Willi Graf

NS-Widerstandskämpfer (1918-1943)

René Schulz (Bonn) & Paula Zeiler (Bonn)

Willi Graf, Porträtfoto. (Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

Wil­li Graf war ein christ­lich mo­ti­vier­ter Wi­der­stands­kämp­fer ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Als Mit­glied der Münch­ner Wi­der­stands­grup­pe „Wei­ße Ro­se“ um die Ge­schwis­ter Hans und So­phie Scholl be­tei­lig­te er sich an der Her­stel­lung wie Ver­tei­lung von Flug­blät­tern und ver­such­te Un­ter­stüt­zer für den Wi­der­stand zu ge­win­nen, wo­für er 1943 zum To­de ver­ur­teilt und hin­ge­rich­tet wur­de.

Wil­li Graf kam am 2.1.1918 in dem Vor­ei­fel­dorf Ku­chen­heim (heu­te Stadt Eus­kir­chen) als Sohn des Kauf­manns Ger­hard Graf (1885-1952) und sei­ner Frau An­na, ge­bo­re­ne Göl­den, zur Welt. Die ers­ten vier Le­bens­jah­re ver­brach­te er in sei­nem Ge­burts­ort, ehe die streng ka­tho­li­sche Fa­mi­lie 1922 nach Saar­brü­cken zog, wo der Va­ter die Gast­stät­te Jo­han­nis­hof mit an­ge­schlos­se­nem Wein­han­del über­nahm. Zu­sam­men mit sei­nen Schwes­tern Mat­hil­de (1915-2001) und An­ne­lie­se (1921-2009) wuchs Graf, wie er es selbst in sei­nem 1943 in Ge­stap­o­haft ver­fass­ten Le­bens­lauf rück­bli­ckend for­mu­lier­te, in der Si­cher­heit ei­nes star­ken und über­zeug­ten Glau­bens, nach dem auch die El­tern, Ver­wand­ten und die meis­ten Be­kann­ten leb­ten, auf. Graf wur­de Mess­die­ner an der St. Jo­hann Ba­si­li­ka, wo er von 1934-1937 den Ka­plan und spä­te­ren Erz­bi­schof von Köln, Jo­seph Kar­di­nal Höff­ner ken­nen­lern­te. Kurz nach sei­nem Über­gang auf das hu­ma­nis­ti­sche Lud­wigs­gym­na­si­um 1928 trat Graf dem ka­tho­li­schen Schü­ler­bund „Neu­deutsch­lan­d“ (ND) bei, der zum ei­gent­li­chen Ori­en­tie­rungs­punkt sei­nes Le­bens wur­de. Das ju­gend­be­weg­te Fahr­ten­le­ben in der Ge­mein­schaft Gleich­alt­ri­ger und Gleich­ge­sinn­ter wie das Stre­ben nach der ei­ge­nen Ver­voll­komm­nung durch Bil­dung, ins­be­son­de­re in Phi­lo­so­phie, Theo­lo­gie, Li­te­ra­tur und Kunst ent­wi­ckel­te ei­ne gro­ße Prä­ge­kraft auf Wil­li Graf, der im Bund „Neu­deutsch­lan­d“ auch auf sei­ne spä­te­ren Mit­strei­ter im Wi­der­stand ge­gen die NS-Dik­ta­tur Ru­di Alt, Hel­mut Bau­er (ge­stor­ben 1952) so­wie die Brü­der Heinz (1916-1990) und Wil­li Bol­lin­ger (1919-1975) traf.

