Molitor, Hansgeorg, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1515-1688). (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 3), Köln 2008

864 S., ISBN 978-3-7616-1346-7, 64 Euro

Johannes Kistenich (Bergisch Gladbach)

Epochen

Knapp ein hal­bes Jahr­hun­dert nach­dem der Bon­ner Kir­chen­his­to­ri­ker und Dom­ka­pi­tu­lar Wil­helm Neuß 1960 sei­ne Kon­zep­ti­on ei­ner „Ge­schich­te de­s Erz­bis­tums Köln“ ver­öf­fent­lich­te, kommt mit der hier an­ge­zeig­ten Pu­bli­ka­ti­on das fünf­bän­di­ge Ge­samt­werk zum Ab­schluss. Als „opus ma­gnum“ war die Ar­beit an die­sem Band gleich­sam ein aka­de­mi­scher Weg­be­glei­ter Hans­ge­org Mo­li­tors, in­zwi­schen eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für Rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te und Neue­re Ge­schich­te an der Hein­rich-Hei­ne-Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf. Die Durch­sicht des für ein sol­ches Hand­buch durch­aus um­fang­rei­chen Quel­len- und Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis­ses (S. 21-68) ist nicht nur ein Zeug­nis für die lan­ge, in­ten­si­ve Be­schäf­ti­gung des Ver­fas­sers mit der (Lan­des-) Ge­schich­te im kon­fes­sio­nel­len Zeit­al­ter, son­dern be­legt zu­gleich ein­drucks­voll, wie der Ver­fas­ser auch ein­schlä­gi­ge Un­ter­su­chun­gen zu die­sem The­men­ge­biet an­ge­sto­ßen und als wis­sen­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­ti­ons­ar­bei­ten be­glei­tet hat. Der Band stellt so­mit ge­ra­de­zu ei­ne Sym­bio­se ei­nes wich­ti­gen For­schungs­schwer­punk­tes des Au­tors dar.

Die Struk­tu­rie­rung des Ban­des ist im We­sent­li­chen in der Kon­zep­ti­on des Ge­samt­werks fest­ge­legt. Auf ei­ne Ein­ord­nung von welt­li­chem und geist­li­chem Spren­gel des Köl­ner Erz­bis­tums in die po­li­ti­schen und geis­ti­gen Zu­sam­men­hän­ge der Epo­che (S. 69-133) folgt die Rei­he von (Kurz-) Bio­gra­phi­en der Erz­bi­schö­fe in chro­no­lo­gi­scher Ab­fol­ge (S. 141-262), wo­bei den Amts­zei­ten und der Be­deu­tung der Amts­trä­ger im kon­fes­sio­nel­len Zeit­al­ter fol­gend ne­ben Her­mann V. von Wied und vor al­le­m Geb­hard Truch­seß von Wald­burg auch ­Sa­len­tin von Isen­burg un­d Fer­di­nand von Bay­ern be­son­de­re Auf­merk­sam­keit ge­wid­met wird. Den bio­gra­phi­schen Dar­stel­lun­gen der Bi­schö­fe „in ih­rer Zeit“ hat Mo­li­tor noch un­ter der Über­schrift „Das Bild des Bi­schofs und die Wirk­lich­keit in Köln“ ein ge­son­der­tes Ka­pi­tel vor­an­ge­stellt (S. 135-140), in dem er das „Span­nungs­feld zwi­schen geist­li­chen Auf­ga­ben und Re­gie­rungs­füh­run­g“ so­wie das Ide­al­bild des Bi­schofs nach den Be­schlüs­sen des Tri­den­ti­nums gleich­sam als Hin­ter­grund­fo­lie für die fol­gen­den Ein­zeldar­stel­lun­gen kon­tu­riert. Es schlie­ßt sich ein Haupt­ka­pi­tel zur In­sti­tu­tio­nen­ge­schich­te an, in der die Gre­mi­en und Funk­tio­nen der Lei­tung des Erz­bis­tums (Dom­ka­pi­tel, Ge­ne­ral­vi­ka­re, Weih­bi­schö­fe, Of­fi­zia­le und Kir­chen­rat) eben­so be­han­delt wer­den, wie die in­ter­me­diä­ren Ge­wal­ten (Ar­chiv­dia­ko­na­te und De­ka­na­te) so­wie die Ent­wick­lung der Pfar­rei­en (S. 263-330).

