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Zvi Asaria (bis 1948: Hermann Helfgott) war ein Rabbiner, der in den 1950er Jahren als geistiges Oberhaupt der Kölner Synagogengemeinde das rheinische Judentum der Nachkriegszeit geprägt hat und einen erheblichen Anteil am Wiederaufbau der zerstörten Kölner Gemeinde nach dem Holocaust hatte. Sein Lebensweg ist auf vielfältige Weise mit Deutschland verbunden. Während des Zweiten Weltkriegs war er in einem Lager für Kriegsgefangene der jugoslawischen Armee bei Osnabrück interniert, in der unmittelbaren Nachkriegszeit nahm er im Displaced-Persons-Camp nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen und als Oberrabbiner der Britischen Besatzungszone eine Führungsrolle ein. Als Gemeinderabbiner in Köln und später als Landesrabbiner von Niedersachsen half er nicht nur die zerstörten Gemeinden wiederaufzubauen, sondern auch durch sein öffentliches Mahnen, die Erinnerung an den Holocaust in der deutschen Gesellschaft zu verankern.
Zvi Asaria wurde am 8.9.1913 unter dem Namen Hermann Helfgott in dem Dorf Beodra (heute: Novo Miloševo, Serbien) als Sohn chassidischer Juden geboren. Beodra, in der Banatregion gelegen, gehörte damals zum ungarischen Teil der Habsburger Doppelmonarchie, wurde aber nach dem Ersten Weltkrieg dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugeteilt. Nach der Schulzeit am Gymnasium im nahe gelegenen Veliki Bečkerek (heute Zrenjanin, Serbien), folgte das Studium am neugegründeten jüdisch-theologischen Seminar in Sarajevo, bevor er 1934 nach Wien ging, um an der Philosophischen Fakultät der dortigen Universität die Promotion anzustreben und gleichzeitig der Rabbinerausbildung an der jüdisch-theologischen Lehranstalt zu folgen.
Diese Pläne wurden mit dem sogenannten Anschluss Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich zunichtegemacht und Helfgott musste nach Ungarn fliehen. An der dortigen Landesrabbinerschule Budapest und der Universität Budapest konnte er seine Studien im Jahre 1940 abschließen und kehrte als ordinierter Rabbiner und Doktor der Philosophie in das Banat zurück, wo er seine erste Stelle als Rabbiner antrat.
Nur wenige Wochen nach Stellenantritt wurde Helfgott als Militärrabbiner in die jugoslawische Armee eingezogen. Durch den Balkanfeldzug der Wehrmacht kam der Zweite Weltkrieg auch in das Königreich Jugoslawien. Helfgott geriet im Frühjahr 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Es erfolgte die Deportation in das Kriegsgefangenenlager Oflag XIII B in Nürnberg-Langwasser. Hier verbrachte er ein Jahr in Gefangenschaft. Im Mai 1942 wurde Helfgott und mit vielen seiner jüdischen Kameraden in das Kriegsgefangenenlager Oflag VI C bei Osnabrück verlegt. Unter Helfgotts Führung entstand innerhalb dieses Gewaltkontextes ein organisiertes religiöses Leben unter den jüdischen Soldaten.
Mit dem Vorrücken der alliierten Truppen von Westen begann im August 1944 die Räumung des Kriegsgefangenenlagers und Helfgott wurde auf eine monatelange Deportation geschickt. In Zugwaggons ging es zuerst von Osnabrück nach Straßburg, bevor im September 1944 die Deportation nach Barkenbrügge in Pommern (heute Polen) erfolgte. Hunger und mit dem einsetzenden Winter 1944/45 auch Kälte machten den Kriegsgefangenen zu schaffen.
