Fygen Lutzenkirchen

Seidenunternehmerin (um 1450 - nach 1515)

Margret Wensky (Bonn)

Fygen Lutzenkirchen, Skulptur am Kölner Rathausturm, 1992, Bildhauer: Wolfgang Reuter. (Stadtkonservator Köln)

Die Seid­ma­che­rin Fy­gen Lut­zen­kir­chen steht ex­em­pla­risch für die zahl­rei­chen Köl­ner Frau­en, die im Spät­mit­tel­al­ter er­folg­reich in Han­del und Ge­wer­be tä­tig wa­ren und die her­aus­ra­gen­de Wirt­schafts­kraft der Me­tro­po­le am Rhein mit­ge­stal­tet ha­ben. Fy­gen war ei­ne der pro­mi­nen­tes­ten Ver­tre­te­rin­nen der Zunft der Seid­ma­che­rin­nen, der be­deu­tends­ten der so ge­nann­ten Köl­ner Frau­en­zünf­te. Die­se wa­ren ei­ne Köl­ner Be­son­der­heit, denn au­ßer in Pa­ris gab es in kei­ner eu­ro­päi­schen Stadt des Mit­tel­al­ters Zünf­te, die fast aus­schlie­ß­lich aus Frau­en be­stan­den. Die Köl­ner Frau­en­zünf­te ar­bei­te­ten al­le für den Ex­port, wo­bei das Sei­den­ge­wer­be um 1500 wohl das er­folg­reichs­te Köl­ner Ex­port­ge­wer­be über­haupt war.

Fy­gens Ge­burts­jahr ist un­be­kannt, es dürf­te um 1450 oder kurz da­nach an­zu­set­zen sein; sie war ei­ne ge­bo­re­ne Bel­ling­ho­ven - mehr ist über ih­re El­tern nicht zu er­fah­ren. Sie muss bei ei­ner der Meis­te­rin­nen der 1437 ge­bil­de­ten Zunft der Seid­ma­che­rin­nen – dem Sei­d­amt – in die Leh­re ge­gan­gen sein. 1474 wur­de sie selbst als Meis­te­rin zu­ge­las­sen; nach­weis­lich bis 1497 bil­de­te sie 25 Lehr­mäd­chen aus. Ver­hei­ra­tet war Fy­gen mit Pe­ter Lut­zen­kir­chen, der seit den 1470er Jah­ren als Gro­ß­kauf­mann in Er­schei­nung tritt. Im Ver­zeich­nis der Köl­ner Han­se­kauf­leu­te von cir­ca 1470/1480 wird er als Mit­glied der Gaf­fel Wol­len­amt ge­führt. Zwi­schen 1485 und 1491 war er mehr­mals Köl­ner Rats­herr. Das Ehe­paar spiel­te ei­ne her­aus­ra­gen­de Rol­le in der Füh­rung des Sei­d­am­tes, in­dem es fast 20 Jah­re lang ab­wech­selnd in des­sen Vor­stand saß.

Als Kin­der des Ehe­paa­res Lut­zen­kir­chen sind die Töch­ter Agnes und Lis­beth be­kannt, die bei­de Lehr­töch­ter des Sei­d­am­tes wur­den, je­doch nicht bei der Mut­ter, wie sonst im Sei­d­amt gän­gi­ge Pra­xis.

Pe­ter Lut­zen­kir­chens Be­tei­li­gung am Sei­d­amt und sei­ne Han­dels­tä­tig­keit rü­cken die Wirt­schafts­tä­tig­keit der Frau in grö­ße­re Zu­sam­men­hän­ge, wäh­rend um­ge­kehrt die Ge­wer­be­aus­übung der Frau den kauf­män­ni­schen Er­folg des Man­nes mit­be­wirk­te. Das Ehe­paar Lut­zen­kir­chen steht bei­spiel­haft für ei­ne Rei­he von Köl­ner Ehe­paa­ren der zwei­ten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts, bei de­nen sich die Ge­wer­be­tä­tig­keit ei­nes der Part­ner mit der Han­dels­tä­tig­keit des an­de­ren auf das Vor­teil­haf­tes­te er­gänz­te.

Pe­ter war auch Fak­tor ober­deut­scher Han­dels­häu­ser in Köln, und zwar der Gro­ßen Ra­vens­bur­ger Han­dels­ge­sell­schaft und der Vöh­lin-Wel­ser-Ge­sell­schaft, ei­ner Fu­si­on des Mem­min­ger Han­dels­hau­ses Vöh­lin mit der Augs­bur­ger Fir­ma Wel­ser. Toch­ter Agnes Lut­zen­kir­chen hei­ra­te­te 1492 An­dre­as Im­hof (aus der ober­deut­schen Fa­mi­lie Im­hof), Fak­tor der Vöh­lin-Wel­ser Ge­sell­schaft.

