Christian Weuste

Bürgermeister von Mülheim an der Ruhr (1822–1852)

Kai Rawe (Mülheim an der Ruhr)

Christian Weuste, Porträt, um 1840. (Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr)

In rund 30-jäh­ri­ger Amts­zeit als Bür­ger­meis­ter zu­nächst der Stadt-, dann der Land­bür­ger­meis­te­rei Mül­heim an der Ruhr, präg­te Weus­te ma­ß­geb­lich die Ent­wick­lung der auf­stre­ben­den In­dus­trie­stadt, die in sei­ner Amts­zeit zu­neh­mend städ­ti­sches Ge­prä­ge und die An­fän­ge ei­ner kom­mu­na­len In­fra­struk­tur er­hielt.

Chris­ti­an Weus­te wur­de am 1.9.1789 in Wolfsch­la­de (Stadt Berg­neu­stadt) ge­bo­ren und be­gann schon früh – 1808 - ei­ne Lauf­bahn als Ver­wal­tungs­be­am­ter. 1814 wur­de er Kal­ku­la­tor bei der Kreis­di­rek­ti­on Wip­per­fürth, 1816 Kreis­se­kre­tär von Mett­mann, be­vor er 1817 in glei­cher Funk­ti­on nach Kre­feld ver­setzt wur­de.

1814 hei­ra­te­te Weus­te He­le­na Dreib­holz (1788-1856); aus der Ehe gin­gen sechs Kin­der her­vor, von de­nen Toch­ter Eleo­no­re (1819-1895) 1845 Ge­org Ma­thi­as Stin­nes (1817-1853), den äl­tes­ten Sohn des Mül­hei­mer Un­ter­neh­mers Ma­thi­as Stin­nes,(1790-1845) ehe­lich­te.

Im Jahr 1822 wur­de Weus­te Bür­ger­meis­ter von Mül­heim an der Ruhr. Als Mül­heim im Jah­re 1846 mit der Ein­füh­rung der re­vi­dier­ten preu­ßi­schen Städ­te­ord­nung von 1831 in ei­ne Stadt- und ei­ne Land­bür­ger­meis­te­rei auf­ge­teilt wur­de, über­nahm Weus­te das Amt des Land­bür­ger­meis­ters, das er bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung im Jah­re 1852 in­ne hat­te. Weus­te be­stimm­te folg­lich rund 30 Jah­re als Bür­ger­meis­ter die Ge­schi­cke der auf­stre­ben­den Stadt an der Ruhr be­zie­hungs­wei­se des sie um­ge­ben­den Land­krei­ses. Er war der ers­te Bür­ger­meis­ter mit ei­ner so lan­gen Amts­zeit, denn Mül­heim war erst im Jah­re 1808 zur Mu­ni­zi­pa­li­tät nach fran­zö­si­schem Vor­bild er­ho­ben wor­den und be­saß folg­lich nicht die Tra­di­ti­on ei­ner his­to­risch ge­wach­se­nen Stadt. Doch es war nicht nur die lan­ge Amts­zeit, die Weus­te zum be­deu­tends­ten Bür­ger­meis­ter der ers­ten rund fünf­zig Jah­re der städ­ti­schen Ge­schich­te Mül­heims ge­macht hat.

 

Il­se Bar­le­ben cha­rak­te­ri­siert Weus­te in ih­rer grund­le­gen­den Dar­stel­lung der Mül­hei­mer Ge­schich­te wie folgt: “Er war ein preu­ßi­scher Be­am­ter im gu­ten Sin­ne, ein Ei­fe­rer zu­dem, der in Zorn und Lie­be manch­mal das Maß ver­lor, aber den­noch oder ge­ra­de des­we­gen in We­sen und Wir­kung für Mül­heim un­end­lich viel be­deu­tet hat, und ob­gleich er of­fen­sicht­lich in sei­nen Ge­füh­len ge­gen­über der ihm an­ver­trau­ten Bür­ger­schaft oft ge­schwankt und wäh­rend sei­ner lan­gen Amts­zeit mehr­mals den Ver­such ge­macht hat, Mül­heim den Rü­cken zu keh­ren, schlie­ß­lich ist er doch ge­blie­ben und hat sich mit sei­nen Mit­bür­gern wie­der ver­tra­gen. Und trotz al­ler Kri­tik wuss­ten die­se, was sie an ihm hat­ten [...].” (Bar­le­ben, Mül­heim an der Ruhr, S. 52).

