Theodor von Guérard

Reichsminister (1863–1943)

Joachim Lilla (Krefeld)

Theodor von Guérard, Porträtfoto, 1928. (Bundesarchiv, Bild 102-06783)

Karl Theo­dor von Gué­r­ard durch­lief zu­nächst die klas­si­sche Lauf­bahn ei­nes Ver­wal­tungs­ju­ris­ten, die ihn un­ter an­de­rem an die Spit­ze des Land­rats­amts Mons­chau, dann in füh­ren­de Stel­lun­gen bei der Re­gie­rung in Ko­blenz und dem Ober­prä­si­di­um der Rhein­pro­vinz führ­te. Nach dem Ers­ten Welt­krieg be­tä­tig­te er sich auch po­li­tisch-par­la­men­ta­risch für die Zen­trunmspar­tei als Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ter. Er be­klei­de­te in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik die Äm­ter des Reichs­ver­kehrs­mi­nis­ters, des Reichs­jus­tiz­mi­nis­ters so­wie des Reichs­mi­nis­ters für die be­setz­ten Ge­bie­te.

Karl Theo­dor von Gué­r­ard wur­de am 29.12.1863 in Ko­blenz als Sohn des Ober­ge­richts­pro­ku­ra­tors in Ko­blenz, dann Ers­ten Staats­an­walts in Düs­sel­dorf, Bern­hard von Gué­r­ard (1825–1882) und sei­ner Frau Eleo­no­re ge­bo­re­ne Kehr­mann (1829–1905) ge­bo­ren; die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch und hat­te loth­rin­gi­schen Adels­stand (Lun­é­vil­le 29.5.1723). Der Sohn be­such­te das Gör­res-Gym­na­si­um in Düs­sel­dorf, leg­te dort Os­tern 1882 das Ab­itur ab und stu­dier­te an­schlie­ßend Rechts- und Staats­wis­sen­schaf­ten in Frei­burg i.Br., Bonn und Ber­lin. Nach Ab­le­gung des ers­ten Staats­ex­amens am 12.12.1885 wur­de er am 24. De­zem­ber zum Ge­richts­re­fe­ren­dar er­nannt und am 2.1.1886 beim Amts­ge­richt Ger­res­heim (heu­te Stadt Düs­sel­dorf) ver­ei­digt. Wei­te­re Sta­tio­nen des Vor­be­rei­tungs­diens­tes wa­ren das Land­ge­richt, die Staats­an­walt­schaft und das Amts­ge­richt in Düs­sel­dorf. Am 16.8.1888 wur­de er als Re­gie­rungs­re­fe­ren­dar in die in­ne­re Ver­wal­tung über­nom­men und setz­te sei­ne Aus­bil­dung bei den Re­gie­run­gen Düs­sel­dorf und Han­no­ver fort. Die Gro­ße Staats­prü­fung leg­te er im Mai 1891 ab. Am 12.10.1891 hei­ra­te­te er in Düs­sel­dorf Hed­wig Moo­ren (1871–1950), Toch­ter des Au­gen­arz­tes Pro­fes­sor Dr. Al­bert Moo­ren (1828–1899); aus der Ehe gin­gen zwei Söh­ne und zwei Töch­ter her­vor. 

 

