Zu den Kapiteln
Schlagworte
Die olympische Datenbank „Olympedia“ bezeichnet den deutschen Eiskunstläufer Werner Rittberger als „one of the most successful German figure skaters of all times“. In den 1910er und 1920er Jahren wurde er elfmal deutscher Meister im Eiskunst-Einzellaufen, vor dem Ersten Weltkrieg dreimal Vize-Weltmeister sowie 1910 und 1926 Vize-Europameister. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in Krefeld und war als Trainer, Funktionär sowie Preisrichter tätig. Nachruhm erhielt er durch den nach ihm benannten Sprung.
Werner Hans Carl Rittberger wurde am 13.7.1891 in Potsdam als Sohn von Max Rittberger (1863-1939) und seiner Ehefrau Meta Bradtke (1869-1915) geboren. 1904 zog die Familie nach Berlin. Max Rittberger war von Beruf Ingenieur und Mitbegründer der „Schmidthässler Film“, später „Continental Kunstfilm“, die mehrere Stummfilme mit Harry Piel (1892-1963) sowie das Titanic-Drama „In Nacht und Eis“ (es entstand noch im Jahr des Untergangs) produzierte, wie auch Mitbegründer der „Union Flugzeugwerke“ in Teltow. 1911 heiratete der Sohn die Schönebergerin (heute Berlin-Schöneberg) Babette Hewald (geb. 1880) aus der Familie eines „Millionenbauern“, den der Verkauf seiner Äcker als Bauland im wachsenden Berlin der Gründerzeit vermögend gemacht hatte. Die Mitgift der Schwiegertochter diente auch dazu, die nicht immer erfolgreichen Unternehmungen von Vater Max Rittberger zu finanzieren.
Werner Rittbergers Talent für den Eislauf wurde entdeckt, als er einen Schülerwettbewerb im Eisschnelllauf gewann. Er war Mitglied des 1893 gegründeten „Berliner Schlittschuh-Clubs“. Schlittschuhlaufen war ein teures Hobby der Oberschicht, dem in der Hauptstadt des Kaiserreiches in drei „Eispalästen“ gefrönt werden konnte, die vorrangig der Geselligkeit dienten: im „Berliner Eispalast“, dem „Admiralspalast“ und dem „Hohenzollern-Sport-Palast“. Die Mitgliedschaft gehörte offensichtlich zum Image einer wohlhabenden Familie.
In den folgenden Jahren zählte der zierliche, nur 1,67 Meter große Rittberger zu den besten Kürläufern seiner Zeit. Von 1911 bis 1926 war er – unterbrochen vom Krieg – zehn Mal in Folge deutscher Meister, musste sich 1927 nur dem ebenfalls aus Berlin stammenden Paul Franke (1888-1950) geschlagen geben, um im Jahr darauf ein weiteres und letztes Mal den Meistertitel zu erringen. Anlässlich der Weltmeisterschaften 1912 in Manchester hieß es: „Sein Programm kennzeichnet eine Mannigfaltigkeit, gute Placierung und hohes musikalisches Empfinden.“ Im Jahr darauf, anlässlich der Weltmeisterschaften in Wien, als Rittberger lediglich Achter wurde, schrieb das „Neue Wiener Tageblatt“ etwas voreilig: „Unser Eindruck von Rittberger: eine gefallene Größe."
Wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs fielen die für 1916 in Berlin geplanten Olympischen Spiele aus. Rittberger wurde eingezogen, zunächst als Infanterist an der belgischen Front und nach einer Ausbildung in Darmstadt als Aufklärer bei der Luftwaffe eingesetzt. Nach dem Krieg nahm er das Eislauf-Training wieder auf, allerdings unter erschwerten Bedingungen. 1922 schloss der „Admiralspalast“, und die Sportler mussten mit einem Provisorium vorlieb nehmen, bis 1925 der „Sportpalast“ wieder eröffnet wurde. Er trat nun gegen eine neue Eisläufergeneration an. Umso höher sind ihm der 4. Platz bei der Europa-Meisterschaft 1922, der 3. Platz bei der Europa-Meisterschaft 1924 und der 2. Platz bei der Europa-Meisterschaft 1925 anzurechnen.
1921 ging Werner Rittberger nach dem frühen Tod seiner ersten Frau mit Friedl Evertz eine zweite Ehe ein, die nach drei Jahren geschieden wurde. Aus der ersten Ehe stammten ein Sohn und drei Töchter, aus der zweiten Ehe ein Sohn.
