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Die legendenhafte heilige Ursula und ihre jungfräulichen Begleiterinnen gehören zu den Kölner Stadtpatronen. Ihre zahlreichen Reliquien ließen die Domstadt zusammen mit denen anderer Heiliger zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte sowie Reliquienverteilungszentren des Mittelalters werden. Ihr Festtag ist der 21. Oktober.
Ob es sich bei der heiligen Ursula überhaupt um eine historische Person handelt, ist nicht zu klären. Der Legende nach – es gibt eine ganze Reihe von Varianten – war sie eine britannische Königstochter, die ihr Leben Christus geweiht und Jungfräulichkeit gelobt hatte. Als sie ein heidnischer König für seinen Sohn zur Gattin gewinnen wollte, ging sie wohl auf den Antrag ein, stellte jedoch die Bedingung, dass ihr Bräutigam Christ werden und ihr bis zur Hochzeit eine dreijährige Frist gewähren müsse. Danach begab sich Ursula mit ihren jungfräulichen Begleiterinnen auf eine Reise nach Köln, um weiter nach Rom zu pilgern. Nach der Reise über Basel nach Rom kehrte Ursula mit ihrem Gefolge wieder zurück nach Köln, das von den Hunnen belagert wurde. Diese ermordeten Ursulas Begleiterinnen sowie den legendenhaften Papst Cyriakus. Da sich Ursula dem Hunnenfürsten verweigerte, wurde auch sie getötet.
Als ein Ausgangspunkt der Legende ist die Clematiusinschrift in der ehemaligen Kölner Stifts- und heutigen Pfarrkirche St. Ursula anzusehen, die erst im 17. Jahrhundert nach Ursula benannt wurde. Die Inschrift berichtet von einem Martyrium von Jungfrauen, allerdings ohne Namens- und Zahlenangabe und ohne den Grund des Martyriums zu nennen. Nach der Bau- und Weiheinschrift des Clematius wurde die Kirche zu Ehren der für ihren Glauben getöteten Jungfrauen wieder errichtet und erweitert. Es ist allerdings nicht möglich, die Inschrift eindeutig zu datieren. Die Frühdatierung weist die Inschrift in die römische Zeit und nimmt an, dass die Bauten ins 4. beziehungsweise in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts zu verorten sind. Die Vertreter dieser Datierung gehen von einem historischen Kern der Ursulageschichte aus. Für Levison stellt die Inschrift „das älteste Denkmal und den festen Kern der Ursula-Legende" dar. Die Vertreter einer Datierung der Inschrift in die karolingische Zeit (unter anderem Gauthier und Kremer) setzen die Kirchenbauten erst für das 5. oder 6. Jahrhundert an. Tatsächlich gibt es keine antiken Zeugnisse wie auch keine Grabinschriften des 5. und 6. Jahrhunderts, die ein Martyrium von Jungfrauen in Köln erwähnen. Auch Gregor von Tours (538/539-594) hatte um 590 offenbar noch keine Kenntnis von einer entsprechenden Verehrung. Die Herkunft Ursulas aus Britannien und der Reiseweg von der Insel über Tiel und Köln nach Basel wurden mit den bereits im 11. Jahrhundert bestehenden recht intensiven Handelsbeziehungen Kölns mit England erklärt.
Im Zuge der Stadterweiterung von 1106 und dem damit einhergehenden Bau einer neuen Stadtmauer fand man im Gebiet um die spätere St. Ursulakirche ein ausgedehntes römisches Gräberfeld. Dieser Friedhof wurde durch die verschiedenen Legenden rasch mit dem Martyrium Ursulas und ihren Gefährtinnen in Verbindung gebracht. Zwar lassen sich die ältesten Bestattungen auf dem ausgedehnten römischen Gräberfeld bei der Ursulakirche in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts datieren, doch gibt es keinen Hinweis darauf, dass die hier Bestatteten den Märtyrertod erlitten. Nur zwei Grabinschriften galten unverheirateten jungen Mädchen, die als „virgines" bezeichnet sind.
