Bruno Werntgen

Flugpionier (1893-1913)

Markus Kirschbaum (Koblenz)

Bruno Werntgen, Porträtfoto, 1913. (Stadtarchiv Sankt Augustin, Signatur: STASA_BSA_034519)

Bru­no Wernt­gen war in den ers­ten Ta­gen des Mo­tor­flu­ges ei­ner der ma­ß­geb­li­chen Pio­nie­re, die durch ih­re Kon­struk­tio­nen und Teil­nah­men an Wett­be­werbs­flü­gen das Flie­gen im ei­gent­li­chen Wort­sinn eta­blier­ten. Sei­ne Fä­hig­kei­ten als Avia­ti­ker wa­ren so her­aus­ra­gend, dass er der jüngs­te Be­rufs­pi­lot der Welt wur­de und auch als Flug­leh­rer tä­tig wer­den konn­te. Sein frü­her Tod mit nur 20 Jah­ren be­raub­te die Flie­ge­rei ei­nes ih­rer hoff­nungs­volls­ten Ta­len­te.

Wil­li Bru­no Busch­mann wur­de am 17.3.1893 in Ruhr­ort-Beek (heu­te Stadt Duis­burg) ge­bo­ren. Über den Va­ter, den Kauf­mann Mat­thi­as Busch­mann, ist we­nig be­kannt. Da­für soll­te sei­ne Mut­ter, Ka­tha­ri­na An­toi­net­te Busch­mann (1875-1954), ge­bo­re­ne Wernt­gen – le­bens­lang all­ge­mein „Tony“ ge­ru­fen –, die wich­tigs­te Per­sön­lich­keit in Bru­nos Le­ben wer­den. Vier Jah­re spä­ter kam Bru­der Erik (1897-1944) in Mo­ers auf die Welt. Wohl noch vor 1900 ließ sich die Mut­ter schei­den und nahm wie­der ih­ren Mäd­chen­na­men an; seit dem 14.5.1910 durf­te auch Sohn Bru­no den Na­men füh­ren. Die selbst­be­wuss­te Frau be­stritt in Frank­furt am Main als Im­mo­bi­li­en­mak­le­rin den Le­bens­un­ter­halt für sich und ih­re bei­den Söh­ne, die nach der Schei­dung bei ihr ge­blie­ben wa­ren. 1909 wohn­te die Fa­mi­lie in der Main­me­tro­po­le un­ter der Adres­se Am Salz­haus Nr. 6.

Os­tern 1909 be­gann Bru­no Busch­mann sein In­ge­nieurs­stu­di­um mit dem Be­such des Tech­ni­kums im säch­si­schen Mitt­wei­da. Die­se pri­va­te In­sti­tu­ti­on war 1867 un­ter an­de­rem von orts­an­säs­si­gen Un­ter­neh­mern ge­grün­det wor­den. Un­ter dem Di­rek­to­rat des In­ge­nieurs Al­fred Udo Holzt (1859-1945) ent­wi­ckel­te sie sich seit et­wa 1900 zu ei­ner der grö­ß­ten und be­deu­tends­ten pri­va­ten tech­ni­schen Bil­dungs­ein­rich­tun­gen in Deutsch­land. Aber Bru­nos Zeit in Mitt­wei­da war nur kurz. Als sei­ne Mut­ter ihm ei­ne Dau­er­kar­te für die „In­ter­na­tio­na­le Luft­fahrt­aus­stel­lun­g“ vom 10.7.-17.10.1909 in Frank­furt schenk­te, kam Bru­no erst­mals mit Flug­zeu­gen in Be­rüh­rung. Die­se Be­geg­nung mach­te so gro­ßen Ein­druck auf ihn, dass er be­schloss, sein Stu­di­um in Mitt­wei­da ab­zu­bre­chen und statt­des­sen selbst Flug­zeu­ge zu kon­stru­ie­ren. Der auf­kom­men­de In­dus­trie­zweig der Flug­zeug­pro­duk­ti­on bot zu die­ser Zeit für Pri­vat­per­so­nen die Mög­lich­keit, oh­ne Vor­aus­set­zun­gen im Sin­ne von Leis­tungs­nach­wei­sen ei­ne Fir­ma zu grün­den und Flug­ver­su­che zu un­ter­neh­men. Er­for­der­lich wa­ren le­dig­lich et­was Start­ka­pi­tal und gu­te Ide­en. En­de 1909 grün­de­te To­ny Wernt­gen mit ei­ni­gen Teil­ha­bern auf der rech­ten Er­len­bach­sei­te, ge­gen­über der Teich­müh­le von Köp­pern im Tau­nus, das „Deut­sche Flug­tech­ni­sche In­sti­tu­t“. Die Ein­rich­tung um­fass­te die Ab­tei­lun­gen Lehr­an­stalt, Ver­suchs­sta­ti­on und Flug­zeug­fa­bri­ka­ti­on. Die Lei­tung des In­sti­tuts über­nahm der Ober­inge­nieur Ed­mund Bern­hard Phil­ipps, über den nichts wei­ter be­kannt ist. 