Trotz der Tren­nung des Saar­lan­des vom Deut­schen Reich nach dem Ver­sailler Ver­trag mach­te sich der Ein­fluss der 1933 an die Macht ge­lang­ten Na­tio­nal­so­zia­lis­ten rasch in der Ju­gend­be­we­gung be­merk­bar. Graf, dem die christ­li­che Bot­schaft zum „Mit­tel­punkt sei­nes geis­ti­gen Le­bens“ (Ri­car­da Huch) ge­wor­den war, hielt ent­ge­gen der be­droh­lich wach­sen­den Ver­ein­nah­mung der Ju­gend­li­chen durch die Hit­ler­ju­gend (HJ) kom­pro­miss­los an den Prin­zi­pi­en sei­ner Ju­gend­grup­pe fest. Nach der Rück­glie­de­rung des Saar­lan­des in das Reich 1935 sah sich die Ju­gend­be­we­gung auch dort mit mas­si­ver Ein­fluss­nah­me und Ein­schrän­kun­gen kon­fron­tiert. Noch vor der Auf­lö­sung des Bun­des „Neu­deutsch­lan­d“ 1936 schloss sich Wil­li Graf dem il­le­ga­len „Grau­en Or­den“ an. Die­se Zü­ge ei­nes Ge­heim­bun­des tra­gen­de Grup­pe war im We­sent­li­chen ge­prägt von der Be­wah­rung der bün­di­schen Tra­di­ti­on und den Zie­len der lit­ur­gi­schen Be­we­gung, die nach neu­en For­men des ge­mein­schaft­li­chen re­li­giö­sen Er­le­bens such­te. Mit den Schrif­ten des Theo­lo­gen Ro­ma­no Guar­di­ni (1885-1968), der zu den Wort­füh­rern der lit­ur­gi­schen Be­we­gung ge­hör­te, setz­te sich Graf zeit­le­bens in­ten­siv aus­ein­an­der. Ent­ge­gen al­len auf­ge­bau­ten Drucks sei­tens sei­ner El­tern – der Va­ter war be­reits 1935 Mit­glied der NS­DAP ge­wor­den –, der Schu­le so­wie der Mit­schü­ler, wei­ger­te er sich trotz der durch­aus zu er­war­ten­den schu­li­schen und be­ruf­li­chen Be­nach­tei­li­gun­gen, der Hit­ler­ju­gend bei­zu­tre­ten.

Nach dem Ab­itur im Fe­bru­ar 1937 leis­te­te Graf den ver­pflich­ten­den halb­jäh­ri­gen Reichs­ar­beits­dienst (RAD) im saar­län­di­schen Dil­lin­gen ab. Im No­vem­ber 1937 schrieb er sich an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn für das Fach Me­di­zin ein. Sei­ne Ent­schei­dung für die Me­di­zin be­grün­de­te Graf spä­ter im für die Ge­sta­po ver­fass­ten Le­bens­lauf mit sei­ner christ­li­chen Er­zie­hung und dem Wunsch, Men­schen hel­fen zu wol­len. Sie dürf­te aber eben­so auf die im Ver­gleich zur Me­di­zin viel stär­ker von der NS-Ideo­lo­gie durch­drun­ge­nen und da­mit ver­eng­ten Geis­tes­wis­sen­schaf­ten, de­nen er durch­aus zu­neig­te, zu­rück­zu­füh­ren sein.

Kurz nach Be­ginn des Stu­di­ums ge­riet Wil­li Graf zum ers­ten Mal in das Vi­sier der Ge­sta­po. Ob­wohl seit sei­nem Weg­zug aus Saar­brü­cken sei­ne bün­di­schen Ak­ti­vi­tä­ten ruh­ten, wur­de er im Ja­nu­ar 1938 we­gen sei­ner Be­tei­li­gung am „Grau­en Or­den“ und des­sen Fahr­ten und Wan­de­run­gen ver­haf­tet. Nach­dem er vom 22.1.-5.2.1938 in Un­ter­su­chungs­haft ge­ses­sen hat­te, klag­te ihn das Mann­hei­mer Son­der­ge­richt zu­sam­men mit 17 an­de­ren Ju­gend­li­chen we­gen bün­di­scher Um­trie­be am 21.4.1938 an. Zu ei­ner Ver­ur­tei­lung kam es je­doch nicht, da das Ver­fah­ren im Zu­ge ei­ner von Adolf Hit­ler (1889-1945) aus An­lass der An­ne­xi­on Ös­ter­reichs er­las­se­nen Ge­ne­ral­am­nes­tie am 17.5.1938 ein­ge­stellt wur­de. Un­be­scha­det durch die Er­fah­rung von Ge­sta­po und NS-Son­der­jus­tiz hielt Graf wei­ter­hin Kon­takt zu sei­nen Freun­den im „Grau­en Or­den“ und nahm an Fahr­ten und Wan­de­run­gen teil.

