Mathilde von Mevissen

Frauenrechtlerin (1848-1924)

Barbara Hohmann (Lohmar)

Mathilde von Mevissen, Porträtfoto. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

Mat­hil­de von Me­vis­sen war ei­ne Toch­ter de­s Köl­ner Un­ter­neh­mers Gus­tav von Me­vis­sen, des­sen um­fang­rei­ches kul­tu­rel­les En­ga­ge­ment sie nach sei­nem Tod fort­setz­te. Mit ih­ren In­itia­ti­ven zur Ver­bes­se­rung der Bil­dungs­mög­lich­kei­ten von Mäd­chen und Frau­en wur­de sie zu ei­ner der be­deu­tends­ten Frau­en­recht­le­rin­nen des 19. und 20. Jahr­hun­derts.

Mat­hil­de von Me­vis­sen wur­de am 30.7.1848 als Toch­ter von Gus­tav Me­vis­sen und Eli­sa­beth Lei­den (1822–1857) in Köln ge­bo­ren. Ihr Va­ter ge­hör­te zu den her­aus­ra­gen­den rhei­ni­schen Un­ter­neh­mern und Wirt­schafts­po­li­ti­kern des 19. Jahr­hun­derts. Die Mut­ter Eli­sa­beth stamm­te aus der an­ge­se­he­nen Köl­ner Wein­händ­ler­fa­mi­lie Lei­den, zu de­ren Kreis auch die be­kann­ten Fa­mi­li­en Op­pen­heim, Stein, Mül­hens, Her­statt und Cam­phau­sen ge­hör­ten.

 

Von Kind­heit an er­leb­te Mat­hil­de, wie ihr Va­ter in gro­ßzü­gi­ger Wei­se Kunst und Wis­sen­schaft för­der­te. Im Zu­sam­men­hang mit der Fi­nan­zie­rung und Er­rich­tung der Han­dels­hoch­schu­le in Köln wur­de Me­vis­sen von Kai­ser Wil­helm I. (Re­gie­rungs­zeit 1871-1888) im Jah­re 1884 in den erb­li­chen Adels­stand er­ho­ben. Mat­hil­de er­leb­te auch, wie bei Re­prä­sen­ta­tio­nen im Hau­se Me­vis­sen Kos­ten kei­ne Rol­le spiel­ten, per­sön­li­cher Lu­xus aber nicht ge­dul­det wur­de. Von die­ser Le­bens­hal­tung wur­de Mat­hil­de so ge­prägt, dass sie spä­ter – als sie nach dem Tod des Va­ters selbst über das gro­ße Ver­mö­gen der Fa­mi­lie Me­vis­sen ver­fü­gen konn­te – ih­re fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten eben­so wie ihr Va­ter für die All­ge­mein­heit ein­setz­te.

Ein­zel­hei­ten über den All­tag und die At­mo­sphä­re im Hau­se Me­vis­sen ent­hält ein Ma­nu­skript „Die Töch­ter über ih­ren Va­ter Gus­tav von Me­vis­sen", das Mat­hil­de im Jah­re 1901 ver­fasst hat. Dar­in be­schreibt sie ih­re Kind­heit als „vor­nehm und herr­schaft­lich, oh­ne ba­na­len Lu­xus", über­ra­schen­der­wei­se aber auch „oh­ne ech­te geis­ti­ge Bil­dung". Wäh­rend der Va­ter ne­ben sei­nen vie­len be­ruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen sich zeit­le­bens für Po­li­tik, Li­te­ra­tur, Ge­schich­te und Phi­lo­so­phie in­ter­es­sier­te und ei­ne Bi­blio­thek mit et­wa 25.000 Bän­den auf­bau­te, über­ließ er die Bil­dung sei­ner fünf Töch­ter Er­zie­he­rin­nen und Haus­leh­rern, de­ren „scha­blo­nen­haf­ter Un­ter­richt" für Mat­hil­de nur „Last und Qual" war. Al­les, was Mäd­chen da­mals ler­nen durf­ten, be­traf ih­re spä­te­re Rol­le als Ehe­frau, Haus­frau und Mut­ter. Drei ih­rer Schwes­tern er­reich­ten die­ses Er­zie­hungs­ziel und hei­ra­te­ten Söh­ne an­ge­se­he­ner Köl­ner Ban­kiers- und Ju­ris­ten-Fa­mi­li­en.