International musste sich der in Deutschland dominierende Rittberger immer wieder dem Schweden Ulrich Salchow (1877-1949) beugen. Salchow hatte überragende athletische Fähigkeiten und absolvierte die Pflichtfiguren in glänzender Manier, war aber „ein Könner, kein Künstler“. Da zu jener Zeit die Pflicht in der Beurteilung eines Läufers den Schwerpunkt bildete, hatte Rittberger immer wieder das Nachsehen gegen den „Erzrivalen“ aus Schweden, Rittbergers „sportliche Tragik“, wie Hampe schreibt. Rittberger erzählte später, dass Salchow bei schlechten Wertungen „vor den Preisrichtern ein Riesendonnerwetter abließ“, das „trug ihm Noten ein, die mir zum Sieg fehlten". Wie Salchow entwickelte auch Rittberger ein eigenes Schlittschuh-Modell, auf dem sein Name eingraviert war.
Nachdem deutsche Sportler bei den Olympischen Spielen 1924 in Chamonix nicht zugelassen waren, hatte Rittberger 1928 in St. Moritz seinen einzigen Start bei Winterspielen. Wegen Magenkrämpfen musste er den Wettbewerb aufgeben. Anschließend beendete er seine sportliche Laufbahn als Amateur-Eiskunstläufer. Selbst dem im Eiskunstlauf unkundigen Betrachter ist der Name „Rittberger“ aber weniger wegen dessen sportlichen Erfolgen ein Begriff, sondern durch den nach ihm benannten Sprung, den „Rittberger“. In Rittbergers Anfangsjahren waren Sprünge neue Elemente im Eiskunstlauf. „Seinen“ Sprung, der als einer der schwierigsten im Eiskunstlauf gilt, wollte Rittberger, so seine eigenen Erzählungen, durch Zufall erfunden haben: 1910 sei er im Berliner Eispalast nach Melodien des Komponisten Walter Kollo (1878-1940) eine Kür gelaufen, da habe ein Orchestermusiker plötzlich auf die Pauke gehauen. Dadurch sei er so erschrocken, dass er einfach hochgesprungen sei. Die Zuschauer hätten begeistert applaudiert – der Sprung war erfunden. Der Enkel Michael Rittberger sieht in dieser Anekdote eine „geschickte Werbestrategie“ und geht davon aus, dass der neuartige Sprung im Training entwickelt worden sei. Diesen soll Rittberger bei den Weltmeisterschaften 1910 in Davos erstmals international gezeigt haben.
In der einfachen Ausführung wird der Sprung vom linken Fuß rückwärts abgesprungen und nach linksseitiger Rotation in der Luft um die Körperlängsachse um 360 Grad auf dem rechten Bein rückwärts auswärts gelandet, kurz „Absprung rückwärts auswärts – Drehung – Landung – rückwärts auswärts". Er wird heute als Einfach-, Doppel-, Dreifachsprung gezeigt; 2016 war der Japaner Yuzuru Hanyū der erste Läufer, dem der vierfache „Rittberger“ gelang. Rittberger selbst beherrschte den „Rittberger“ bis ans Ende seines Lebens nur einfach.
Ab 1915 wurde der Sprung als „Rittberger“ und nicht mehr nur als „Sprung“ bezeichnet; im englischsprachigen Raum heißt er schlicht „loop jump“. Heute zählt er– neben „Axel", „Salchow", „Toeloop", „Flip" und „Lutz“ - zu den sechs Grundsprüngen im Eiskunstlauf.
Bis 1930 war Werner Rittberger als Trainer und Journalist in Berlin tätig, dann zog es ihn nach Kanada, wo er bis 1934 als Trainer und Profiläufer arbeitete. 1935 gehörte er zu den Mitbegründern der „Düsseldorfer EG“, baute die dortige Eiskunstlauf-Abteilung auf und leitete bis 1938 das „Eisstadion an der Brehmstraße“ als Geschäftsführer. Im Zweiten Weltkrieg war er im Range eines Majors Kommandant mehrerer Flugplätze, zunächst in Döberitz, anschließend in Tripolis und Derna in Libyen.
