Johannes Duns Scotus

Philosoph (1265/1266-1308)

Hannes Möhle (Bonn)

Darstellung des Johannes Duns Scotus in einer Initiale der Handschrift Bibliotheca Silvestriana, cod. 215, fol. 1r. (Biblioteca dell'Accademia dei Concordi, Rovigor)

Jo­han­nes Duns Sco­tus ist ne­ben Al­ber­tus Ma­gnus und Tho­mas von Aquin (um 1225-1274) der be­deu­tends­te Theo­lo­ge und Phi­lo­soph des la­tei­ni­schen Mit­tel­al­ters.

Sco­tus fand in vie­len Fra­gen ei­ne ganz ei­gen­stän­di­ge Ant­wort, um der gro­ßen in­tel­lek­tu­el­len Her­aus­for­de­rung sei­ner Zeit ge­recht zu wer­den. Die geis­tes­ge­schicht­lich so be­deut­sa­me Auf­ga­be, mit der Sco­tus und sei­ne Zeit­ge­nos­sen kon­fron­tiert wa­ren, be­stand in der Ver­mitt­lung von zwei Tra­di­tio­nen, die zu Be­ginn des 13. Jahr­hun­derts erst­ma­lig in gan­zem Um­fang auf­ein­an­der tra­fen: das uni­ver­sa­lis­ti­sche Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis der grie­chi­schen An­ti­ke ei­ner­seits und der eben­falls uni­ver­sa­lis­ti­sche Gel­tungs­an­spruch des christ­li­chen Glau­bens an­de­rer­seits. In wel­chem Ver­hält­nis ste­hen die in der gött­li­chen Of­fen­ba­rung ver­kün­de­te Leh­re, die dem gläu­bi­gen Chris­ten nur auf ei­ne über­na­tür­li­che Wei­se ge­ge­ben ist, und die Welt­deu­tung, wie sie von den heid­ni­schen Phi­lo­so­phen in Ge­stalt ei­ner sich an die na­tür­li­che Ver­nunft wen­den­den Wis­sen­schaft­lich­keit dar­ge­bo­ten wird, zu­ein­an­der? Wie lässt sich die Ein­heit von Wis­sen­schaft und Glau­ben fas­sen, oh­ne dass das ei­ne Mo­ment zu­guns­ten des an­de­ren in sei­nem We­sen ver­kannt und in sei­nem Ei­gen­recht miss­ach­tet wird? Das ge­sam­te theo­lo­gi­sche und phi­lo­so­phi­sche Werk des Duns Sco­tus ist der Her­aus­for­de­rung die­ser Fra­gen ge­wid­met.

Über das Le­ben des Jo­han­nes Duns Sco­tus weiß man ver­hält­nis­mä­ßig we­nig. Ei­ne der kür­zes­ten Bio­gra­phi­en des Sco­tus dürf­te die In­schrift auf sei­nem Sar­ko­phag in der Köl­ner Mi­no­ri­ten­kir­che sein. Dar­in hei­ßt es: „Sco­tia me ge­nuit, An­glia me sus­ce­pit, Gal­lia me do­cuit, Co­lo­nia me tenet." (Schott­land hat mich ge­bo­ren, Eng­land hat mich auf­ge­nom­men, Frank­reich hat mich ge­lehrt und Köln be­hält mich.)

Auf den ers­ten Blick scheint die­se Auf­zäh­lung, bei der Köln in ei­ner Rei­he mit Schott­land, Eng­land und Frank­reich ge­nannt wird, eher dem Köl­ner Pa­trio­tis­mus als ei­ner neu­tra­len Be­richt­er­stat­tung zu ent­sprin­gen, doch fin­det sich ein et­wa gleich­lau­ten­der Text be­reits im Epi­log ei­nes vom Fran­zis­ka­ner Wil­helm de Vau­rouil­lon (ge­stor­ben 1463) ver­fass­ten Sen­ten­zen­kom­men­tars aus der ers­ten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts.