Mat­hil­de und ih­re Schwes­ter Me­la­nie (1853-1923) blie­ben un­ver­hei­ra­tet. Die bei­den Schwes­tern leb­ten - wie die meis­ten un­ver­hei­ra­te­ten Frau­en des Bür­ger­tums im 19. Jahr­hun­dert - wei­ter im El­tern­haus, stan­den dort „un­aus­ge­setzt für die Pflich­ten der Haus­frau zur Ver­fü­gung, be­rei­te­ten Ge­sell­schaf­ten und Fes­te vor oder gin­gen auf Rei­sen". Selbst den er­wach­se­nen Töch­tern setz­te Gus­tav von Me­vis­sen en­ge Gren­zen, in­dem er Lek­tü­re, Post und den per­sön­li­chen Um­gang streng kon­trol­lier­te. Die Frau­en­recht­le­rin He­le­ne Lan­ge (1848–1930) cha­rak­te­ri­sier­te die ers­te Le­bens­hälf­te von Mat­hil­de von Me­vis­sen als das „in­halts­lee­re Da­sein ei­ner un­ver­hei­ra­te­ten Frau im Groß­bür­ger­tum des 19. Jahr­hun­derts oh­ne ech­te Auf­ga­be und oh­ne in­tel­lek­tu­el­len An­spruch".

Um das Jahr 1890 trat je­doch im Le­ben von Mat­hil­de von Me­vis­sen ei­ne Wen­de ein. Die bür­ger­li­che Frau­en­be­we­gung mit ih­ren hef­ti­gen Dis­kus­sio­nen über die so ge­nann­te „Frau­en­fra­ge" hat­te auch die Fa­mi­lie Me­vis­sen er­reicht. Mit 42 Jah­ren schrieb Mat­hil­de in ihr Ta­ge­buch: „Die Frau­en­fra­ge in­ter­es­siert mich! Da ich aber un­glück­lich war und wohl et­was un­ter­drückt, ha­be ich mir fest vor­ge­nom­men, in die­ser Fra­ge kein Wort mehr zu sa­gen, bis ich in­ner­lich ab­ge­klärt und mei­ne An­sich­ten von al­len per­sön­li­chen Ver­hält­nis­sen frei sind. Mei­ne Er­fah­run­gen kann ich nüt­zen – mei­ne Er­bit­te­rung nicht! Ich will su­chen ins Gan­ze zu se­hen über mein er­bärm­li­ches Ich weg."

Die­se Äu­ße­run­gen zei­gen, wie schwer es für Mat­hil­de von Me­vis­sen war, sich in ih­rem Um­feld of­fen zur Frau­en­be­we­gung und de­ren Zie­len zu be­ken­nen. Noch in den Jah­ren 1893 und 1894, als Mat­hil­de ge­mein­sam mit ih­rer Freun­din Eli­sa­beth Mumm von Schwar­zen­stein (1860-1937) ei­ne Han­dels­schu­le für Mäd­chen und den „Köl­ner Frau­en­fort­bil­dungs­ver­ein" grün­de­te, wur­de ihr von ih­rem Va­ter „un­ge­bühr­li­ches" Ver­hal­ten vor­wor­fen. Mat­hil­de ver­folg­te je­doch in­zwi­schen un­be­irrt, was sie „für recht und sitt­lich ein­wand­frei er­kannt" hat­te. Nach­dem Mat­hil­de von Me­vis­sen in­ten­siv den Kampf um Zu­las­sung von Frau­en zum Stu­di­um ver­folgt hat­te, war sie zu der Über­zeu­gung ge­kom­men, dass aka­de­mi­sche Bil­dung für Frau­en nur zu er­rei­chen sei, wenn sie die­sel­ben Bil­dungs­vor­aus­set­zun­gen er­füll­ten wie Män­ner. Zur Ver­bes­se­rung der Mäd­chen­bil­dung in Köln kam für sie aus­schlie­ß­lich ein hu­ma­nis­ti­sches Mäd­chen­gym­na­si­um in Be­tracht. Nach ein­jäh­ri­ger be­harr­li­cher Wer­bung für die­ses Vor­ha­ben im Be­kann­ten- und Freun­des­kreis in Köln und dar­über hin­aus so­wie mit Un­ter­stüt­zung des da­ma­li­gen Stadt­ar­chi­vars Jo­seph Han­sen fand am 14.1.1899 die Grün­dungs­ver­samm­lung des „Ver­eins Mäd­chen­gym­na­si­um Köln" statt. Nach um­fang­rei­chen Vor­ar­bei­ten leg­te der Ver­ein im Ok­to­ber 1899 dem preu­ßi­schen Kul­tus­mi­nis­ter Kon­rad von Studt (1838-1921) ei­ne Pe­ti­ti­on vor mit dem An­trag, Os­tern 1900 ein hu­ma­nis­ti­sches Mäd­chen­gym­na­si­um in Köln mit den Un­ter­richts­stu­fen Sex­ta und Un­ter­ter­tia er­öff­nen zu dür­fen. Zur gro­ßen Ent­täu­schung der Mit­glie­der wur­de die­se Pe­ti­ti­on vom Kul­tus­mi­nis­te­ri­um in Ber­lin um­ge­hend ab­ge­lehnt ge­nau wie die fol­gen­de, noch ein­ge­hen­der er­ar­bei­te­te Pe­ti­ti­on vom No­vem­ber 1900, und zwar mit der Be­grün­dung, dass „es kein all­ge­mei­nes Be­dürf­nis nach ge­lehr­ten Schu­len für Mäd­chen" gä­be.

