwicklung wurde das Eigenkirchenrecht später durch das Patronatsrecht abgelöst. Stutz führte dieses Rechtsinstitut auf den germanischen Privattempel zurück. Dieses frühmittelalterliche Rechtsinstitut konnte auch (Eigen-)Klöster und (Eigen-)Bistümer betreffen. Diese Fragen des Eigenkirchenrechts sind bis heute umstritten und nicht restlos geklärt.
Für Stutz folgten Rufe auf ein Extraordinariat, das heißt eine ausserplanmäßige Professur in Basel 1895 und auf einen Lehrstuhl in Freiburg im Breisgau 1896. Institutionell gehörte Stutz spätestens mit der Gründung der kanonistischen Abteilung der traditionsreichen Zeitschrift für Rechtsgeschichte zur Spitze kirchenrechtlicher Forschung. Seit 1902 erscheinen die „Kirchenrechtlichen Abhandlungen". Stutz’ wissenschaftliches Werk wird von Adalbert Erler als „gigantisch" charakterisiert, „mit seiner Gelehrsamkeit, seinem Fleiß u. seiner wissenschaftsorganisator[ischen] Tätigkeit [hat er] einer ganzen Generation den Stempel aufgedrückt". Spätestens mit der Gründung des Kirchenrechtlichen Instituts in Bonn entsteht durch die seltene Verknüpfung von wissenschaftlichem Tiefgang und organisatorischem Talent seine Schule der Rechts-, insbesondere der Kirchenrechtsgeschichte.
1917 endet der erste Abschnitt der Geschichte des Kirchenrechtlichen Instituts an der Bonner Juristischen Fakultät. Mit seinem Gründer, der 1916 einen Ruf nach Berlin erhalten hatte, zog es aus „dem rheinischen Paradies", der „rheinischen Musenstadt" an die seinerzeit bedeutendste Universität und juristische Fakultät des Reichs, nach Berlin. „Bestimmend war dabei für die Unterrichtsverwaltung unter anderem, dass das Institut, nachdem es sich im Westen bewährt hatte, nunmehr auch anderen Landesteilen zugute kommen sollte. ... Zudem hoffte man, in Berlin mehr Verständnis für das evangelische Recht zu finden und auch für dieses das wissenschaftliche Interesse beleben zu können." Hintergrund war jedoch letztlich, dass die preußische Kultusverwaltung unter dem Minister von Trott zu Solz im Hinblick auf Veränderungen in der katholischen Kirche durch das 1917 in Kraft getretene neue kirchliche Gesetzbuch einen Kenner wie Stutz in räumlicher Nähe haben wollte.
Seine Stellung als „Mittler zwischen den Konfessionen" gibt er in einem Brief an Herwegen selbst als Motiv des Wechsels an: „Der kommende Codex iuris canonici macht es zur Notwendigkeit, daß ich in Berlin bin. Dort werde ich der von mir vertretenen Sache weit mehr nützen können als hier [in Bonn]." Bis zu seiner Entpflichtung am 30.4.1936 wirkte er in Berlin, wo er am 6.7.1938 starb.
Literatur
Bader, Karl Siegfried, In memoriam Ulrich Stutz, Bonn 1969.
Bauhofer, Arthur/Bühler, Theodor/Schmid, Bruno, Schweizer Beiträge zum Gedächtnis von Ulrich Stutz, Zürich 1970.
Fuchs, Konrad, „Stutz, Ulrich", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 11 (1996), Spalten 151-152.
May, Georg, Ulrich Stutz nach seinem Briefwechsel mit Pater bzw. Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 145 (1976), S. 59-151.
Schultze, Alfred, Ulrich Stutz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 28 (1939), S. IX-LVII.
Stutz, Ulrich, Das kirchenrechtliche Seminar an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1904-1917, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 10 (1920), S. 269-285.
Waldhoff, Christian, Kirchenrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 51 (2006), S. 70-95.
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Waldhoff, Christian, Ulrich Stutz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ulrich-stutz/DE-2086/lido/57c95937ea3859.20907074 (abgerufen am 05.12.2024)