Als Chris­ti­an Weus­te 1822 in die Stadt an der Ruhr kam, be­fand sich das Bü­ro des Bür­ger­meis­ters in ei­nem Wirts­haus, was er als äu­ßerst un­pas­send emp­fand. Über­haupt war der ers­te Ein­druck von der Stadt of­fen­sicht­lich kein güns­ti­ger: Al­le Woh­nun­gen sei­en schlecht, die Ein­woh­ner “im all­ge­mei­nen zu we­nig zi­vi­li­siert, zum Teil in Streit le­bend und des­halb für das Ge­mein­wohl nicht in­ter­es­siert” (Bar­le­ben, Mül­heim an der Ruhr, S. 52). Bei ei­ner sol­chen Aus­gangs­la­ge konn­te es nur bes­ser wer­den. Und tat­säch­lich hielt Weus­te die an­fäng­li­chen Un­zu­läng­lich­kei­ten aus. Es ge­lang ihm be­reits 1824, den Ge­mein­de­rat zu ei­ner Er­hö­hung sei­ner Bü­ro­kos­ten­ent­schä­di­gung auf 1.350 Ta­ler so­wie zur Ein­stel­lung ei­nes Po­li­zei­se­kre­tärs auf Ge­mein­de­kos­ten zu be­we­gen. Wie zur Be­stä­ti­gung der ge­gen­sei­ti­gen An­er­ken­nung be­an­tra­ge der Ge­mein­de­rat beim Re­gie­rungs­prä­si­den­ten in Düs­sel­dorf au­ßer­dem ei­ne Zu­la­ge in Hö­he von 50 Ta­lern für den “wür­di­gen, die un­ge­teil­te Lie­be sei­ner Ver­wal­te­ten ge­nie­ßen­den Bür­ger­meis­ter” (Bar­le­ben, Mül­heim an der Ruhr, S. 52). Die­ser An­trag wur­de je­doch ab­ge­lehnt.

Kettenbrücke mit Blick auf Mülheim an der Ruhr von Schloss Broich aus gesehen, Mitte 19. Jahrhundert. (Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr)

 

Zwi­schen 1822 und 1846 stieg die Ein­woh­ner­zahl Mül­heims von rund 15.200 auf mehr als 25.500 Ein­woh­ner an. Da­mit ein­her gin­gen hö­he­re kom­mu­na­le Steu­er­ein­nah­men, die je­doch nicht in dem Ma­ße stie­gen wie die Ein­woh­ner­zah­len. So blie­ben vor al­lem die Ein­nah­men aus der Klas­sen­steu­er weit hin­ter dem Be­völ­ke­rungs­zu­wachs zu­rück, was auf den Zu­zug eher ar­mer Leu­te schlie­ßen lässt. Deut­lich stieg in die­sem Zeit­raum al­ler­dings die Ge­wer­be­steu­er, de­ren Ein­nah­men sich ver­drei­fach­ten, denn Han­del, Ge­wer­be und In­dus­trie er­leb­ten ei­nen gro­ßen Auf­schwung und brach­ten der jun­gen Stadt wirt­schaft­li­ches Wohl­er­ge­hen. Ob­wohl Weus­te noch zu Be­ginn der 1830er Jah­re die ho­hen Aus­ga­ben der Kom­mu­ne für die Ar­men­für­sor­ge be­klag­te, konn­ten seit Mit­te der 1830er Jah­re er­heb­li­che Mit­tel in den Aus­bau der kom­mu­na­len In­fra­struk­tur in­ves­tiert wer­den. Ins­be­son­de­re der Aus­bau des Stra­ßen- und We­ge­net­zes ein­schlie­ß­lich der kost­spie­li­gen Über­wöl­bung des Rum­ba­ches, der mit­ten durch die Stadt floss und den Ver­kehr von Wa­ren und Per­so­nen stark be­hin­der­te, wur­den vor­an­ge­trie­ben. So ent­stan­den un­ter an­de­rem in Weus­tes Amts­zeit die Ak­ti­en­stra­ße als Ver­bin­dungs- und Trans­port­weg nach Es­sen und die Chaus­see nach Ep­ping­ho­fen, die heu­ti­ge Ep­ping­ho­fer Stra­ße. Ein be­son­ders wich­ti­ges Pro­jekt zur Ver­bes­se­rung der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur war der Bau der Ket­ten­brü­cke 1842–1844. Bis zu die­sem Zeit­punkt gab es auf Mül­hei­mer Ge­biet kei­ne fes­te Über­que­rung der Ruhr. Die Fäh­re, die die bei­den Tei­le der Stadt ver­band, war we­gen der schwie­ri­gen Was­ser­ver­hält­nis­se der Ruhr oft­mals nicht nutz­bar, so­dass Men­schen und Wa­ren den Fluss nicht pas­sie­ren konn­ten. Mit dem Bau der Ket­ten­brü­cke wur­de die­ses Ver­kehrs­hin­der­nis be­sei­tigt.

