Wilhelm Levison

Historiker (1876-1947)

Rudolf Schieffer (München)

Wilhelm Levison, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

Aus ei­ner in Sieg­burg ver­wur­zel­ten jü­di­schen Fa­mi­lie her­vor­ge­gan­gen, er­warb sich Le­vi­son in mehr als drei­ßig­jäh­ri­ger Tä­tig­keit an der Uni­ver­si­tät Bonn in­ter­na­tio­na­les An­se­hen als Er­for­scher und Her­aus­ge­ber la­tei­ni­scher Quel­len des Früh­mit­tel­al­ters. En­de 1935 wur­de er im Zu­ge der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ju­den­po­li­tik in den vor­zei­ti­gen Ru­he­stand ver­setzt. Wei­te­rer Ver­fol­gung ent­ging er, in­dem er im April 1939 ei­ner Ein­la­dung an die nord­eng­li­sche Uni­ver­si­tät Durham folg­te, wo er bald nach Kriegs­en­de ver­stor­ben ist.

In Düs­sel­dorf, wo er am 27.5.1876 als Sohn ei­nes Kauf­manns ge­bo­ren war, ver­brach­te Le­vi­son sei­ne Ju­gend bis zum Ab­itur und stu­dier­te dann Klas­si­sche Phi­lo­lo­gie und Ge­schich­te in Bonn und Ber­lin. Gleich nach der Pro­mo­ti­on (1898 über ein alt­his­to­ri­sches The­ma) fand er ei­ne An­stel­lung als Mit­ar­bei­ter bei den Mo­nu­men­ta Ger­ma­niae His­to­ri­ca, dem na­tio­na­len Gro­ß­un­ter­neh­men zur Er­schlie­ßung der Quel­len des Mit­tel­al­ters, und be­schäf­tig­te sich fort­an in­ten­siv mit Ge­schichts­schrei­bern und Hei­li­gen­vi­ten der Me­ro­win­ger­zeit. 1903 ha­bi­li­tier­te er sich mit ei­ner dar­aus er­wach­se­nen Un­ter­su­chung in Bonn, blieb aber im Dienst der Mo­nu­men­ta, bis er dort 1920 zum Lehr­stuhl­in­ha­ber auf­stieg.

Als aka­de­mi­scher Leh­rer ver­mit­tel­te er vor al­lem die His­to­ri­schen Hilfs­wis­sen­schaf­ten (Schrift­ge­schich­te, Ur­kun­den­leh­re, Sie­gel­kun­de u.ä.), wei­te­te je­doch sein The­men­spek­trum mit der Zeit auch auf die all­ge­mei­ne und zu­mal die rhei­ni­sche Ge­schich­te des Mit­tel­al­ters aus. In Re­ak­ti­on auf die Rhein­land­be­set­zung ab 1919 gab er die An­re­gung zur Fei­er der tau­send­jäh­ri­gen Zu­ge­hö­rig­keit der Rhein­lan­de zum Deut­schen Reich, die 1925 be­gan­gen wur­de, und war ma­ß­geb­lich be­tei­ligt an ei­ner im Vor­feld 1922 er­schie­ne­nen zwei­bän­di­gen „Ge­schich­te des Rhein­lan­des". Es folg­ten grund­le­gen­de Un­ter­su­chun­gen zur Früh­ge­schich­te der rhei­ni­schen Bis­tü­mer und Hei­li­gen­ver­eh­rung. 1929 lehn­te Le­vi­son ei­nen Ruf an die Uni­ver­si­tät Ber­lin ab.

Von den an­ti­jü­di­schen Re­strik­tio­nen der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten war er 1933 noch nicht un­mit­tel­bar be­trof­fen, weil er vor 1914 Be­am­ter ge­wor­den war, aber die Nürn­ber­ger Ge­set­ze von 1935 ver­an­lass­ten dann doch sei­ne Zwangs­pen­sio­nie­rung. Erst im "Drit­ten Reich" be­gann er sich wis­sen­schaft­lich mit jü­di­schen The­men zu be­fas­sen und leg­te die Grund­la­gen für sein pos­tum er­schie­ne­nes Buch über die Ge­schich­te sei­ner Sieg­bur­ger Vor­fah­ren und ver­wand­ter Fa­mi­li­en des rhei­ni­schen Ju­den­tums. Da­ne­ben ver­stärk­te er wie­der die Mit­ar­beit an den Mo­nu­men­ta und muss­te es hin­neh­men, dass sei­ne Er­geb­nis­se an­onym pu­bli­ziert wur­den. Erst das an­läss­lich der Reichs­pro­grom­nacht ver­füg­te Ver­bot für Ju­den, öf­fent­li­che Bi­blio­the­ken zu be­nut­zen, brach­te ihn zum Ent­schluss, ins Exil zu ge­hen, wo­zu sich die Uni­ver­si­tät Durham an­bot, die ihm 1931 die Eh­ren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen hat­te.