Ent­spre­chend dem prä­gen­den The­men­kom­plex im Un­ter­su­chungs­zeit­raum steht im Mit­tel­punkt des Buchs das Ka­pi­tel zu Re­form, Re­for­ma­ti­on und Ge­gen­re­for­ma­ti­on (S. 331-471). Es hat sich nach Auf­fas­sung des Re­zen­sen­ten be­währt, un­ter In­kauf­nah­me man­cher un­ver­meid­ba­rer Über­schnei­dun­gen mit an­de­ren Ka­pi­teln des Bu­ches an die­ser Stel­le mit ei­nem pro­fun­den Über­blick al­le we­sent­li­chen Ent­wick­lun­gen, Ak­teu­re, Grup­pie­run­gen und Fa­cet­ten der Er­eig­nis- und Struk­tu­rier­ge­schich­te zu­sam­men­fas­send dar­zu­stel­len. Auf dem ak­tu­el­len For­schungs­stand wer­den ne­ben den Re­for­ma­ti­ons­ver­su­chen Her­manns von Wied und des Geb­hard Truch­seß von Wald­burg bei­spiels­wei­se die Rol­le von den Au­gus­ti­nern für die frü­he Re­for­ma­ti­on, von Glau­bens­flücht­lin­gen und Täu­fern, die zeit­ge­nös­si­schen Dis­kur­se zu Lai­en­kelch, Kon­ku­bi­nat und Pries­ter­ehe so­wie die He­xen­ver­fol­gung be­han­delt.

Mit dem fünf­ten Ab­schnitt zu „Kle­rus und Klös­ter“ (S. 473-641) folgt die Pu­bli­ka­ti­on dann wie­der dem Stan­dard­sche­ma der Ge­samt­rei­he, wo­bei der Bo­gen vom Seel­sor­ge- und Stiftskle­rus über den Or­denskle­rus bis hin zu den Se­mi­re­li­gio­sen und or­den­s­ähn­li­chen Ge­mein­schaf­ten ge­spannt wird. Da­bei wer­den bei­spiels­wei­se in den Ab­schnit­ten zur Pries­ter­aus­bil­dung, zum Auf­kom­men neu­er Or­dens­ge­mein­schaf­ten, wie et­wa die Je­sui­ten und die Ur­su­li­nen, oder die aus Re­form­strö­mun­gen äl­te­rer Or­den her­vor­ge­hen­den neu­en Ge­mein­schaf­ten, wie zum Bei­spiel die Ka­pu­zi­ner und die Fran­zis­ka­ner-Re­kol­lek­ten (Ob­ser­van­ten), und zur Auf­he­bun­gen von Klös­tern wäh­rend der Re­for­ma­ti­ons­zeit („Sä­ku­la­ri­sa­tio­nen“) spe­zi­fi­sche As­pek­te im Un­ter­su­chungs­zeit­raum der Stu­die auf­ge­grif­fen. Ge­ra­de das 17. Jahr­hun­dert ist aus or­dens­ge­schicht­li­cher Sicht für den Nord­wes­ten des Al­ten Reichs und auch die Erz­diö­ze­se Köln ge­prägt von ei­nem re­gel­rech­ten „Grün­dungs­boom“, an dem stär­ker kon­tem­pla­tiv aus­ge­rich­te­te Strö­mun­gen eben­so An­teil hat­ten, wie sol­che, die bei­spiels­wei­se in Schul­un­ter­richt oder Kran­ken­pfle­ge ihr Apos­to­lat such­ten und ver­wirk­lich­ten. Die „Auf­tei­lun­g“ des Jahr­hun­derts auf die Bän­de 3 und 4 der Ge­schich­te des Erz­bis­tums lässt frei­lich die Be­deu­tung des 17. Jahr­hun­derts als Blü­te des Or­dens­we­sen erst in der Zu­sam­men­schau recht deut­lich er­kenn­bar wer­den.

