Ulrich Stutz

Kirchenrechtshistoriker (1868-1938)

Christian Waldhoff (Bonn)

Ulrich Stutz, Porträtfoto. (Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsbibliothek)

Ul­rich Stutz, ge­bür­ti­ger Schwei­zer, gilt als der wohl be­deu­tends­te Kir­chen­rechts­his­to­ri­ker des 20. Jahr­hun­derts. 1904 bis 1917 Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bonn, bau­te er das bis heu­te be­ste­hen­de Kir­chen­recht­li­che In­sti­tut an der Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät auf und leg­te die Grund­stei­ne der Ent­wick­lung der his­to­ri­schen Ka­no­nis­tik.

Ei­ner der Ar­chi­tek­ten des Welt­ruhms deut­scher Uni­ver­si­tä­ten in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, der Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor im preu­ßi­schen Mi­nis­te­ri­um der geist­li­chen, Un­ter­richts- und Me­di­zi­nal-An­ge­le­gen­hei­ten, Fried­rich Alt­hoff, woll­te den pro­tes­tan­ti­schen Kir­chen­recht­ler und Rechts­his­to­ri­ker Stut­z ­für ei­ne preu­ßi­sche Uni­ver­si­tät ge­win­nen. Die­ser Ge­lehr­te schwei­ze­ri­scher Her­kunft – er wur­de am 5.5.1868 in Zü­rich ge­bo­ren – war 1896 von Ba­sel, sei­ner ers­ten Pro­fes­sur, nach Frei­burg im Breis­gau be­ru­fen wor­den. Alt­hoff such­te Un­ter­richt und For­schung im Kir­chen­recht in Preu­ßen zu stär­ken. Die­ses soll­te durch Kon­zen­tra­ti­on an ei­ner Fa­kul­tät ge­sche­hen: „Es ha­be kei­nen Zweck, an sämt­li­chen preu­ßi­schen Hoch­schu­len be­son­de­re, über den ge­wöhn­li­chen Be­darf hin­aus­ge­hen­de Ver­an­stal­tun­gen für den kir­chen­recht­li­chen Un­ter­richt zu tref­fen. Ein ein­zi­ges, von ei­nem als For­scher und Leh­rer auf die­sem Ge­bie­te be­reits Er­prob­ten ge­lei­te­tes In­sti­tut müs­se ge­nü­gen", schrieb Stutz 1920 in ei­ner Skiz­ze zur Ge­schich­te des kir­chen­recht­li­chen Se­mi­nars der Uni­ver­si­tät Bonn.