To­ny Wernt­gen be­gnüg­te sich nicht mit ei­ner stil­len Teil­ha­berrol­le, son­dern kon­stru­ier­te ab dem 1.4.1910 als ers­te Frau in Deutsch­land ei­gen­stän­dig Flug­zeu­ge. Eben­so un­ge­wöhn­lich war auch, dass die Flug­kur­se in Köp­pern auch Da­men of­fen­stan­den. Mit dem ers­ten Mo­tor­flug am 17.12.1903 der Ge­brü­der Wright, spä­tes­tens aber nach­dem der Fran­zo­se Louis Blé­ri­ot (1872-1936) am 25.7.1909 den Är­mel­ka­nal über­flo­gen hat­te, hat­te ein neu­es Zeit­al­ter be­gon­nen, wo­bei der En­thu­si­as­mus für die Flie­ge­rei rund um den Erd­ball auch Frau­en er­fass­te. 

"Jüngster Pilot der Welt", Bruno Werntgen mit Mutter und Flugpionierin Tony Werntgen. (Stadtarchiv Sankt Augustin, Signatur: STASA_BSA_034518)

 

To­ny Wernt­gen ent­wi­ckel­te in ih­rem In­sti­tut 1910 ei­nen Ein­de­cker und ei­nen Dop­pel­de­cker. Mit ih­ren Flug­ap­pa­ra­ten, die be­reits über Mo­to­ren von stol­zen 30 PS Leis­tung ver­füg­ten, wa­ren Flü­ge von meh­re­ren Mi­nu­ten Dau­er mög­lich. Am 20.7.1910 glück­te Bru­no Wernt­gen mit dem Ein­de­cker, der von ei­nem Drei­zy­lin­der-Mo­tor mit 30 PS an­ge­trie­ben wur­de, ge­gen 20 Uhr der ers­te Al­lein­flug. In et­wa sie­ben bis acht Me­tern Hö­he flog er 400 Me­ter weit, ob­wohl es ab­so­lut wind­still war. Be­reits im De­zem­ber 1910 war das Aben­teu­er des „Deut­schen Flug­tech­ni­schen In­sti­tu­tes“ in Köp­pern be­en­det, denn am 7.12.1910 wur­de über das Ver­mö­gen von Phil­ipps, der als Fir­men­in­ha­ber fun­gier­te, das Kon­kurs­ver­fah­ren er­öff­net. Ei­nen Tag spä­ter er­folg­te die Zwangs­ver­stei­ge­rung von Werk­zeu­gen, ei­nes Mo­tors und der zwei Flug­ap­pa­ra­te.

Kurz dar­auf war aber die Freu­de in der Fa­mi­lie Wernt­gen groß, denn am 13.12.1910 er­hielt der 17-jäh­ri­ge Bru­no of­fi­zi­ell den Deut­schen Pi­lo­ten­schein mit der Num­mer 40. Die Ab­schluss­prü­fung hat­te er am 30. No­vem­ber in Ber­lin-Jo­han­nis­thal ab­ge­legt. Da­mit war Bru­no Wernt­gen der jüngs­te Pi­lot der Welt und ei­ner der ers­ten von 817 deut­schen li­zen­sier­ten Flie­gern vor Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges. Den Pi­lo­ten­schein mit der Num­mer 1 hat­te am 1.2.1910 der Flug­pio­nier Au­gust Eu­ler (1868-1957) er­wor­ben. Am glei­chen Tag be­kam Hans Gra­de (1879-1946) die Li­zenz Nr. 2. Bei ihm mach­te das Ko­blen­zer Flie­gerass des Ers­ten Welt­krie­ges und Pour-le-Mé­ri­te-Trä­ger Hans Kirsch­stein (1896-1918) sei­ne Pi­lo­ten­prü­fung. 