Der Name Ursula selbst ist erstmals Mitte des 10. Jahrhunderts überliefert. 1893 wurde in der Kirche eine Grabinschrift für ein achtähriges Mädchen namens Ursula freigelegt. Da die Inschrift das verstorbene Mädchen eine „innocis virgo" nennt („innocens" ist ein auf spätantiken Inschriften häufig gebrauchtes Beiwort für früh verstorbene Kinder), führte das Auffinden dieses Grabsteins möglicherweise dazu, dass Ursula im Laufe des 10. Jahrhunderts zur Anführerin der Jungfrauenschar avancierte.
Allerdings bleibt die Clematiusinschrift auch bei einer Datierung in die Karolingerzeit eines der frühesten schriftlichen Zeugnisse für eine Verehrung heiliger Jungfrauen in Köln (Winfried Schmitz, 1999). Man muss aufgrund der Ungenauigkeit dieser Inschrift im Hinblick auf Namen und Zahl der Märtyrerinnen davon ausgehen, dass es sich um eine über Jahrhunderte erstreckende und keineswegs kontinuierliche Entwicklung von einer Totengedächtniskapelle auf einem Gräberfeld zur mittelalterlichen Märtyrerinnenkirche handelt: Das Totengedenken transformierte sich zur Märtyrerverehrung.
Die Festlegung auf 11.000 Jungfrauen, welche die heilige Ursula begleitet haben sollen, erfolgte vermutlich auf Grund eines Lesefehlers im Laufe des 10. Jahrhunderts: Man übersetzte die Abkürzung „XI M. V." („undecim Martyres Virgines" = 11 jungfräuliche Märtyrerinnen) wahrscheinlich fälschlich mit „undecim Milia Virgines". Zudem ist denkbar, dass man die Zahl der seit Mitte des 10. Jahrhunderts als bekannt angenommenen elf Jungfrauen mit der großen Menge der auf dem Gräberfeld rund um die spätere St. Ursulakirche schon aufgefundenen Gebeine zu harmonisieren versuchte. Darüber hinaus berichtet die erste „passio Ursulae" (969/976), jeder der zehn Gefährtinnen Ursulas sei ein Gefolge von jeweils 1.000 Jungfrauen an die Seite gestellt worden.
Die hagiografische Tradition ist sehr reich und vielschichtig. Aus dem 9. und 10. Jahrhundert ist eine Reihe von Kalendarien, Offizien, Litaneien, Martyrologien und Messtexten einer kirchlichen Verehrung bekannt, in denen bis zu elf oder zwölf unterschiedliche Namen in variierender Zahl erscheinen. Nach 881 tauchen zunehmend neue Namen auf. Mitte des 12. Jahrhunderts fand man eine Grabinschrift für einen jungen Mann namens Aetherius; diesen Namen trägt in der zweiten „passio Ursulae" auch der junge Königssohn, der um die Hand der Ursula anhielt, ihr auf der Rückkehr von ihrer Wallfahrt nach Rom entgegen zog und mit ihr das Martyrium erlitt.
Beim Gräberareal um die Ursulakirche handelt sich um den ergiebigsten Reliquienfundort nördlich der Alpen. Von diesem Ort sollen circa 4.000 Reliquientranslationen nach ganz Europa ausgegangen sein. Durch Translationen dieser als Reliquien gewerteten Gebeine und mit dem weiteren bekannt werden der Legende breitete sich die Verehrung von Köln ausgehend rasch über fast ganz Europa aus und erreichte gegen Ende des Mittelalters ihren Höhepunkt; bereits im 12. Jahrhundert gab es eine den heiligen Jungfrauen geweihte Kirche in Island. Für die große Beliebtheit des Kultes sprechen die vom 13. bis 15. Jahrhundert in vielen Städten gegründeten Bruderschaften, die so genannten Ursulaschifflein. Insbesondere stärkten Legende und Gebeine die Rolle Kölns als Pilgerzentrum. Ursula ist unter anderem Patronin der Universitäten Wien, Paris und Coimbra (Portugal). Sie gilt auch als Patronin der Jugend und der Lehrerinnen.
Im 16. Jahrhundert gab Angela Merici (1474–1540) ihrer 1535 gegründeten religiösen Frauengemeinschaft den Namen „Compagnia di S'Orsola" – die nachmaligen Ursulinen. Die weite Verbreitung und Intensität ihres Kultes bezeugen auch zahlreiche Gemälde und Einblattdrucke. Große Ursula-Zyklen aus Deutschland, Flandern, Italien, Spanien und Norwegen schildern das Legendengeschehen. Ursula erscheint als Königstochter zumeist mit Krone über dem offenen Haar, wobei Pfeil, Kreuzfahne, Schiffchen und Palme ihre Attribute sind. Als Anführerin der ihrer Obhut anvertrauten Jungfrauen wird sie als Schutzmantelheilige abgebildet.