Die Wahl fiel auf den Lehr­stuhl Jo­hann Fried­rich von Schul­tes an der Uni­ver­si­tät Bonn. Bonn wur­de nicht zu­letzt des­halb aus­ge­wählt, da dem mit gu­ten Kon­tak­ten zur ka­tho­li­schen Kir­che aus­ge­stat­te­ten schwei­ze­ri­schen Pro­tes­tan­ten ei­ne ver­mit­teln­de und ver­söh­nen­de Stel­lung zwi­schen den Kon­fes­sio­nen zu­ge­traut wur­de. Das In­sti­tut war an sei­ne Per­son ge­bun­den, folg­te ihm dann auch nach Ber­lin, als er von der dor­ti­gen Ju­ris­ti­schen Fa­kul­tät 1916/ 1917 be­ru­fen wur­de. Stutz stell­te fest: „Ich aber schlug freu­dig ein [in den Ruf nach Bonn] und rief im Früh­jahr 1904 das In­sti­tut ins Le­ben, dem ich mit Vor­be­dacht den be­schei­de­ne­ren und her­kömm­li­chen Na­men Se­mi­nar gab." Räum­lich war das In­sti­tut samt der schlie­ß­lich 1.900 Bän­de um­fas­sen­den kir­chen­recht­li­chen Bi­blio­thek im als Haupt­ge­bäu­de der Uni­ver­si­tät fun­gie­ren­den Schloss an­ge­sie­delt. Ne­ben (Spe­zi­al-)Vor­le­sun­gen über Rhei­ni­sches Kir­chen­recht, über Papst­wahl und Kirch­li­che Rechts­ge­schich­te stand das kir­chen­recht­li­che Se­mi­nar als Lehr­ver­an­stal­tung in den 26 Se­mes­tern sei­nes Bon­ner Wir­kens im Vor­der­grund: Ins­ge­samt hat­te die­ses Se­mi­nar 162 Teil­neh­mer, dar­un­ter zwei Frau­en, ne­ben Ju­ris­ten vor al­lem Theo­lo­gen und His­to­ri­ker. Aus­län­di­sche Gäs­te, vor­ran­gig aus Ös­ter­reich, der Schweiz, aber auch aus Hol­land, Bel­gi­en, Un­garn, Po­len und Grie­chen­land wa­ren hier eben­so an­zu­tref­fen wie Be­ne­dik­ti­ner­mön­che aus der Ab­tei Ma­ria Laach. Dar­un­ter der spä­te­re Ab­t Il­de­fons Her­we­gen, mit dem Stutz ei­ne le­bens­lan­ge Freund­schaft ver­bin­den soll­te; auch der spä­te­re Vor­sit­zen­de der Zen­trums­par­tei Prä­la­t Lud­wig Kaas ge­hör­te zu Stutz’ Bon­ner Schü­lern.

Vor dem Ers­ten Welt­krieg stand das Kir­chen­recht be­reits nicht mehr im Mit­tel­punkt der ju­ris­ti­schen Aus­bil­dung. Gleich­wohl wur­de Stutz nicht mü­de, die güns­ti­gen Be­din­gun­gen für die­ses Fach zu be­to­nen, „wie über­haupt bei den rhei­ni­schen prak­ti­schen Ju­ris­ten mehr Ver­ständ­nis für Kir­chen­recht als an­der­wärts zu fin­den ist". Schon da­mals ver­bot es sich dem ex­amens­ori­en­tier­ten Rechts­stu­den­ten, sich vor Ab­le­gung der Ers­ten Staats­prü­fung in die­ser Dis­zi­plin wis­sen­schaft­lich zu ex­po­nie­ren: „Die Ju­ris­ten, bei de­nen vor dem Re­fe­ren­dar­ex­amen im In­ter­es­se ih­rer gleich­mä­ßi­gen Vor­be­rei­tung ei­ne ak­ti­ve Teil­nah­me und ei­ne Ver­tie­fung in ei­ne Spe­zi­al­ar­beit sich ver­bot, nah­men wäh­rend der Stu­di­en­zeit re­gel­mä­ßig le­dig­lich als Hö­rer teil, um dann nach­her als Re­fe­ren­da­re sich um so re­ger zu be­tei­li­gen." Ne­ben den Ju­ris­ten nah­men auch His­to­ri­ker und Theo­lo­gen an den kir­chen­recht­li­chen Se­mi­na­ren teil: „Am schwers­ten wa­ren die evan­ge­li­schen Theo­lo­gen zu ge­win­nen. Ich hat­te ge­hofft, auf dem klas­si­schen Bo­den des neu­zeit­li­chen deutsch-evan­ge­li­schen Kir­chen­rechts auch für die­ses Ge­biet Schu­le ma­chen zu kön­nen. ... Ich las so­gar ge­le­gent­lich spe­zi­ell für evan­ge­li­sche Theo­lo­gen über die rhei­ni­sche Kir­chen­ord­nung, je­doch gleich ver­schie­de­nen Vor­gän­gern oh­ne Er­folg. Um so grö­ßer war die­ser bei den ka­tho­li­schen Theo­lo­gen ..."