Dass Gra­de und Wernt­gen schon vor dem Er­werb des Deut­schen Pi­lo­ten­scheins als Flug­leh­rer tä­tig wa­ren, über­rascht nur auf den ers­ten Blick. Erst 1909 wur­de im Deut­schen Reich der Füh­rer­schein für Au­to­mo­bi­le ein­ge­führt. Mit der stei­gen­den Flug­be­geis­te­rung wur­de auch hier ei­ne Re­ge­lung nö­tig. Bis zu die­sem Zeit­punkt aber hat­ten ei­ni­ge Flug­pio­nie­re sich das Flie­gen selbst bei­ge­bracht, ar­bei­te­ten als Flug­leh­rer und mach­ten erst nach­träg­lich ih­ren Pi­lo­ten­schein. Um dem wirt­schaft­li­chen Ru­in zu ent­ge­hen, er­kun­de­ten To­ny und Bru­no Wernt­gen die Mög­lich­keit ei­ner Nie­der­las­sung in West­deutsch­land. Da­bei kam ih­nen das An­ge­bot des „Köl­ner Club für Luft­schiff­fahr­t“, der am 6.11.1906 als „Köl­ner Ae­ro-Klub“ ge­grün­det wor­den war, sehr ge­le­gen. Ne­ben sei­ner Tä­tig­keit als Flug­leh­rer be­stand für Bru­no in der Teil­nah­me an Flug­ta­gen und Schau­flie­gen die ein­zi­ge Mög­lich­keit, Geld zu ver­die­nen. To­ny schloss mit ei­ni­gen Städ­ten ent­lang des Rheins ent­spre­chen­de Ver­trä­ge ab. Das Geld für den Kauf von Flug­ap­pa­ra­ten borg­te sich To­ny von Ver­wand­ten. Im März kauf­te Bru­no in Ber­lin-Jo­han­nis­thal ei­nen Dor­ner-Ein­de­cker mit ei­nem 50 PS Kör­ting­mo­tor, den er auf den Na­men „Li­bel­le“ tauf­te. Be­reits am 24.4.1911 flog Bru­no von Mer­heim (heu­te Stadt Köln) den Rhein ent­lang nach Düs­sel­dorf und zu­rück. Am 2.5.1911 star­te­te er in Mer­heim, um sei­nen of­fi­zi­el­len Stun­den­flug zu ab­sol­vie­ren. Die­se Leis­tung war Vor­aus­set­zung für den „Deut­schen Zu­ver­läs­sig­keits­flug am Ober­rhein“, an dem Bru­no teil­neh­men woll­te. Bei sei­nem Ver­such brach al­ler­dings der Pro­pel­ler, auch ein zwei­ter An­lauf schei­ter­te an tech­ni­schen Pro­ble­men.

Bruno Werntgen auf dem Flugplatz in Bonn-Hangelar. (Stadtarchiv Sankt Augustin, Signatur: STASA_BSA_034520)

 

Den ers­ten Schau­flug ab­sol­vier­te Bru­no am 14.5.1911 bei Hol­ten (heu­te Stadt Ober­hau­sen). Ver­an­stal­ter des Er­eig­nis­ses, an dem acht Pi­lo­ten teil­nah­men, war die „Nie­der­rhei­ni­sche Flug­zeug-Bau­an­stal­t“. Ei­nen Tag spä­ter ge­wann Bru­no Wernt­gen den mit 500 Mark do­tier­ten „Ham­bor­ner Preis“ für ei­nen Über­land­flug von Hol­ten nach Ham­born (heu­te Stadt Duis­burg). Um 7 Uhr mor­gens star­te­te er, um­run­de­te wie ge­for­dert den Rat­haus­turm von Ham­born und kehr­te 13 Mi­nu­ten spä­ter nach Hol­ten zu­rück. Statt zu lan­den blieb er aber in der Luft, um sei­nen Stun­den­flug ab­zu­leis­ten. Auch dies­mal hat­te er kein Glück, ein ge­rin­ger Scha­den in der Trag­flä­che be­en­de­te den Ver­such. Den­noch wur­de er durch den „Ham­bor­ner Preis“ noch be­kann­ter, und ir­gend­wann zwi­schen dem 15. und 19.5.1911 ge­lang ihm auch end­lich sein Stun­den­flug, kei­ne Se­kun­de zu früh, denn am 20. Mai be­gann der „Deut­sche Zu­ver­läs­sig­keits­flug am Ober­rhein“.