Ei­nen wei­te­ren Ein­schnitt in sein Le­ben brach­te der Be­ginn des Zwei­ten Welt­kriegs. Nach dem deut­schen Über­fall auf Po­len am 1.9.1939 wur­de die Bon­ner Uni­ver­si­tät ge­schlos­sen. Graf, der nicht so­fort zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen wur­de, sie­del­te nach Mün­chen über, um sein schon bis zum Phy­sikum ab­sol­vier­tes Me­di­zin­stu­di­um an der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät fort­zu­set­zen. Dort wur­de Graf im Ja­nu­ar 1940 zu ei­ner Sa­ni­täts­er­satz­ein­heit ein­be­ru­fen und zum Sa­ni­tä­ter aus­ge­bil­det, be­vor er im Fe­bru­ar zu ei­ner Kran­ken­trans­port­ab­tei­lung in Bad Wild­bad im Schwarz­wald ab­kom­man­diert wur­de. Zu­nächst ein hal­bes Jahr fern­ab vom Kriegs­ge­sche­hen, folg­te für den Sa­ni­täts­un­ter­of­fi­zier Graf im Sep­tem­ber die Ver­set­zung an die fran­zö­si­sche Ka­nal­küs­te, von wo er zwei Mo­na­te spä­ter über Flan­dern nach Bur­gund ver­legt wur­de. Im Früh­jahr 1941 nahm er mit sei­ner Ein­heit am Bal­kan­feld­zug ge­gen Ju­go­sla­wi­en und Grie­chen­land teil. Be­reits im Mai wur­de Grafs Ein­heit in Vor­be­rei­tung des An­griffs auf die So­wjet­uni­on im be­setz­ten Po­len sta­tio­niert.

Der am 22.6.1941 be­gon­ne­ne na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ver­nich­tungs­krieg im Os­ten mit sei­nen ideo­lo­gisch mo­ti­vier­ten Grau­sam­kei­ten ge­gen­über dem so­wje­ti­schen Geg­ner als auch der Be­völ­ke­rung und dem sich hin­ter der Front voll­zie­hen­den Völ­ker­mord an den Ju­den dürf­te ei­ne ein­schnei­den­de Er­fah­rung für Graf ge­we­sen sein. Sie stand im Ge­gen­satz mit den seit sei­ner Ju­gend ge­setz­ten christ­li­chen Wert­maß­stä­ben und be­stärk­te sei­ne ab­leh­nen­de Hal­tung zum NS-Re­gime und des­sen ver­bre­che­ri­schen Krieg. Er schrieb, den gänz­lich an­de­ren und nicht ver­gleich­ba­ren Cha­rak­ter die­ses Krie­ges er­ken­nend, am 1.2.1942 an sei­ne Schwes­ter An­ne­lie­se: […] ich wünsch­te, ich hät­te das nicht se­hen müs­sen, was ich al­les in die­ser Zeit mit an­schau­en mu­ß­te. […] Der Krieg ge­ra­de hier im Os­ten führt mich an Din­ge, die neu­ar­tig und fremd wie nichts bis­her Be­kann­tes sind. […] Viel­leicht hast Du da­heim schon ein­zel­ne Be­rich­te ver­nom­men, über die Du un­gläu­big den Kopf schüt­teln konn­test. Vie­les wird Dir un­mög­lich er­schei­nen.