Nach Kriegsende lockte Unternehmer und Eissport-Mäzen Willi Münstermann (gestorben 1982) Werner Rittberger als Trainer nach Krefeld, wo er sich den Ruf erarbeitete, ein „harter Hund von preußischer Akkuratesse“ zu sein. Vielseitig war er als Funktionär und Preisrichter tätig, national wie international. So war er von 1953 bis 1955 Vorsitzender der Technischen Kommission der „International Skating Union“ und 1956 Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen in Cortina d’Ampezzo. Alle diese Funktionen füllte Rittberger ehrenamtlich aus. Beruflich war er als Journalist tätig, unter anderem für die „Deutsche Presse-Agentur“, und belieferte die Krefelder Stadtverwaltung mit Büroartikeln.
1955 erschien die erste Auflage von Rittbergers Büchlein „Die Schule des Eislaufs“, in dem er etwa Anfängern empfahl, sich „zur Gewöhnung“ zwei Freunde zu suchen, sich links und rechts einzuhaken und zunächst über das Eis ziehen zu lassen, um das Gleiten zu üben. In der Fachzeitschrift „Eis u. Rollsport“ schrieb Rittberger 1953: "Jede Entwicklung des Lebens wird von der Breite des Fundaments getragen und wurzelt in der Jugend. Die Lücke, die der unglückliche Krieg gerissen hat, ist im Kunstlauf nunmehr geschlossen" und führte als Beispiel die junge Marika Kilius (geboren 1943) mit ihrem damaligen Partner Franz Ningel (geboren 1936) an. Krefelder Erfolge wurden in den folgenden Jahren von der dreifachen Meisterin Ina Bauer (1941-2014), dem Vize-Meister Ulrich Kuhn, den Paarlaufmeistern Helga Krüger/Peter Voss, den Eistanzmeistern Marlies Schroer/Kurt Müller sowie den Olympiasiegern, Welt- und Europameistern Ria Baran/Paul Falk erzielt.
Zwei von Rittbergers Töchtern lebten damals in der DDR, die dritte in Köln. Horst Rittberger, der Sohn aus zweiter Ehe, war 1945 in den Nachkriegswirren ums Leben gekommen. Der ältere Sohn Hans-Werner zog zum Vater nach Krefeld. Die beiden wohnten im selben Haus, auch als der Sohn heiratete: Keine einfache Situation für die Schwiegertochter, „zumal hier preußische Akkuratesse und rheinischer Frohsinn aufeinander trafen“.
1964 wurde Werner Rittberger Ehrenmitglied im NRW-Eissportverband, im Jahr zuvor hatte er die vom Land gestiftete Sportplakette erhalten. In Krefeld wurde eine Eislaufhalle nach ihm benannt. 2017 wurde Rittberger in die „Hall of Fame des World Figure Skating Museums“ in Colorado Springs aufgenommen.
Werner Rittberger starb am 12.8.1975 im Alter von 84 Jahren in seiner Wohnung in der Nähe der Krefelder Eishalle. Bestattet wurde er auf dem „Friedhof Alt-Schöneberg“ neben seiner ersten Frau Babette. Die Fachzeitschrift „Pirouette“ schrieb in ihrem Nachruf: „Was nur wenigen Sportlern zu Lebzeiten vergönnt ist, wurde ihm zuteil: Der internationale Eissport setzte ihm ein Denkmal, bestehend nur aus einem Wort: Rittberger.“
Werke
Schule des Eislaufs, München 1955.
Literatur
Hampe, Matthias. Die Genese des Eiskunstlaufens als Prozess der Versportung und strukurelle Veränderungen im Wettkampfsystem sowie der Leistungsentwicklung. Potsdam, Diss. 2010.
Hampe, Matthias, Werner Rittberger in der „Hall of Fame“ des Eiskunstlaufs, in: Pirouette, Nr. 5 Mai-Juni 2017, S. 29.
Maegerlein, Heinz, Faszination Eissport. 100 Jahre Eissport. München, Nymphenburger 1986. S. 172.
Pirouette, 9. Jg., September 1975, S. 19.
Interview mit Michael Rittberger, 17.9.2017.
Online
Nachruf auf Werner Rittberger, in: DER SPIEGEL 34/1975. [online]
Lehmden, Michael von, Opa war ein Eislaufstar, in: NRZ v. 1.1.2008. [online]
Kurzbiographie Werner Rittbergers, in: Olympedia [online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Franz, Renate, Werner Rittberger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/werner-rittberger/DE-2086/lido/5ce3b464b647e8.68863962 (abgerufen am 07.12.2024)