Die­se auch als „Ober­rhein­flu­g“ be­kann­te Prü­fung von Ba­den-Ba­den nach Frank­furt war in sie­ben Etap­pen ein­ge­teilt und dau­er­te bis zum 27. Mai. Acht Pi­lo­ten gin­gen an den Start. Für Bru­no Wernt­gen stand sein ers­ter grö­ße­rer Über­land­flug un­ter kei­nem gu­ten Stern, bei der Über­füh­rung sei­nes Flug­zeu­ges wur­de das Hö­hen­ru­der ge­stoh­len, er muss­te aus Er­satz­tei­len ein be­helfs­mä­ßi­ges Steu­er an­fer­ti­gen. Ei­nen Tag vor dem Start fing der Mo­tor der „Li­bel­le“ Feu­er. Am 23. Mai hat­te Wernt­gen den Mo­tor re­pa­riert und fuhr di­rekt nach Karls­ru­he, um von dort aus die letz­ten bei­den Etap­pen in An­griff zu neh­men. In Karls­ru­he hat­te die Lei­tung des „Ober­rhein­flu­ge­s“ den Be­ginn der Schauflü­ge auf dem Ex­er­zier­platz we­gen der un­si­che­ren Wet­ter­la­ge für 17 Uhr an­ge­setzt. Wernt­gen kur­bel­te schon um 16 Uhr 30 sei­nen Mo­tor an. Nach ein paar Run­den lan­de­te er wie­der und hol­te sich da­mit den Er­öff­nungs­preis von 300 Mark ab. Ge­mein­sam mit ei­nem an­de­ren Pi­lo­ten er­rang er auch den Pas­sa­gier­preis der „Ba­di­schen Pres­se“ und den Preis für Dau­er­leis­tung, was 850 Mark in die Kas­se brach­te. Wernt­gen schaff­te die nächs­te Etap­pe nach Hei­del­berg, wo er aber er­neut ei­nen Pro­pel­ler­bruch er­litt. Über­dies trat ein Pferd auf das am Bo­den lie­gen­de Hö­hen­steu­er. Da­mit war der Wei­ter­flug end­gül­tig nicht mehr mög­lich. Das Flug­zeug wur­de zer­legt und nach Frank­furt ge­bracht. Hier konn­te Wernt­gen im­mer­hin an den ört­li­chen Schauflü­gen teil­neh­men. Er ge­wann Prei­se für den kür­zes­ten Start und den schöns­ten Flug. Da­mit hat­te er beim „Ober­rhein­flu­g“ ei­nen Ge­winn von 1.800 Mark ge­macht. 

Der Sie­ger Hell­muth Hirth (1886-1938) aus Heil­bronn, der al­le sie­ben Etap­pen ab­sol­vier­te, konn­te sich auf 56.979 Mark freu­en. Aber ein Ver­gleich ver­bie­tet sich. Schon in den Kin­der­ta­gen der Flie­ge­rei wa­ren die Wett­be­wer­be sehr pro­fes­sio­nell or­ga­ni­siert. Wie heu­te in der For­mel 1 war Hirth der Pi­lot ei­nes Renn­stalls. Das Rump­ler-Werks­team stell­te das Flug­zeug, Aus­rüs­tung und Me­cha­ni­ker zur Ver­fü­gung. Des­halb kas­sier­te der Ei­gen­tü­mer, der Flug­pio­nier Ed­mund Rump­ler (1872-1940), Kon­struk­teur der be­rühm­ten „Tau­be“, dem ers­ten in gro­ßer Stück­zahl ge­bau­ten Flug­zeug der Welt, auch zwei Drit­tel des Preis­gel­des. Im wei­te­ren Ver­lauf des Jah­res 1911 nahm Bru­no Wernt­gen noch er­folg­reich an di­ver­sen Flug­ta­gen teil. Be­son­ders wich­tig war sein Auf­tritt in Ko­blenz An­fang Sep­tem­ber. Für die Stadt am Deut­schen Eck be­deu­te­te das den Be­ginn der Ära des Mo­tor­flugs.