Wil­li Graf blieb bis April 1942 bei sei­ner Ein­heit an der Ost­front, als er zur Fort­set­zung sei­nes Me­di­zin­stu­di­ums in die 2. Münch­ner Stu­den­ten­kom­pa­nie be­ur­laubt wur­de. Mit der Rück­kehr nach Mün­chen nahm Graf er­neut Kon­takt zu Freun­den aus dem „Grau­en Or­den“ auf, die in der bay­ri­schen Groß­stadt stu­dier­ten. In der Stu­den­ten­kom­pa­nie lern­te er die Me­di­zin­stu­den­ten Hans Scholl (1918-1943) und Alex­an­der Schmo­rell (1917-1943), spä­ter auch Schmo­rells Ju­gend­freund Chris­toph Probst (1919-1943) ken­nen. Mit ih­nen traf er auf ei­nen Freun­des­kreis, der sich schon län­ger kann­te und so­wohl auf ge­mein­sa­men In­ter­es­sen als auch auf der Ab­leh­nung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur und des Krie­ges be­ruh­te. Scholl und Schmo­rell lu­den Graf zu Le­se- und Dis­kus­si­ons­aben­den ein. Ins­be­son­de­re Scholl hin­ter­ließ auf ihn ei­nen blei­ben­den Ein­druck. Er no­tier­te am 13.6.1942 in sein Ta­ge­buch: Ge­spräch mit Hans Scholl. Hof­fent­lich kom­me ich öf­ter mit ihm zu­sam­men.

Hans Scholl und Alex­an­der Schmo­rell hat­ten im Ju­ni 1942 be­gon­nen, Flug­blät­ter zu for­mu­lie­ren und zu ver­brei­ten. Zwi­schen dem 27.6. und dem 12.7.1942 ver­fass­ten sie ge­mein­sam vier Tex­te, die den Ti­tel „Flug­blät­ter der Wei­ßen Ro­se" tru­gen und in de­nen sie auf das durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ver­üb­te Un­recht auf­merk­sam mach­ten. Per Post ver­schick­ten sie die­se an­onym an aus­ge­wähl­te Per­so­nen. Zu­nächst wa­ren we­der en­ge Freun­de noch ih­re Fa­mi­li­en ein­ge­weiht. Erst spä­ter weih­ten sie auch Scholls Schwes­ter So­phie (1921-1943) und den Schul­freund Chris­toph Probst ein. Wil­li Graf schloss sich rück­halt­los die­sem Wi­der­stands­kreis an. Schon im Ju­li wur­de Graf zu­sam­men mit Scholl und Schmo­rell zur Fa­mu­la­tur er­neut an die Ost­front ab­kom­man­diert, wo die jun­gen Sa­ni­täts­sol­da­ten Zeu­gen der fort­ge­setz­ten Kriegs­g­räu­el wur­den. Zum Win­ter­se­mes­ter 1942/1943 kehr­ten die drei Freun­de nach Mün­chen zu­rück, wo sie die Pla­nung neu­er Wi­der­stands­ak­tio­nen auf­nah­men. Ab De­zem­ber be­gann Graf bei der Ver­fas­sung und Ver­brei­tung der Flug­blät­ter mit­zu­wir­ken.

Mit Wil­li Graf wa­ren bis 1943 et­wa 50 Men­schen in­vol­viert - ein Netz­werk, wel­ches sich über das gan­ze Reich er­streck­te. Wäh­rend der Weih­nachts­fe­ri­en in Saar­brü­cken über­nahm er die Auf­ga­be, neue Hel­fer aus sei­nem al­ten Freun­des­kreis der bün­di­schen Ju­gend zu ge­win­nen, um die Münch­ner Wi­der­stands­grup­pe zu un­ter­stüt­zen. Al­ler­dings muss­te er da­bei fest­stel­len, dass er bei sei­nen al­ten Freun­den auf Zu­rück­hal­tung stieß. Le­dig­lich Ru­di Alt, Hel­mut Bau­er und die Brü­der Bol­lin­ger er­klär­ten sich be­reit, bei den ge­plan­ten Wi­der­stands­ak­tio­nen zu hel­fen. Auf die­se Wei­se wur­de die Ar­beit rasch nicht nur per­so­nell, son­dern auch ma­te­ri­ell aus­ge­wei­tet. An die Isar zu­rück­ge­kehrt be­tei­lig­te sich Graf zu­sam­men mit Scholl, Schmo­rell und Pro­fes­sor Kurt Hu­ber (1893-1943), der für den Wi­der­stand ge­won­nen wer­den konn­te, an den Pla­nun­gen zum in­zwi­schen fünf­ten Flug­blatt. Es soll­te auf die be­vor­ste­hen­de Nie­der­la­ge der Wehr­macht hin­wei­sen und Vor­stel­lun­gen für ein neu­es Deutsch­land bie­ten. Ei­ne Wo­che nach Be­ginn der Ver­viel­fäl­ti­gung des neu­en Flug­blat­tes fuhr Wil­li Graf am 20.1.1943 nach Köln, Bonn, Saar­brü­cken, Frei­burg und Ulm, um wei­te­re Kon­tak­te für die „Wei­ße Ro­se" her­zu­stel­len. In Saar­brü­cken über­gab er ein Ex­em­plar des Flug­blat­tes und ei­nen Ver­viel­fäl­ti­gungs­ap­pa­rat an Wil­li Bol­lin­ger, der 200 Ex­em­pla­re an ver­schie­de­ne Per­so­nen ver­schick­te.