Mit dem Ab­schnitt zu Kle­rus und Or­dens­we­sen spannt sich der Bo­gen in der Dar­stel­lung Mo­li­tors hin zu Ka­pi­tel 7 (Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, S. 763-797), kam doch das im Un­ter­su­chungs­zeit­raum grund­le­gend neu auf- und aus­ge­bau­te hö­he­re Schul­we­sen – so­wohl für Jun­gen als auch von Mäd­chen – seit Mit­te des 16. Jahr­hun­derts ganz über­wie­gend in die Hand von Or­den und or­den­s­ähn­li­chen Ge­mein­schaf­ten, sei es in der Ver­ant­wor­tung neu­er Or­den wie der Je­sui­ten, Wel­sch­non­nen oder Ur­su­li­nen, sei es, dass sich äl­te­re Or­den dem Schul­we­sen als neu­er Auf­ga­be ver­stärkt wid­me­ten wie bei­spiels­wei­se Mi­no­ri­ten, ein­zel­ne Pro­vin­zen der Fran­zis­ka­ner-Re­kol­lek­ten oder auch Drit­t­or­dens­ge­mein­schaf­ten. Der Ab­schnitt zum Col­le­gi­um Ger­ma­ni­cum als Aus­bil­dungs­in­sti­tut für an­ge­hen­de Pries­ter in Rom schlägt noch ein­mal den Bo­gen zum Un­ter­ka­pi­tel Pries­ter­aus­bil­dung in Ka­pi­tel 5.

Im Ka­pi­tel zu „Seel­sor­ge und Fröm­mig­keit“ (S. 643-761) schlie­ß­lich bie­ten ins­be­son­de­re die Aus­füh­run­gen zur Rol­le des Buch­drucks, der Um­gang mit den Sa­kra­men­ten und Hei­li­gen­kult vor dem Hin­ter­grund der re­for­ma­to­ri­schen Kri­tik, Kon­ti­nui­tä­ten und Wei­ter­ent­wick­lun­gen im Bru­der­schafts­we­sen so­wie zu Pro­zes­sio­nen und Wall­fahr­ten wich­ti­ge Hin­wei­se für die zeit­ge­nös­si­schen Ent­wick­lun­gen.

Die Be­nutz­bar­keit des Hand­buchs wird ne­ben der kla­ren Glie­de­rung ins­be­son­de­re durch ein aus­führ­li­ches Orts-, Per­so­nen und Sach­re­gis­ter (S. 817-864) ge­währ­leis­tet. Be­wusst ver­zich­tet hat der Ver­fas­ser auf Kar­ten­ma­te­ri­al, um statt­des­sen auf an­dern­orts ge­druck­te Kar­ten zu ver­wie­sen. Auch wenn für den Le­ser des Ban­des an­ge­sichts der er­freu­lich häu­fig mit kon­kre­ten Bei­spie­len „vor Or­t“ an­ge­rei­cher­ten Dar­stel­lung zu­wei­len ei­ne kar­to­gra­phi­sche Ori­en­tie­rung hilf­reich wä­re, so bie­ten dem Nut­zer der Ge­samt­rei­he an­ge­sichts ei­ner wei­test­ge­hend sta­bi­len räum­li­chen Ab­gren­zung und Bin­nen­glie­de­rung die Kar­ten im ers­ten Teil von Wil­helm Jans­sens Band zum Spät­mit­tel­al­ter so­wie im vier­ten Band Edu­ard He­gels schon wich­ti­ge An­ker­punk­te.

Der drit­te Band der Ge­schich­te des Erz­bis­tums Köln stellt Kon­ti­nui­tä­ten und Wand­lun­gen an­ge­fan­gen von den amts­kirch­li­chen Struk­tu­ren bis hin zur Fröm­mig­keits­pra­xis im Zeit­al­ter der Kon­fes­sio­na­li­sie­rung in ein­drucks­vol­ler Brei­te dar. Das Mit-, Ne­ben- und Ge­gen­ein­an­der der Strö­mun­gen „von oben“ und „von un­ten“ wer­den dem Le­ser in ex­em­pla­ri­scher Kon­kre­ti­sie­rung und in ei­ner für ei­nen brei­te­ren Adres­sa­ten­kreis ver­ständ­li­chen Form und Spra­che vor Au­gen ge­stellt. Der Band ist der ge­lun­ge­ne Schluss­stein ei­nes im­po­san­ten Ge­samt­werks. (Erst­ver­öf­fent­li­chung in: Rhei­ni­sche Vier­tel­jah­res­blät­ter 74(2010), S. 332-334).

Zitationshinweis

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Kistenich, Johannes, Molitor, Hansgeorg, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1515-1688). (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 3), Köln 2008, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/molitor-hansgeorg-das-erzbistum-koeln-im-zeitalter-der-glaubenskaempfe-1515-1688.-geschichte-des-erzbistums-koeln-band-3-koeln-2008/DE-2086/lido/57d16d93812383.01640142 (abgerufen am 29.03.2024)