Zu den Kapiteln
Schlagworte
Wolfgang Staudte zählt zu den bedeutenden deutschen Filmregisseuren nach 1945. In seinen Filmen thematisierte er gesellschaftliche Zustände im Wilhelminischen Zeitalter, in der Epoche des Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland, kritisierte Obrigkeitshörigkeit und Mitläufertum, aber auch das Verdrängen von Schuld nach 1945.
Wolfgang Staudte wurde am 9.10.1906 in Saarbrücken als Sohn des Schauspielerpaars Fritz Staudte (1883-1958) und Mathilde Firmans (1886-1921) geboren. Er begann 1923 nach seinem Schulabschluss der Mittleren Reife eine Lehre als Autoschlosser, arbeitete bei den Hansa-Lloyd-Werken in Varel und studierte zwei Semester an der Ingenieur-Akademie in Oldenburg. Über Komparsenrollen an verschiedenen Berliner Theatern wechselte er 1926 mit einem ersten Engagement an der Berliner Volksbühne hauptberuflich in die Schauspielerei. Darüber hinaus kam Staudte auch mit dem Filmgeschäft in Berührung und machte sich als Synchronsprecher und Nebendarsteller einen Namen. Hervorzuheben ist sein Mitwirken bei der Synchronisation der US-amerikanischen Verfilmung des Buches „Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque (1898-1970) als Stimme des Soldaten Franz Kemmerich.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Staudte im Jahr 1933 seine Bühnenschaupielererlaubnis wegen Mitwirkung an regimekritischen Stücken entzogen. Jedoch verstand er es, sich der neuen politischen Situation flexibel anzupassen und sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten und als Rundfunksprecher im Kinder- und Werbeprogramm über Wasser zu halten – ein Umbruch, der sich für sein weiteres Leben als prägend erweisen sollte. Staudte entwickelte in den vielfätigen Tätigkeiten für Film, Rundfunk und Werbung entscheidende Grundlagen für seine spätere Karriere als Regisseur.
Angesprochen auf die zahlreichen propagandistischen Filme des NS-Regimes, in denen er zwischen 1934 und 1940 als Komparse oder in Nebenrollen auftrat (unter anderem in dem antisemitischen Film „Jud Süß" von 1940), erwiderte Staudte später, dass er sich den politischen Gegebenheiten nach seinem Auftrittsverbot hätte anpassen müssen, um die angestrebte Karriere als Regisseur verwirklichen zu können.
Zunächst waren es seine meist originell und witzig inszenierten Werbe- und Kurzfilme, mit denen Staudte in der Filmbranche auf sich aufmerksam machte. Diese Fähigkeiten wusste sich auch das NS-Regime für propagandistische Zwecke nutzbar zu machen: Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er daher als unabkömmlich für die Kriegsverwendung eingestuft. Der Einzug zur Wehrmacht blieb ihm erspart. Mit zwei Probefilmen für die halbstaatliche „Tobis Filmkunst GmbH" 1941/ 1942 konnte er sich als talentierter Nachwuchsregisseur profilieren und debütierte 1942/ 1943 mit seinem abendfüllenden Spielfilm „Akrobat Schö-ö-ön".Diese Geschichte mit dem bekannten Artisten Charlie Rivel (1896-1983) in der Titelrolle war wie sein zweiter Film „Ich hab von dir geträumt" (1943/ 1944) völlig unpolitisch. Mit seinem nächsten Film „Der Mann, dem man den Namen stahl" fiel Staudte jedoch in Ungnade bei den nationalsozialistischen Machthabern. Seine unverhohlene Kritik am Behördenapparat und dem spießigen Kleinbürgertum handelte ihm ein Verbot des Films und den Verlust der Unabkömmlichkeitsstellung ein. Erst auf Intervention des Intendanten des Berliner Schiller-Theaters, Heinrich George (1893-1946), der auf die Beteiligung Staudtes als Regisseur bei seinem Film „Frau über Bord" bestand, konnte die Abkommandierung an die Front Ende 1944 verhindert werden.
Nach Kriegsende unternahm Staudte den Versuch eines Neuanfangs als Regisseur. In den Westzonen konnte er jedoch sein Drehbuch „Der Mann, den ich töten werde" nicht realisieren. Dagegen bekam er 1946 in der sowjetischen Besatzungszone die Gelegenheit, diesen Film unter dem Namen „Die Mörder sind unter uns" als ersten deutschen Nachkriegsfilm bei der von ihm im Mai 1946 mitbegründeten „Deutschen Film AG" (DEFA) zu drehen. Von eigenen Erlebnissen der letzten Kriegstage beeinflusst, begründete Staudte mit „Die Mörder sind unter uns" das Genre des „Trümmerfilms".