An­fang Fe­bru­ar be­gan­nen Scholl und Schmo­rell nachts ver­schie­de­ne Ge­bäu­de der Münch­ner In­nen­stadt mit den Pa­ro­len „Nie­der mit Hit­ler“ oder „Frei­heit“ zu be­ma­len, wor­an spä­ter auch Wil­li Graf teil­nahm. Noch be­vor sie in der Nacht vom 15. auf den 16.2.1943 zum letz­ten Mal für das Ma­len von Wand­pa­ro­len aus­zo­gen, hat­ten die drei zu­sam­men mit Pro­fes­sor Hu­ber be­reits mit der Her­stel­lung des sechs­ten Flug­blat­tes be­gon­nen und es am 16.2.1943 ver­sand­fer­tig ge­macht. In Re­ak­ti­on auf die Nach­richt von der Nie­der­la­ge der sechs­ten Ar­mee in Sta­lin­grad ver­ur­teil­te das Flug­blatt nicht nur die Bil­dungs­po­li­tik, son­dern auch die ver­bre­che­ri­sche Kriegs­füh­rung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Bei dem Ver­such der Ge­schwis­ter Scholl am 18.2.1943 Flug­blät­ter in den Licht­hof der Münch­ner Uni­ver­si­tät zu wer­fen, wur­den sie fest­ge­nom­men und zu­sam­men mit Chris­toph Probst vier Ta­ge spä­ter ver­ur­teilt.

Wil­li Graf, der ein An­ge­bot Schmo­rells zur Flucht aus­ge­schla­gen hat­te, wur­de mit sei­ner an den Wi­der­stands­ak­tio­nen un­be­tei­lig­ten Schwes­ter An­ne­lie­se noch am sel­ben Tag in sei­ner Woh­nung in der Mandl­stra­ße fest­ge­nom­men. Nach ers­ten Ver­su­chen, sei­ne Be­tei­li­gung zu leug­nen, konn­te Graf bald nicht mehr ver­ber­gen, dass er zum engs­ten Kreis der „Wei­ßen Ro­se" ge­hört hat­te. Der Pro­zess ge­gen Graf, die mitt­ler­wei­le eben­falls in­haf­tier­ten Alex­an­der Schmo­rell, Kurt Hu­ber und elf wei­te­re Mit­glie­der der „Wei­ßen Ro­se" wur­de am 19.4.1943 er­öff­net. Schmo­rell und Graf be­kann­ten sich, wie der Mit­an­ge­klag­te Falk Har­nack (1913-1992) be­rich­te­te, mu­tig zu ih­ren Ta­ten, die sie aus dem Glau­ben an ein bes­se­res Deutsch­land her­aus ge­tan hat­ten. Der Volks­ge­richts­hof un­ter Vor­sitz von Ro­land Freis­ler (1893-1945) ver­ur­teil­te Wil­li Graf we­gen Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat, Wehr­kraft­zer­set­zung und Feind­be­güns­ti­gung zum To­de. Die Voll­stre­ckung des Ur­teils wur­de je­doch ein hal­bes Jahr aus­ge­setzt, da sich die Ge­sta­po aus sei­nen Ver­hö­ren wei­te­re Na­men von Op­po­si­tio­nel­len er­hoff­te. Graf er­wies sich al­ler­dings als äu­ßerst ver­schwie­gen und ret­te­te so vie­len Mit­strei­tern das Le­ben.