Die Schau- und Ma­nö­ver­flü­ge fan­den vom 2.-4.9.1911 auf dem Ex­er­zier­platz des VIII. Ar­mee­korps auf der Kart­hau­se statt und wur­den vom Ver­kehrs­ver­ein der Stadt Ko­blenz or­ga­ni­siert. Wernt­gen soll­te ver­trag­lich zwei Ein­zel­flü­ge und vier Pas­sa­gier­flü­ge aus­füh­ren. Am Er­öff­nungs­tag, ei­nem son­ni­gen Sonn­tag, war die Stra­ße auf die Kart­hau­se völ­lig über­füllt, Wernt­gen flog in ei­nem ele­gan­ten Bo­gen bis zur Mo­sel und kehr­te dann un­ter dem Ju­bel der Men­ge auf die Kart­hau­se zu­rück. Nach wei­te­ren ge­fei­er­ten Pas­sa­gier­flü­gen und ei­nem ein­wand­frei­en Hö­hen­flug von 150 Me­tern wa­ren auch die Of­fi­zie­re des VIII. Ar­mee­korps rest­los be­geis­tert. Sie lu­den ihn ein, am Herbst­ma­nö­ver vom 17.-19.9.1911 in Jü­lich teil­zu­neh­men. Be­son­ders die Für­spra­che des Haupt­manns im Ge­ne­ral­stab Hans Ko­ep­pen (1876-1946) hat­te Ge­wicht. Der Ber­li­ner ge­noss in der Sport­welt ei­nen gu­ten Ruf. Er hat­te 1908 er­folg­reich an der ers­ten Tou­ren­wa­gen­ral­lye der Welt von New York über Si­bi­ri­en nach Pa­ris teil­ge­nom­men. Um 7 Uhr 20 am 18.9.1911 star­te­te Wernt­gen mit Ko­ep­pen als Be­ob­ach­ter zu ei­nem Flug, der sich ins­ge­samt über 90 Ki­lo­me­ter er­streck­te. Der mi­li­tä­ri­sche Wert blieb zwei­fel­haft, den­noch mel­de­te Ko­ep­pen pflicht­ge­mäß die Er­fül­lung des Auf­tra­ges an den Kom­man­deur.

Im De­zem­ber 1911 deu­te­te sich an, dass das Flug­un­ter­neh­men Wernt­gen nicht in Köln blei­ben konn­te. Bü­ro­kra­ti­sche Ein­schrän­kun­gen be­ein­träch­tig­ten die Wirt­schaft­lich­keit des Be­trie­bes. Das Ver­bot, die Fes­tung Köln zu über­flie­gen so­wie das Aus­lau­fen der kos­ten­lo­sen Nut­zung von Mer­heim schränk­ten die Ein­nah­me­mög­lich­kei­ten bei den lau­fen­den Kos­ten zu sehr ein. We­gen des Ri­si­kos in der Flie­ge­rei muss­ten Lie­fe­ran­ten im­mer so­fort be­zahlt wer­den. Nie­mand stell­te Wernt­gen ei­ne Rech­nung aus, denn kei­ner wuss­te, ob der Schuld­ner den nächs­ten Tag über­le­ben wür­de.

Zwar ge­lang es To­ny, beim Kriegs­mi­nis­te­ri­um in Ber­lin ei­ne vor­läu­fi­ge Er­laub­nis zum Über­flug Kölns zu er­hal­ten, aber oh­ne ein neu­es Flug­feld war das Un­ter­neh­men nicht zu ret­ten. In ih­rer Not schrieb sie ei­nen Brief an den Bru­der des Kai­sers, den Prin­zen Hein­rich von Preu­ßen (1862-1929), der die Pi­lo­ten­li­zenz Nr. 38 be­saß und da­für be­kannt war, Flie­ger­ka­me­ra­den in Not zu hel­fen. Tat­säch­lich wur­de auf sei­ne Ver­mitt­lung hin die Mög­lich­keit er­öff­net, den Trup­pen­übungs­platz auf der Han­gela­rer Hei­de bei Bonn als Flug­feld zu über­neh­men.

Im Früh­jahr 1912 zog man nach Han­gelar. Dort war man von der Platz­mie­te ent­bun­den, wenn man das Flug­feld für we­ni­ge Wo­chen im Jahr dem Mi­li­tär über­ließ und mit den ei­ge­nen Flug­zeu­gen an Ma­nö­vern teil­nahm. Über­dies wur­de das Flug­feld den Wernt­gens für 20 Jah­re über­las­sen. Am 20.4.1912 tra­fen die ers­ten Flug­zeu­ge in Han­gelar ein. Die Bon­ner Hu­sa­ren er­rich­te­ten ein gro­ßes Pfer­de­zelt, um die Ma­schi­nen vor der Wit­te­rung zu schüt­zen, da noch kei­ne Hal­len exis­tier­ten. An­mel­dun­gen für Flug­schü­ler oder Pas­sa­gier­flü­ge nahm das Ho­tel „Zum gol­de­nen Stern“ am Bon­ner Markt­platz ent­ge­gen, wo die Wernt­gens zu­nächst auch wohn­ten. Für den Bau der Werk­hal­len ge­währ­te die Stadt Bonn ei­nen Zu­schuss von 3.000 Mark.