Am 21.6.1891 trat er als Re­gie­rungs­as­ses­sor bei der Re­gie­rung Pots­dam ein. Wäh­rend sei­ner Dienst­zeit in Pots­dam war er un­ter an­de­rem Vor­sit­zen­der be­zie­hungs­wei­se stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der meh­re­rer Schieds­ge­rich­te zur Durch­füh­rung der In­va­li­di­täts- und Al­ters­ver­si­che­rung in Bran­den­burg, stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der der Bran­den­bur­gi­schen land­wirt­schaft­li­chen Be­rufs­ge­nos­sen­schaft, Vor­sit­zen­der der Schieds­ge­rich­te der Kom­mu­nal­ver­bän­de West­prie­gnitz und Ober­bar­nim in Per­le­berg und Frei­en­wal­de an der Oder. Aus die­ser Stel­lung wur­de er am 29.4.1898 kom­mis­sa­risch mit der Ver­wal­tung des Land­rats­amts des Krei­ses Mons­chau be­auf­tragt. Die de­fi­ni­ti­ve Be­stal­lung als Land­rat er­folg­te am 9. No­vem­ber. In die­ser Stel­lung ver­blieb er bis zum 1.4.1905, als er zum Re­gie­rungs­rat bei der Re­gie­rung in Ko­blenz er­nannt wur­de. Dort war er über­wie­gend in der Ab­tei­lung I (Prä­si­di­al­ab­tei­lung) tä­tig, wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges, an dem er als Haupt­mann der Re­ser­ve teil­nahm, wur­de ihm der Ti­tel Ge­hei­mer Re­gie­rungs­rat ver­lie­hen. Im Ok­to­ber 1921 wech­sel­te er als Ober­re­gie­rungs­rat an das Ober­prä­si­di­um der Rhein­pro­vinz in Ko­blenz. In der Zwi­schen­zeit war von Gué­r­ard auch po­li­tisch ak­tiv ge­wor­den: Er war nach 1918 dem Zen­trum bei­ge­tre­ten, ge­hör­te von Ju­ni 1920 bis Sep­tem­ber 1930 dem Reichs­tag an, je­weils ge­wählt im Wahl­kreis Ko­blenz-Trier. Am 27.9.1921 wur­de er stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der, am 22.5.1926 ge­schäfts­füh­ren­der Vor­sit­zen­der und am 1.12.1927 Vor­sit­zen­der der Reichs­tags­frak­ti­on des Zen­trums. 1925 wur­de er in den Reichs­aus­schuss der Zen­trums­par­tei ge­wählt. In der Par­tei stand er zu­nächst dem kon­ser­va­ti­ven Flü­gel na­he, par­la­men­ta­risch wirk­te er im Haus­halts­aus­schuss, im Steu­er­aus­schuss, im volks­wirt­schaft­li­chen Aus­schuss und im Pe­ti­ti­ons­aus­schuss mit. 1924 setz­te er sich noch für ei­ne Ko­ali­ti­on mit den Deutsch­na­tio­na­len ein, voll­zog je­doch in der Fol­ge­zeit ei­ne Links­ori­en­tie­rung. Nach­dem die Re­gie­rung Marx IV am 12.6.1928 de­mis­sio­nie­ren muss­te - nicht zu­letzt we­gen der zwie­lich­ti­gen Rol­le von Gué­r­ards bei den Ver­hand­lun­gen über das Reichs­schul­ge­setz - und am 28. Ju­ni durch die Re­gie­rung Her­mann Mül­ler II (28.6.1928-27.3.1930) er­setzt wur­de, trat von Gué­r­ard als zu­nächst ein­zi­ger Ver­tre­ter des Zen­trums in die neue, aus SPD, DVP, DDP, Zen­trum und BVP ge­bil­de­te Re­gie­rung ein. Ihm wur­de das Res­sort des Reichs­ver­kehrs­mi­nis­ters über­tra­gen und gleich­zei­tig mit der Lei­tung des Reichs­mi­nis­te­ri­ums für die be­setz­ten Ge­bie­te be­auf­tragt. Im Zu­sam­men­hang mit sei­ner Er­nen­nung zum Reichs­ver­kehrs­mi­nis­ter wur­de er „auf Nach­su­chen“ aus dem Staats­dienst ent­las­sen. Ein gu­tes hal­bes Jahr spä­ter, am 6.2.1929, trat er als Reichs­mi­nis­ter zu­rück, weil das Zen­trum ei­ne noch stär­ke­re per­so­nel­le Be­rück­sich­ti­gung in der Reichs­re­gie­rung for­der­te.