Wil­li Graf wur­de am 12.10.1943 im Ge­fäng­nis Mün­chen-Sta­del­heim mit dem Fall­beil hin­ge­rich­tet und auf dem Fried­hof am Per­la­cher Forst be­stat­tet. 1946 wur­den sei­ne sterb­li­chen Über­res­te auf Wunsch der Fa­mi­lie auf den Fried­hof St. Jo­hann in Saar­brü­cken über­führt.

Die Ta­ten des Wi­der­stands­kämp­fers Graf wur­den nach dem Zwei­ten Welt­krieg in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­kannt. Vor al­lem in Ku­chen­heim, sei­nem Ge­burts­ort, in Saar­brü­cken, wo er auf­wuchs und zu­letzt Mün­chen, wo er als Mit­glied der „Wei­ßen Ro­se“ agier­te und den Tod fand, wur­de und wird sei­ner in be­son­de­rer Wei­se ge­dacht. Mit­hil­fe des ört­li­chen Jung­ge­sel­len­ver­eins er­hielt Ku­chen­heim be­reits 1965 die „Wil­li-Graf-Stra­ße“, wel­che an sei­nem ehe­ma­li­gen Ge­burts­haus vor­bei­führt. Ein Re­li­ef am Tauf­be­cken der Kir­che St. Ni­ko­laus in Ku­chen­heim er­in­nert an den mu­ti­gen Wi­der­ständ­ler. Drei Schü­ler des na­he­lie­gen­den Gym­na­si­ums Ma­ri­en­schu­le Eus­kir­chen rie­fen in den 2000er Jah­ren den Wil­li-Graf-Preis für Zi­vil­cou­ra­ge ins Le­ben, wel­cher von der Stadt Eus­kir­chen be­zu­schusst wur­de. Je­doch wur­de be­reits im Jahr 2011 kein neu­er Preis­trä­ger mehr ge­fun­den.

Die Stadt Eus­kir­chen be­nann­te 1975 ih­re da­ma­li­ge Re­al­schu­le in „Wil­li-Graf-Re­al­schu­le“ um. Die Schu­le gab sich den Auf­trag, das Ge­dächt­nis Grafs zu er­hal­ten. Die Schü­ler­schaft or­ga­ni­sier­te mit der Un­ter­stüt­zung des Lehr­kör­pers re­gel­mä­ßig Vor­trä­ge und Aus­stel­lun­gen. Auch wur­den Wil­li Graf und sein Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus fes­ter Be­stand­teil im Ge­schichts­un­ter­richt. Durch die Zu­sam­men­le­gung der Wil­li-Graf-Re­al­schu­le mit der Ka­plan-Kel­ler­mann-Re­al­schu­le 2015 ent­schied die Stadt Eus­kir­chen, dass der Na­me Wil­li Graf nicht als neu­er of­fi­zi­el­ler Schul­na­me wei­ter­ver­wen­det wer­den soll­te. Die Re­al­schu­le ge­hör­te dem Ver­bund der Wil­li-Graf-Schu­len in Deutsch­land an. Da­zu zäh­len heu­te sechs Schu­len: die bei­den Bi­schöf­li­chen Wil­li-Graf-Schu­len (Gym­na­si­um und Re­al­schu­le) in Saar­brü­cken, die Wil­li-Graf-Schu­le im eben­falls saar­län­di­schen St. Ing­bert, das Wil­li-Graf-Gym­na­si­um in Mün­chen, die Wil­li-Graf-Ober­schu­le in Ber­lin-Lich­ter­fel­de (seit 1990) und die Grund­schu­le in Ko­blenz-Neu­en­dorf.