Für das Ge­burts­da­tum des Jo­han­nes Duns Sco­tus exis­tiert kein ein­deu­ti­ger Be­leg. Dar­auf ist nur in­di­rekt auf­grund des Da­tums von Sco­tus’ Pries­ter­wei­he zu schlie­ßen: Am 17.3.1291 wur­de er vom Bi­schof von Lin­coln zum Pries­ter ge­weiht. Sein Na­me „fra­ter io­han­nes dons" er­scheint in der Lis­te des bi­schöf­li­chen Se­kre­tärs, der die Na­men der ge­weih­ten Pries­ter fest­hält. Kir­chen­recht­lich galt zu die­ser Zeit ein Min­dest­al­ter für die Pries­ter­wei­he von 25 Jah­ren. Dar­aus er­gibt sich als spä­tes­tes Da­tum für die Ge­burt des Duns Sco­tus der 17.3.1266. Mit­te De­zem­ber 1290 hat­te be­reits ei­ne Pries­ter­wei­he statt­ge­fun­den, bei der Sco­tus je­doch noch nicht ge­weiht wur­de. Geht man da­von aus, dass man ihm zum frü­hest mög­li­chen Zeit­punkt zum Pries­ter ge­weiht hat, er­gibt sich als frü­hes­ter Zeit­punkt für sei­ne Ge­burt ein Da­tum von Mit­te De­zem­ber 1265. Jo­han­nes Duns Sco­tus ist al­so ver­mut­lich im Zeit­raum von Mit­te De­zem­ber 1265 bis Mit­te März 1266 in der Ort­schaft Duns im Sü­den Schott­lands ge­bo­ren.

Ob es sich bei dem Na­men „Duns" um ei­ne Her­kunfts­be­zeich­nung oder ei­nen Fa­mi­li­en­na­men han­delt, ist al­ler­dings un­si­cher. Als Her­kunfts­be­zeich­nung wä­re eher die Be­zeich­nung „de Duns" üb­lich ge­we­sen, so dass ei­ni­ges für ei­nen Fa­mi­li­en­na­men spricht. Gleich­wohl wä­re es nicht über­ra­schend, wenn die­ser Fa­mi­li­en­na­me auf­grund der Her­kunft aus Duns ver­wen­det wur­de. Ei­ne Her­kunft des Jo­han­nes selbst oder sei­ner Fa­mi­lie aus der ge­nann­ten Ort­schaft scheint al­so die na­tür­lichs­te Er­klä­rung zu sein. Da­mit kann auch die Her­kunft aus Schott­land ent­ge­gen an­de­rer An­nah­men, er kom­me aus Ir­land, als ge­si­chert gel­ten. Zwar gibt es auch in Ir­land ei­ne Ort­schaft Duns, doch ist die Be­zeich­nung „Sco­tus" zur da­ma­li­gen Zeit al­lein auf Schott­land und nicht auch auf Ir­land an­ge­wandt wor­den. Spä­tes­tens ab dem 11. Jahr­hun­dert sind Ir­land und Schott­land na­ment­lich ge­trennt. Der Eh­ren­na­me „Sub­ti­lis", der Sco­tus in der Be­zeich­nung „doc­tor sub­ti­lis" zu­ge­spro­chen wird, ist be­reits zu des­sen Leb­zei­ten ver­bürgt.

Für den Ein­tritt in den Fran­zis­ka­ner­or­den war ein Al­ter von 18 vor­ge­schrie­ben, was al­ler­dings in der Pra­xis auf ein Min­dest­al­ter von 15 Jah­ren hin­aus­lief. Sco­tus dürf­te al­so un­ge­fähr 1280/1281 in den Or­den auf­ge­nom­men wor­den sein.

