Beschreibung

Am Siegburger Gewerkschaftshaus, dem Volkshaus, war ein Artikel einer SPD-Zeitung mit dem Titel "Nazis stahlen 18 Millionen Mark" ausgehangen. Daraufhin versuchten SA und SS, das Volkshaus zu stürmen. 16 Gewerkschafter und Sozialdemokraten hinderten SA und SS daran. Es folgte eine nächtliche Auseinandersetzung, bei der mit Ziegelsteinen geworfen wurde und Schüsse fielen. Der SS-Scharführer und Anstreichergehilfe Franz Müller starb nach einem Kopfschuss. In der Folgezeit wurden führende Gewerkschafter in Siegburg und im benachbarten Troisdorf von Nationalsozialisten angegriffen, während die Arbeiter in Troisdorfer Industriebetrieben mit Streik drohten. Im Juni 1933 fand die erste Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Bonn statt. Angeklagt waren sechs Sozialdemokraten wegen gemeinschaftlichen Totschlags, zehn weitere "wegen Angriffs mit tödlichem Ausgang" (§ 227 StGB). Eine Entlastungszeugin wurde von der NS-Presse beschimpft, ein Entlastungszeuge im Gerichtsflur misshandelt; bewaffnete SS besetzte den Gerichtssaal und drängte Verwandte der Angeklagten hinaus. Der Siegburger NS-Ortsgruppenleiter ließ das Gericht von Plänen wissen, die Angeklagten bei einem Ortstermin in Siegburg von einem Aachener SS-Kommando erschießen zu lassen; der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor von Hammel (geboren 1883), ließ daraufhin den Ortstermin absagen und verkündete am vierten Verhandlungstag: "Das Schwurgericht fühlt sich in seiner Entscheidung nicht frei und vertagt die Sache auf unbestimmte Zeit." - Im September 1933 kam es zur zweiten Hauptversammlung unter dem neuen nationalsozialistischen Landgerichtspräsidenten Dr. Weiland, der durch Bereitschaftspolizei mit Maschinengewehren den Ortstermin absichern ließ. Am 16.9.1933 wurden sechs Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Totschlags zu je acht bis zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt (insgesamt 61 Jahre); zehn Angeklagte wurden frei gesprochen. Dieses Urteil wurde um 26.3.1935 revidiert. Auch die sechs zuvor Verurteilten, die bereits zuvor entlassen worden waren, wurden freigesprochen. Die Wiederaufnahme des Verfahrens hatte der mutige Rechtsanwalt Dr. Grüne erreicht. Ihm war es gelungen, neue Zeugen zur Aussage zu bringen. Danach hatte die SS die Scheiben des Volkshauses eingeschlagen, erste Schüsse abgegeben und in der Tatnacht Einschusslöcher wieder verputzt. Nationalsozialisten wurden des Meineids überführt, der Siegburger Bürgermeister Dr. Ley und der Polizeikommissar von Braunschweig zum Rücktritt gezwungen. In dieser frühen Phase des NS-Systems funktionierten noch einige Instanzen des untergehenden Rechtsstaats.

Quellen

Gerichtsakten Bonn Az 143/33 (nach Schabrod)

Literatur

Flörken, Norbert, 15. Februar 1933, in: http:"www.floerken.de/serie1933/0215.htm Gröf, Wolfgang, Zwischen "Staatstreue" und Widerstand. Die Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933, Rede vom 2.5.2008, http:"nrwsued.verdi.de/data/GroefRede%20zum%202%20%20Mai%201933.pdf, 22.7.2009. Klein, Adolf, Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland. Zur Geschichte des Oberlandesgerichts Köln und der Gerichtsbarkeit in seinem Bezirk, in: Wolffram, Josef/Klein: Adolf (Hg. u. Bearb.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, Köln 1969, S. 113-264. Schabrod, Karl, Widerstand an Rhein und Ruhr 1933-1945, Düsseldorf 1969, S. 28.

Sicherheit: belegt