  Nach lan­gen Ver­hand­lun­gen wur­den dem Zen­trum im Zu­ge ei­ner Um­bil­dung der Reichs­re­gie­rung am 13.4.1929 dann drei Res­sorts zu­ge­stan­den, ne­ben von Gué­r­ard, der als Reichs­mi­nis­ter der Jus­tiz an den Ka­bi­netts­tisch zu­rück­kehr­te, ge­hör­ten der neu­en Re­gie­rung für das Zen­trum noch Adam Ste­ger­wald (1874-1945) als Reichs­ver­kehrs­mi­nis­ter und Jo­seph Wirth (1879-1956) als Reichs­mi­nis­ter für die be­setz­ten Ge­bie­te an. An der Spit­ze des Jus­tiz­res­sorts wi­der­setz­te sich von Gué­r­ard in strik­ter An­leh­nung an die Grund­sät­ze der Zen­trums­par­tei ei­ner Re­form des Ehe­schei­dungs­rechts. Nach der Bil­dung der Re­gie­rung un­ter Reichs­kanz­ler Hein­rich Brü­ning kehr­te er am 30.3.1930 wie­der an die Spit­ze des Reichs­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums zu­rück. Bei der Reichs­tags­wahl am 14.9.1930 wur­de er nicht mehr in den Reichs­tag ge­wählt, nach­dem ihn das Zen­trum (wohl ge­gen sei­nen Wil­len) nicht mehr als Kan­di­da­ten auf­ge­stellt hat­te, we­der im Wahl­kreis Ko­blenz-Trier noch auf dem Reichs­wahl­vor­schlag. An­läss­lich der Um­bil­dung der Re­gie­rung Brü­ning im Herbst 1931 schied er am 10.10.1931 aus dem Amt, ei­ner­seits, weil Reichs­prä­si­dent von Hin­den­burg den Rück­zug meh­re­rer Mi­nis­ter des Zen­trums wünsch­te. An­de­rer­seits, und das dürf­te ein wei­te­rer Grund für sein Aus­schei­den aus der Reichs­re­gie­rung ge­we­sen sein, war es ihm wäh­rend sei­ner Amts­zeit nicht ge­lun­gen, den Ein­fluss der Reichs­re­gie­rung auf das grö­ß­te öf­fent­li­che Ver­kehrs­un­ter­neh­men, die Deut­sche Reichs­bahn-Ge­sell­schaft (DRG) zu stär­ken. Die­se hat­te ei­ne ju­ris­tisch kom­pli­zier­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­form, nach ih­rer Ge­schäfts­ord­nung wa­ren „die Stel­len der [Reichs­bahn-]Ge­sell­schaft kei­ne Be­hör­den oder amt­li­chen Stel­len des Reichs“, be­hiel­ten je­doch „die öf­fent­lich recht­li­chen Be­fug­nis­se in glei­chem Um­fang wie bis­her“, das von der Reichs­re­gie­rung zwar zu be­set­zen­de, von ihr aber un­ab­hän­gi­ge Auf­sichts- und Kon­troll­or­gan war der Ver­wal­tungs­rat. Ei­ne be­son­de­re öf­fent­li­che Rol­le hat von Gué­r­ard in der Fol­ge­zeit nicht mehr ge­spielt. Er starb am 21.7.1943 im west­fä­li­schen Ahaus. 

Quellen

Ak­ten der Reichs­kanz­lei. Wei­ma­rer Re­pu­blik: Das Ka­bi­nett Mül­ler II (1928–1930), be­arb. von Mar­tin Vogt, Bop­pard 1970. - Das Ka­bi­nett Brü­ning I (1930 bis 1931), be­arb. von Til­mann Ko­ops, Bop­pard 1982. - (on­line-Edi­ti­on:  http-blank://www.bun­des­ar­chiv.de/ak­ten­reichs­kanz­lei/1919-1933/0000/in­dex.html (16.11.2011).
Mi­nis­te­ri­al­blatt für die preu­ßi­sche in­ne­re Ver­wal­tung 1921, 1928.
Preu­ßi­sche Staats­hand­bü­cher 1914, 1918, 1922, 1925–1928.

Literatur

Haun­fel­der, Bernd, Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te der Deut­schen Zen­trums­par­tei. Bio­gra­phi­sches Hand­buch und his­to­ri­sche Bio­gra­phi­en, Düs­sel­dorf 1999, S. 314-315.
Ro­meyk, Horst, Die lei­ten­den staat­li­chen und kom­mu­na­len Ver­wal­tungs­be­am­ten der Rhein­pro­vinz 1816–1945, Düs­sel­dorf 1994, S. 488.
Schu­ma­cher, Mar­tin, M.d.R. Die Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Wei­ma­rer Re­pu­bli­k in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Po­li­ti­sche Ver­fol­gung, Emi­gra­ti­on und Aus­bür­ge­rung 1933–1945. Ei­ne bio­gra­phi­sche Do­ku­men­ta­ti­on, 3. er­wei­ter­te Auf­la­ge, Düs­sel­dorf 1994, S. 499.

Online

Be­cker, Jo­sef, „Gué­r­ard, Theo­dor von“, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 7 (1966), S. 280-281. [On­line]

Theodor von Guérard (stehend, 2.v.r.) als Mitglied des Kabinetts Hermann Müller, Juni 1928. (Bundesarchiv, Bild 146-1980-129-18A / Willi Ruge)

 
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Theodor von Guérard, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/theodor-von-gu%25C3%25A9rard/DE-2086/lido/57c6da3bdfd582.57846633 (abgerufen am 28.03.2024)