Es spricht ei­ni­ges da­für, dass er sein Aus­bil­dungs­pro­gramm in Ox­ford be­gann, wo der Fran­zis­ka­ner­or­den ein Stu­di­en­haus un­ter­hielt. Der ei­gent­li­chen theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung ging ei­ne in der Re­gel acht­jäh­ri­ge, an­de­re Quel­len sa­gen sechs­jäh­ri­ge, phi­lo­so­phi­sche Schu­lung vor­aus. Dar­an schloss sich nach den Ox­for­der Sta­tu­ten ein 13-jäh­ri­ges Theo­lo­gie­stu­di­um an. Es ist an­zu­neh­men, dass Sco­tus nicht sei­ne ge­sam­te Aus­bil­dung in Ox­ford ge­nos­sen hat. In der For­schung wird dis­ku­tiert, ob Sco­tus nicht im An­schluss an sei­ne ers­te phi­lo­so­phi­sche Stu­di­en in Ox­ford sein Lek­to­rat in Pa­ris ab­sol­viert hat. Die let­zen vier Stu­di­en­jah­re, bei Duns Sco­tus dürf­ten es die Jah­re 1297-1301 ge­we­sen sein, gal­ten der Aus­ein­an­der­set­zung mit den „Sen­ten­zen" des Scho­las­ti­kers Pe­trus Lom­bar­dus (um 1100-1160). Es han­del­te sich hier­bei um ein vier­bän­di­ges theo­lo­gi­sches Stan­dard­werk, das den Cha­rak­ter ei­nes Lehr­buchs hat­te und im theo­lo­gi­schen Un­ter­richt zum Ge­gen­stand viel­fäl­ti­ger Kom­men­ta­re ge­macht wur­de.

Be­legt ist, dass Sco­tus spä­tes­tens 1302 in Pa­ris war, um dort er­neut das ers­te Buch der Sen­ten­zen und an­schlie­ßend das vier­te zu kom­men­tie­ren. Be­legt ist wie­der­um, dass der Pa­ris-Auf­ent­halt des Duns Sco­tus durch ein Exil un­ter­bro­chen wur­de, wo­bei wir nicht ge­nau wis­sen, wo Sco­tus sich statt­des­sen auf­hielt.

Im Ju­ni des Jah­res 1303 for­der­te der fran­zö­si­sche Kö­nig Phil­ipp IV. („der Schö­ne") (Re­gie­rungs­zeit 1285-1314), al­le Pa­ri­ser Theo­lo­gen auf, durch Un­ter­schrift zu be­zeu­gen, ob sie in den Strei­tig­kei­ten zwi­schen Papst Bo­ni­faz VIII. (Pon­ti­fi­kat 1294-1303) und dem Kö­nig von Frank­reich auf der Sei­te Roms oder der der Kro­ne stün­den. Bei der fol­gen­den Ab­stim­mung ge­hör­te Sco­tus zu den papst­treu­en Ge­lehr­ten, die dem Kö­nig ih­re Zu­stim­mung ver­sag­ten. Um­ge­hend for­der­te Phil­ipp die­se auf, Frank­reich in­ner­halb von drei Ta­gen zu ver­las­sen. Wo­hin Sco­tus ging, ist nicht ge­nau zu sa­gen. Am wahr­schein­lichs­ten sind Auf­ent­hal­te in Ox­ford oder Cam­bridge. En­de 1304 war Sco­tus wie­der in Pa­ris, wo er im Früh­jahr des dar­auf fol­gen­den Jah­res schlie­ß­lich Ma­gis­ter re­gens ge­we­sen sein dürf­te, was dem heu­ti­gen Rang ei­nes or­dent­li­chen Pro­fes­sors ent­sprach.