Pe­ter führ­te ne­ben an­de­ren Wa­ren auch Roh­sei­de ein, die wohl für den Ge­wer­be­be­trieb der Frau be­stimmt war. Er war re­gel­mä­ßi­ger Be­su­cher der Frank­fur­ter wie der Ant­wer­pe­ner Mes­sen. Zu Mes­se­zei­ten wa­ren an bei­den Or­ten eben­so re­gel­mä­ßig die Meis­te­rin­nen des Sei­d­am­tes an­zu­tref­fen.

Fy­gen war auch – al­ler­dings in ge­rin­gem Um­fang – an den Han­dels­ge­schäf­ten ih­res Man­nes be­tei­ligt. Ih­re ak­ti­ve Zeit im Sei­den­ge­wer­be en­de­te um 1498 und fiel zeit­lich mit dem Tod des Man­nes zu­sam­men. An­schlie­ßend wid­me­te sie sich der Ab­wick­lung der um­fang­rei­chen Nach­lass­ge­schäf­te. Es gibt Hin­wei­se dar­auf, dass sie nach Pe­ters Tod die In­ter­es­sen der Gro­ßen Ra­vens­bur­ger Han­dels­ge­sell­schaft in Köln wei­ter ver­trat. Ih­ren Sei­den­be­trieb führ­te mög­li­cher­wei­se ih­re Toch­ter Lis­beth wei­ter, die seit 1496 als Haupt­seid­ma­che­rin zu­ge­las­sen war. Die­se war ver­hei­ra­tet mit Mer­tyn Ime Ho­ve (Im­hof) dem Jün­ge­ren (die­se Im­hofs stamm­ten aus dem nie­der­rhei­ni­schen Süch­teln), dem Sohn des Fern­händ­lers Mer­tyn Ime Ho­ve des Äl­te­ren und sei­ner Frau Tryn­gen, die auch als Frau zur Ro­ten Tür be­kannt ist und ei­ne min­des­tens so er­folg­rei­che Seid­ma­che­rin war wie Fy­gen Lut­zen­kir­chen. Bei­de Frau­en ge­hör­ten zu der klei­nen Grup­pe von Meis­te­rin­nen, die im spä­ten 15. Jahr­hun­dert ei­ne Mo­no­pol­stel­lung im Sei­den­ge­wer­be in­ne­hat­ten und so ka­pi­tal­kräf­tig wa­ren, dass sie enor­me Men­gen Roh­sei­de auf­kau­fen und als Ver­le­ge­rin­nen tä­tig sein konn­ten.

Das Tes­ta­ment des Ehe­paars Lut­zen­kir­chen von 1494 lässt – wie bei den meis­ten mit­tel­al­ter­li­chen Tes­ta­men­ten – kaum Rück­schlüs­se auf das Ge­samt­ver­mö­gen zu. Die Lut­zen­kir­chens be­sa­ßen meh­re­re Häu­ser in Köln, dar­un­ter das Haus Wol­ken­burg in der Pfar­re Sankt Pe­ter, ei­nen re­prä­sen­ta­ti­ven Neu­bau aus der Mit­te des 15. Jahr­hun­derts, den Pe­ter Lut­zen­kir­chen 1492 als Wohn­haus für die Fa­mi­lie er­wor­ben hat­te (das Haus wur­de 1911/ 1912 ab­ge­ris­sen). Fy­gen zähl­te 1515 zu den reichs­ten Köl­ner Bür­gern. Ihr To­des­da­tum ist un­be­kannt.

Zur Er­in­ne­rung an die vie­len wirt­schaft­lich er­folg­rei­chen Köl­ne­rin­nen des Spät­mit­tel­al­ters wur­de Fy­gen im Fi­gu­ren­pro­gramm des Köl­ner Rat­haus­turms 1992 ei­ne Fi­gur ge­wid­met (Bild­hau­er: Wolf­gang Reu­ter). Im Köl­ner Stadt­teil Riehl ist ei­ne Stra­ße nach ihr be­nannt. An das Sei­den­ge­wer­be in Köln er­in­nert der his­to­ri­sche Stra­ßen­na­me "Un­ter Seid­ma­cher"/ "Seid­ma­cher­gäss­chen", 1987 in „Seid­ma­che­rin­nen-Gä­ßchen" um­be­nannt.

Literatur

Wens­ky, Mar­g­ret, Die Stel­lung der Frau in der stadt­köl­ni­schen Wirt­schaft im Spät­mit­tel­al­ter, Köln / Wien 1980.

 
Zitationshinweis

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Wensky, Margret, Fygen Lutzenkirchen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/fygen-lutzenkirchen/DE-2086/lido/57c9462879e723.18645665 (abgerufen am 19.03.2024)