Im Januar 1945 begann für Helfgott der Todesmarsch, der über 400 Kilometer weit bis in das brandenburgische Meyenburg führte. Wer zu schwach war, weiter zu laufen, wurde erschossen. Von Meyenburg wurden die Gefangenen mit dem Zug über Hamburg und Osnabrück in das Emslandlager Alexisdorf nahe der niederländischen Grenze gebracht. Mitte März 1945 ging es zu Fuß wieder Richtung Osten, bis nach Nienburg an der Weser. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gelang einer kleinen Gruppe um Helfgott in der Nähe des kleinen Dorfes Hodenhagen die Flucht.
Helfgott kam wenige Wochen nach seiner Befreiung zum ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen, das sich in den Wochen und Monaten nach Kriegsende zu einer Anlaufstelle für Überlebende des Holocaust, besonders aus Osteuropa, entwickelte. Auch wenn entsprechende Nachrichten bereits im Kriegsgefangenenlager die Runde gemacht hatten, erfuhr Helfgott erst hier vom Ausmaß des Holocausts, und dass seine ganze Familie von Deutschen ermordet worden war.
Im Lager für Displaced Persons übernahm Helfgott in seiner Rolle als Rabbiner bald eine wichtige Funktion. Die meisten dieser DPs hofften auf die Emigration in Drittstaaten. In DP-Lagern wuchs in den Monaten nach Kriegsende schnell eine unterstützende Infrastruktur heran.
Helfgott engagierte sich im Komitee der befreiten Juden in der Britischen Zone und war eine prominente Stimme in der jiddischsprachigen DP-Zeitung „Unzer Sztyme“. Im Sommer 1947 wurde er zum Oberrabbiner der Britischen Besatzungszone ernannt. Den britischen Stellen waren allerdings seine zionistischen Tätigkeiten und seine Unterstützung der geheimen jüdischen Auswanderung nach Mandatspalästina ein Dorn im Auge. Kurz nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14.5.1948 beschloss er, selbst nach Israel auszuwandern. Im September 1948 erreichte Helfgott den Hafen in Haifa und hebraisierte seinen Namen zu Zvi Asaria. Wie viele Einwanderer hatte Asaria Probleme, im jungen kriegsgebeutelten Staat eine angemessene Beschäftigung zu finden. Hoffnungen auf eine Anstellung als Rabbiner erwiesen sich bald als illusorisch. Die nächsten Jahre verdiente er sein Geld mit verschiedenen Tätigkeiten. 1950 heiratete Asaria die ursprünglich aus Antwerpen stammende Malka Bodner.
1953 kehrte Asaria nach Deutschland zurück. Mit dem Luxemburger-Abkommen 1952 hatten die Bundesrepublik Deutschland und Israel Reparationszahlungen vereinbart. Zur Umsetzung der Zahlungen – teilweise in Industriegütern getätigt – wurde in Köln die sogenannte Israel-Mission geschaffen. Asaria nahm in der Israel-Mission eine Stelle als Kulturattaché an und wurde zudem kurz nach seiner Ankunft zum Rabbiner der Kölner Synagogengemeinde berufen. Asaria wirkte entscheidend bei dem Wiederaufbau der Gemeinde mit, welcher seinen vorläufigen Höhepunkt am 20.9.1959 in der Wiedereinweihung der Synagoge in der Roonstraße im Beisein von Bundeskanzler Konrad Adenauer fand.

Zvi Asaria am Rednerpult, undatiert. (Synagogen-Gemeinde Köln)
Bereits in der folgenden Weihnachtsnacht, also am 24.12.1959 wurde die Synagoge von zwei Mitgliedern der rechtsextremen Deutschen Reichspartei (DRP) mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen geschändet. In den folgenden Wochen und Monaten kam es zu Hunderten antisemitischen Vorfällen in der Bundesrepublik. Diese sogenannte „Schmierenwelle“ rief im Inland und Ausland die Befürchtung hervor, dass der Nationalsozialismus doch noch eine große Anhängerschaft unter den Deutschen habe.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck des grassierenden Antisemitismus verließ Asaria Deutschland wieder Richtung Israel. Ab 1961 bekleidete er eine Halbtagsstelle als Rabbiner in Savyon, einer kleinen Gemeinde nahe Tel Aviv.