Am 8.11.1308 starb Sco­tus in Köln. Hier wur­de er in der Mi­no­ri­ten­kir­che bei­ge­setzt, wo er auch heu­te noch be­gra­ben ist. Die To­des­ur­sa­che ist un­be­kannt, so dass die ge­nau­en Um­stän­de reich­lich Raum zur Spe­ku­la­ti­on bo­ten: so et­wa zu der Ver­mu­tung, Sco­tus sei gar nicht wirk­lich tot ge­we­sen, als man ihn be­grub, son­dern nur durch ei­ne wun­der­sa­me Krank­heit in ei­nen to­des­ähn­li­che Schlaf ver­fal­len und erst nach der Bei­set­zung un­ter fürch­ter­li­chen Um­stän­den tat­säch­lich zu To­de ge­kom­men. Nach ver­schie­de­nen An­läu­fen und ei­nem zä­hen Rin­gen sei­tens des Fran­zis­ka­ner­or­dens wur­de Jo­han­nes Duns Sco­tus schlie­ß­lich am 6.7.1991 durch Papst Jo­han­nes Paul II. (Pon­ti­fi­kat 1978-2005) se­lig ge­spro­chen.

Werke

Ope­ra om­nia Io­an­nis Duns Sco­ti, hg. von Lu­cas Wad­ding, 12 Bän­de, Ly­on 1639, Nach­druck Hil­des­heim 1968-1969.
Io­an­nis Duns Sco­ti Ope­ra om­nia. Stu­dio et cu­ra Com­mis­sio­nis Sco­tis­ti­cae ad fi­dem co­di­cum edi­ta, Ci­vi­tas Va­ti­ca­na 1950ff. [bis­her er­schie­nen: Bän­de 1-10, 1950-2007; Bän­de 16-21, 1960-2004].
B. Io­an­nis Duns Sco­ti Ope­ra phi­lo­so­phi­ca, hg. von Gi­rar­dus J. Etz­korn u.a., St. Bo­na­ven­ture (New York) 1997ff. [bis­her er­schie­nen: Band 1, 1999; Bän­de 3-4, 1997; Band 5,  2006].

Literatur

Bautz, Fried­rich Wil­helm, Ar­ti­kel „Duns Sco­tus", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 1 (1990), Sp. 1423-1427.
Bur­ger, Ma­ria, Per­so­na­li­tät im Ho­ri­zont ab­so­lu­ter Prä­des­ti­na­ti­on. Un­ter­su­chun­gen zur Chris­to­lo­gie des Jo­han­nes Duns Sco­tus und ih­rer Re­zep­ti­on in mo­der­nen theo­lo­gi­schen An­sät­ze, Müns­ter i.W. 1994.
Hon­ne­fel­der, Lud­ger, Duns Sco­tus, Mün­chen 2005.
Hon­ne­fel­der, Lud­ger, Ens in­quan­tum ens. Der Be­griff des Sei­en­den als sol­chen als Ge­gen­stand der Me­ta­phy­sik nach der Leh­re des Jo­han­nes Duns Sco­tus, Müns­ter i.W. 1979, 2. Auf­la­ge 1989.
Hon­ne­fel­der, Lud­ger [u.a.] (Hg.), Jo­han­nes Duns Sco­tus 1308-2008. Die phi­lo­so­phi­schen Per­spek­ti­ven sei­nes Wer­kes /In­ves­ti­ga­ti­ons in­to his Phi­lo­so­phy, Müns­ter i.W. 2011.
Möh­le, Han­nes, Ethik als sci­en­tia prac­tica nach Jo­han­nes Duns Sco­tus. Ei­ne phi­lo­so­phi­sche Grund­le­gung, Müns­ter i.W. 1995.
Wol­ter, Al­lan Ber­nard, Ar­ti­kel „John Duns Sco­tus", in: The En­cy­clo­pe­dia of Phi­lo­so­phy, Band 2, New York / Lon­don 1967, S. 427-436. 

Online

Wil­liams, Tho­mas, John Duns Sco­tus (Stan­ford En­cy­clo­pe­dia of Phi­lo­so­phy). [On­line]
Min­ges, Par­the­ni­us, Sco­tism and Sco­tist­s (Uni­ver­si­ty of Not­re Da­me, Jac­ques Ma­ri­tain Cen­ter). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Möhle, Hannes, Johannes Duns Scotus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-duns-scotus/DE-2086/lido/57c92ef71b6200.58413085 (abgerufen am 19.03.2024)