In Eng­land wur­de er nach Kriegs­aus­bruch ei­ni­ge Wo­chen lang als „en­e­my ali­en" („feind­li­cher Aus­län­der") in­ter­niert, blieb da­nach aber vom wei­te­ren Kriegs­ge­sche­hen un­be­rührt und ver­fass­te klei­ne­re Stu­di­en zur an­gel­säch­si­schen Ge­schich­te. Vor al­lem aber ar­bei­te­te er in un­er­schüt­ter­li­chem Ver­trau­en auf bes­se­re Zei­ten am Ab­schluss der aus Deutsch­land mit­ge­brach­ten Vor­ha­ben, dar­un­ter der Neu­aus­ga­be der His­to­ri­en Gre­gors von Tours, die 1951 bei den Mo­nu­men­ta er­schie­nen ist. Aus ei­ner Vor­le­sungs­rei­he, zu der er im Win­ter 1942/1943 nach Ox­ford ein­ge­la­den wur­de, ging sein letz­tes gro­ßes Buch „Eng­land and the Con­ti­nent in the Eighth Cen­tu­ry" her­vor, in des­sen Vor­wort (vom 9.8.1945) er aus­drück­lich sei­ne Ver­bun­den­heit mit der Uni­ver­si­tät Bonn und den Mo­nu­men­ta Ger­ma­niae His­to­ri­ca be­kun­de­te. In sei­nem Tes­ta­ment (vom 20.9.1946) stell­te er sei­ne Pri­vat­bi­blio­thek zum Wie­der­auf­bau des kriegs­zer­stör­ten Bon­ner His­to­ri­schen Se­mi­nars zur Ver­fü­gung. Sel­ber hat er nicht mehr in die rhei­ni­sche Hei­mat zu­rück­keh­ren kön­nen, da er am 17.1.1947 in Durham ei­ner Herz­at­ta­cke er­lag. 1978 wur­de die Roon­stra­ße in der Bon­ner Süd­stadt in Wil­helm-Le­vi­son-Stra­ße um­be­nannt. In der Bon­ner Kai­ser­stra­ße er­in­nern seit Sep­tem­ber 2024 zwei Stol­per­stei­ne an ihn und sei­ne Ehe­frau El­sa Le­vi­son (1888–1966). 

Werke

Wil­helm Le­vi­son 1876-1947. A Bi­blio­gra­phy, Ox­ford 1948.
Aus rhei­ni­scher und frän­ki­scher Früh­zeit. Aus­ge­wähl­te Auf­sät­ze, Düs­sel­dorf 1948.
Die Sieg­bur­ger Fa­mi­lie Le­vi­son und ver­wand­te Fa­mi­li­en, Bonn 1952.

Literatur

Be­cher, Mat­thi­as/Hen, Yitz­ak (Hg.), Wil­helm Le­vi­son (1876-1947). Ein jü­di­sches Forscher­le­ben zwi­schen wis­sen­schaft­li­cher An­er­ken­nung und po­li­ti­schem Exil. Re­dak­tio­nel­le Be­treu­ung und Mit­ar­beit: Al­he­ydis Plass­mann, Sieg­burg 2010.
Be­cher, Mat­thi­as, Wil­helm Le­vi­son (1876-1947), in: In­sti­tut für Ge­schichts­wis­sen­schaft (Hg.), 150 Jah­re His­to­ri­sches Se­mi­nar. Pro­fi­le der Bon­ner Ge­schichts­wis­sen­schaft. Er­trä­ge ei­ner Ring­vor­le­sung, Sieg­burg 2013, S. 161-176.
Hü­bin­ger, Paul Egon, Wil­helm Le­vi­son 1876-1947, in: Bon­ner Ge­lehr­te. Bei­trä­ge zur Ge­schich­te der Wis­sen­schaf­ten in Bonn. Ge­schichts­wis­sen­schaf­ten, Bonn 1968, S. 311-331.
In me­mo­ri­am Wil­helm Le­vi­son (1876-1947). Re­den und Gruß­bot­schaf­ten bei der Ge­denk­fei­er der Uni­ver­si­tät zum 100. Ge­burts­tag am 31. Mai 1976, Köln / Bonn 1977.
Schief­fer, Ru­dolf, Der Me­diä­vist Wil­helm Le­vi­son (1876-1947), in: Kurt Düwell u.a. (Hg.), Ver­trei­bung jü­di­scher Künst­ler und Wis­sen­schaft­ler aus Düs­sel­dorf 1933-1945, Düs­sel­dorf 1998, S. 165-175.

Online

Le­vi­son Pa­per­s (Ver­zeich­nis des Nach­las­ses Le­vi­sons in der Durham Uni­ver­si­ty Li­bra­ry). [On­line]
Schief­fer, Theo­dor, „Le­vi­son, Wil­helm", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 14 (1985), S. 401. [On­line]
Wil­helm Le­vi­son - Schrif­ten­ver­zeich­nis (Ver­zeich­nis auf der Web­site der ­Mo­nu­men­ta Ger­ma­niae His­to­ri­ca). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Schieffer, Rudolf, Wilhelm Levison, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-levison/DE-2086/lido/57c940ac6201d0.30853274 (abgerufen am 11.11.2024)