In der 1949 gegründeten DDR genoss Staudte hohe Anerkennung. Dennoch sah er sich durch die verschärften Zensurauflagen in seinem künstlerischen Wirken zunehmend eingeschränkt. Er suchte den Kontakt zu westdeutschen Filmproduktionsfirmen und drehte 1949 mit „Schicksal aus zweiter Hand" einen ersten Film für die Hamburger Realfilm. 1951 gelang ihm mit der filmischen Umsetzung des Romans „Der Untertan" von Heinrich Mann (1871-1950) eine seiner herausragenden Arbeiten. Die Geschichte über den gesellschaftlichen Aufstieg eines gewissenlosen Karrieristen im deutschen Kaiserreich begründete Staudtes Ruf als kompromisslosen Moralisten; gleichzeitig zählt der Film zu den bedeutendsten Produktionen in der Geschichte der DEFA. In der Bundesrepublik zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt, wurde „Der Untertan" erst 1957 freigegeben, allerdings in einer um elf Minuten gekürzten Fassung. Erst 1971 durfte der Film auch in der Bundesrepublik ungekürzt gezeigt werden. Trotz dieser Hindernisse erwies er sich auch im Westen Deutschlands als großer Publikumserfolg. Staudte erntete glänzende Kritiken; treffend sprach ihm die Süddeutsche Zeitung „die Entdeckung des Spießers als Monster" zu.
Während der Dreharbeiten zu „Gift im Zoo" (1952) wurde Staudte vom Bundesinnenministerium dazu gedrängt, sich zu verpflichten, künftig nicht mehr für die DEFA zu arbeiten. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Stattdessen bescherte er der DEFA 1953 einen großen kommerziellen Erfolg mit dem Kinderfilm „Die Geschichte vom kleinen Muck", seiner ersten Farbfilmproduktion, die ebenfalls stilprägend werden sollte.
Auseinandersetzungen zwischen Bertolt Brecht (1898-1956) und Staudte verhinderten im Jahr 1955 die Fertigstellung der aufwändigen Verfilmung von „Mutter Courage und ihre Kinder" bei der DEFA. 1956 siedelte Staudte endgültig in den Westen über. Mit seinen folgenden Kinoproduktionen konnte Staudte zwar zunächst nicht an frühere Erfolge anknüpfen, gründete aber 1958 mit seinen Regiekollegen Helmut Käutner und Harald Braun (1901-1960) die „Freie Filmproduktion GmbH" (FFP). 1959 gelang ihm mit dem Film „Rosen für den Staatsanwalt" sein größter Erfolg im westdeutschen Kino. Politische Satire und die Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit Deutschlands, wie im Fall von „Kirmes" (1960), bestimmten Staudtes künstlerisches Wirken auch in den 1960er Jahren. Eine positive Resonanz des Publikums blieb jedoch aus.
1962 drehte er mit „Rebellion" seine erste Fernsehproduktion und engagierte sich seit 1966 als Dozent an der neugegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Durch die theoretische Arbeit in der Filmakademie und die anhaltenden Misserfolge seiner letzten Kinofilme desillusioniert, beschloss er, in seinen Filmen keine politischen Themen mehr aufzugreifen.
Seiner rastlosen Arbeit tat dies jedoch keinen Abbruch, vielmehr erwies er sich in den 1970er Jahren als einer der produktivsten Fernsehregisseure seiner Zeit.1971 schrieb er mit dem Abenteuermehrteiler „Der Seewolf" Fernsehgeschichte. Neben zahlreichen „Tatort"-Produktionen gehören die Serien „Lockruf des Goldes" (1975), „MS-Franziska" (1978) mit Paul Dahlke (1904-1984) sowie „Der eiserne Gustav" (1979) mit Gustav Knuth (1901-1987) zu seinen wichtigsten Regiearbeiten dieser Zeit.
Am 19.1.1984 starb Staudte im damaligen Jugoslawien bei Außenaufnahmen zu dem Fernsehmehrteiler „Der Eiserne Weg" an Herzversagen.
Literatur
Ludin, Malte, Wolfgang Staudte, Reinbek 1996.
Orbanz, Eva (Hg.), Wolfgang Staudte. Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin 1977.
Schenk, Ralf, „Die dunklen" Filme von Wolfgang Staudte, in: Film-Dienst 21 (1996).
Schmid-Lehnhard, Andreas/Schmid-Lehnhard, Uschi, Courage und Eigensinn. Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Staudte, St. Ingbert 2006.
Witte, Karsten, Ein deutscher Traum vom Realismus. Wolfgang Staudte wird 75 Jahre, in: Die Zeit, 9.10.1981, S. 43-44.
Online
Wolfgang Staudte (Biographische Information auf der Website filmportal.de, einem Projekt des Deutschen Filminstitut – DIF e.V.). [Online]
Walk, Ines, Staudte, Wolfgang (Information auf der Website der „DEFA Stiftung"). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Franken, René, Wolfgang Georg Friedrich Staudte, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wolfgang-georg-friedrich-staudte/DE-2086/lido/57c9549c31db10.11467383 (abgerufen am 07.12.2024)