Als Kir­chen­recht­ler gilt Stutz als Be­grün­der der mo­der­nen his­to­ri­schen Ka­no­nis­tik als ei­gen­stän­di­ger Dis­zi­plin. Der ge­bo­re­ne Zür­cher stu­dier­te in sei­ner Hei­mat­stadt und in Ber­lin, wo er 1892 mit ei­nem Teil­ab­druck „Die Ei­gen­kir­che als Ele­ment des mit­tel­al­ter­lich-ger­ma­ni­schen Kir­chen­rechts" sei­nes 1895 er­schie­ne­nen grö­ße­ren Werks über kirch­li­ches Be­ne­fi­zi­al­we­sen pro­mo­viert wur­de. Zu sei­nen Leh­rern und Men­to­ren ge­hör­ten ne­ben Ot­to von Gier­ke (1841-1921) auch Adolf von Har­nack (1851-1930) und der Kir­chen­recht­ler Paul Hin­schi­us (1835-1898). Der Dis­ser­ta­ti­on war ein der­ar­ti­ger Er­folg be­schie­den, dass ihm die Ju­ris­ti­sche Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Ba­sel 1894 oh­ne Ab­lie­fe­rung ei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift die Ve­nia le­gen­di er­teil­te. Die Ent­de­ckung der „Ei­gen­kir­che" bleibt bis heu­te wis­sen­schaft­lich mit sei­nem Na­men ver­bun­den: Es han­delt sich um Ei­gen­tum be­zie­hungs­wei­se Ei­gen­herr­schaft an Kir­chen, die über die ver­mö­gens­recht­li­che Be­zie­hung hin­aus auch Per­so­nal­ent­schei­dun­gen um­fass­te. Im Ver­lauf der Ent­wick­lung wur­de das Ei­gen­kir­chen­recht spä­ter durch das Pa­tro­nats­recht ab­ge­löst. Stutz führ­te die­ses Rechts­in­sti­tut auf den ger­ma­ni­schen Pri­vat­tem­pel zu­rück. Die­ses früh­mit­tel­al­ter­li­che Rechts­in­sti­tut konn­te auch (Ei­gen-)Klös­ter und (Ei­gen-)Bis­tü­mer be­tref­fen. Die­se Fra­gen des Ei­gen­kir­chen­rechts sind bis heu­te um­strit­ten und nicht rest­los ge­klärt.

Für Stutz folg­ten Ru­fe auf ein Ex­tra­or­di­na­ri­at, das hei­ßt ei­ne aus­ser­plan­mä­ßi­ge Pro­fes­sur in Ba­sel 1895 und auf ei­nen Lehr­stuhl in Frei­burg im Breis­gau 1896. In­sti­tu­tio­nell ge­hör­te Stutz spä­tes­tens mit der Grün­dung der ka­no­nis­ti­schen Ab­tei­lung der tra­di­ti­ons­rei­chen Zeit­schrift für Rechts­ge­schich­te zur Spit­ze kir­chen­recht­li­cher For­schung. Seit 1902 er­schei­nen die „Kir­chen­recht­li­chen Ab­hand­lun­gen". Stutz’ wis­sen­schaft­li­ches Werk wird von Adal­bert Er­ler als „gi­gan­tisch" cha­rak­te­ri­siert, „mit sei­ner Ge­lehr­sam­keit, sei­nem Fleiß u. sei­ner wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tor[ischen] Tä­tig­keit [hat er] ei­ner gan­zen Ge­ne­ra­ti­on den Stem­pel auf­ge­drückt". Spä­tes­tens mit der Grün­dung des Kir­chen­recht­li­chen In­sti­tuts in Bonn ent­steht durch die sel­te­ne Ver­knüp­fung von wis­sen­schaft­li­chem Tief­gang und or­ga­ni­sa­to­ri­schem Ta­lent sei­ne Schu­le der Rechts-, ins­be­son­de­re der Kir­chen­rechts­ge­schich­te.

