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Aus einer in Siegburg verwurzelten jüdischen Familie hervorgegangen, erwarb sich Levison in mehr als dreißigjähriger Tätigkeit an der Universität Bonn internationales Ansehen als Erforscher und Herausgeber lateinischer Quellen des Frühmittelalters. Ende 1935 wurde er im Zuge der nationalsozialistischen Judenpolitik in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Weiterer Verfolgung entging er, indem er im April 1939 einer Einladung an die nordenglische Universität Durham folgte, wo er bald nach Kriegsende verstorben ist.
In Düsseldorf, wo er am 27.5.1876 als Sohn eines Kaufmanns geboren war, verbrachte Levison seine Jugend bis zum Abitur und studierte dann Klassische Philologie und Geschichte in Bonn und Berlin. Gleich nach der Promotion (1898 über ein althistorisches Thema) fand er eine Anstellung als Mitarbeiter bei den Monumenta Germaniae Historica, dem nationalen Großunternehmen zur Erschließung der Quellen des Mittelalters, und beschäftigte sich fortan intensiv mit Geschichtsschreibern und Heiligenviten der Merowingerzeit. 1903 habilitierte er sich mit einer daraus erwachsenen Untersuchung in Bonn, blieb aber im Dienst der Monumenta, bis er dort 1920 zum Lehrstuhlinhaber aufstieg.
Als akademischer Lehrer vermittelte er vor allem die Historischen Hilfswissenschaften (Schriftgeschichte, Urkundenlehre, Siegelkunde u.ä.), weitete jedoch sein Themenspektrum mit der Zeit auch auf die allgemeine und zumal die rheinische Geschichte des Mittelalters aus. In Reaktion auf die Rheinlandbesetzung ab 1919 gab er die Anregung zur Feier der tausendjährigen Zugehörigkeit der Rheinlande zum Deutschen Reich, die 1925 begangen wurde, und war maßgeblich beteiligt an einer im Vorfeld 1922 erschienenen zweibändigen „Geschichte des Rheinlandes". Es folgten grundlegende Untersuchungen zur Frühgeschichte der rheinischen Bistümer und Heiligenverehrung. 1929 lehnte Levison einen Ruf an die Universität Berlin ab.
Von den antijüdischen Restriktionen der Nationalsozialisten war er 1933 noch nicht unmittelbar betroffen, weil er vor 1914 Beamter geworden war, aber die Nürnberger Gesetze von 1935 veranlassten dann doch seine Zwangspensionierung. Erst im "Dritten Reich" begann er sich wissenschaftlich mit jüdischen Themen zu befassen und legte die Grundlagen für sein postum erschienenes Buch über die Geschichte seiner Siegburger Vorfahren und verwandter Familien des rheinischen Judentums. Daneben verstärkte er wieder die Mitarbeit an den Monumenta und musste es hinnehmen, dass seine Ergebnisse anonym publiziert wurden. Erst das anlässlich der Reichsprogromnacht verfügte Verbot für Juden, öffentliche Bibliotheken zu benutzen, brachte ihn zum Entschluss, ins Exil zu gehen, wozu sich die Universität Durham anbot, die ihm 1931 die Ehrendoktorwürde verliehen hatte.
In England wurde er nach Kriegsausbruch einige Wochen lang als „enemy alien" („feindlicher Ausländer") interniert, blieb danach aber vom weiteren Kriegsgeschehen unberührt und verfasste kleinere Studien zur angelsächsischen Geschichte. Vor allem aber arbeitete er in unerschütterlichem Vertrauen auf bessere Zeiten am Abschluss der aus Deutschland mitgebrachten Vorhaben, darunter der Neuausgabe der Historien Gregors von Tours, die 1951 bei den Monumenta erschienen ist. Aus einer Vorlesungsreihe, zu der er im Winter 1942/1943 nach Oxford eingeladen wurde, ging sein letztes großes Buch „England and the Continent in the Eighth Century" hervor, in dessen Vorwort (vom 9.8.1945) er ausdrücklich seine Verbundenheit mit der Universität Bonn und den Monumenta Germaniae Historica bekundete. In seinem Testament (vom 20.9.1946) stellte er seine Privatbibliothek zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Bonner Historischen Seminars zur Verfügung. Selber hat er nicht mehr in die rheinische Heimat zurückkehren können, da er am 17.1.1947 in Durham einer Herzattacke erlag. 1978 wurde die Roonstraße in der Bonner Südstadt in Wilhelm-Levison-Straße umbenannt. In der Bonner Kaiserstraße erinnern seit September 2024 zwei Stolpersteine an ihn und seine Ehefrau Elsa Levison (1888–1966).
Werke
Wilhelm Levison 1876-1947. A Bibliography, Oxford 1948.
Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit. Ausgewählte Aufsätze, Düsseldorf 1948.
Die Siegburger Familie Levison und verwandte Familien, Bonn 1952.
Literatur
Becher, Matthias/Hen, Yitzak (Hg.), Wilhelm Levison (1876-1947). Ein jüdisches Forscherleben zwischen wissenschaftlicher Anerkennung und politischem Exil. Redaktionelle Betreuung und Mitarbeit: Alheydis Plassmann, Siegburg 2010.
Becher, Matthias, Wilhelm Levison (1876-1947), in: Institut für Geschichtswissenschaft (Hg.), 150 Jahre Historisches Seminar. Profile der Bonner Geschichtswissenschaft. Erträge einer Ringvorlesung, Siegburg 2013, S. 161-176.
Hübinger, Paul Egon, Wilhelm Levison 1876-1947, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Geschichtswissenschaften, Bonn 1968, S. 311-331.
In memoriam Wilhelm Levison (1876-1947). Reden und Grußbotschaften bei der Gedenkfeier der Universität zum 100. Geburtstag am 31. Mai 1976, Köln / Bonn 1977.
Schieffer, Rudolf, Der Mediävist Wilhelm Levison (1876-1947), in: Kurt Düwell u.a. (Hg.), Vertreibung jüdischer Künstler und Wissenschaftler aus Düsseldorf 1933-1945, Düsseldorf 1998, S. 165-175.
Online
Levison Papers (Verzeichnis des Nachlasses Levisons in der Durham University Library). [Online]
Schieffer, Theodor, „Levison, Wilhelm", in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 401. [Online]
Wilhelm Levison - Schriftenverzeichnis (Verzeichnis auf der Website der Monumenta Germaniae Historica). [Online]
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Schieffer, Rudolf, Wilhelm Levison, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-levison/DE-2086/lido/57c940ac6201d0.30853274 (abgerufen am 11.11.2024)