Mit der Aus­zeich­nung der Eh­ren­bür­ger­wür­de im Jah­re 2003 an­läss­lich sei­nes 60. To­des­tags setz­te ihm die Stadt Saar­brü­cken post­hum ein Denk­mal. Sein Grab steht zu­sam­men mit dem Al­ten Fried­hof St. Jo­hann un­ter Denk­mal­schutz. Seit 1980 fin­det sich ne­ben sei­nem Eh­ren­grabmal ein Mahn­mal: „Ein Kämp­fer ge­gen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ge­walt­herr­schaft in der stu­den­ti­schen Wi­der­stands­be­we­gung Wei­ße Ro­se, hin­ge­rich­tet in Mün­chen am 12. Ok­to­ber 1943“. Es ent­stand durch die In­itia­ti­ve sei­ner bei­den Schwes­tern und der „Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Na­zi­re­gimes“. Hier fin­den jähr­lich ei­ne Ge­denk­fei­er und ei­ne Kranz­nie­der­le­gung statt. Die Stadt Saar­brü­cken ge­denkt sei­ner au­ßer­dem seit 1990 durch ei­ne von ehe­ma­li­gen Mit­glie­dern des in der NS-Zeit ver­bo­te­nen „Grau­en Or­den­s“ ge­stif­te­ten Ge­denk­ta­fel am Jo­han­nis­hof, wo er auf­wuchs. 1994 wur­de ei­ne Ge­denk­s­te­le für Wil­li Graf an der Spi­cher­er­berg­stra­ße/Ecke Ho­he Wacht an­ge­bracht, die aus ei­ner Ei­sen­bahn­schwel­le be­steht und in deut­scher und fran­zö­si­scher Spra­che aus Grafs Ta­ge­buch zi­tiert: „Frei­heit der Re­de, Frei­heit des Be­kennt­nis­ses, Schutz des ein­zel­nen Bür­gers vor der Will­kür ver­bre­che­ri­scher Ge­waltstaa­ten, das sind die Grund­la­gen des neu­en Eu­ro­pas.“ Das Mahn­mal ist Teil des his­to­ri­schen deutsch-fran­zö­si­schen Lehr­pfa­des „Er­in­ne­rungs­ar­beit an der Gren­ze“ der vom ehe­ma­li­gen In­ter­nie­rungs­la­ger an der Gol­de­nen Bremm bis zur Spi­che­rer Hö­he führt. Die In­itia­ti­ve er­folg­te durch den Au­tor Fred Ober­hau­ser (1923-2016) aus St. Ing­bert. Auch in der Au­la des Lud­wigs­gym­na­si­ums wur­de zu Eh­ren des ehe­ma­li­gen Schü­lers 1958 ei­ne Ge­denk­ta­fel an­ge­bracht. Ne­ben den er­wähn­ten Schu­len tra­gen auch meh­re­re städ­ti­sche und ka­tho­li­sche Ein­rich­tun­gen den Na­men Wil­li Graf. Auch fünf Stra­ßen tra­gen im Saar­land sei­nen Na­men.