1917 en­det der ers­te Ab­schnitt der Ge­schich­te des Kir­chen­recht­li­chen In­sti­tuts an der Bon­ner Ju­ris­ti­schen Fa­kul­tät. Mit sei­nem Grün­der, der 1916 ei­nen Ruf nach Ber­lin er­hal­ten hat­te, zog es aus „dem rhei­ni­schen Pa­ra­dies", der „rhei­ni­schen Mu­sen­stadt" an die sei­ner­zeit be­deu­tends­te Uni­ver­si­tät und ju­ris­ti­sche Fa­kul­tät des Reichs, nach Ber­lin. „Be­stim­mend war da­bei für die Un­ter­richts­ver­wal­tung un­ter an­de­rem, dass das In­sti­tut, nach­dem es sich im Wes­ten be­währt hat­te, nun­mehr auch an­de­ren Lan­des­tei­len zu­gu­te kom­men soll­te. ... Zu­dem hoff­te man, in Ber­lin mehr Ver­ständ­nis für das evan­ge­li­sche Recht zu fin­den und auch für die­ses das wis­sen­schaft­li­che In­ter­es­se be­le­ben zu kön­nen." Hin­ter­grund war je­doch letzt­lich, dass die preu­ßi­sche Kul­tus­ver­wal­tung un­ter dem Mi­nis­ter von Trott zu Solz im Hin­blick auf Ver­än­de­run­gen in der ka­tho­li­schen Kir­che durch das 1917 in Kraft ge­tre­te­ne neue kirch­li­che Ge­setz­buch ei­nen Ken­ner wie Stutz in räum­li­cher Nä­he ha­ben woll­te.

Sei­ne Stel­lung als „Mitt­ler zwi­schen den Kon­fes­sio­nen" gibt er in ei­nem Brief an Her­we­gen selbst als Mo­tiv des Wech­sels an: „Der kom­men­de Co­dex iuris ca­no­ni­ci macht es zur Not­wen­dig­keit, daß ich in Ber­lin bin. Dort wer­de ich der von mir ver­tre­te­nen Sa­che weit mehr nüt­zen kön­nen als hier [in Bonn]." Bis zu sei­ner Ent­pflich­tung am 30.4.1936 wirk­te er in Ber­lin, wo er am 6.7.1938 starb.

Literatur

Ba­der, Karl Sieg­fried, In me­mo­ri­am Ul­rich Stutz, Bonn 1969.
Bau­ho­fer, Ar­thur/Büh­ler, Theo­dor/Schmid, Bru­no, Schwei­zer Bei­trä­ge zum Ge­dächt­nis von Ul­rich Stutz, Zü­rich 1970.
Fuchs, Kon­rad, „Stutz, Ul­rich", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 11 (1996), Spal­ten 151-152.
May, Ge­org, Ul­rich Stutz nach sei­nem Brief­wech­sel mit Pa­ter bzw. Abt Il­de­fons Her­we­gen von Ma­ria Laach, in: Ar­chiv für ka­tho­li­sches Kir­chen­recht 145 (1976), S. 59-151.
Schult­ze, Al­fred, Ul­rich Stutz, in: Zeit­schrift der Sa­vi­gny-Stif­tung für Rechts­ge­schich­te, Ka­no­nis­ti­sche Ab­tei­lung 28 (1939), S. IX-LVII.
Stutz, Ul­rich, Das kir­chen­recht­li­che Se­mi­nar an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät zu Bonn 1904-1917, in: Zeit­schrift für Rechts­ge­schich­te. Ka­no­nis­ti­sche Ab­tei­lung 10 (1920), S. 269-285.
Wald­hoff, Chris­ti­an, Kir­chen­recht an der Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn, Zeit­schrift für evan­ge­li­sches Kir­chen­recht 51 (2006), S. 70-95.

 
Zitationshinweis

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Waldhoff, Christian, Ulrich Stutz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ulrich-stutz/DE-2086/lido/57c95937ea3859.20907074 (abgerufen am 05.12.2024)