Bei Bru­no Wernt­gen in Han­gelar lern­te in die­ser Zeit ein jun­ger Mann das Flie­gen, der selbst zu ei­ner Pi­lo­ten­le­gen­de wer­den soll­te: Jo­sef Ja­cobs (1894-1978) aus Kreuz­ka­pel­le (Ge­mein­de Much), der er­folg­reichs­te Drei­de­cker­pi­lot des Ers­ten Welt­krie­ges. Den ers­ten Flug auf der Han­gela­rer Hei­de ab­sol­vier­te Bru­no Wernt­gen am 22.4.1912. Am 27. April kam der Kom­man­deur des VIII. Ar­mee­korps Paul von Ploetz (1847-1930) zur jähr­li­chen Per­so­nal­be­sich­ti­gung. Da­bei stat­te­te er auch der Flug­schu­le ei­nen Be­such ab. Wernt­gen un­ter­nahm zwei Auf­stie­ge, von de­nen ei­ner ein mi­li­tä­ri­scher Er­kun­dungs­flug war. Als Be­ob­ach­ter flog Leut­nant Erich Hein­rich Clöß­ner (1888-1976) vom Rhei­ni­schen In­fan­te­rie­re­gi­ment Nr. 160 aus Bonn mit. 

Im Früh­jahr 1912 flog Wernt­gen zwecks Über­prü­fung des Mo­tors in Rich­tung Butz­wei­ler Hof bei Köln. Dort ent­stand ge­ra­de die „Kai­ser­li­cher Flie­ger­sta­ti­on und Flug­schu­le“, das Ge­län­de war aber weit­ge­hend Wei­de­grund für Rin­der. Plötz­lich setz­te der Mo­tor aus, Wernt­gen muss­te auf den ein­ge­zäun­ten Vieh­wei­den lan­den. Da aber das Be­tre­ten des Ge­län­des we­gen Maul- und Klau­en­seu­che ver­bo­ten war, be­kam To­ny Wernt­gen ei­nen Straf­be­fehl in Hö­he von drei Mark. Der Schutz­mann, der Bru­no vor Ort über des­sen wi­der­recht­li­ches Ver­hal­ten be­lehrt hat­te, er­stat­te­te An­zei­ge und es kam zur Ge­richts­ver­hand­lung. Wernt­gens Ver­tei­di­ger konn­te nur mit Mü­he und dem Hin­weis auf Wernt­gens ta­del­lo­sen Leu­mund beim Mi­li­tär Schlim­me­res ver­hü­ten. 

Am 9.5.1912 fand in Han­gelar ein gro­ßer Flug­tag statt, bei dem Bru­no Wernt­gen fünf Starts ab­sol­vier­te. Im Ju­ni be­gann der Bau der gro­ßen Flug­zeug­hal­le, mit Schrei­ne­rei, Schlos­se­rei, Bü­ro- und An­klei­de­räu­men so­wie Toi­let­ten. Im Mai des Jah­res zeig­te Wernt­gen sein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Ver­ständ­nis für die Tech­nik sei­ner Flug­zeu­ge. Auf dem „Cle­ver Flug­ta­g“ stieg er zu ei­nem Flug von 400 Me­tern Hö­he auf. Als er zur Lan­dung an­setz­te, ver­lang­sam­ten sich die Pro­pel­ler­um­dre­hun­gen und der Mo­tor stand schlie­ß­lich ganz still. Die vie­len Zu­schau­er be­fürch­te­ten das Schlimms­te, Wernt­gen hin­ge­gen lan­de­te si­cher. Er hat­te be­wusst den Mo­tor ab­ge­stellt, um den Mo­tor zu scho­nen und im Gleit­flug zu lan­den. Das glei­che Ma­nö­ver ab­sol­vier­ten spä­ter Pi­lo­ten im Ers­ten Welt­krieg, de­ren Ma­schi­nen mit ei­nem Um­lauf­mo­tor aus­ge­stat­tet wa­ren, weil die­ser Mo­tor nur bei vol­ler Ro­ta­ti­ons­ge­schwin­dig­keit über aus­rei­chen­de Luft­küh­lung ver­füg­te.