Ein wei­te­res Bau­werk wur­de auf Be­trei­ben Weus­tes 1841 be­gon­nen und be­reits im fol­gen­den Jahr voll­endet: das ers­te Mül­hei­mer Rat­haus. Mit die­sem Bau wur­de nicht nur dem schon 1822 von Weus­te als un­wür­dig emp­fun­de­nen Zu­stand ei­nes feh­len­den, den Be­dürf­nis­sen der Kom­mu­nal­ver­wal­tung ent­spre­chen­den Rat­hau­ses ab­ge­hol­fen. Mit sei­ner ex­po­nier­ten La­ge nörd­lich des al­ten Mül­hei­mer Sied­lungs­kerns und dem neu­en Markt­platz, der vor dem Rat­haus an­ge­legt wur­de, er­öff­ne­te es der Stadt­be­bau­ung neue Mög­lich­kei­ten, die drin­gend er­for­der­lich wa­ren, um Ar­beits- und Wohn­raum für die ste­tig wach­sen­de Be­völ­ke­rung zu schaf­fen.

Erstes Mülheimer Rathaus mit Marktplatz und Kriegerdenkmal, um 1900. (Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr)

 

Es ent­stan­den je­doch nicht nur Bau­wer­ke und Stra­ßen. Mit der hö­he­ren Bür­ger­schu­le (1836), der Mül­hei­mer Han­dels­kam­mer (1840) und der städ­ti­schen Spar­kas­se (1842) wur­den wäh­rend Weus­tes Amts­zeit zen­tra­le städ­ti­sche In­sti­tu­tio­nen ins Le­ben ge­ru­fen. Als die Meist­be­erb­ten im Jah­re 1846 ge­gen den aus­drück­li­chen Wunsch Weus­tes und des Ge­mein­de­ra­tes für die Ein­füh­rung der re­vi­dier­ten preu­ßi­schen Städ­te­ord­nung von 1831 vo­tier­ten - statt der Ge­mein­de­ord­nung von 1845 -, wur­de Mül­heim in ei­ne Stadt- und ei­ne Land­bür­ger­meis­te­rei ge­teilt. Weus­te über­nahm das Amt des Land­bür­ger­meis­ters, be­hielt aber sei­nen Amts­sitz im neu­en Rat­haus

Als Chris­ti­an Weus­te 1852 in den Ru­he­stand trat, konn­te er auf ein lan­ges und er­folg­rei­ches Wir­ken in Mül­heim an der Ruhr zu­rück­bli­cken. Wäh­rend sei­ner Dienst­jah­re hat­te die Stadt ei­ne Pha­se des Wachs­tums und des Auf­schwungs er­lebt, die auch sei­ner Weit­sicht, per­sön­li­chen In­itia­ti­ve und Ge­schäfts­tüch­tig­keit zu ver­dan­ken war.

Chris­ti­an Weus­te starb am 24.12.1862 in Mül­heim an der Ruhr; sein Grab be­fin­det sich auf dem al­ten Teil des Alt­stadt­fried­hofs an der Kett­wi­ger Stra­ße. In Mül­heim er­in­nert ei­ne Stra­ße im Stadt­teil Holt­hau­sen an ihn – ei­ne durch­aus sinn­fäl­li­ge Form der Er­in­ne­rung an ei­nen Bür­ger­meis­ter, der sich zeit­le­bens be­son­ders um die Ver­bes­se­rung der In­fra­struk­tur “s­ei­ner Stadt” be­müht hat.

Quellen

Ver­wal­tungs­be­richt des Bür­ger­meis­ters Chris­ti­an Weus­te aus dem Jah­re 1827, in: Zeit­schrift des Ge­schichts­ver­eins Mül­heim an der Ruhr 22/2 (1927), S. 1–40.

Literatur

Bar­le­ben, Il­se, Mül­heim an der Ruhr. Bei­trä­ge zu sei­ner Ge­schich­te von der Er­he­bung zur Stadt bis zu den Grün­der­jah­ren, Mül­heim an der Ruhr 1959.
Gül­lens­tern, El­leo­no­re, Al­le mei­ne Vor­gän­ger, in: Mül­hei­mer Jahr­buch 1983,S. 42–52.
Op ten Hö­fel, Ru­dolf, Sie lenk­ten und len­ken die Ge­schi­cke der Stadt Mül­heim seit 150 Jah­ren. Mül­hei­mer Bür­ger­meis­ter 1808–1958, in: Mül­hei­mer Jahr­buch 1958, S. 33-40.
Rhei­ni­scher Städ­teat­las IX Nr. 50: Mül­heim a. d. Ruhr, be­arb. von Kurt Ort­manns, Köln/Bonn 1989.

Wohnhaus Christian Weustes in der Delle, Verwaltungssitz bis zur Fertigstellung des Rathauses 1842, um 1900. (Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr)

 
Zitationshinweis

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Rawe, Kai, Christian Weuste, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/christian-weuste/DE-2086/lido/57c92df898aaf5.23933341 (abgerufen am 19.03.2024)