1966 kehrte er als Landesrabbiner von Niedersachsen nach Deutschland zurück. Die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen machten in den 1960er Jahren den Schritt vom Provisorium nach dem Holocaust zur Konsolidierung. Mehrere Synagogenneubauten entstanden, unter anderem in Osnabrück.

Schändung der Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen, 25.12.1959. (Synagogen-Gemeinde Köln)
Als Landesrabbiner spielte Asaria bei den Einweihungsfeiern oft eine herausgehobene Rolle. Ein Beitrag zur Erinnerungskultur bestand in seinem unermüdlichen Mahnen, der ausgelöschten Gemeinden in Niedersachsen zu gedenken. Als streitbarer Geist und überzeugter Zionist geriet er in Konflikt mit jüdischen Institutionen in Deutschland, doch in der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft wurde ihm vermehrt Anerkennung entgegengebracht. Auf seine Initiative hin wurden viele Gedenksteine an den Orten ehemaliger Synagogen oder jüdischer Friedhöfe errichtet.
Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahre 1971 widmete sich Asaria verstärkt seinen publizistischen Tätigkeiten. Auch in dieser Zeit blieb er ein häufiger Gast in Deutschland, besonders in Niedersachsen, wo er oft an Gedenkveranstaltungen teilnahm. 1998 wurde ihm vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (geboren 1944) der niedersächsische Verdienstorden 1. Klasse verliehen. Im Jahre 2000 nahm Asaria zum letzten Mal an einer Gedenkveranstaltung in Bergen-Belsen teil. Am 22.5.2002 verstarb Asaria nach längerer Krankheit in Savyon, Israel.
Durch sein Wirken hat Asaria viele Spuren in der jüdischen Geschichte in Deutschland nach dem Holocaust hinterlassen. Asaria war ein tiefgläubiger Mensch und ein streitbarer Kopf, der seine Wirkung in den verschiedenen Kontexten durch Beharrlichkeit erzielte. Seine historische Bedeutung ist erst in den letzten Jahren verstärkt in den öffentlichen Fokus gerückt.
Nachlass
Zvi Asaria Sammlung, Yad Vashem, Jerusalem, Israel.
Werke (Auswahl)
Die Juden in Köln.Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Köln 1959.
Das jüdische Kalendarium. Feste und Gebräuche, Köln 1960.
Wir sind Zeugen, Hannover 1975.
Die Juden in Niedersachsen. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leer 1979.
Literatur
Carlebach, Julius/Brämer, Andreas, Von der Befreiung zur Freiheit. Zvi Asaria (Hermann Helfgott) und Abraham J. Klausner als Rabbiner im Nachkriegsdeutschland, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 5 (1995), S. 387–412.
Musch, Sebastian/Rass, Christoph/Wolff, Frank, Hermann Helfgott-Zvi Asaria (1913-2002). Biografie, Gewaltmigration und jüdische Geschichte zwischen Niedersachsen, Deutschland und Israel, in: Osnabrücker Mitteilungen 124 (2019), S. 261-271.
Musch, Sebastian, Verflechtungen einer "Liquidationsgemeinde" zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland: Der Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde zu Köln in der frühen Bundesrepublik, in: Neumann-Thein, Philipp/Schuch, Daniel/Wegewitz, Markus (Hg.), „Organisiertes Gedächtnis“. Kollektive Aktivitäten von Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, Göttingen 2022, S. 400-424.

Rabiner Zvi Asaria und Kantor Moshe Kraus, undatiert. (Synagogen-Gemeinde Köln)
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Musch, Sebastian, Zvi Asaria (Hermann Helfgott), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/zvi-asaria-hermann-helfgott-/DE-2086/lido/67ea8077947619.56358365 (abgerufen am 20.04.2025)
Veröffentlicht am 03.04.2025, zuletzt geändert am 04.04.2025