Bei den „Braun­schwei­ger Flug­ta­gen“ am 5.6.1912 trat Bru­no Wernt­gen mit ei­nem Dor­ner-Ein­de­cker an, den er kon­struk­tiv ver­än­dert hat­te. Die Trag­flä­chen hat­te er mit ei­ner ge­rin­gen Pfei­lung zur Quer­ach­se des Flug­zeugs an­ge­bracht, was bei der Drauf­sicht wie ein V aus­sah. Wernt­gen hat­te er­kannt, dass ein Zu­sam­men­hang zwi­schen der Luft­strö­mungs­ge­schwin­dig­keit um die Trag­flä­chen, dem Auf­trieb und der Sta­bi­li­tät der Ma­schi­ne be­stand. Durch ei­ne schwa­che Pfei­lung er­ga­ben die Trag­flä­chen bei nied­ri­gen Ge­schwin­dig­kei­ten ei­nen ver­bes­ser­ten Auf­trieb. So nahm Wernt­gen prak­tisch die Idee vor­weg, mit der in den 1930er Jah­ren der deut­sche Ae­ro­dy­na­mi­ker Adolf Bu­se­mann (1901-1986) die Flie­ge­rei re­vo­lu­tio­nie­ren soll­te. Heu­te ist ein stark ge­pfeil­ter Flü­gel ein un­ver­zicht­ba­res Kon­struk­ti­ons­merk­mal für je­des mo­der­ne Flug­zeug.

Auch in­ter­na­tio­nal hat­ten der Flug­platz Han­gelar und die Wernt­gens mitt­ler­wei­le ei­nen gu­ten Na­men in der Flie­ger­welt. Be­reits im De­zem­ber 1911 lern­ten To­ny und Bru­no Wernt­gen bei der Luft­fahrt­aus­stel­lung in Pa­ris den fran­zö­si­schen Pi­lo­ten Mar­cel Brin­de­jonc de Mou­li­nais (ge­bo­ren 1892) ken­nen. Da­bei kam die Idee auf, Brin­de­jonc, der ein be­kann­ter Dis­tanz­flie­ger war, sol­le von Pa­ris nach Ber­lin flie­gen und da­bei in Han­gelar zwi­schen­lan­den. Am 8.8.1912 setz­te der jun­ge Fran­zo­se die Idee in die Tat um. Brin­de­jonc star­te­te um 6 Uhr mor­gens mit sei­nem Mo­ra­ne-Ein­de­cker in Pa­ris, flog über Reims und die Ar­den­nen, ver­lor dann aber den Kurs, zog ei­ne Schlei­fe über Düs­sel­dorf und Bonn, um schlie­ß­lich in Köln-Mer­heim zu lan­den. Von dort star­te­te er so­gleich wie­der und kam um 10 Uhr mor­gens in Han­gelar an, wo er den Wernt­gens er­zähl­te, dass der güns­ti­ge West­wind ihm er­laubt hat­te, in nur vier­ein­halb Stun­den von Pa­ris nach Han­gelar zu flie­gen. Nach sei­nem er­neu­ten Start in Han­gelar hat­te Brin­de­jonc kein Glück und stürz­te in ei­nem Ge­wit­ter bei At­ten­d­orn in West­fa­len ab. Er blieb un­ver­letzt, das Flug­zeug je­doch, wel­ches man nach Han­gelar zur Re­pa­ra­tur brach­te, war nicht mehr zu ret­ten. Brin­de­jonc fiel im Ers­ten Welt­krieg als Jagd­flie­ger auf­grund des ver­se­hent­li­chen Be­schus­ses durch ei­ge­ne Flug­zeu­ge am 18.8.1916 bei Ver­dun.

Wäh­rend Brin­de­joncs kur­zem Auf­ent­halt in Han­gelar nahm Bru­no Wernt­gen des­sen Mo­ra­ne-Ein­de­cker be­geis­tert un­ter die Lu­pe. Das fort­schritt­li­che De­sign und der voll­stän­dig ver­klei­de­te Rumpf hat­ten es ihm an­ge­tan. Im Win­ter 1912 mach­te er sich dar­an, ein Flug­zeug zu ent­wer­fen, das sich durch Schnel­lig­keit und mi­li­tä­ri­sche Nutz­bar­keit aus­zeich­nen soll­te. Im Fe­bru­ar 1913 war das neue Mo­dell „PK 102“ fer­tig. Die­ses Flug­zeug hat­te ei­nen Zug­pro­pel­ler, der vor dem Pi­lo­ten an­ge­ord­net war, und soll­te für Mo­to­ren ver­schie­de­ner Leis­tungs­klas­sen ge­eig­net sein. Da­bei pro­fi­tier­te Wernt­gen von sei­nen Ex­pe­ri­men­ten mit dem Dor­ner-Ein­de­cker, bei dem er ver­suchs­wei­se auch schon den Pro­pel­ler nach vorn ver­legt hat­te. Am 4.1.1913 er­folg­te die Grün­dung der „Wernt­gen-Flug­un­ter­neh­men G.m.b.H.“ Die­se Fir­ma soll­te Flug­zeu­ge her­stel­len, die den Na­men Bru­no Wernt­gen tra­gen wür­den. Da­zu kam es je­doch nicht mehr.