Wäh­rend die meis­ten Mit­glie­der des Ver­eins durch die­se Rück­schlä­ge im­mer mehr dar­an zwei­fel­ten, ob das an­ge­streb­te Ziel über­haupt je zu er­rei­chen sei, kämpf­te Mat­hil­de von Me­vis­sen wei­ter mit Aus­dau­er und Be­harr­lich­keit. Erst nach ei­ner wei­te­ren Pe­ti­ti­on vom Ja­nu­ar 1901, die als „Denk­schrift an die Kon­fe­renz über das Hö­he­re Mäd­chen­schul­we­sen" ge­rich­tet wur­de und nach per­sön­li­chen Ge­sprä­chen von Mat­hil­de von Me­vis­sen und Jo­seph Han­sen mit dem Kul­tus­mi­nis­ter von Studt in Ber­lin kam es zu ei­nem Kom­pro­miss: Mit Schrei­ben vom 5.7.1902 er­hielt der Ver­ein Mäd­chen­gym­na­si­um in Köln die Ge­neh­mi­gung, „ver­suchs­wei­se ei­nen sechs­jäh­ri­gen Lehr­gang für Mäd­chen ein­zu­rich­ten, der zum Ab­itur führt."

Gut vier Jah­re nach der Grün­dung des Ver­eins be­gann am 29.4.1903 für 18 Schü­le­rin­nen im Al­ter von zwölf bis 14 Jah­ren der Un­ter­richt. Mat­hil­de von Me­vis­sen hat­te ein Haus am Apos­teln­klos­ter in Köln als Schul­ge­bäu­de an­ge­mie­tet und mit ei­ner Stif­tung von 105.000 Mark die Grund­la­ge für das Schul­ver­mö­gen ge­legt. Nach der preu­ßi­schen Re­form des Mäd­chen­schul­we­sens im Jah­re 1908 wur­de die Schu­le als voll­wer­ti­ges Mäd­chen­gym­na­si­um von der Stadt Köln über­nom­men, im Jah­re 1917 mit ei­nem päd­ago­gi­schen Se­mi­nar er­wei­tert und 1922 aus ver­wal­tungs­tech­ni­schen Grün­den mit dem Mer­lo-Ly­ze­um zur Mer­lo-Me­vis­sen-Schu­le ver­ei­nigt. Mat­hil­de von Me­vis­sen blieb „ih­rer" Schu­le ihr gan­zes Le­ben lang ide­ell und fi­nan­zi­ell eng ver­bun­den. Im Jahr 1909 ging der Ver­ein „Mäd­chen­gym­na­si­um Köln" un­ter Nut­zung des Mit­glie­der­po­ten­ti­als in den „Ver­ein Frau­en­stu­di­um" über. Die­ser för­der­te pro Se­mes­ter bis zu 16 Stu­den­tin­nen durch­schnitt­lich mit je­weils 600 Mark. Zwei bis drei Stu­den­tin­nen wur­den jähr­lich von Mat­hil­de per­sön­lich fi­nan­ziert. Al­len jun­gen Frau­en aber stand Mat­hil­de von Me­vis­sen bei der Be­wäl­ti­gung ih­res oft schwie­ri­gen Uni­ver­si­täts­all­tags hilf­reich zur Sei­te.