Wann an der Stelle der heutigen und bis 1106 vor den damaligen Stadtmauern gelegene St. Ursulakirche ein erster Kirchenbau entstand und das spätere Stift gegründet wurde, ist umstritten. In einer Güterumschreibung von 866 wurde erstmals ein „monasterium beatarum virginum" – wohl ein Kanonikerstift – erwähnt, das vermutlich beim Einfall der Normannen 881 zerstört wurde. Nach der Wiederherstellung der Kirche ersetzte der Kölner Erzbischof Hermann I. 922 den Kanoniker- durch einen Kanonissenkonvent, indem er hier Stiftsdamen aus Gerresheim ansiedelte.
Die im 17. Jahrhundert erbaute „Goldene Kammer" der St. Ursulakirche ist das größte Beinhaus nördlich der Alpen. Der Goldene Schrein mit der heiligen Ursula steht hinter dem Hochaltar. Ursula gehört neben den Heiligen drei Königen und dem heiligen Gereon zu den Kölner Stadtpatronen. Die elf Flämmchen oder Blutstropfen im Kölner Stadtwappen erinnern an sie. 1989 wurde eine Skulptur der heiligen Ursula (Bildhauer: Rainer Walk) in das Figurenprogramm des Kölner Ratsturmes aufgenommen.
Quellen
Acta Sanctorum (AASS), Oct. 21, S. 73–303.
Rautenberg, Ursula (Hg.), Ursula-Legenden im Kölner Druck. Die "Historie von Sankt Ursula" und die "Historie von den elftausend Jungfrauen" aus der Offizin Johannes Landen 1509 und 1517. Faksimileausgabe mit einem Verzeichnis der volkssprachlichen und lateinischen Ursula-Legenden im Kölner Inkunabel- und Frühdruck. Köln 1992.
Literatur
Gauthier, Nancy, Origine et premiers développements de la légende de Sainte Ursule à Cologne, in: Comptes rendus de l´Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 1973, S. 108–121.
Kremer, Josef, Studien zum frühen Christentum in Niedergermanien, Diss. Bonn 1993, S. 153–200.
Levison, Wilhelm, Das Werden der Ursula-Legende, in: Bonner Jahrbücher 132 (1927), S. 1–164.
Schmitz, Winfried, Die spätantiken und frühmittelalterlichen Grabinschriften in Köln (4.–7. Jahrhundert), in: Kölner Jahrbuch 28 (1995), S. 643–776.
Schmitz, Winfried, Zum Ursprung der Ursulalegende: Die Inschrift des Clematius, in: Rosen, Wolfgang/Wirtler, Lars (Hg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Band 1: Antike und Mittelalter von den Anfängen bis 1396/97, Köln 1999, S. 53–58.
Wagner, Guido, Vom Knochenfund zum Martyrium der 11000 Jungfrauen. Wurzeln und Entwicklung der Ursula-Legende und ihre Bedeutung für Köln als „Sacrarium Agrippinae", in: Geschichte in Köln 48 (2001), S. 11–44.
Wegener, Gertrud, Geschichte des Stiftes St. Ursula in Köln, Köln 1971.
Zehnder, Frank Günter, Sankt Ursula. Legende – Verehrung – Bilderwelt, Köln 1985.
Online
Brinkmann, Ulrike, Ursula- und Clemensfenster, 1852 (Information auf der Website des Kölner Doms). [Online]
St. Ursula (Informationen über die Baugeschichte der St. Ursulakirche auf der Website des Fördervereins Romanische Kirchen Köln e.V.). [Online]
Ursulalegende (Information auf der Website des Fördervereins Romanische Kirchen Köln e.V.). [Online]
Walz-Gronack, Isabel, Heilige im Kölner Dom. Ursula und ihre Gefährtinnen (Information auf der Website des Kölner Doms). [Online]
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Rosen, Wolfgang, Ursula, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ursula/DE-2086/lido/57c93a00b2df73.04705590 (abgerufen am 05.12.2024)