Sei­ne neue Kon­struk­ti­on „PK 102“ rüs­te­te Wernt­gen mit ei­nem 106 PS star­ken Ar­gus­mo­tor aus. Da­mit soll­te das schnel­le Flug­zeug ei­ne Höchst­ge­schwin­dig­keit von 170 km/h er­rei­chen. Am 22.2.1913 er­prob­te Wernt­gen das Flug­zeug erst­mals. Er star­te­te vier Mal und er­reich­te ei­ne Hö­he von 600 Me­tern. Bei meh­re­ren Run­den über dem Flug­platz Han­gelar be­währ­te sich die Ma­schi­ne ta­del­los. Für den 25. Fe­bru­ar war ein Pas­sa­gier­flug mit ei­nem Of­fi­zier des In­fan­te­rie­re­gi­ments Nr. 173 aus St. Avold vor­ge­se­hen. Auf­grund des böi­gen Win­des wur­de der Flug je­doch ver­scho­ben. Um die Ver­hält­nis­se zu tes­ten, stieg Wernt­gen um 17 Uhr 45 al­lei­ne auf. Trotz der vie­len Bö­en um­run­de­te er den Flug­platz oh­ne Pro­ble­me, doch kurz vor der Lan­dung er­fass­te ein hef­ti­ger Wind­stoß das Flug­zeug und drück­te des­sen Na­se her­un­ter, so dass es sich fast über­schlug. Aus 20 Me­tern Hö­he stürz­te das Flug­zeug senk­recht zu Bo­den. Her­bei­ge­eil­te Hel­fer fan­den Bru­no Wernt­gen un­ter den Trüm­mern sei­nes Flug­zeugs auf dem Rü­cken lie­gend: Er war tot. 

Die Bei­set­zung des 20-jäh­ri­gen Flug­pio­niers Bru­no Wernt­gen fand am 28.2.1913 un­ter gro­ßer An­teil­nah­me der Be­völ­ke­rung auf dem Bon­ner Nord­fried­hof statt, wo sein Eh­ren­grab noch be­steht. Die Grab­in­schrift lau­tet: „Im Flu­ge zum ir­di­schen Tod, im Sturz zum ewi­gen Le­ben.“

Literatur

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Gsell, Ro­bert/Krebser, Wer­ner, 25 Jah­re Luft­kut­scher. Vom Luft­sprung zur Luft­be­herr­schung, Zü­rich/Leip­zig 1936.
Hau­de, Rü­di­ger, Grenz­flü­ge. Po­li­ti­sche Sym­bo­lik der Luft­fahrt vor dem Ers­ten Welt­krieg. Das Bei­spiel Aa­chen, Köln/Wei­mar/Wien 2007.
Kü­per, Hart­mut, Bonn-Han­gelar. Ge­schich­te ei­nes Flug­plat­zes, Band 1, 1909-1926, Sieg­burg 1998.
Probst, Ernst, Kö­ni­gin­nen der Lüf­te in Deutsch­land, Mün­chen 2010.
Totzau­er, Wer­ner, Mitt­weid­as In­ge­nieu­re in al­ler Welt – Tra­di­ti­on – Rea­li­tät – Vi­si­on, Mitt­wei­da 2004.
Wirtz, Paul, Avia­ti­ker Bru­no Wernt­gen, 1893-1913, Jü­lich 2005.
Wirtz, Paul, Vom ers­ten Hop­ser bis zum Stre­cken­flug, Jü­lich 2007.
Wirtz, Paul/Probst, Ernst, To­ny und Bru­no Wernt­gen - Zwei Le­ben für die Luft­fahrt, 1. Auf­la­ge, Mün­chen 2011.
Ze­gen­ha­gen, Eve­lyn, Schnei­di­ge deut­sche Mä­del. Flie­ge­rin­nen zwi­schen 1918 und 1945, Göt­tin­gen 2007. 

Bruno Werntgen während des Zuverlässigkeitsflugs am Oberrhein, 20-27.05.1911. (Stadtarchiv Sankt Augustin, Signatur: BSD_007493)

 
Zitationshinweis

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Kirschbaum, Markus, Bruno Werntgen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/bruno-werntgen/DE-2086/lido/5e3a995ddc6951.43935525 (abgerufen am 24.04.2024)