Nach dem Tod des Va­ters im Jahr 1899 wur­de der Ein­satz für ei­ne bes­se­re Mäd­chen­bil­dung zu Mat­hil­des al­lei­ni­gem Le­bens­in­halt. Ge­mein­sam mit an­de­ren Frau­en Kölns grün­de­te sie ei­ne „Rechts­schutz­stel­le für Frau­en", setz­te sich für das Frau­en­stimm­recht ein und war im Vor­stand der Na­tio­nal­li­be­ra­len Par­tei. Sie konn­te dank ih­res gro­ßen Ver­mö­gens vie­le Ak­tio­nen der Frau­en­be­we­gung un­ter­stüt­zen und för­der­te die von ih­rem Va­ter in­iti­ier­te Han­dels­hoch­schu­le in gro­ßzü­gi­ger Form. Als Krö­nung ih­res Le­bens emp­fand sie, dass die­se Schu­le im Jah­re 1919 als Be­triebs- und Volks­wirt­schaft­li­che Fa­kul­tät in die neu er­öff­ne­te Uni­ver­si­tät zu Köln über­nom­men wur­de. Als Dank und An­er­ken­nung da­für wur­de jähr­lich ein „Me­vis­sen-Tag" be­gan­gen. Zu ih­rem 75. Ge­burts­tag wur­de sie vom Rek­tor „mit dank­ba­rer Ver­eh­rung zur Eh­ren­bür­ge­rin der Uni­ver­si­tät" er­nannt.

Am 19.3.1924 ist Mat­hil­de von Me­vis­sen ge­stor­ben. Sie wur­de in der Fa­mi­li­en­gruft, die heu­te noch auf dem Köl­ner Fried­hof Me­la­ten exis­tiert, bei­ge­setzt. Bei der Ge­dächt­nis­fei­er im Gro­ßen Saal des Gür­ze­nich ein hal­bes Jahr spä­ter wa­ren sich al­le An­we­sen­den in der Ver­pflich­tung ei­nig, Mat­hil­de von Me­vis­sen und ihr Wir­ken für Köln nie­mals zu ver­ges­sen.

In den 1990er Jah­ren er­fuhr Mat­hil­de von Me­vis­sen noch ein­mal ei­ne spä­te Eh­rung. Nach ei­nem Rats­be­schluss der Stadt Köln soll­te der im Zwei­ten Welt­krieg zer­stör­te Rat­haus­turm re­stau­riert und wie­der mit 124 Fi­gu­ren von Per­sön­lich­kei­ten aus der 2000-jäh­ri­gen Ge­schich­te der Stadt Köln ge­schmückt wer­den. Da­zu zähl­ten al­ler­dings zu­nächst nur fünf Frau­en. Erst nach dem Pro­test von Köl­ner Rats­frau­en und dem Köl­ner Frau­en­geschichts­ver­ein wur­de die „Frau­en­quo­te" auf 18 er­höht. Dar­un­ter war dann auch Mat­hil­de von Me­vis­sen. Die vom Köl­ner Bild­hau­er Sepp Hür­ten (ge­bo­ren 1928) an­ge­fer­tig­te Fi­gur steht auf der West­sei­te des Rat­haus­tur­mes im drit­ten Ober­ge­schoss.

Literatur

Am­ling, Eli­sa­beth, Mat­hil­de v. Me­vis­sen 1848-1924, in: „10 Uhr pünkt­lich Gür­ze­nich" – Hun­dert Jah­re be­weg­te Frau­en in Köln. Zur Ge­schich­te der Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne, hg. vom Köl­ner Frau­en­geschichts­ver­ein, Müns­ter 1995, S. 49-51.
Am­ling, Eli­sa­beth, „Un­ver­kürz­te hu­ma­nis­ti­sche Gym­na­si­al­bil­dung auch für Frau­en". Der Köl­ner Ver­ein Mäd­chen­gym­na­si­um, in: „10 Uhr pünkt­lich Gür­ze­nich" – Hun­dert Jah­re be­weg­te Frau­en in Köln.  Zur Ge­schich­te der Or­ga­ni­sa­tio­nen und Ver­ei­ne, hg. vom Köl­ner Frau­en­geschichts­ver­ein, Müns­ter 1995, S. 37-47.
Gör­gen-Schmick­ler, El­ke, War­um nicht auch Mäd­chen? Die Ge­schich­te des Ver­eins Mäd­chen­gym­na­si­um zu Köln (1887–1902), Sieg­burg 1994.
Hoh­mann, Bar­ba­ra, „Da ich un­glück­lich war und wohl et­was un­ter­drückt" – Mat­hil­de von Me­vis­sen und die Mäd­chen­bil­dung, in: Jahr­buch des Köl­ni­schen Ge­schichts­ver­ein­s 75 (2004), S. 87–141.

Online

Mat­hil­de von Me­vis­sen (1848-1924) und die Mäd­chen­bil­dung(Ma­gis­ter­ar­beit von Bar­ba­ra Hoh­mann auf der Home­page des Köl­ner Frau­en­geschichts­ver­eins). [On­line]

Mathilde von Mevissen, Porträtfoto. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

 
Zitationshinweis

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Hohmann, Barbara, Mathilde von Mevissen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mathilde-von-mevissen/DE-2086/lido/57c94e7ceebda8.76707020 (abgerufen am 18.04.2024)