In der bay­ri­schen Lan­des­haupt­stadt er­in­nert an Graf heu­te ne­ben ei­nem Gym­na­si­um auch ei­ne Stra­ße. Die Uni­ver­si­tät, an der die meis­ten jun­gen Wi­der­ständ­ler und Wil­li Graf stu­dier­ten, führ­te von 1945 bis 1968 ei­ne jähr­li­che Ge­denk­fei­er für die „Wei­ße Ro­se“ durch. Nur ein Jahr nach Kriegs­en­de er­rich­te­te sie im Licht­hof der Uni­ver­si­tät ein Mahn­mal für die Wi­der­stands­grup­pe. Durch die dor­ti­ge al­pha­be­ti­sche Na­mens­nen­nung der Mit­glie­der wird Wil­li Graf als ers­tes Mit­glied ne­ben den Ge­schwis­tern Scholl, Hu­ber, Schmo­rell und Probst auf­ge­führt, wo­bei dies nicht als Wer­tung zu ver­ste­hen ist. Das ge­nann­te Bei­spiel bil­det je­doch ei­ne Aus­nah­me, da zwei Plät­ze, ein In­sti­tut und meh­re­re Ge­denk­ta­feln an der Münch­ner Uni­ver­si­tät, nur den Na­men von den Ge­schwis­tern Scholl be­zie­hungs­wei­se des Münch­ner Pro­fes­sors Kurt Hu­ber tra­gen und der Na­me Wil­li Graf da­durch in den Hin­ter­grund ge­drängt wird. So tra­gen in Deutsch­land 100 Stra­ßen den Na­men der Ge­schwis­ter Scholl, aber nur 15 den von Wil­li Graf. In Mün­chen gab es je­doch auch städ­ti­sche In­itia­ti­ven, wel­che nur Graf be­rück­sich­tig­ten: Das Wohn­haus auf der Man­del­stra­ße 28, in wel­chem er bis zu sei­ner Ver­haf­tung im Herbst 1942 ge­wohnt hat, trägt seit 1985 ei­ne Ge­denk­ta­fel.

Die Denk­Stät­te „Wei­ße Ro­se“ der Stif­tung Wei­ße Ro­se e.V. in­for­miert seit 1997 in den ehe­ma­li­gen Gar­de­ro­ben­räu­men der Münch­ner Uni­ver­si­tät über die Wi­der­stands­grup­pe. Der Schwer­punkt der Stif­tung liegt auf the­men­spe­zi­fi­schen Aus­stel­lun­gen, ei­ner Fach­bi­blio­thek mit un­ter an­de­rem Pro­zess- und Er­mitt­lungs­ak­ten, For­schungs­ar­bei­ten zum The­ma Wi­der­stand und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus so­wie auf der päd­ago­gi­schen Ver­mitt­lung die­ser The­men. In den letz­ten 60 Jah­ren wur­den die Ge­schwis­ter Scholl im­mer mehr zum Sym­bol des stu­den­ti­schen Wi­der­stan­des im „Drit­ten Reich“, da­bei ge­rie­ten an­de­re Ak­teu­re der „Wei­ßen Ro­se“ wie Graf im­mer mehr in den Hin­ter­grund.

Die drei mit Wil­li Grafs Le­ben be­son­ders ver­bun­de­nen Städ­te - Eus­kir­chen, Saar­brü­cken, Mün­chen - und die bun­des­wei­ten Wil­li-Graf-Schu­len wur­den re­gel­mä­ßig von Grafs bei­den Schwes­tern An­ne­lie­se Kno­op-Graf und Mat­hil­de Ba­ez be­sucht. In ih­ren Vor­trä­gen be­rich­te­ten sie nicht nur über ih­rem Bru­der, son­dern er­mahn­ten die ju­gend­li­chen Zu­hö­rer zur Zi­vil­cou­ra­ge. An­ne­lie­se Kno­op-Graf er­hielt 2006 für ihr En­ga­ge­ment die Eh­ren­dok­tor­wür­de der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he. Auch nach ih­rem Tod set­zen sich die Städ­te Eus­kir­chen, Saar­brü­cken und Mün­chen wei­ter für das Ge­den­ken an Wil­li Graf ein.

Seit En­de 2017 prüft das Erz­bis­tum Mün­chen, ob ei­ne Mög­lich­keit be­steht, Wil­li Graf se­lig zu spre­chen. Da­zu wird ei­ne Vor­un­ter­su­chung er­öff­net, in der sich Theo­lo­gen und His­to­ri­ker mit dem Le­ben und den Schrif­ten Grafs be­fas­sen. Am En­de der Vor­un­ter­su­chung könn­te die Er­öff­nung ei­nes Se­lig­spre­chungs­pro­zes­ses ste­hen.

Quellen

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Zitationshinweis

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Schulz, René, Zeiler, Paula, Willi Graf, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/willi-graf/DE-2086/lido/57c6d5a3d53658.65913355 (abgerufen am 13.11.2024)